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Was “Bild” die “Sprache der Wahrheit” nennt

“Mit über 12 Millionen Lesern täglich ist uns auch die Verbreitung der christlichen Glaubensbotschaft ein ernstes Anliegen.”
(“Bild”-Chef Kai Diekmann zu Johannes Paul II. und in “Bild”)

“Wir sind Papst!” schrieb “Bild” vor gar nicht allzulanger Zeit. Und zuvor war “Bild” selbst beim Papst, hatte eine Volks-Bibel verkauft usw.

Gestern lautete die “Bild”-Schlagzeile anders: “Wird sie geköpft?” nämlich (was ja schon den Herausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, Michael Naumann, zu drastischen Worten greifen ließ).

Heute nun hat sich auch die Katholische Kirche, genauer gesagt, der Diözesanrat der Erzdiözese München und Freising als höchstes Laiengremium der Erzdiözese mit deutlichen Worten gegen den “Wird sie geköpft?”-Titel (anlässlich der Entführung der deutschen Archäologin Susanne Osthoff im Irak) gewandt. Das Gremium wirft den Verantwortlichen der “Bild”-Zeitung vor, “unter bewusster Missachtung der Menschenwürde die Auflage steigern” zu wollen, “mit sprachlicher Brutalität Schicksal gespielt” und die Pressefreiheit “missbraucht” zu haben.

PS: Bei Spiegel Online heißt es zudem, es seien inzwischen sechs Beschwerden beim Deutschen Presserat eingegangen. Dort wird auch auf die Nachrichtenagentur ddp verwiesen, wonach die Mutter der Geisel “geschockt” sei über den “Wahnsinn” einiger Medien, das Schicksal ihrer Tochter so auszuschlachten.

PPS: Bei “Bild” sieht man die Sache natürlich offenbar anders. Laut dpa sagte ein “Bild”-Sprecher, es gehe der Zeitung “allein darum, mit der Sprache der Wahrheit diesen abscheulichen und widerlichen Akt des Terrors, nämlich einen angekündigten Mord, deutlich beim Namen zu nennen, auch wenn dies schrecklich sei”.

Mit Dank an Roland B. und andere für die Hinweise.

Über den “Irrsinn dieses Blattes”

“Schluss, der Irrsinn dieses Blattes und seine millionenfache Ruchlosigkeit sind ansteckend wie Aids und haben in Wirklichkeit schon längst die Abdankung von Takt und Mitleid im weiten Kreis seiner Leser zur Folge gehabt.”

Das schreibt Michael Naumann, Herausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, über “Bild” — beziehungsweise die heutige “Extra-Ausgabe der Morallosigkeit dieses Zentralorgans des moralischen Analphabetismus”:

Was aus der “kleinen Elisabeth” wurde

Es war ein Versehen. Also, genau genommen, waren es drei Versehen. Dreimal innerhalb einer Woche hat “Bild” Fotos von der kleinen Tochter der “Todes-Mutter”, die neun ihrer Kinder getötet haben soll, gezeigt, ohne das Gesicht des kleinen Kindes zu verfremden. Jedesmal versehentlich.

So lautet jedenfalls die Erklärung von “Bild” für ihre Berichterstattung, aufgrund derer wir am 16. August eine Beschwerde beim Presserat eingereicht hatten. Genau sechs Wochen, nachdem der Presserat entschieden hat, “Bild” dafür nicht zu rügen, aber zu missbilligen*, erhielten wir gestern die Begründung dieser Entscheidung.

Darin heißt es:

Die Rechtsabteilung des Axel Springer Verlages weist den Vorwurf, BILD zeige mit “großer Konsequenz” immer wieder Fotos von der einjährigen Elisabeth, zurück. Im Zusammenhang mit diesem Fall wurde ca. 15 Mal berichtet. Während die Fotos in den Veröffentlichungen zwischen dem 03.08. und 26.08.2005 entsprechend verfremdet wurden, war der Abdruck am 09.08.2005 so nicht beabsichtigt. Es handele sich um einen “Ausreißer”, den der Verlag nicht rechtfertigen will.

In den Ausgaben vom 10. und 11.08.2005 [gemeint ist offenbar 15.08.2005, Anm. von uns] erschien ein Bild, das die Mutter mit Elisabeth kurz nach der Geburt des Babys zeigt. Das Kind trägt eine Mütze und ist unscharf im Profil zu erkennen. Obwohl dieses Foto bereits mehrfach zuvor verfremdet gedruckt worden sei, sei diese Verfremdung in den genannten zwei Ausgaben unterblieben. “Das Gesicht der kleinen Elisabeth ist auf dem Bild so unscharf, dass der Layouter offenbar nicht erkannte, dass er die unverfremdete Version des Fotos auf die Seite geladen hat.”

Der Verlag weist darauf hin, dass die verfremdete Version des Fotos auch im Redaktionssystem stehe, da diese Version zuvor bereits mehrfach gedruckt worden sei. Der Verlag hat den Vorfall zum Anlass genommen, die Sicherheitsvorkerhrungen vor dem Einladen von unverfremdeten Bildern zu verstärken.

Was den “Ausreißer” vom 09.08. angeht, sieht der Presserat in dem Abdruck des Fotos tatsächlich einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex in Verbindung mit den Richtlinien 8.1 und 8.3. Dadurch, dass “Bild” gleich zweimal das andere Foto unverfremdet druckte, habe die Zeitung aber nicht gegen den Pressekodex verstoßen. Warum nicht? Weil es “irrtümlich” geschah. Bei den übrigen Beiträgen habe “Bild” eine “entsprechende Anonymisierung” vorgenommen, so der Presserat. Er entschied sich deshalb, “Bild” nicht zu rügen, sondern nur zu missbilligen.

*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”.

Eine Rüge durch den Presserat ist für die gerügte Zeitung ebenfalls folgenlos. Die gerügte Zeitung ist zwar laut Pressekodex “verpflichtet”, die Rüge abzudrucken. Tut sie das nicht, verstößt sie damit aber nur gegen den Pressekodex, wofür sie gerügt werden könnte, was sie abdrucken müsste und so weiter und so fort.

Blutschande.Kinder und Volks.Glaube

“Patrick (27) und Susan (20) — seit dem
BILD-am-SONNTAG-Artikel vor einer Woche
ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht in
Zeitungen und TV-Beiträgen über die verbotene
Geschwisterliebe berichtet wurde.”
(“Bild am Sonntag” vom 22.8.2004)

“Bild” und “Bild am Sonntag” berichten seit August vergangenen Jahres über die von “Bild” und “Bild am Sonntag” wahlweise “Inzest-Paar”, “Inzest-Pärchen” oder “perverses Paar” genannten Geschwister Patrick Stübing und Susan Karolewski, das in den vergangenen Jahren gemeinsam vier “Blutschande-Kinder” gezeugt hat.

Am 16. August 2004 berichtete “Bild”:

Susan bekam einen Sohn. Er ist heute 3 Jahre alt, kann nicht laufen, nicht sprechen. Er ist geistig zurückgeblieben, weil seine Eltern Geschwister sind. Der Gen-Pool ist zu ähnlich! (…) Töchterchen Sarah kam zur Welt. Sie ist heute 17 Monate alt, auch sie geistig zurückgeblieben.

Am 17. August 2004 berichtete “Bild”:

Zwei ihrer Kinder sind geistig zurückgeblieben. Der Junge (3) kann noch nicht sprechen und nicht laufen. Ob das dritte Inzest-Kind (3 Monate) das gleiche Schicksal wie seine Geschwister hat, ist noch unklar.

Am 19. August 2004 berichtete “Bild”:

Zwei der Kinder sind geistig zurückgeblieben (BILD berichtete). Der älteste Sohn, Eric (3), kann noch nicht laufen, nicht sprechen.

Am 22. August 2004 berichtete “Bild am Sonntag”:

Die zwei älteren, Eric (3) und Sarah (17 Monate), leben wie das jüngste bei Pflegeeltern und sind geistig zurückgeblieben. Nur bei der kleinen Nancy (4 Monate) besteht noch Hoffnung, dass sie die verbotene Liebe ihrer Eltern ohne bleibende Schäden überstanden hat.

Am 24. August 2004 berichtete “Bild”:

Die Kinder Eric (3) und Sarah (17 Monate) sind behindert. Auch bei Nancy (4 Monate) sind Folgen der Blutschande zu erwarten (BILD berichtete).

Am 20. Oktober 2004 berichtete “Bild”:

Die Kinder sind geistig zurückgeblieben (…).

Am 22. April 2005 berichtete “Bild”:

Bei den beiden älteren Kindern steht fest: Sie sind geistig zurückgeblieben, weil die Eltern Geschwister sind und sich deren Gene zu wenig unterscheiden.

Wie “fest” das steht, ist zumindest fraglich. Denn vergangene Woche berichtete auch der “Spiegel” über Stübing und Karolewski bzw. “die im Volksglauben wurzelnde Furcht vor genetisch-biologischer Schädigung der Nachkommenschaft”. Genauer gesagt heißt es dort:

Selbst die im Volksglauben wurzelnde Furcht vor genetisch-biologischer Schädigung der Nachkommenschaft hat die naturwissenschaftliche Forschung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts relativiert. Einen Beweis dafür, dass Inzest-Kinder von Eltern, deren Erbanlagen gesund sind, kränker seien oder eher geistig behindert als Kinder Nicht-Verwandter, gibt es nicht. Zwei der Kinder von Patrick und Susan sind völlig gesund, eines ist in der Entwicklung noch etwas hintendran. Der Erstgeborene soll an Epilepsie leiden. Doch ob das daran liegt, dass seine Eltern Geschwister sind, oder ob das Kind dessen ungeachtet an Epilepsie leidet, steht dahin.

Am deutlichsten wird der große Rechtslehrer Claus Roxin: “Der ‘Verwandtenbeischlaf’ verstößt zwar gegen ein in unserem Kulturkreis seit unvordenklichen Zeiten überliefertes Tabu, aber wer oder was dadurch geschädigt wird, ist unklar.” Ehebrecherisches Verhalten, so Roxin, könne ebenso familienzerstörende Wirkung haben wie Inzest und sei doch nicht strafbar. Auch der Hinweis auf mögliche Erbschädigungen liefere kein tragfähiges Argument, da “ein solches Kind im Regelfall genetisch nicht geschädigt ist und weil die Verhinderung erbkranken Nachwuchses auch im Übrigen von unserer Rechtsordnung nicht mit strafrechtlichen Mitteln erstrebt wird”.
(Hervorhebung von uns.)

Mit Dank an Michael G. für den Hinweis.

Gekürztes Feingefühl

Am Donnerstagabend vergangener Woche ereignete sich ein Verkehrsunfall, in dessen Folge eine Frau ihr Leben verlor und der Fahrer des zweiten am Unfall beteiligten Autos schwer verletzt wurde. Sein Beifahrer überlebte den Unfall leicht verletzt und heißt Max Mutzke.

Bild.de, “Bild” und “BamS” berichteten anschließend ausführlich, detailverliebt und spekulativ über den “Horror-Unfall”, wie Bild.de, “Bild” und “BamS” ihn nennen. Mutzke selbst will sich zum Unfall gegenüber der Presse nicht äußern. Und so ähnlich stand’s auch in der “BamS”:

“Max Mutzke selbst will sich in der Öffentlichkeit nicht äußern. Er erklärte lediglich in einer Internet-Botschaft an seine Fans: ‘Liebe Freunde, macht Euch um mich keine Sorgen. Ich bin unverletzt.’ Sein tiefes Mitgefühl gelte den Angehörigen der Verstorbenen.”

Was in “BamS”, “Bild” oder bei Bild.de nicht steht, ist der Mittelteil von Mutzkes “Internet-Botschaft”. Er lautet:

“Was mich allerdings sehr bedrückt, ist die Berichterstattung einiger Medien, die aus dem tragischen Tod einer jungen Frau eine Promi-Geschichte über mich machen. Der Anstand und die Pietät gebieten hier meiner Meinung nach mehr Feingefühl für die Familie der Verstorbenen.”

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Von Äpfeln früher und Birnen heute

Ja, seufzt “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner, so eine Grippe ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Früher machte sie irgendwie noch Spaß (“Niesen, frösteln, Schule schwänzen – wonnevoll! Was gibt es Schöneres, als einen extra Kuß und ein extra Stück Apfelkuchen von seiner Mutter, weil man so krank war”), heute bringt sie plötzlich Leute um (“2003 starben 16 000 Deutsche an Grippe. … Die modernen Viren sind Mama-resistent”).

Wir wollen Wagner ja nur ungern die Illusion nehmen, aber anscheinend vergleicht er nicht die Grippe von früher mit der Grippe von heute, sondern einen grippalen Infekt (Erkältung) mit einer echten Grippe (Influenza). Und beide hatten außer dem landläufigen Namen noch nie so wahnsinnig viel gemein.

Danke an Jan L. für den Hinweis.

Kurz korrigiert (23)

“Eine Fehlgeburt (…) ist das verfrühte Ende einer Schwangerschaft durch (…) Verlust des weniger als 500 g wiegenden Fetus, ohne dass extrauterine Lebensfähigkeit gegeben ist, also vor Ablauf der etwa 22. bis 24. Schwangerschaftswoche.”
(Quelle: Wikipedia)

“Eine Totgeburt liegt vor, wenn das geborene Kind mindestens 500 g wiegt und im Mutterleib (intrauterin) oder während der Geburt verstorben ist. Eine Totgeburt ist meldepflichtig. Die Mutter erhält für ihr totgeborenes Kind eine Geburtsurkunde und einen Totenschein. Ein totgeborenes Kind unterliegt (…) der Bestattungspflicht.”
(Quelle: Wikipedia)

Anders als “Bild” annimmt, bedeuten die Worte Fehlgeburt und Totgeburt also nicht dasselbe.

PS: Eher unwahrscheinlich ist darüber hinaus die “Bild”-Behauptung, dass Jenny Elvers-Elbertzhagen, die vor fünf Wochen in der achten Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt hatte, am 3. September (also in der sechsten Schwangerschaftswoche) “ihr Bäuchlein kaum noch verbergen” konnte.

Mit Dank an Gudrun S. und Simon K. für die Hinweise.

Nachtrag, 7.11.2005:
Immerhin: Zweieinhalb Wochen später hat “Bild” den Unterschied offenbar begriffen und schreibt an anderer Stelle ausdrücklich: “In Deutschland werden jährlich rund 4000 Babys tot geboren. Dazu zählt man aber nicht solche, die vor der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen. Diese bezeichnet man als Fehlgeburt.”

Mit nachträglichem Dank an Tobias M.

Entzaubert

So steht es heute über Christiane Hoffmanns “Ich weiß es!”-Kolumne in “Bild”. Denn Christiane Hoffmann weiß schließlich Bescheid und schreibt:

“Der Magier David Copperfield (…) gibt jetzt Erstaunliches in einem Interview mit dem Magazin ‘Galore’ von sich: (…) ‘Im Rahmen meiner kommenden Shows werde ich live auf der Bühne ein Mädchen schwängern.'”

Und Hoffmann ist das ungläubige Staunen über Copperfields Ankündigung förmlich anzumerken: “Uff! Bitte?” schreibt sie – und auch wir sind sprachlos: nicht nur, weil das zitierte Magazin nicht “jetzt”, sondern bereits vor zweieinhalb Wochen erschien, und nicht nur, weil von “kommenden Shows” inzwischen keine Rede mehr sein kann, nachdem die Show bereits am 10. Oktober in Mannheim und am 12. Oktober in Erfurt stattfand, sondern auch, weil zwischen den 8500 Zuschauern bei Copperfields Tourneeauftakt ein Korrespondent der Nachrichtenagentur dpa herumstand, der anschließend ausführlich ausplauderte, wie Copperfields neue Show so war. Da hieß es nämlich unter anderem:

“Etwas befremdend mutet die Show an, als Copperfield eine Seniorin auf die Bühne bittet, damit sie ‘sein Baby’ bekommt. Nach einer platonischen Befruchtungsprozedur wird der ‘per Ultraschall’ gewonnene Film eines Babys im Mutterleib gezeigt. Es hält genau jene Spielkarte in der Hand, die eine Zuschauerin zuvor verdeckt auf ein Papier gemalt hat.”

Mehr noch als Hoffmanns Unwissenheit aber wundert uns, dass ihre “Ich weiß es!”-Abschrift aus dem (am 5. Juni im Berliner Hilton-Hotel geführten) “Galore”-Interview obendrein mit der Ortsangabe “Las Vegas” versehen ist. Aber bestimmt hat der Postbote einfach nur anderthalb Wochen gebraucht, um Hoffmann die in Dortmund gemachte Zeitschrift in der rund 8792 Kilometer entfernten amerikanischen Wüstenstadt vorbeibringen…

Mit Dank an Annette B. und Joachim W. für die Hinweise.

Nachtrag, 19.10.2005:
Spiegel Online hatte am 17. Oktober Auszüge aus dem “Galore”-Interview veröffentlicht. Hoffmanns Postboten trifft also keine Schuld.

Schock-Recherche

Es gibt “Bild”-Artikel, die sind durch und durch merkwürdig. Man stolpert zunächst über eine Falschinformation und stößt dann auf immer neue Ungereimtheiten. Der Artikel von Markus Brekenkamp über den Tod eines Elfjährigen beim Zahnarzt ist so ein Stück. Es erschien vorgestern unter der Überschrift:

Nach der Narkose wachte Erick (11) nicht mehr auf
Schock-Tod beim Zahnarzt

Diese Überschrift ist im Prinzip nicht falsch. Nur hat sich der “Schock-Tod” nicht vorvorgestern, vergangene Woche oder Mitte September ereignet, sondern am 24. November 2004. Bereits zwei Tage später berichtete die Lokalpresse darüber. Das Datum des Unglücks verschweigt “Bild”. Viereinhalb Absätze lang tut Autor Markus Brekenkamp so, als berichte er über einen aktuellen Fall. Erst dann folgt ein Satz, der die zeitliche Dimension andeutet: “Monate nach dem Drama ist (…) noch immer nicht eindeutig geklärt, warum Erick plötzlich starb.”

“Bild” hatte also — theoretisch — fast ein Jahr lang Zeit gehabt zu recherchieren. Und trotzdem stehen in dem Artikel diese merkwürdigen Sätze:

Rechtsmediziner fanden heraus: Er erlitt einen anaphylaktischen Schock. Das ist eine schwere allergische Reaktion auf das verwendete Narkosemittel “Piwa”.

Experten für Anästhesie haben noch nie etwas von einem Narkosemittel namens “Piwa” gehört. Beim Online-Fachjournal zwai.media vermutet man, dass sich der “Bild”-Mitarbeiter verhört haben muss. Statt “Piwa” (einer Marke für Garagentorzubehör) meint “Bild” vermutlich “TIVA” (“totale intravenöse Anästhesie”), eine Methode, die häufig bei Kurznarkosen in Zahnarztpraxen angewandt wird.

Das ist peinlich, erklärt aber noch nicht den Schluss des “Bild”-Artikels. Darin spekuliert “Bild” über eine Mitschuld des Narkosearztes und berichtet, dass gegen ihn wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werde. Und schreibt dann:

Für die Eltern des Jungen ein schwacher Trost. Mutter Ludmilla: “Gott hat es wohl so gewollt. Erick ist im Himmel jetzt hoffentlich in guten Händen.”

Es ist unwahrscheinlich, dass die Mutter das gegenüber der “Bild”-Zeitung gesagt hat. Und es ist fast ausgeschlossen, dass sie es so gemeint hat, wie “Bild” mit der Formulierung vom “schwachen Trost”, den die Ermittlungen darstellten, suggeriert. Gegenüber der “Neuen Westfälischen” hatten die Eltern im vergangenen Jahr ein sehr ähnliches Zitat gebraucht, aber in einem völlig anderen Kontext. Dort hieß es:

“Und sagen Sie allen, dass wir keine Vorwürfe gegen die Ärzte erheben. Es war allein der Wille Gottes.”

Josef Köhne, der Journalist, der damals mit den Eltern gesprochen hatte, steht immer noch in Kontakt mit ihnen und sagt, sie lehnten jede andere Zusammenarbeit mit der Presse ab. Sie hätten auch bis heute nie ein Interesse daran gezeigt, dass gegen die beteiligten Ärzte ermittelt wird. Anders als “Bild” ist ihnen die Frage nach einer möglichen “Schuld” egal. Bereits zwei Tage nach dem Begräbnis hatte sich der Vater des Jungen als Zeichen des Vertrauens in derselben Zahnarztpraxis behandeln lassen.

All das passte anscheinend nicht in die “Bild”-Geschichte. Ihren eigenen Aberglauben aber brachte die Zeitung in dem Artikel unter. Er beginnt mit den Worten:

Realschüler Erick D. († 11) hatte schon immer panische Angst vor dem Zahnarzt. Eine böse Vorahnung? Nach einer Narkose starb er auf dem Behandlungsstuhl!

Danke an Hanno E. für den Hinweis!

  

Presseratsrügen für “Bild” 2004

“Bild” diskriminiert Asylbewerber
Verstoß gegen Ziffer 12 (B1-193/03)

“Bild” berichtet unter der Überschrift “Hier wohnt Bremens schlimmste Asyl-Familie” bzw. “Die Asylabzocker” über eine 16-köpfige Asylbewerberfamilie und wirft ihr Asyl- und Sozialhilfebetrug vor. Eine Million Euro Sozialhilfe hätte sie bereits kassiert. Nun terrorisiere sie ihre Umgebung. Die Mutter habe sich wegen eines Traumas krank schreiben lassen, um eine Abschiebung zu verhindern. Dazu druckt das Blatt ein Foto des Wohnhauses der Familie sowie deren komplette Anschrift.

Der Presserat erkennt in dem Bericht eine Diskriminierung der betroffenen Familie und bemängelt, dass die Vorwürfe “ohne Tatsachenbezug” erhoben worden seien. (Öffentliche Rüge)

* * *

“Bild” beleidigt Richter
Verstoß gegen die Ziffer 1 und 9 (BK1-6/04)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt ein Urteil gegen einen vorbestraften Mann auf, da das verhängte Strafmaß der Tat nicht angemessen gewesen sei. “Bild” berichtet mehrere Male über den Fall, nennt ihn einen “Justizskandal”, das Gericht einen “Saustall” und fragt “Wer schützt uns künftig vor solchen milden Richtern?” Den Richtern wird vorgeworfen, sie stellten die Rechte des Täters über den Schutz der Opfer. In weiteren Berichten titelt “Bild” u.a. “Schämen Sie sich, Herr Richter!” Kurze Zeit später berichtet “Bild” über einen weiteren “Skandal-Beschluss” des BGH, dessen Präsident sich daraufhin beim Presserat beschwert. “Bild” habe Sachverhalte, die zu den Entscheidungen führten, erheblich entstellt und verfälscht. Die Zeitung hingegen lässt u.a. mitteilen, es sei die ureigenste Aufgabe der Presse, auf tatsächliche oder vermeintliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen.

Nach Ansicht des Presserates war die Berichterstattung von “Bild” unzulässig. Die Zeitung habe nicht einen potentiellen Gesetzesmangel, sondern einen einzelnen Richter persönlich angegriffen. Die Bezeichnung “Saustall Justiz” sei zudem weit überzogen. (Öffentliche Rüge)

* * *

“Bild” zeigt sterbenden Fußballer
Verstoß gegen Ziffer 11 und 1 (BK1-8-14/04)

Unter den Überschriften “Hier stirbt Herthas Hoffnung” bzw. “Hier stirbt ein Fußballstar” druckt “Bild” ein Foto des sterbenden Fußballspielers Miklos Feher. Dieser war während eines Spiels auf dem Platz zusammengebrochen und gestorben. Die Aufnahme in “Bild” zeigt das Gesicht des Toten: Seine Augen starren ins Leere. Beim Presserat gehen mehrere Beschwerden ein.

“Bild” argumentiert, der Fußballer habe sich zum Zeitpunkt seines Zusammenbruchs nicht in den Grenzen seiner geschützten Intimsphäre bewegt, deshalb sei ein Abdruck rechtens. Der Rat entscheidet jedoch, dass es “mit der Aufgabe der Presse (…) nicht vereinbar” ist, einen sterbenden Menschen zu zeigen. Die Veröffentlichung sei “unangemessen sensationell” und verletze die Menschenwürde. (Öffentliche Rüge)

* * *

“Bild” macht familieninternen Streit zum Thema
Verstoß gegen die Ziffern 2 und 8 (BK2-18/04)

Unter den Überschriften “Mein Sohn hat mich verstoßen, weil ich Putzfrau bin” und “Mutter, ich hab’s satt” berichtet “Bild” über einen jungen Mann, der den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen hat. Die Zeitung zeigt ein altes Bild des Mannes und beschreibt ihn so, dass er in der Öffentlichkeit erkennbar ist.

Der Betroffene beschwert sich beim Presserat: Er versuche, eine Einstweilige Verfügung gegen seine Mutter zu erwirken, die sich ständig in sein Leben einzumischen versuche. “Bild” argumentiert, man habe beide Seiten zu Wort kommen lassen. Der Presserat stellt Verstöße gegen die Ziffern 2 und 8 fest. Die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen seien verletzt worden. Ein öffentliches Informationsinteresse bestehe bei der familieninternen Angelegenheit nicht. (Nicht-öffentliche Rüge)

* * *

“Bild” zeigt Unfallopfer
Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-26/04)

Eine 21-Jährige gerät mit ihrem Auto von der Fahrbahn ab, prallt gegen einen Baum und stirbt. “Bild” schreibt ausführlich über das private Umfeld der jungen Frau, illustriert den Bericht mit einem “übergroßen Porträt” und nennt Vorname, Alter und Beruf. Mit den Eltern der Frau hatte “Bild” vor dem Bericht nicht gesprochen.

Gegenüber dem Presserat rechtferigt das Blatt, dass Artikel über schwere Unfälle auf öffentlichen Straßen gelegentlich auch personalisiert werden müssten, um eine warnende Wirkung beim Leser zu erreichen. Darüber hinaus sei die junge Frau einfühlsam dargestellt und positiv beschrieben worden. Der Presserat ist dennoch der Ansicht, dass das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen “nicht hinreichend berücksichtigt” wurde. Die Identität des Opfers sei für das Verständnis des Unfallgeschehens und die abschreckende Wirkung nicht relevant gewesen. (Öffentliche Rüge)

* * *

“Bild” zeigt zerfetzte Leichenteile
Verstoß gegen Ziffer 11 und 1 (BK1-62/04)

Nach der Ermordung des palästinensischen Scheichs Jassin zeigt “Bild” ein Foto vom Ort des Attentates. Darauf ist der zerfetzte Kopf Jassins zu sehen. In einer Stellungnahme gegenüber dem Presserat erklärt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, er halte den Abdruck drastischer und abstoßender Bilder für zulässig, wenn diese eine eminent politische Bedeutung besäßen. In diesem Falle belege das Foto, dass von dieser Person kein Schrecken mehr ausgehe. Auch die zivilisierte und freiheitliche Welt müsse den Tod ihrer Feinde dokumentieren, um Legendenbildung zu verhindern.

Der Presserat rügt die Abbildung als “unangemessen sensationell und nicht durch ein öffentliches Interesse zu rechtfertigen”. Als “publizistischer Beweis” sei das Foto nicht notwendig gewesen, da der Tod Jassins nicht in Frage gestanden habe. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” zeigt Leichenfoto
Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-63-64/04)

“Bild” schreibt, dass zwei deutsche GSG-9-Männer von Terroristen im Irak umgebracht worden sind und druckt als Beleg das Foto einer blutüberströmten Leiche, deren Augenpartie mit einem Balken unkenntlich gemacht wurde.

Als Rechtfertigung für den Abdruck gibt das Blatt hinterher an, dass die Bundesregierung die Tötung nicht vor der Bergung der Leichen habe bestätigen wollen. Der Presserat kritisiert, dass ein Beleg auch ohne den Abdruck des Fotos hätte erbracht werden können, da der Tod des Beamten nie bestritten worden sei. Dass der getötete Mann auf dem Bild “eindeutig identifiziert” werden könne, sei eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und dessen seiner Angehörigen. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” zeigt Enthauptung
Verstoß gegen Ziffer 11 (BK1-70/04)

Zu einem Beitrag über die Entführung des Amerikaners Nicholas Berg im Irak zeigt “Bild” sowohl in der Print- als auch in ihrer Online-Ausgabe Standbilder aus dem Video der Entführer. Auf einem ist zu sehen, wie ein Entführer nach der Enthauptung Bergs dessen abgetrennten Kopf in die Kamera hält.

Nach Leserbeschwerden beim Presserat weist “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann darauf hin, dass das beanstandete Foto lediglich die Größe einer Visitenkarte habe und als Zeitdokument zu werten sei. Der Presserat wertet den Abdruck der Standbilder dennoch als “unangemessen sensationelle Darstellung”. bei den Fotos handele es sich nicht um journalistische Produkte, sondern um Aufnahmen von Mördern, die damit Propaganda für ihre Ziele machen würden. Eine Veröffentlichung könne dies fördern und hätte deshalb unterbleiben müssen. Die Größe des Bilds spiele für eine Beurteilung keine Rolle. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” zeigt gestorbenen Tankwart
Verstoß gegen Richtlinie 8.1 (BK2-76/04)

“Bild” berichtet, wegen der steigenden Benzinpreise würden immer mehr Autofahrer tanken und nachher nicht bezahlen. Ein Tankwart habe einen Herzinfarkt erlitten, als er einen solchen Autofahrer stellen wollte. “Bild” nennt den Vornamen des Betroffenen, den Anfangsbuchstaben seines Nachnamens sowie seinen Heimatort und druckt ein Foto von ihm und der Tankstelle, an der der Mann arbeitete.

Beim Pressewart geht eine Beschwerde ein, der Beitrag enthalte grundlegende Fehler: Der Mann sei nicht an der Tankstelle zusammengebrochen, sondern habe sich nach Dienstschluss ins Krankenhaus zu einer Untersuchung begeben, sei stationär aufgenommen worden und dort wegen eines Herzinfarkts zwei Tage später verstorben. Einen Zusammenhang mit den steigenden Benzinpreisen gebe es nicht. “Bild” beruft sich jedoch auf Aussagen der Tankstellen-Chefin. Der Presserat kann deshalb lediglich einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen feststellen. Es sei nicht notwendig gewesen, den Mann identifizierbar abzubilden. (Nicht öffentliche Rüge)

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“Bild” berichtet aus Krankenzimmer
Verstoß gegen Richtlinie 8.2 (BK2-88/04)

Eine prominente Adelige liegt wegen eines Schlaganfalls im Krankenhaus. “Bild” berichtet und nennt sowohl den Namen der Klinik als auch die Nummer des Krankenzimmers. Darüber hinaus wird die Ausstattung des Zimmers äußerst detailliert beschrieben. Der Anwalt der Betroffenen hat deshalb den Eindruck, die Reporter seien ohne Erlaubnis in dem Zimmer gewesen und wendet sich an den Presserat. “Bild” erklärt daraufhin, eine Redakteurin habe sich im Krankenhaus als Mitarbeiterin des Blatts vorgestellt und die Zimmernummer vom Personal mitgeteilt bekommen. Weil die Betroffene geschlafen habe, verzichtete die Redakteurin auf ein Interview.

Der Presserat erkennt dennoch “eine deutliche Verletzung des Privatlebens und der Intimsphäre”: “Bild” hätte auf die detaillierte Beschreibung des Krankenzimmers verzichten müssen. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” macht jugendliche Verdächtige identifizierbar
Verstoß gegen Richtlinie 8.1 (BK2-114/04)

“Bild” berichtet über das Verfahren gegen ein 15-jähriges Mädchen, das verdächtigt wird, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Unter der Überschrift “Sie ist die Mutter des toten Babys vom Gruselwald” druckt “Bild” ein großes Foto der Schülerin, das trotz leichter Verfremdung eine Identifizierung zulässt. Das Blatt beschreibt, wo das Mädchen wohnt und zeigt ein Bild des Kindsvaters mit einem Augenbalken, nennt dessen Vornamen.

Die Familie der Schülerin beschwert sich beim Presserat: Der Schutz von Jugendlichen sei durch die Veröffentlichung nicht gewahrt worden. Der Presserat hält die erkennbare Darstellung des Mädchens für “nicht gerechtfertigt”. Die Berichterstattung über den Fall sei zwar im öffentlichen Interesse, nicht aber die Identifizierbarkeit der Schülerin. Gleiches gelte für den Vater des Kindes. (Nicht öffentliche Rüge)

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“Bild” reduziert Schauspielerin auf Porno-Rolle
Verstoß gegen Ziffer 1 (BK2-117/04)

“Bild” berichtet mehrfach über die Schauspielerin Sibel Kekilli, die vor ihrer Rolle in dem auf der Berlinale 2004 ausgezeichneten Film “Gegen Die Wand” in Pornofilmen mitspielte. Das Blatt beschreibt Details und zeigt entsprechende Szenenfotos. In einer Stellungnahme gegenüber dem Presserat erklärt “Bild”, Kekilli habe ihre Haut selbst auf den Markt getragen. Wer Pornos drehe, die am Markt frei erworben werden können, wolle keine Intimsphäre, sondern das Gegenteil, lautet das Argument des Blatts. “Bild” beansprucht, eine “PR-Lüge” aufgedeckt zu haben, da Kekilli auf der Berlinale als “Neuentdeckung” vorgestellt wurde, und erklärt, sauber recherchiert und weder bewusst falsch noch diskriminierend berichtet zu haben. Der Presserat widerspricht: Es sei nicht rechtens, die Persönlichkeit der Betroffenen allein auf das zu reduzieren, was man über sie in den Klappentexten von Pornofilmkassetten lesen könne, so wie “Bild das getan habe. Dies verletze die Menschenwürde. (Öffentliche Rüge)

Siehe Bildblog-Einträge: “‘Bild’ entwürdigt und verletzt”, “‘Bild’ verletzt Menschenwürde”, “‘Bild’ versteht Rüge nicht”.

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