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Hofberichterstattung

Es ist noch keinen Monat her, da sagte Chefredakteur Kai Diekmann, “Bild” werde Konsequenzen aus dem sogenannten “Caroline-Urteil” ziehen und bis auf weiteres auf Homestories über Politiker verzichten. Wenn man nicht mehr kritisch über das Privatleben von Politikern berichten dürfe, sagte er dem “Focus”, wolle man es lieber gar nicht tun: “Wir müssen … beim Leser jetzt von vornherein jeden Anschein vermeiden, wir würden mit eingebauter Schere im Kopf nur noch Hofberichterstattung betreiben.” Laut “Bild” hätten die Straßburger Richter nämlich entschieden, “dass die Berichterstattung (z. B. Fotos) über Prominente nur noch mit deren Erlaubnis zulässig” sei.

Am Samstag hatte Gerhard Schröder einen Termin in Paderborn. Seine Mutter liegt dort im Krankenhaus. Sie konnte ihren Geburtstag nicht zuhause feiern, deshalb besuchte der Kanzler sie am Krankenbett, ohne Frau, Stief- und Adoptivtochter, dafür aber mit einem “prächtigen Herbststrauß”. Er trug ein “lässiges Polohemd, sportliches Jackett und eine Sporthose” und blieb eine Stunde.

Woher wir das alles wissen? Stand heute groß auf Seite 2 der “Bild”. Mit Foto vom Kanzler mit Herbstblumenstrauß. Ach, und er nennt seine Mutter “nur zärtlich ‘Löwe'” und liebt, wie sie, Pflaumenkuchen.

“Wir können gar nicht anders”, hatte der “Bild”-Chefredakteur noch gesagt, “als ab sofort zum Beispiel auf jedwede Art von HomeStorys über Politiker zu verzichten.” Aber der Kanzler ist ja auch in Hannover zuhause. Nicht in Paderborn.

Ätzend teuer!

„Warum sind Schulbücher bloß so ätzend teuer?“, fragte „Bild“ am Dienstag zum (- je nach Bundesland – baldigen) Beginn des neuen Schuljahres und klagte an: „Für Schulbücher müssen Eltern richtig tief in die Tasche greifen!“ Wegen der „Lernmittelfreiheit“, die z.B. in Niedersachsen gerade entfallen ist. Das bedeutet: „Schulbücher müssen von den Eltern komplett selbst bezahlt werden!“ (Fast jedenfalls.)

Von „Bild“ befragte Mütter erklären:

„Das trifft uns mit zwei Kindern doppelt hart.“

Und:

„Ich bin allein erziehend. 450 Euro bei drei Kindern sind für mich unerschwinglich.“

Ein Skandal also.

Von der „Schlechtschreib-Reform“ und der Rückkehr zur „alten“ Rechtschreibung bzw. den Kosten, die den Eltern bei Neudruck der gerade teuer erstandenen Bücher in „neuer“ Rechtschreibung entstehen würden, ist in dem Artikel übrigens nicht die Rede.

Drogen in Sommerloch gefunden!

Ingrid Häußler ist die Oberbürgermeisterin von Halle. Vor einer Woche traf sie sich mit einigen Leuten von einer bissigen Internetseite namens Hoelle-Saale.de, um eine Friedenspfeife zu rauchen. Apropos: Irgendwann kam das Gespräch auf Haschisch. Hoelle-Saale.de zitierte die Oberbürgermeisterin am Tag darauf mit den Worten:

Vor vielen Jahren habe ich im Paulusviertel mit einer Freundin zusammen schon den einen oder anderen Joint geraucht. Und zu meinem 50. Geburtstag hat mir mein Sohn auch ein Tütchen geschenkt. Er meinte wohl, seine Mutter könnte sowas gebrauchen bei dem stressigen Job.

Wie aufregend ist das?

So aufregend, dass “Bild Halle” daraus eine Geschichte auf der Titelseite machte (siehe Ausriss) und an zwei aufeinanderfolgenden Tagen je einen Artikel im Inneren. Gleich dreimal brachte “Bild” dasselbe Foto von Frau Häußler, in dem sie mit ihren Händen eine Tüte formt, zweimal die Formulierung “Ganz schön high, Frau Häußler”, einmal die gewaltige Schlagzeile: “Die Hasch-Beichte der Oberbürgermeisterin.”

Und die Sache ist damit für “Bild” nicht erledigt.

Es [gäbe] noch so viele Fragen. … Waren es nun Joints oder nur ein Joint, woran Ingrid Häußler vor Jahren gezogen hat? Und was wurde aus dem Tütchen, das einer ihrer Söhne der Politikerin angeblich zum 50. Geburtstag geschenkt hat?

Und natürlich auch diese Frage noch: Wen interessiert’s?

Hit Me Baby One More Time

Seit einigen Wochen vergeht kaum ein Tag, ohne dass “Bild” Britney Spears diffamiert. In den Artikeln, denen meist jeder Nachrichtenwert fehlt, wird sie in endlosen Wiederholungen so dargestellt: “rauchende, trinkende, feiernde und zügellose Pop-Queen”, “missraten”, im “andauernden Karrieretief”, “unglamourös, heruntergekommen und abgewrackt”, “aufgedunsen, ungeschminkt, verantwortungslos, rücksichtslos”, “Miss Dixie-Klo”, “Tournee-Desaster”, “sexsüchtig, keine Spur mehr von der einstigen Pop-Prinzessin” etc. etc.

Vorläufiger Höhepunkt ist dieser Artikel, der mit der Schlagzeile rechts angekündigt wird und dessen sabbernde Zweideutigkeit sich nicht auf das “Wortspiel” Muschel/Muschi beschränkt. Einziger Anlass ist ein nichtssagendes Bild, das Britney mit ihrem Verlobten im Urlaub zeigt. “Heiß” an den “heißen Fotos” ist ausschließlich die Außentemperatur, die Anzahl der gezeigten “Fotos” beträgt 1 (eins). Dieses genügt der “Bild”, zum x-ten Mal Unfreundliches über Frau Spears zu verbreiten und die Formulierung “Pop-Prinzessin a.D.” einzuführen.

Frau Spears ist aktuell für vier MTV Video Music Awards nominiert, ihre Single “Everytime” war acht Wochen in den deutschen Single-Top-Ten und erreichte Platz 4, in den MTV Euro Charts liegt sie zur Zeit auf Platz 3.

Wir wissen nicht, was Britney der “Bild”-Zeitung getan hat. Vermutlich muss man sich um Frau Spears auch keine Sorgen machen. Merken sollte man sich nur, mit wie wenig Fakten und Anlässen das Blatt auskommt, wenn es jemanden offenkundig vernichten will.

Nachtrag: Den Spott der “Bild” hat sich Britney auch dadurch zugezogen, dass sie in die Muschel hineinpustete:

Hat ihr denn noch niemand erklärt, dass man die Dinger an die Lauscher halten muss, wenn’s rauschen soll?

Jaha, der “Bild”-Redakteur macht sich als Tourist auf Hawaii natürlich zum Affen, indem er in die “Pu” genannten großen Muscheln reinhorcht, statt sie — wie es dort Tradition ist — als Blasinstrument
zu benutzen…

Danke an Jörg für den Hawaii-Muschel-Hinweis!

Ein Hartz für Kinder

Mit traurigen Kinderaugen und süßen Sparschweinen kämpft “Bild” seit Tagen gegen die Ungerechtigkeit der sogenannten Hartz-IV-Reformen. Die Botschaft ist klar: Kinder von Langzeitarbeitslosen können sich in Zukunft ihr kleines Glück abschminken. “Fünf Kinder sagen: Mein Sparbuch kriegt ihr nicht”, schreibt “Bild”. Die Frage ist nur: Will überhaupt jemand (Herr Eichel? Herr Hartz?) ihre Sparbücher? Gehen wir die Fälle einmal durch:

Der 4-jährige Cedric will einen Fußball und ein Trikot von Rot-Weiß-Erfurt haben. Zugegeben, RWE hat sein erstes Spiel der Saison gewonnen, trotzdem ist zu bezweifeln, dass die Trikots jetzt zu Preisen von über 750 Euro gehandelt werden – und darunter ist dem Staat Cedrics quietschgelbes Spartier egal. (Wenn da mal überhaupt 750 Euro reingehen…).

Nicole will ein Mountain Bike, ein teures, sie spart schon zweieinhalb Jahre. Da Mutter Bärbel laut Text nicht mal so viel Geld wie ihre Tochter auf dem Konto hat, spricht nichts dagegen, das Geld einfach auf Mamas Konto zu überweisen – Sie hat nämlich als 42-jährige einen Vermögensfreibetrag von 8400 Euro. Aber dann hätte man ja nichts, worüber man sich bei der “Bild” beklagen könnte.

Die 4-jährige Laura umklammert ihr grünes Sparschwein ganz fest und sagt: “Ich habe schon 400 Euro auf meinem Sparbuch. Das Geld gebe ich nicht her!” Liebe Laura, hör auf, so eine Schnute zu ziehen! Erstens: Keiner will dein Sparbuch! Zweitens: Selbst wenn du mehr als 750 Euro hättest, würde Mutti immer noch Arbeitslosengeld II bekommen, nur der Kinderzuschlag würde reduziert.

Schließlich die Brüder Kevin (8) und Mario (?). In ihrem gemeinsamen Sparschwein stecken 25 Euro. Kevin spart auf ein Fußball-Trainingslager, Mario auf einen Gameboy. Sagen wir es so, Kevin: Kein Problem, solange du nicht tatsächlich ein eigenes Fußball-Trainingslager haben willst. Sowas ist dann wohl doch teurer als 750 Euro.

Fassen wir zusammen: Ja es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, völlig irreführende Mitleidstexte zu drucken und dafür unschuldige Kinder zu missbrauchen.

Dank an Konrad A. für diesen sachdienlichen Hinweis!

Julia G.

Lange nichts gehört von der Tochter von Uschi Glas. Vor gut einer Woche berichtete “Bild” in größter Aufmachung, die 17-jährige sei in eine “Drogen-Affäre” verwickelt, wohinter sich möglicherweise das Rauchen einer Drittel Marihuana-Zigarette verbarg, möglicherweise aber auch gar nichts. Einen Tag danach fand sich der konkrete Tatvorwurf nur noch zwischen den Zeilen. Seitdem: Funkstille. Gab es Razzien? Wurden Drogen-Sümpfe trockengelegt? Sitzt sie im Knast? Darf ihre Mutter noch im Fernsehen auftreten? Wir wissen es nicht.

Eine Konkretisierung der Vorwürfe gab es nicht, zurückgenommen hat “Bild” sie auch nicht. Eine 17-jährige Jugendliche stand halt mal einen Tag groß auf der Titelseite neben dem Wort “Drogen-Affäre”.

Im Straßenverkehr übrigens nennt man das Verhalten, wenn jemand “die erforderliche Sorgfalt gröblich, im hohen Grade außer Acht lässt” oder “unbekümmert und leichtfertig handelt” grob fahrlässig. Aber vielleicht gilt das ja nicht bei Boulevardzeitungen.

Das Herz bluten

“Bitte zeigt auch weiter solche Bilder, die einem als Mutter das Herz bluten lassen. Vielleicht hört dann die Samthandschuh-Justiz für diese Straftäter endlich mal auf”, schreibt “Bild”-Leserin Christine Fischbach-Reitz aus Biedenkopf (Hessen) über die “kleine Jessica” im Sarg.

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