Was sich Leute alles einfallen lassen

“Bild am Sonntag” verbrachte neulich einen Nachmittag mit Heidi Klum. Im “exKLUMsiv”- Interview ereignet sich auch folgender Dialog:

Laufen Sie eigentlich, um abzunehmen?

Nein. Aber um fit zu bleiben. Nebenbei, so dünn bin ich nicht. Viele Zeitungen verkündeten sogar, ich sei schwanger, nur weil ich in einem engen Kleid ein Bäuchlein hatte. Und dann wird gerätselt, ob ich ein Höschen trage, nur weil ein Foto im Umlauf ist, das 100-prozentig retuschiert ist. Es ist schon seltsam, was sich Leute alles einfallen lassen, um Schlagzeilen zu haben!

Aus dem Gespräch geht leider nicht hervor, ob diese Passage als eine Art Gegendarstellung gedacht ist, oder ob die Leute bei “Bild am Sonntag” tatsächlich nicht gemerkt haben, was das für Leute waren, die sich für ihre Schlagzeilen was hatten einfallen lassen.

Die Unten-ohne-Debatte

Zur Erinnerung: Es waren die Leute von “Bild”!

Mit Dank an Dennis und Katharina Sch.

Bild  

Frau Volkszorn

Stephanie Bilges ist die Frau, die bei “Bild” fürs Nichtverstehen zuständig ist. Nun spricht vieles dafür, dass bei “Bild” eine Menge Leute arbeiten, die in dieser Disziplin Experten sind. Aber Frau Bilges (vormals: Jungholt) hat ihre ganze publizistische Karriere bei “Bild” auf dem Nichtverstehen und Nichtverstehenwollen aufgebaut. Ihre Kommentare sind flammende Plädoyers gegen Debatten und dagegen, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Sie gibt dem Volkszorn eine zuverlässige Stimme außerhalb der Leserbriefseiten und ein Gesicht:

Stephanie Bilges

Ausländer und die Probleme, die sie Deutschen bereiten, sind eines ihrer Lieblingsthemen. Ihr Name steht über Artikeln, in denen “Bild” sogenannte “bittere Wahrheiten” darüber verbreitet.

Am vergangenen Donnerstag schrieb sie zum Thema Integration:

Jeder, der hier lebt, muss eine Chance bekommen – aber er hat die Pflicht, sie auch zu nutzen!

Ein sprachlich wie inhaltlich perfider Satz, denn eine Chance, die man nutzen muss, ist keine Chance, sondern ein Zwang.

Das ganze ideologische und rhetorische Lebenswerk der Stephanie Bilges hat sie selbst schon am 17. September 2010 zusammengefasst:

Seit Wochen diskutiert ganz Deutschland über misslungene Integration. Über Menschen, die unser Wertesystem ablehnen, den Rechtsstaat mit Füßen treten, aber nur allzu gern unsere Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

Zeitgleich holt Innenminister de Maizière zwei neue Mitbürger ins Land: einen Syrer und einen Palästinenser, die unter Terrorverdacht in Guantánamo saßen.

Sie bekommen hier Wohnung, Sozialhilfe, Betreuer, Psychotherapie und sollen “ohne medialen Druck” leben dürfen.

Wie absurd ist das bitte?!

Es mag sein, dass den Männern Unrecht getan wurde. Es mag sein, dass sie hier sich gut einleben.

Aber was für ein Signal an uns Bürger sendet die Politik, wenn sie solchen Typen einen “Neuanfang” finanziert, während sie es nicht mal schafft, die hier lebenden Muslime zu integrieren?

Haben wir wirklich keine anderen Sorgen?

Es fällt schwer, diese Entscheidung zu begreifen. Und es zeigt sich einmal mehr, wie wenig die Politiker von unseren Sorgen und Ängsten verstehen.

Auf dieser doppelten Logik gründet regelmäßig ihre Empörung: Frau Bilges und das Volk verstehen etwas nicht. Und die Politiker verstehen das Volk nicht und nehmen keine Rücksicht auf deren fehlendes Verstehen und Verständnis.

Klar, dass sie Thilo Sarrazin als “unbequemen Querdenker” feiert:

Sarrazin hat – bei aller berechtigten Kritik – Millionen Menschen aus dem Herzen gesprochen. Weil er Missstände thematisierte, vor denen Politiker oft die Augen verschließen.

Statt ihn zu verteufeln, hätte die SPD das so drängende, wichtige Thema Integration noch verstärkter aufgreifen müssen.

Wie sie das “so drängende, wichtige Thema Integration” gern behandelt wissen möchte, erklärt Stephanie Bilges so:

Integration kann nur funktionieren, wenn muslimische Kinder an Schulen UNSERE freiheitlichen Werte kennenlernen und darauf Rücksicht nehmen. Nicht umgekehrt.

So einfach ist die Welt von Frau Bilges sortiert: Moslems auf der einen Seite, wir auf der anderen Seite. Der Islam auf der einen Seite, die Freiheit auf der anderen Seite. Ende der Debatte.

Unverfängliche Themen geht Bilges gar nicht erst an, aber anhand eines Beispiels, das wenigstens nicht Religion oder Strafrecht ist, kann man ihre Rhetoriktänze ganz gut durchleuchten. Im Mai 2011 schrieb sie über das Elterngeld, das sie für eine tolle Sache hält:

Jetzt passiert das, was so oft passiert bei uns: Das Elterngeld wird totgequatscht!

Der FDP-Generalsekretär will es abschaffen, Grüne und Linke nörgeln, es sei zu niedrig und ungerecht.

Blödsinn! In anderen Ländern funktioniert das Elterngeld auch seit vielen Jahren! Niemand würde in Schweden oder Finnland auf die Idee kommen, eine so wichtige familienpolitische Leistung einfach wieder abzuschaffen.

Nur bei uns müssen die Miesepeter und Bedenkenträger wieder alles schlechtmachen!

Finger weg vom Elterngeld – spart lieber woanders!

Haben Sie’s gemerkt? Neben der Forderung des damaligen FDP-Generalsekretärs Christian Lindner, das Elterngeld abzuschaffen, geht es am Rande auch Grüne und Linke, die “nörgeln, es sei zu niedrig und ungerecht”. Bilges ruft auch ihnen zu: “Finger weg vom Elterngeld – spart lieber woanders!”.

Sämtliche Kritik erklärt sie kurzerhand zu “Blödsinn”, weil das Elterngeld “in anderen Ländern” auch funktioniere — in ganz anderer Form vielleicht, aber für Details ist bei ihr kein Platz. Wenn sie schreibt, dass in Schweden oder Finnland “niemand auf die Idee kommen würde”, das Elterngeld wieder abzuschaffen, suggeriert sie gleichzeitig, dass es dort nicht einmal eine Debatte gibt. Und das ist das Beste für Frau Bilges überhaupt: das Fehlen einer Debatte.

Menschen, die nicht Bilges’ Meinung sind, sind automatisch “Miesepeter und Bedenkenträger” (oder “Miesmacher und Bedenkenträger”), und wenn ein Vorschlag, den sie gut findet, auch nur diskutiert wird, wirft sie den Andersdenkenden (in manchen Fällen auch: den Denkenden) direkt vor, “diese gute Idee gleich wieder kaputt zu reden”.

Bilges’ Kommentare gehen oft in direkte Appelle über, wenn sie dazu aufruft, jetzt bitte unbedingt und sofort etwas zu tun. Aktionismus ist ihr wichtiger als Besonnenheit: Lieber irgendwas tun, als erst mal verstehen wollen, was überhaupt Sache ist. Und Angst ist dabei immer ein guter Motor.

Auf dem Höhepunkt des medialen Schweinegrippe-Wahns schrieb sie:

Ein Virus, das Millionen Menschen weltweit in Panik versetzt. Schweinegrippe – unsere Angst hat einen neuen Namen.

Fast stündlich werden rund um den Globus neue Verdachtsfälle gemeldet!

Und wie geht Deutschland mit der Gefahr um?

Das Robert-Koch-Institut hat ein Lagezentrum eingerichtet. Die einzelnen Bundesländer schalten Hotlines. Ulla Schmidt verweist auf den Pandemie-Plan und sagt: “Wir sind gut vorbereitet.”

Sind wir das wirklich? […]

Das Letzte, was wir in der jetzigen Situation brauchen, ist Behörden-Hickhack und Kompetenz-Wirrwarr!

Wir brauchen Politiker, die handeln – und die die Sorgen der Menschen ernst nehmen.

Die Vorbereitung auf die Schweinegrippe mag Bilges hinterfragen, an anderen Stellen ist sie sich absolut sicher:

Fest steht: Auch das schärfste Waffengesetz hätte Winnenden nicht verhindert.

Nachdem ein Mann in Norwegen 77 Menschen getötet hatte, weil er eine “Islamisierung” Europas befürchtete, glaubte Bilges, einen “Sündenbock” gefunden zu haben:

Die “Islamfeindlichkeit” in Europa soll schuld sein. Die “wachsende Aggressivität” gegenüber Muslimen, die Art und Weise, wie bei uns über Integration diskutiert wird.

Mit Verlaub: Das ist Blödsinn!

Sie fügte hinzu:

Wenn wir beim Stichwort “Terror” heute instinktiv an radikale Muslime denken, hat das nichts mit Islamfeindlichkeit, sondern mit Erfahrung zu tun.

Im März 2010 erklärte Bilges:

Ich finde: Eine Frauenquote ist Blödsinn!

Sie beleidigt und diskriminiert uns, weil sie uns weismacht: Allein schafft ihr es eh nicht!

Es gibt viele Gründe, weshalb Frauen weniger erfolgreich sind als Männer:

Sie sind weniger aggressiv und verkaufen sich schlechter, aber sie sind auch oft hin- und hergerissen zwischen Job und Privatleben. Nicht selten ist die Liebe der erste große Stolperstein in der Karriere.

Und keine Quote der Welt würde diese Probleme lösen.

Dass Frau Bilges “weniger aggressiv” sein soll als ihre männlichen Kollegen, ließe sich höchstens damit erklären, dass die halt alle bei “Bild” arbeiten. Den schnarrenden Sechziger-Jahre-Tonfall hat sie jedenfalls voll drauf, wie sie vor der Bundestagswahl 2009 unter Beweis stellte:

Diese Wahl ist auch die letzte Ausfahrt vor einem Deutschland, das von Kommunisten mitgelenkt wird.

Einmal schrieb Bilges, es sei wichtig, “dass sich Richter und Gutachter künftig noch mehr ihrer Verantwortung bewusst sind”:

Dass sie Urteile fällen, die uns wirklich schützen.

Und nicht mit Mitleids-Gutachten neue Zeitbomben auf unsere Straßen schicken.

Ein anderes Mal:

Richter sprechen Urteile “im Namen des Volkes”. Damit ist viel Verantwortung verbunden.

Auch die Verantwortung, dass das Volk die Entscheidungen versteht.

Ihre Verantwortung als Journalistin scheint Bilges dabei ganz anders zu sehen: Ständig fragt Bilges “Wer schützt uns?” (14. Januar 2011, 11. März 2010), “Wer schützt uns vor solchen Richtern?” (BILDblog berichtete) oder “Wer versteht unsere Justiz?”, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die Justiz überhaupt verstehen zu wollen. Lieber schreibt sie: “Dieses Urteil macht wütend!” oder “Dieses Urteil ist mehr als fragwürdig!”, so als sei es ihre Kernaufgabe als Journalistin, die (mutmaßliche) Meinung ihrer Leser auszusprechen, statt mit Fakten und Hintergründen zur Meinungsbildung beizutragen und dabei vielleicht auch zu erklären, zu verstehen versuchen, warum ein Gericht so urteilt, wie es geurteilt hat.

Fest steht: Die beiden Täter können nicht bestraft werden. Weil sie im juristischen Sinne eben wirklich noch Kinder sind.

Doch der Staat muss etwas tun, wenn immer mehr Kinder so ausrasten!

Muss die Strafmündigkeit irgendwann der Realität angepasst werden?

Knast schon ab 12 – das klingt radikal, vielleicht zu radikal.

Aber es geht darum, uns zu schützen – auch vor Kindern, die in Wahrheit längst keine Kinder mehr sind.

Ihre juristischen Grundsätze sind klar und direkt aus dem alten Testament übernommen: Wer selbst keine Gnade kannte, hat keine Gnade verdient, law and order, “Der Schutz der Bevölkerung hat Vorrang!”.

Bilges schreibt dann Sätze, wie sie ein Stammtischbruder oder der “Bild”-Intimus Til Schweiger kaum populistischer formulieren könnten:

Und wer sich genauer anschaut, welche Vorgaben die Richter für den Umgang mit Schwerverbrechern machen, der fragt sich schon, ob das Maß stimmt:

Da ist nämlich schon wieder von “intensiver Therapie”, “realistischer Entlassungsperspektive”, “familiären und sozialen Außenkontakten” die Rede.

Mit Verlaub! Von solchen Phrasen haben wir – und auch die Opfer! – endgültig die Nase voll.

Bilges bezieht sich immer wieder auf die einfachen Leute und den kleinen Mann von der Straße, auf “uns Bürger” und “ganz Deutschland”, doch am Ende bleibt oft genug unklar, ob sie dem Volk nun tatsächlich aufs Maul geschaut oder nicht doch eher dessen Leserbriefe vorformuliert hat:

Ganz Deutschland scheint in diesen Tagen nur ein Thema zu kennen: Karl-Theodor zu Guttenberg und seine Doktorarbeit.

Hat er geschummelt, getrickst und bei anderen abgeschrieben? Ist das Betrug? Ist so einer als Minister überhaupt noch tragbar?

Viele Deutsche sind der Meinung, wir hätten andere Probleme – sie haben recht!

Sicher hat Guttenbergs beinahe perfektes Image einen Kratzer erlitten. Er macht Fehler, wie andere Menschen auch. Und wenn die Vorwürfe stimmen, muss er den Titel natürlich abgeben.

Aber wer Guttenberg als Politiker beurteilt, darf nicht nur das schlampige Zitieren aus seiner Doktorarbeit heranziehen.

Zu bewerten sind auch Kompetenz, Pflichtbewusstsein und das große Engagement z. B. bei der Bundeswehrreform.

In Afghanistan sind gestern drei deutsche Soldaten gefallen.

Das sind die Probleme, um die es wirklich geht.

Man möchte nicht diskutieren müssen mit einer Frau, deren Argumentsarsenal sich im Wesentlichen auf die Formulierung “Mit Verlaub”, auf die Frage, ob wir keine anderen Probleme haben, auf ein rhetorisches mit den Armen in der Luft herumwedeln und auf eine unbeschränkte Zahl Ausrufezeichen beschränkt. Aber diskutieren will sie ja ohnehin nicht, sie will, dass sofort etwas getan wird, im Zweifel nicht das Richtige, Maßvolle oder das Vernünftige, sondern das, was Menschen verstehen können, ohne es verstehen zu müssen.

Mit ihrer Rhetorik trägt Bilges direkt zur Politik- und Justizverdrossenheit bei, über die die Medien seit Jahrzehnten berichten.

Fast jedes Thema lässt sich auf ein “wir hier unten, die da oben” herunterbrechen:

Wir zahlen Strafe, wenn wir 7 km/h zu schnell fahren oder bei der GEZ den Fernseher nicht anmelden.

Aber skrupellose Verbrecher können giftige Industriefette ins Tierfutter kippen!

Wenn jemand etwas von den Ängsten der Bürger versteht, dann Stephanie Bilges: Wenn sie diffuse Ängste aufgreift, benennt und als Argumente weiterverbreitet, ist sie der Katalysator dieser Ängste, die Wiederaufbereitungsanlage eines unbestimmten Unwohlseins. Statt zu versuchen, ihren Lesern die Angst durch den Einsatz von Fakten zumindest ein wenig zu nehmen, heizt sie deren Ängste weiter an.

Stephanie Bilges ist die Frau, die Franz Josef Wagner wie einen aufgeklärten, liberalen Freigeist erscheinen lässt.

Uefa, Georg Seeßlen, Hugh Grant

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Montierte Tränen”
(sueddeutsche.de, Thomas Kistner und Katharina Riehl)
Die Live-Übertragung der Fußball-Europameisterschaft wird erneut mit vorher aufgezeichneten Szenen gemischt. “Die Bilder aus dem deutschen Fanblock wurden vorher aufgenommen und nach dem Tor ohne die mit der Uefa verabredete Kennzeichnung gezeigt.”

2. “Deutschland ringt um Fassung”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier greift den Fall auf: “Die ARD will sich wieder beim Verband beschweren, und das ZDF wird sicher auch noch markige Worte für diese Art der Manipulation finden. Sie werden so laut und empört über diesen unseriösen Einsatz von Symbolbildern protestieren, dass man fast denken könnte, sie hätten einen Ruf zu verlieren, als Journalisten und seriöse Sportberichterstatter.” Siehe dazu auch “Entzieht ARD und ZDF den Live-Fußball!” (ftd.de, Falk Heunemann) und “Mein Fan-Problem” (coffeeandtv.de, Lukas Heinser).

3. “21/22”
(zumblondenengel.de, Frédéric Valin)
“Es ist die Geste des stolzen Sklaven, der seinen Körper, nicht aber seinen Geist unterwerfen hat lassen”, schrieb Georg Seeßlen beispielsweise für die “taz” über die Jubelpose des italienischen Fußballers Mario Balotelli nach dem 2:0 im Spiel gegen Deutschland. Frédéric Valin analysiert diesen Feuilleton-Text und zwei weitere dazu: “Fassen wir zusammen: Seeßlen akzuentiert Balotelli als Farbigen, der Widerstand leistet; Poschart ihn als Wilden, der die Grenzen sprengt; Graff ihn als in der Urzeit Erstarrten. Keiner schafft es, sich von der Hautfarbe Balotellis zu lösen, bei allen bleibt er der Schwarze, der sich nur im Verhältnis zu seiner Hautfarbe deuten lässt.”

4. “‘Als hätte man einen Einbrecher zu Hause'”
(welt.de, Rüdiger Sturm)
Schauspieler Hugh Grant war letztes Jahr daran beteiligt, das Abhören von Telefonen durch “News of the World” aufzudecken. “Wenn ich in der Öffentlichkeit auftrete, habe ich nichts dagegen, wenn die Medien darüber berichten. Das geschieht ja mit meinem Einverständnis. Aber wenn man in mein Privatleben eindringt, dann ist das so, als hätte ich einen Einbrecher zu Hause. Wer würde da nicht wütend? Aber es geht bei der ganzen Sache nicht in erster Linie um mich und um die Leute aus dem Showbusiness. Viel schlimmer betroffen sind die ganz normalen Bürger, etwa die Angehörigen von Mordopfern.”

5. “Der Jamiri-Plagiator Andreas Heinze aus Oberhausen wagt eine Ausstellung”
(ruhrbarone.de, Georg Kontekakis)
Georg Kontekakis ärgert sich über die Berichterstattung zu einer Ausstellung eines Mannes, in dem er keinen Künstler, sondern einen Plagiator von Jamiri sieht.

6. “Rousseau in der Campagna…”
(infosperber.ch, Kurt Marti)
Die Hauptausgabe der Tagesschau des Schweizer Fernsehens illustriert einen Bericht über Jean-Jacques Rousseau mit einem Bild von Johann Wolfgang von Goethe.

Enttäuschte Liebe

Bei jedem Fußballturnier ist es das Gleiche. Solange die deutsche Mannschaft gewinnt, sieht es in “Bild” so aus:

“Bild”, 9. Juni:

“Bild am Sonntag”, 10. Juni:

“Bild am Sonntag”, 10. Juni:

Bild.de, 11. Juni:

“Bild”, 14. Juni:

Bild.de, 14. Juni:

Bild.de, 14. Juni:

“Bild”, 15. Juni:

Bild.de, 16. Juni:

Bild.de, 16. Juni:

Bild.de, 19. Juni:

“Bild”, 23. Juni:

Bild.de, 23. Juni:

Sobald die deutsche Mannschaft aber rausfliegt, sieht es plötzlich so aus:

“Bild”, 29. Juni:
Neuer: 4, Hummels: 5, Badstuber: 5, Boateng: 4, Lahm: 5, Khedira: 4, Schweinsteiger: 6, Kroos: 5, Özil: 5, Podolski: 6, Gomez: 6

Bild.de, 29. Juni:

Bild.de, 29. Juni:

Bild.de, 29. Juni:

Bild.de, 29. Juni:

Bild.de, 29. Juni:

Bild.de, 29. Juni:

“Bild am Sonntag”, 1. Juli:

Bemerkenswert – aber kaum überraschend – auch dieser Dreiklang:

Bild.de, 29. Juni:

Bild.de, ein paar Stunden später:

Bild.de, 30. Juni:

Außerdem ließ es sich “Bild” nicht nehmen, die “Memmen” in Einzelkritiken noch ein bisschen deutlicher niederzumachen:

Dass die Kritik weder etwas mit Fußball zu tun haben noch in irgendeiner Weise mit der vorherigen Berichterstattung übereinstimmen muss, dürfte jetzt auch nicht mehr groß überraschen. (Den Spruch über Mario Gomez hat “Bild” sich übrigens nicht mal selbst ausgedacht.)

Und wie das so ist bei Profifußballern: Wenn einem die Argumente blöden Sprüche ausgehen, kann man ja immer noch auf deren Millionen-Gehältern rumreiten:

Man mag es kaum glauben, wie sehr ein deutscher Nationalspieler verwöhnt wird. (…)

Es ist eine Kuschel-Welt, in der unsere Nationalspieler beim DFB leben.

Als die deutschen Fußballer sich vor ein paar Tagen im Mannschaftshotel “gemütlich auf die Couch” lümmelten und im eigenen Heimkino einen “großen Kinospaß in 3D” anschauten, fand Bild.de das übrigens noch “megacool”.

Aber da war die Mannschaft ja auch noch im Turnier.

Siehe auch:

Mit Dank auch an die vielen, vielen Hinweisgeber!

Abwärtsjournalismus

Das mit dem Witze erklären ist ja immer so eine Sache. Wir versuchen’s trotzdem mal.

Dieses Video wurde am Montag bei YouTube eingestellt:

Österreichische Polizisten, die eine Rolltreppe hinunterfahren — wie bizarr!

oe24.at, die Online-Ausgabe der Boulevard-Zeitung “Österreich”, schrieb dann auch gestern Abend:

Das ganze Land lacht über ein Polizei-Video. Cops beim Rolltreppen-Training – über 50.000 haben’s angeschaut.

(Wir haben sicherheitshalber mal nachgeschaut: Österreich hat 8,4 Millionen Einwohner. Die Formulierung “das ganze Land” ist dort offenbar auch nicht wörtlich zu verstehen.)

Etwas hilflos haben die Redakteure auch noch einen Begleittext drumherum gestrickt:

Es ist das lustigste Video der Woche, das ganze Land lacht über die jungen Kieberer aus Linz. Zu sehen ist der Hit auf YouTube: Das spektakuläre “Rolltreppen-Training” der Polizei.

Entstanden ist der Streifen am Linzer Hauptbahnhof. Untertitel: “Inhalte des Trainings: Sicheres Benutzen einer Rolltreppe (Verwendung des Handlaufs!)”.

Pärchenweise düsen die Uniformierten eine große Rolltreppe hinunter, kraxeln gleich daneben zu Fuß die Stiegen wieder hinauf.

Mehr als 50.000 Österreicher haben sich das Polizei-Video inzwischen angeschaut.

Dort haben die Leute von Bild.de dann das Video entdeckt, bei YouTube heruntergeladen und mit Zeitlupen, pathetischer Musik und “lustigen” Kommentaren versehen:

Wie der beeindruckende Film zeigt, beherrschen die Beamten diese schwierige Aufgabe wie aus dem Effeff. Souverän, zügig, aber ohne Hektik erreichen alle Teilnehmer ohne Verletzungen sicher festen Boden.

Der Urheber, der das Video bei YouTube hochgeladen hatte, wird mit keinem Wort verlinkt. Dafür hat Bild.de aus den “mehr als 50.000” Zuschauern (inzwischen sind’s etwas mehr als 60.000) “mehr als 500 000 Menschen” gemacht.

Viel mehr weiß auch Bild.de nicht zu berichten. Was ein bisschen schade ist, denn so viel Mühe hätten sie sich gar nicht machen brauchen: Die Leute von nachrichten.at, dem Online-Portal der oberösterreichischen Zeitung “OÖNachrichten”, hatten bereits am Dienstagvormittag ein klein wenig recherchiert und Folgendes herausgefunden:

In einem aktuellen YouTube-Video ist zu sehen, wie Linzer Polizisten scheinbar das Rolltreppenfahren üben. Bei der Aktion handelt es sich aber um ein Abschlussvideo von fertig ausgebildeten Polizeischülern. [..]

“Die Idee dahinter war, dass sie als Zivilisten hinaufgehen, und dann als fertig ausgebildete Polizisten wieder hinunterfahren”, sagt Polizei-Pressesprecherin Simone Mayr. Das Aktion war eigentlich als private Feier gedacht und sollte als Erinnerung auf Video festgehalten werden. […] Eine Rolltreppen-Ausbildung für die Linzer Polizisten gibt es selbstverständlich nicht, bestätigt Mayr. Solche Trainings sind auch in Zukunft nicht geplant.

Mit Dank an Klaus.

Nachtrag, 30. Juni: Bild.de hat den Artikel dahingehend überarbeitet, dass jetzt von “mehr als 50 000 Menschen” die Rede ist.

Eklat-Eklat um “Neger-Puppe”

Wahrscheinlich haben Sie es gar nicht mitbekommen, falls doch, haben Sie es bestimmt längst wieder vergessen, aber vor fünf Wochen gab es einen “Eklat” in Deutschland:

TV-Moderatorin Sarah Kuttner angezeigt: Eklat um "Neger-Puppe". Lesung in Hamburg endet mit Polizei-Einsatz.

“Spiegel Online” hat den Wahnsinn, der da für etwa dreieinhalb Tage durch die Medien schwappte, damals sehr gut beschrieben und analysiert.

Der Artikel der “Hamburger Morgenpost”, der Auslöser für den ganzen Wirbel gewesen war, ist inzwischen aus dem Internetauftritt der Zeitung verschwunden und am letzten Samstag erschien die “MoPo” mit dieser Titelseite:

Gegendarstellung von Sarah Kuttner: S. 13
(Unten rechts!)

Die derart angekündigte Gegendarstellung auf Seite 13 las sich dann so:

Gegendarstellung

Sie verbreiten durch die Wiedergabe der Äußerung eines Dritten in der Ausgabe der Hamburger Morgenpost vom Dienstag, den 22. Mai 2012 auf Seite 13, dass ich mich über eine “Negerpuppe” wie folgt geäußert habe: “Sie … ließ sich über deren 30 Zentimeter große “Schlauchbootlippen” aus und wiederholte, wie ekelhaft sie diese Lippen fand. Sie habe die Puppe wegschmeißen müssen, weil es keinen Sinn gehabt habe, sie zu behalten.”.

Ich habe mich so nicht geäußert.

Weiter verbreiten Sie als eine Äußerung eines Zuhörers, der mich zum Reden aufforderte, über mich, ich habe zu diesem gesagt: “Ich muss gar nicht reden, ich rauche gerade.”

Ich habe gegenüber dem Zuhörer erklärt, dass ich erst gerne eine Zigarette rauchen würde und danach gerne mit ihm reden würde.

Berlin, den 13. Juni 2012
Sarah Kuttner

Zur Einordnung:

Auch als Orakel unbrauchbar

Die EM-Halbfinals 2012 sind vorbei, Deutschland ist (wieder einmal) gegen Italien ausgeschieden.

Das macht die großspurigen “Witze” mancher Boulevardmedien im Nachhinein natürlich noch ein bisschen peinlicher:

“Hamburger Morgenpost”, gestern:
11 Gründe, warum wir heute Abend Italien wegputzen: Pizza End-Statione

“Abendzeitung”, gestern:
Arrivederci, Italia!

Bild.de, gestern:
Wir wünschen schon jetzt eine gute Heimreise

Und erst letzten Samstag hatte “Bild” noch groß verkündet:
Uns stoppt keiner mehr!

Mit Dank auch an C.

Fußball, Verschwörungstheoretiker, CNN

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “10 Randbemerkungen zum Thema Fußball im Fernsehen”
(fernsehkritik.tv, Video, 18 Minuten)
Fernsehkritik.tv lässt einige bemerkenswerte Momente der Fußball-Europameisterschaft im Fernsehen Revue passieren.

2. “ARD und ZDF machen den Fußball lächerlich”
(focus.de, Alexander Kissler)
Bei den Interviews mit Fußballern am Spielfeldrand hat Alexander Kissler “noch keine journalistisch relevante Frage” gehört. “Hier wie dort triumphiert die Verwandlung erwachsener Menschen in Wohlfühlautomaten. (…) Es geht einzig darum, auf täppische Weise Emotionen zu inszenieren und Psychologie zu simulieren.”

3. “Ich war Weltmeister”
(tageswoche.ch, Carmelo Policicchio)
Carmelo Policicchio, als Sohn eines italienischen Schweissers in Deutschland aufgewachsen, erinnert sich an Spiele zwischen Deutschland und Italien 1970 und 1982. Siehe dazu auch “Warum Özil die Hymne nicht mitsingt – Fußball, Integration und Nationalgefühl” (dradio.de, Martin Hyun).

4. “CNN, Fox News Bungle Supreme Court Coverage”
(talkingpointsmemo.com, Video, 2:26 Minuten, englisch)
CNN und Fox News berichten, der Oberste Gerichtshofs habe die Gesundheitsreform der Regierung Obama für verfassungswidrig erklärt – um wenige Minuten später das Gegenteil zu vermelden. Siehe dazu auch die Statements der Sender (poynter.org) und die Unzufriedenheit anderer CNN-Mitarbeiter (buzzfeed.com).

5. “Wer ernsthaft für seine Zeitung arbeiten will, arbeitet gegen sie”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
“Eine kluge Zeitung, eigentlich jede mit Format, zeichnet sich fast definitionsgemäss dadurch aus, dass in ihr möglichst viele Angestellte immer wieder in Opposition gehen: Das garantiert ihre Weite, ihre Neugier, ihre Entwicklung. So sind etwa berühmte bürgerliche Blätter nie durchgehend bürgerlich: die ‘Frankfurter Allgemeine’ etwa leistet sich ein meist linksliberales, verspieltes Feuilleton; die ‘NZZ’ einen oft unideologischen Auslandsteil.”

6. “Alle unter Kontrolle”
(datum.at, Julia Niemann und Thomas Trescher)
Ein Bericht über Verschwörungstheoretiker in Österreich: “Was die Protagonisten aber gemeinsam haben, ist ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Politik und Staat. Kevin Mohr glaubt nicht daran, innerhalb des politischen Systems etwas bewegen zu können. Wählen war er noch nie, weil er keine Möglichkeit sieht, dass sich im Großen und Ganzen etwas ändert. Was ihn von vielen anderen unterscheidet, ist der fixe Glaube, dass hinter Trash-TV, der Wirtschaftskrise und der Europäischen Union ein komplexer Masterplan steckt, ausgeheckt von Bösewichten, die die Menschheit unterjochen wollen.”

Ihr EUmel! (5)

Es ist ja nicht so, dass wir Spaß daran hätten, den gleichen Fehler immer und immer wieder aufzuschreiben.

Wir dachten gestern also, wir erledigen das unbürokratisch:

Vielleicht wollten die Leute von “Focus Online” uns aber auch einfach zwingen, es wieder aufzuschreiben. Jedenfalls steht da immer noch:

Schutz des Eigentums verletztEU-Gerichtshof schränkt deutsches Jagdrecht ein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einen Prozessmarathon über das deutsche Jagdrecht beendet. Ein Landbesitzer hatte Jagden auf seinem Grund geklagt. Jetzt haben Tausende Jäger das Nachsehen.

Und jetzt alle im Chor: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist kein “EU-Gerichtshof”!

Mit Dank an Gerald.

Bild  

Der Mann, der in “Bild” das “Schwein” war

Es war eine der lustigen Schlagzeilen, für die Leute, die “Bild” lieben, “Bild” lieben:

Hat dieses Schwein einen Menschen ermordet?

Sie stand vor zwei Jahren in “Bild” (BILDblog berichtete). Die Polizei verdächtigte den Mann damals, gemeinsam mit seinem Lebensgefährten einen Bekannten auf einem Autobahnparkplatz erschossen zu haben. Das Foto war natürlich bei einem ganz anderen Anlass entstanden, war für “Bild” aber natürlich ein Geschenk.

Das Blatt schrieb dazu:

BILD erfuhr: Wahrscheinlich war es ein Mord im Homosexuellen-Milieu! Der Tatort ist in der Schwulenszene als Sex-Treffpunkt bekannt. Detlef S. war lange Vizechef der Deutschen Aids-Stiftung, ist Diplom-Sozialpädagoge. Nach Angaben der Fahnder ist die Beweislage gegen ihn und seinen Freund erdrückend.

Zehn Tage später wurden beide aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Tatverdacht hatte sich nicht bestätigt (BILDblog berichtete).

Die mediale Hinrichtung durch “Bild” war nur ein kleines, furchtbares Detail in einer schrecklichen Geschichte, die die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” jetzt aufgeschrieben hat:

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