Syrien, Harald Schmidt, Lol

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Fehlerlos genug? Journalisten profitieren von Selbstkritik”
(evangelisch.de, Miriam Bunjes)
Medienwissenschaftler Colin Porlezza im Interview zum Umgang mit Fehlern in den Redaktionen: “Es nützt der Glaubwürdigkeit von Journalisten, wenn sie Fehler zugeben und korrigieren. Das sagen die von den Fehlern betroffenen Quellen und das haben jetzt auch die befragten Journalisten mehrheitlich gesagt. Werden die Fehler nicht korrigiert, schadet es den Journalisten hingegen enorm. Die Informationsquelle wird sich gut überlegen, ob sie dem betreffenden Journalisten und vielleicht auch dem gesamten Medium noch einmal Informationen gibt.”

2. “Unvollständiges Bild: Berichterstattung aus Syrien”
(ndr.de, Video, 7:09 Minuten)
Der freie Kameramann Marcel Mettelsiefen setzt sich dafür ein, im Syrien-Konflikt auch die nicht so spektakuläre Seite der Assad-Anhänger abzubilden: “Es herrscht ein Ungleichgewicht in der Berichterstattung.” Ab 4:20 Minuten: Ein Mann aus Syrien taucht auf YouTube-Videos, die innerhalb weniger Tage veröffentlicht wurden, in verschiedenen Rollen auf: als Journalist, als Rebell, als Opfer.

3. “Schnurstracks ins Lokale”
(drehscheibe.org, Stefan Wirner)
Carlo Imboden beobachtet das Verhalten von Zeitungslesern: “Die Verlage müssen sich noch bewusster darü­ber werden, dass das Lokale immer entscheiden­­der wird für die Kaufbereitschaft der Leser. Wenn ich die Mantel-Informationen online besser und gratis bekommen kann – vom Wall Street Journal bis zur FAZ – aber keine gu­ten Inhalte im Lokalen bekomme, dann ist niemand mehr bereit, etwas dafür zu bezahlen.”

4. “Schmidt ist der übelste Zyniker, den ich jemals getroffen habe”
(tagesanzeiger.ch, Philippe Zweifel)
Ex-Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski kommentiert die Einstellung der Harald Schmidt Show: “Gottschalk und Schmidt haben beide eine geniale Seite, aber sie überschätzen sich und gehen deshalb Risiken ein, die man nicht eingehen darf – schon gar nicht in Deutschland, wo das Erfolgsrezept Durchschnittlichkeit heisst, was ja Angela Merkel oder Günther Jauch so schön vorexerzieren.” Siehe dazu auch “Das kleine Problem mit dem Plan B für Gottschalk” (dwdl.de, Thomas Lückerath)

5. “Die neuen Presseplayer”
(neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß schreibt zum von Presseverlegern angestrebten Leistungsschutzrecht: “Die Vertreter der Presseverlage sagen das nicht, aber ein Presseleistungsschutzrecht könnte auch die Wikipedia gefährden. Man fängt bei neuen weitreichenden Gesetzen natürlich bei den vermeintlichen bösen und übergroßen Unternehmen an, die man zähmen / zu ‘Fairness’ zwingen will (hier: Google), langfristig geht es aber natürlich darum, Kontrolle am Markt auszuüben, und damit sind dann alle Akteure gemeint, egal ob sie überhaupt am Markt agieren oder außerhalb stattfinden.”

6. “Polizei will Daten von ‘Anonym’ und ‘Lol'”
(blog.odem.org, Alvar Freude)
Ein Brief (PDF-Datei) von Polizeiobermeisterin K. der Berliner Polizei.

Eine Meldung aus einer anderen Morgenpost

Die Springer-Zeitungen “Die Welt” und “Berliner Morgenpost” und ihre jeweiligen Online-Ableger werden von der gleichen Redaktion betreut. Bei Artikelübernahmen wird einfach, wo nötig, im Artikel die Nennung der “Welt” durch die der “Morgenpost” ersetzt.

Das passiert offenbar automatisch und kann durchaus interessante Folgen haben, wie der “Welt Online”-Artikel über einen texanischen Fischer, der mit seinem Freund Schiffbruch erlitten hatte, im “Morgenpost Online”-Remix beweist:

Den restlichen Tag und die halbe Nacht strampelten sie um ihr Leben und redeten über Gott und Morgenpost Online, um sich abzulenken. Als schließlich absehbar war, dass sein Freund nicht länger durchhalten würde, schwamm der ebenfalls stark geschwächte Henderson dann alleine weiter.

Mit Dank an Jörg L.

Nachtrag, 15.40 Uhr: Während “Morgenpost Online” den Fehler inzwischen korrigiert hat, weisen uns mehrere Leser darauf hin, dass der Vorspann des Artikels bei beiden Medien falsch ist: Dort heißt es, Ed Coen habe den Schiffbruch überlebt. Wie aus dem Artikel hervorgeht, ist Ed Coen derjenige der zwei Fischer, der ertrunken ist. Überlebt hat sein Freund und Kollege Ken Henderson.

Mit Dank an Falk Z., Sabine E. und Jonas M.

2. Nachtrag, 19.03 Uhr: Beide Medien haben den Fehler im Vorspann transparent korrigiert.

dpa  

Nun könnte es konkret werden

“Unabhängig, zuverlässig und aktuell”, mit diesem Wahlspruch wirbt die Deutsche Presseagentur (dpa) für ihre Dienste.

Man kann ihr auch im Fall der Meldung zu Googles Online-Festplatte “GDrive” nicht den Vorwurf machen, ihre Quellen nicht offenzulegen oder sich deren Ansichten zu eigen zu machen.

Andererseits stecken da derart viele Distanzierungen und Konjunktive in Text und Überschrift, dass es schon fast verwunderlich ist, dass dpa nicht noch ein paar Bauernregeln oder Astrologen zitiert:

Gerücht: Google startet Online-Festplatte GDrive schon im April

Berlin (dpa) – Seit Jahren ranken sich Gerüchte darum – nun könnte es konkret werden: Google wird möglicherweise seine Online-Festplatte GDrive schon Anfang April an den Start bringen, heißt es in einem bislang unbestätigten Bericht des Technologie-Blogs “GigaOm”. Ein Gigabyte an Daten wie Dokumente, Filme oder Musik sollen die Nutzer dann kostenlos online speichern und von überall aus abrufen können, heißt es unter Berufung gut informierter Personen. Die Software für den Cloud-Service solle ein ähnliches Interface haben wie Googles Dokumenten-Verwaltung GoogleDocs und als App vertrieben werden. Google wollte auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa keine Stellung zu dem Bericht nehmen.

Das für gewöhnlich gut informierte “Wall Street Journal” hatte bereits 2006 von Plänen des Suchmaschinenspezialisten berichtet, einen Netzspeicher anzubieten – allerdings war bis heute nichts passiert. […]

[Hervorhebungen von uns.]

Daily Mail, Abokündigung, Sportinformation

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1. “Mail Supremacy”
(newyorker.com, Lauren Collins, englisch)
Die 1896 gegründete britische Tageszeitung “Daily Mail” erreicht vier mal so viele Leser wie der “Guardian”, im Januar überholte sie die “New York Times” als meistgelesene Zeitung online. Der ausführliche Bericht von Lauren Collins beleuchtet die Haltung der Zeitung während dem 2. Weltkrieg und die Beziehung zu den Prominenten: “In 1997, after Princess Diana’s death, the third Viscount Rothermere promised that the paper would no longer use photographs taken by paparazzi—a vow that didn’t last.”

2. “Axel Springer AG verurteilt”
(vzhh.de)
Das Landgericht Berlin verurteilt die Axel Springer AG wegen unlauterer Abowerbung, meldet die Verbraucherzentrale Hamburg: “Das Gericht verbot dem Medienunternehmen, Kunden, die ihr Zeitschriftenabonnement gekündigt haben, mit der Aufforderung anzuschreiben, sie zurückzurufen, weil noch eine Frage aufgetreten sei, wenn der Kunde tatsächlich auf diesem Wege dazu bewegt werden soll, seine Kündigung zurückzunehmen.”

3. “Warum ich den ‘Blick’ verachte”
(facebook.com, Max Küng)
Max Küng thematisiert den Umgang von “Blick” mit den Opfern des Busunglücks im Wallis: “Es mag etwas altmodisch klingen, aber ich verachte den ‘Blick’, respektive die Leute, die für die Leidpornografie in seinen Seiten verantwortlich sind.” Siehe dazu auch “Wie es mit Emma wirklich war” (blick.ch, Ralph Grosse-Bley).

4. “Fanprojekt fordert Gegendarstellung von Bildzeitung”
(stadionwelt-fans.de)
Fußball: Ein Sozialpädagogisches Kölner Fanprojekt fordert von “Bild” eine Gegendarstellung.

5. “Müssen nicht jeden Schrott melden”
(medienkritik-schweiz.ch, Reto Stauffacher)
Reto Stauffacher befragt Peter Lerch vom Schweizer Sportnachrichtendienst SI: “Wir haben die viel grössere Verantwortung als all diese Medienportale. Wenn wir etwas melden, ist das sofort in allen Kanälen sichtbar und nicht mehr auszulöschen. Und wenn diese Meldung nicht stimmt, dann ist das für uns der absolute Horror. Wir melden etwas erst, wenn wir wissen, dass es tatsächlich stimmt. Vielleicht wird uns diese Tatsache manchmal als ‘langsam’ ausgelegt.”

6. “Der Alabama Face Guy”
(hermsfarm.de)

Bild  etc.

So viel zum Opferschutz

Am Samstagabend ist ein elfjähriges Mädchen in einem Parkhaus in der Emder Innenstadt tot aufgefunden worden. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montagnachmittag erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft, dass es sich bei der Tat um ein “sexuell motiviertes Delikt” gehandelt habe — eine Information, die in der gestrigen Printausgabe von “Bild” schon zu lesen gewesen war.

Die Journalisten auf der Konferenz wollten möglichst viele Details wissen, die Sprecher gaben sich große Mühe, nichts zu sagen. Aus “ermittlungstaktischen Gründen” wollten sie zu Details wie der genauen Todesursache und der Auffindesituation des Mädchens keine Angaben machen. Bewusst hätten die Behörden in ihrer ersten Pressemitteilung keine Beschreibung vom Aussehen und der Kleidung des Mädchens und des sie begleitenden Jungen abgegeben, um die Hinweise aus der Bevölkerung nicht einzuschränken, sagte Martin Lammers, Leiter des Zentralen Ermittlungsdienstes der Polizei Leer/Emden. Auch zur Familie des Opfers wollte die Polizei keine Angaben machen, wie der Chef der Mordkommission, Werner Brandt, erklärte: “Weil wir natürlich auch die Verantwortung haben, die Eltern ein Stück weit zu schützen.”

Als ein anwesender Journalist fragte, ob die Behörden den Vornamen des Mädchens verraten könnten, sagte Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck nach kurzer Rücksprache zu seinen Kollegen: “Das sollten wir nicht tun!” Keine 30 Sekunden später nannte Brandt den Namen des Mädchens dann doch in einem Nebensatz — offensichtlich aus Versehen, aber ohne weiter darauf einzugehen.

Die meisten Medien hielten sich an die Bitte der Staatsanwaltschaft, wobei einige die einmalige Nennung des Namens auch schlicht nicht mitbekommen haben könnten. Die meisten, aber natürlich nicht alle: Bei “Bild” steht der Name in der Dachzeile und sechs Mal im Artikel. Auch “Berliner Kurier”, “B.Z.”, “Focus Online” und die “Ostfriesen-Zeitung” nennen den Namen jeweils mindestens einmal.

Wie ernst “Bild” die Bedenken der Behörden und deren Sorge um Opferschutz nimmt, stellt die Zeitung dann noch sehr eindrucksvoll unter Beweis, indem sie den Namen des Mädchens, deren ungefähren Geburtstag und das Geschlecht und den Namen eines Geschwisterkindes nennt. Alles “BILD-Informationen zufolge”, natürlich.

Mit Dank an Krizzz.

SWR3, Fox News, DSDS Kids

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1. “Nur die Harten…”
(haihappening.de, David Theis)
Der “Bibelkommentar” des Radiosenders SWR3 befasst sich mit dem Freitod von Timo Konietzka.

2. “Aus unseren Kreisen”
(vocer.org, Christian Meier und Stephan Weichert)
Christian Meier und Stephan Weichert charakterisieren verschiedene Typen des Medienkritikers: Allrounder, Fachredakteur, Wirtschaftsexperte, Kritiker, Regulierer, Technikversteher: “Zum Job gehört es naturgemäß, sehr viel Zeit mit dem tatsächlichen Konsum von Medien zu verbringen – Filme anzuschauen, Zeitschriften zu lesen, vielleicht Drehbücher zu studieren oder Hörspielen zu lauschen. Was für andere Zeitvertreib und Entspannung ist, bleibt für den Kritiker Arbeit.”

3. “Der US-Sender Fox News will in die Mitte rücken, aber konfrontativ bleiben”
(nzz.ch, Andreas Mink)
Eine aktueller Report über den US-TV-Sender Fox News: “Offensichtlich nehmen viele Zuschauer das Geschehen auf Fox News nicht als Inszenierung wahr, sondern als bare Münze.”

4. “Mit dem digitalen Wandel umgehen”
(donaukurier.de)
“Donaukurier”-Verleger Georg Schäff spricht sich gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger aus. “Ich halte wenig bis gar nichts davon, wenn mittels rechtlicher Zwänge im Grunde genommen nichts anderes geschehen soll, als dass der freie Wettbewerb ausgehebelt wird.”

5. “Nur Verlierer, keine Gewinner”
(medien-monitor.com, Sophie Mono)
Sophie Mono mag sich nicht auf die RTL-Sendung “DSDS Kids” freuen: “Es wird Niederlagen geben, Tränen und Misserfolge, so viel steht fest. Und selbst die erfolgreichen Kids werden das helle Rampenlicht und seine Schattenseiten sicherlich nicht unversehrt überstehen.”

6. “Wie PR-Agenturen ticken”
(stadioncheck.de)
Eine PR-Agentur bietet eine Medienkooperation an. Stadioncheck.de antwortet.

Bis sich die Balken biegen (3)

Nein, das sind nicht die Daltons oder die Simpsons, das sind die “mittleren Ressorts” des Bundeshaushalts in einer Grafik auf tagesschau.de.

Und als aufmerksame BILDblog-Leser fällt Ihnen natürlich auf, dass da mit den Balken mal wieder was nicht stimmt: Der 22-Milliarden-Balken ist nur minimal höher als der 13-Milliarden-Balken, der allerdings ungefähr doppelt so hoch ist wie die Sechs-komma-irgendwas-Milliarden-Balken.

Wir haben die Redaktion von tagesschau.de auf diesen Fehler hingewiesen (und darauf, dass die “allgemeine Finanzverwaltung” mit ihren 22 Milliarden eigentlich nicht in die “mittleren Ressorts”, sondern in die “großen” gehört). tagesschau.de hat die Seite daraufhin überarbeitet.

Wer selbst schon einmal mit einem Tabellenkalkulationsprogramm so eine Grafik erstellen wollte, weiß, wie es sich anfühlt, kurz vor dem Nervenzusammenbruch zu stehen würde annehmen, dass man da einfach ein paar Zahlenwerte eingibt und das Programm dann automatisch irgendwelche Balken zaubert, die dann zumindest die richtigen Proportionen haben.

Warum geht das in den Medien dann so häufig schief, wollten wir wissen, und Andreas Hummelmeier, Redaktionsleiter bei tagesschau.de, war so nett, es uns zumindest kurz zu erklären:

Die Balkengrafiken für tagesschau.de werden mit einem speziellen Grafiktool erstellt. Zwar wurden die Haushaltszahlen korrekt eingegeben, durch einen Bedienfehler wurden aber die dazugehörigen Balken nicht angepasst. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Das Grafikprogramm bietet die Wahl zwischen “automatischer” und “manueller” Skalierung, der Schalter stand auf manuell und dieses händische Anpassen wurde versäumt. Deshalb hatten wir zwar die aktuellen Zahlen auf der Seite, aber die Balkenproportionen des überholten Haushaltsentwurfs.

Mit Dank an Lars.

Exklusive Festnahme

Als die französische Polizei am vergangenen Donnerstagvormittag die Wohnung des mutmaßlichen islamistischen Attentäters stürmte und ihn dabei erschoss, hatte die Erstürmung in der gedruckten “Bild” vom Donnerstag schon stattgefunden (BILDblog berichtete).

Aber “Bild” war dabei nicht allein: Die “Berliner Zeitung” und die (von der gleichen Redaktion belieferte) “Frankfurter Rundschau” erklärten beide auf ihren Titelseiten, die Polizei habe die Wohnung des Mannes gestürmt und den Mann “gestellt”, worunter man eigentlich landläufig versteht, dass jemand lebend gefasst wird.

Bei “Welt”, “Welt Kompakt” und “Rheinischer Post” war der Verdächtige (bzw. “Täter”) gar in der Titelschlagzeile “gestellt” worden:

Immerhin erwähnen alle drei Zeitungen im Artikel, dass die Konfrontation “am Abend” bzw. “bei Redaktionsschluss” noch angedauert habe.

Und tatsächlich zeigen sich da ja die Nachteile einer Printausgabe, die tatsächlich irgendwann gedruckt werden muss und bei solch unübersichtlichen Situationen, die quasi zeitgleich mit Druckprozess und Auslieferung stattfinden, überholt sein kann, wenn der Zeitungsbote sie in den Briefkasten des Lesers steckt. Im Internet hingegen können Artikel permanent an die aktuelle Situation angepasst werden — einige Online-Medien berichteten gar in einem “Live-Ticker” von der Erstürmung der Wohnung wie von einer Sportveranstaltung.

Anders macht es da die “Leipziger Volkszeitung”, die seit Mittwochabend unbeirrt im “Polizeiticker” auf ihrer Webseite verkündet:

Nervenkrieg in Frankreich: Serienmörder wollte wieder töten - Polizei gelingt Festnahme

Besonders bemerkenswert daran ist, dass diese Überschrift die einzige Leistung der “LVZ”-Redaktion ist: Der komplette Artikel, in dem von einer Festnahme des Mannes überhaupt keine Rede ist, stammt von der Deutschen Presseagentur (dpa). Die hatte ihn allerdings mit der durchaus zutreffenden Überschrift “Nervenkrieg in Toulouse: Serienmörder wollte wieder töten” veröffentlicht.

Mit Dank an Jan und die anderen Hinweisgeber.

Nachtrag, 18.10 Uhr: “LVZ Online” hat die Überschrift inzwischen auf “Nervenkrieg in Frankreich: Serienmörder wollte wieder töten” gekürzt.

Langeweile, Leserreporter, Prognosen

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1. “Stirbt das Land vor Langeweile?”
(berliner-zeitung.de, Malte Welding)
Deutschland sei ein Entwicklungsland der Unterhaltung, schreibt Malte Welding in einem langen Text zum deutschen Fernsehen: “Das deutsche Fernsehen steht so patschzufrieden im eigenen Saft, dass es mit großer Fröhlichkeit darin ersaufen wird, in der Karnevalsbrühe aus Küstenwachenwiederholungen und Serien mit Tieren in der Hauptrolle und Selbstversicherungskabarettsendungen und Redaktionen nach Parteiproporz, die Politsendungen simulieren, und ist die Rente sicher und kippt der Euro und stirbt das Land? Ja, das Land stirbt. Vor Langeweile.”

2. “Die Gesellschaft hat auf ‘live’ umgeschaltet”
(tageswoche.ch, Peter Sennhauser und Matieu Klee)
Welche Auswirkungen auf den Journalismus das Zusammenspiel von Leserreportern und Redaktionen hat. “Heute kann die Verbreitung von Unfallbildern via Soziale Medien nicht und in den professionellen Medien je länger je weniger gebremst werden. Diesen Trend sehen die Infostellen des Basler Sicherheitsdepartementes an Bagatellfällen: ‘Wir verzeichnen eine deutliche Zunahme von Anfragen aus Redaktionen, wenn schon nur irgendwo drei Streifenwagen zugleich stehen’, sagt Martin Schütz. Alarmiert von den Amateurberichterstattern auf Twitter, verlassen sich Journalisten nicht mehr auf herkömmliche Informationskanäle und fragen nach. Auch dann, wenn die Polizisten lediglich in der Pause gemeinsam einen Kaffee trinken wollen.”

3. “Eine Nase tankt Super”
(zeit.de, Anne Kunze)
Anne Kunze beschäftigt sich mit Verträgen zwischen der ARD und Moderatoren: “Der Vertrag für Gottschalk live wurde zwischen der privaten Produktionsfirma Grundy Light Entertainment und der ARD-eigenen Gesellschaft Degeto geschlossen. Der Medienforscher Horst Röper spricht von einem ‘Trick, den die Intendanten schon mehrfach angewendet haben, um die Gremien zu umgehen. Es geht nicht um Peanuts, sondern um Riesenaufträge. Eine wirkungsvolle Kontrolle durch die Gremien findet nicht statt. Das geht doch nicht.'”

4. “Journalismus und Prognosen”
(lukaskiepe.de)
Lukas Kiepe stört sich daran, dass “Spiegel Online” Prognosen zu den Landtagswahlen im Saarland in der Überschrift als Tatsachen darstellt.

5. “Ich bin nicht immer meiner Meinung”
(nzz.ch, Georg Renöckl)
Georg Renöckl interviewt Karl-Markus Gauß: “Ich glaube, dass sich die Zeitungen am ehesten selbst abschaffen, wenn sie ihre ureigenen Qualitäten zurückdrängen und versuchen, sich mittels aufgeblähter Fototeile und anderer Dinge, die nicht ihr genuines Merkmal sind, eine fadenscheinige Modernität zu verleihen. Zeitungen werden überleben, wenn sie wirklich im klassischen Sinne aufklärende Medien sind, mit anspruchsvollem Programm.”

6. “Günther Grass leiht sich Martin Walsers Hund”
(welt.de, Hans Zippert)

Quote, Pressefotos, Werbung für “Bild”

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1. “Quote und öffentlich-rechtlicher Programmauftrag”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Gert Monheim)
Ex-WDR-Dokumentarfilmer Gert Monheim erinnert sich an seine erstmalige Begegnung mit der Quote: “Die Quote spielte in den 70er Jahren für meine Arbeit direkt keine Rolle, die tauchte meiner Erinnerung nach bezeichnenderweise 1984 zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer meiner Dokumentationen auf. (…) Sowohl die Auswahl der Themen als auch ihr Stellenwert, sprich: Sendeplatz im Programm, wurde ursprünglich nach qualitativen Gesichtspunkten und gesellschaftlichen Bedürfnissen getroffen.”

2. “Wie Pressefotos die Wirklichkeit manipulieren”
(zeit.de, Carsten Luther)
Der 22-jährige Journalist Ruben Salvadori (Website) blickt aus einem anderen Blickwinkel auf die Pressefotografie (Fotos). “Lediglich die Wahl eines anderen Ausschnitts, eines anderen Blickwinkels lässt dramatische Szenen plötzlich harmlos wirken. Zugleich entlarvt sie die kleinen und großen Tricks der Fotografen, die von der leichten Verfälschung durch Weglassen bis zur bewussten Manipulation und Inszenierung reichen.”

3. “Studie weist hohe soziale Auslese bei Journalistenschulen nach”
(heise.de/tp, Rudolf Stumberger)
Der unausgewogene soziale Hintergrund von Absolventen deutscher Journalistenschulen: “Während bereits 51 Prozent aller Studierenden ein Elternteil mit Hochschulabschluss haben, sind es bei Journalistenschülern sogar 71 Prozent. Wen wundert es dann, dass an Journalistenschulen keine Schüler aus der Herkunftsgruppe ‘niedrig’ zu finden sind: ‘Kinder von Facharbeitern oder ungelernten Arbeitern, mit dem Blickwinkel und dem Erfahrungshorizont dieser Gruppe, existieren an den Journalistenschulen nicht.'”

4. “Wer wirbt für BILD?”
(arne-nordmann.de)
Arne Nordmann stellt seine Website wirbt-fuer-bild.de vor: “Eine Web­site, die nichts anderes tut, als klar und über­sicht­lich diejenigen Pro­minen­ten auf­zu­füh­ren, die trotz der – sehr wohl be­kannten – Kritik an der ‘Bild’-Zei­tung für die­se wer­ben.”

5. “Der Radiergummi der Tagesschau”
(netz10.de, linuxnetzer)
Obwohl am 21. März um 0:37 Uhr noch nicht klar ist, welchen Hintergrund die Anschläge in Toulouse und Montauban haben, liefert Tagesschau.de bereits einen Hintergrundartikel mit dem Titel “Die blutige Spur des rechtsextremen Terrors”, der wie folgt angekündigt wird: “Die Anschläge in Frankreich haben möglicherweise einen rassistischen und antisemitischen Hintergrund. Damit wären innerhalb eines Jahres in Europa mehr als 80 Menschen bei rechtsextremen oder rassistischen Anschlägen ermordet worden.”

6. “Ahmadinedschad will Antworten!”
(unter3.net, Dima Romashkan)
Das Gespräch zwischen Claus Kleber und Mahmud Ahmadinedschad (youtube.com, 42:29 Minuten) gibt weiterhin zu reden. Während Stefan Buchen auf cicero.de von einer “Selbstdemontage eines Nachrichtenstars” spricht, hält Wolfgang Michal auf carta.de moralische Empörung für übertrieben: “Journalisten sind keine Oberlehrer oder Moralprediger, auch wenn das derzeit – angesichts der jüngsten Skandalberichterstattung – von ihnen manchmal verlangt wird.”

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