Bild  

Eine Bankrotterklärung

So, nun ist es raus: Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat gesagt, dass Griechenland bankrott ist und seine Schulden nie zurückzahlen kann. Gestern hat er das anscheinend “zum ersten Mal” zugegeben, im deutschen Fernsehen. Eine Bankrott-Erklärung “im wahrsten Sinne des Wortes”.

Die “Bild”-Zeitung ist ganz aufgeregt und hat aus der Neuigkeit gleich eine Schlagzeile auf Seite 1 gemacht:

Bankrott-Erklärung von Griechen-Finanzminister Varoufakis: 'Griechenland kann Schulden nie zurückzahlen!'

Ja, Hammer.

Wobei die Sendung, in der Varoufakis seine Aussagen machte und die gestern im Ersten lief, eigentlich bloß die Kurzfassung einer Dokumentation war, die arte schon vor zwei Wochen zeigte: “Macht ohne Kontrolle”, ein Film über die Machenschaften der Troika von Harald Schumann. Das Interview mit Varoufakis führte er, wie auch im Film gesagt wird, im Sommer 2014 — also noch bevor der Wissenschaftler Finanzminister wurde.

Online hat “Bild” diese Darstellung inzwischen klammheimlich korrigiert.

Vorher:

Nachher:

Die Aussage von Varoufakis ist aber nicht nur deshalb keine Neuigkeit. Eigentlich sagt er immer schon, dass Griechenland bankrott sei und ein Problem der vermeintlichen “Rettungs”-Politik der vergangenen Jahre gewesen sei, ein Insolvenz-Problem wie ein Liquiditäts-Problem zu behandeln. In einem Interview mit “Zeit Online” sagte er es Anfang Februar unmissverständlich:

Wir haben einem überschuldeten Staat noch mehr Kredite gegeben. Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Freunde verliert seinen Job und kann seine Hypothek nicht mehr bezahlen. Würden Sie ihm einen weiteren Kredit geben, damit er die Raten für sein Haus abbezahlt? Das kann nicht funktionieren. Ich bin der Finanzminister eines bankrotten Landes!

“Zeit Online” hat aus diesem markanten Satz damals auch schon die Überschrift gemacht:

"Ich bin Finanzminister eines bankrotten Staates"

In einem Interview mit dem britischen Fernsehsender Channel 4 hatte Varoufakis bereits im Januar gefordert:

“Es wird Zeit, die Wahrheit zu sagen darüber, wie untragbar es ist, einen Staatsbankrott inmitten der EU einfach zu verleugnen.”

Ähnlich äußerte er sich in der BBC.

In seinem Blog hatte Varoufakis schon 2012 festgestellt, dass Griechenland seit drei Jahren bankrott sei, und kritisiert, dass das von den europäischen Institutionen nicht zugegeben werde.

Wer behauptet, dass Yanis Varoufakis jetzt “zum ersten Mal” zugegeben hat, dass der griechische Staat praktisch bankrott ist, muss entweder sehr wenig Ahnung haben. Oder sehr böse Absicht.

Ironischerweise wird die Nachricht, die keine ist, dadurch, dass “Bild” sie groß auf den Titel nimmt, zu einer Nachricht. So meldet die Nachrichtenagentur Reuters heute:

Varoufakis unsettles Germans with admission Greece won’t repay debts

(Reuters) – Greek Finance Minister Yanis Varoufakis has described his country as the most bankrupt in the world and said European leaders knew all along that Athens would never repay its debts, in blunt comments that sparked a backlash in the German media on Tuesday.

(Der griechische Finanzminsiter Yanis Varoufakis hat sein Land als das bankrotteste der Welt bezeichnet und gesagt, dass die europäischen Führer immer schon wussten, dass Athen seine Schulden nie zurückzahlen würde. Seine deutlichen Kommentare haben in den deutschen Medien am Dienstag einen heftige Gegenreaktion ausgelöst.)

Den Journalisten von Reuters ist es nicht gelungen, herauszufinden, dass die Aussagen von Varoufakis im vergangenen Sommer aufgenommen wurden. Immerhin räumen sie ein, dass seine Sätze “typisch” für ihn sind. Abschreibemedien wie “Yahoo”, stern.de, “Focus Online” und andere haben die Aufregung über die alten und bekannten Aussagen von Varoufakis von “Bild” übernommen.

FAS, Fußball, Apple Watch

1. “Fraport weist Vorwurf einer Sicherheitslücke am Flughafen Frankfurt zurück”
(fraport.de)
Die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens Fraport weist einen Bericht der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (FAS) zurück: “Nach einer umgehenden Überprüfung des in der Berichterstattung geschilderten Falls durch die Fraport AG in enger Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden befand sich der Redakteur zu keinem Zeitpunkt in diesem sicherheitskontrollierten Bereich, sondern lediglich auf einer Frachtabfertigungsfläche im Betriebsbereich. Er hätte auch den sicherheitsrelevanten Bereich ohne Befugnis und Sicherheitskontrolle auf keinem Weg erreichen können. Eine wie im Bericht dargestellte Lücke im Sicherheitszaun gibt es nicht, wie auf den beigefügten Bildern zu erkennen ist.” Siehe dazu auch “Korrektur: Wie sicher ist der Frankfurter Flughafen?” (faz.net) und “6 vor 9” von gestern.

2. “FAS verliert die Kontrolle”
(zeigensiemal.wordpress.com)
Eine genauere Betrachtung von Infografiken im FAS-Wirtschaftsteil.

3. “The sinister treatment of dissent at the BBC”
(theguardian.com, Nick Cohen, englisch)
Nick Cohen beklagt den Umgang der BBC mit den Enthüllern der von Jimmy Savile verübten sexuellen Mißbräuche: “The BBC is forcing out or demoting the journalists who exposed Jimmy Savile as a voracious abuser of girls.”

4. “Warum es egal ist, was Medien von der Apple Watch halten”
(nzz.ch, Henning Steier)
Henning Steier fasst die Rituale einer Apple-Pressekonferenz zusammen.

5. “Philipp Köster: ‘Zu scheitern wäre nicht die schlechteste Visitenkarte gewesen'”
(vocer.org, Jan Göbel)
Philipp Köster, Gründer von “11 Freunde”, lobt Gruner + Jahr, den Mehrheitseigner des Fußballmagazins, als Verlag, “dessen höchstes ideelle Gut die Unabhängigkeit der Redaktionen ist. In nun fast fünf Jahren hat es keinen einzigen Fall gegeben, dass von Verlagsseite Druck ausgeübt worden wäre. Ganz im Gegenteil war der Druck aus dem Anzeigenmarkt vorher viel größer.”

6. “Was erlauben Westermann?”
(sueddeutsche.de, Christof Kneer)
Christof Kneer packt die schwierige Situation von Fußballjournalisten in eine Wutrede: “Wir halten hier seit Jahren unsre Laptops hin, ständig müssen wir Geschichten aufbauschen, Skandale konstruieren und Zitate erfinden, meint ihr vielleicht, es macht Spaß, ein Zeitungsfritze zu sein, keinen Charakter zu haben, in scheißkalten Stadien zu sitzen und über etwas zu berichten, wovon man keine Ahnung hat? Wir Journalisten sind vielleicht nur ein kleiner Piss-Verein, aber wer es besser kann, der soll herkommen und selber schreiben.”

Eliot Higgins, Monica Lierhaus, Kampagnenjournalismus

1. “Der Plan von der Abschaffung der Wahrheit”
(krautreporter.de, Friedemann Karig)
Friedemann Karig stellt Eliot Higgins von Bellingcat vor: “Der schüchterne Engländer, der ungerne telefoniert und Mails nie unterschreibt, war schlagartig zu einer der wichtigsten Quellen über einen grausamen Bürgerkrieg geworden, aus dem nur wenige Journalisten berichten konnten. Und das ohne sein kleines Haus zu verlassen, wo er mit seiner Frau und ihrer gemeinsamen Tochter wohnt.”

2. “Wir brauchen Journalismusjournalismus”
(deranderefellner.wordpress.com)
Sebastian Fellner beschreibt die Situation des Journalismus in Österreich und fordert mehr Medienjournalismus: “Eine Print-Landschaft, beherrscht vom (Gratis-)Boulevard, der jeglichen Skrupel verloren, so er ihn je gehabt hat. Ein öffentlich-rechtliches Fernsehunternehmen, dessen Redaktionen die politischen Einflussnahmen abwehren muss, die die Fehlkonstruktion seiner Gremien mit sich bringt. Und Qualitäts-Onlinezeitungen, die sich noch nicht so recht zwischen Clickbaiting und tollen, aufwendigen Features entscheiden können.”

3. “Die Eier der Journalisten”
(ad-sinistram.blogspot.de, Roberto De Lapuente)
Roberto De Lapuente nimmt sich den Bericht “Offenes Tor für Terroristen” (faz.net, Marco Seliger) vor, für den ein Journalist die Sicherheit des Flughafens in Frankfurt getestet hat: “Man spielt denen in die Hände, die es rigider wollen, die dafür sind, es polizeistaatlicher und repressiver zu gestalten. Denen, die die allgemeine Angst als Maßstab für deren Gesellschaftskonzept missbrauchen und Ordnung mit Furcht und Schrecken gleichsetzen. Sie nennt ihren Beweis ein ‘offenes Tor für Terroristen’ und strickt damit weiter an der Absicht, die ganze Gesellschaft terrorfest zu machen. Auf Kosten der Freiheit natürlich.”

4. “Monica Lierhaus: ‘Als wäre ich ein Monster'”
(vocer.org, Irena Vukovic)
Ein Interview mit Sportreporterin Monica Lierhaus, der nach gesundheitlichen Problemen ein Comeback gelang: “Ich habe allen gezeigt, jetzt bin ich so wie ich bin. Nun akzeptiert mich oder lasst es. Vorher habe ich mich nicht getraut, weil ich immer angeglotzt worden bin, als wäre ich ein Monster. Das war fürchterlich für mich. Das war ganz schrecklich. Seitdem war es aber besser. Sie mussten mich nun nehmen, wie ich bin.”

5. “Gefährlich wird es, wenn der Funken überspringt”
(tagesspiegel.de, Stephan Russ-Mohl)
Stephan Russ-Mohl beschäftigt sich mit dem Kampagnenjournalismus: “Für Demokratien gefährlich werden Medienkampagnen vor allem dann, wenn sie nicht von einem einzigen Medium allein inszeniert werden. Wenn der Funke überspringt, wenn sich bei einer Skandalisierung plötzlich alle einig sind, wird es mitunter heikel.”

6. “Der tägliche Herrenwitz”
(theeuropean.de, Kristina Lunz)
Kristina Lunz schreibt über Frauen in “Bild”: “Deutschlands Medien, und allen voran ‘Bild’, müssen Frauen endlich für ihre Leistungen und Taten schätzen und respektieren, statt sie zum Lustobjekt zu degradieren.” Siehe dazu auch “Machts doch einfach, stellt mehr Frauen an!” (blog.tagesanzeiger.ch/offtherecord, Andrea Bleicher) und “Offener Brief an Res Strehle” (persoenlich.com).

Roaming, Edathy, Wieselspecht

1. “Die Zeitung, die eben kein Kleinkind ist”
(ad-sinistram.blogspot.de, Roberto De Lapuente)
Roberto De Lapuente erklärt, warum er “Bild” nicht ignoriert: “Wir dürfen uns die Bildzeitung nicht als nach Aufmerksamkeit gierendes Kleinkind vorstellen. Sie ist eine Erwachsene, die ganz genau weiß, was sie bezwecken will und wie sie instrumentalisieren muss, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen.”

2. “‘Die letzten Hemmungen scheinen gefallen zu sein'”
(topfvollgold.de, Dennis Klammer)
Boris Kartheuser hat herausgefunden, dass die Funke Women Group “in ihren Zeitschriften redaktionelle Texte beispielsweise zu Gesundheitsthemen veröffentlicht und auf Produkte hinweist, die helfen sollen. Praktischerweise werden eben jene empfohlenen Produkte dann einige Seiten weiter großflächig vom Hersteller per Anzeige beworben. Im Text steht dann etwa: ‘Die können sie auch rezeptfrei in der Apotheke kaufen, zum Beispiel von …’ — und dann kommt immer der Werbepartner. Das tritt so häufig auf, dass es kein Zufall mehr zu sein scheint.”

3. “100 am Tag”
(sueddeutsche.de, Christian Zaschke)
Die Abhörtätigkeiten von Blättern des britischen Verlags Trinity Mirror (“Daily Mirror”, “Sunday Mirror”, “The People”): “Anwalt David Sherborne sagte in dieser Woche vor dem High Court in London, verglichen damit seien die Vergehen von Rupert Murdochs News of the World (NotW) fast harmlos gewesen.”

4. “So this is how the world ends: with us distracted by cute cats”
(theguardian.com, Hadley Freeman, englisch)
Hadley Freeman zählt Nachrichten der vergangenen Woche auf, die bei einigen Mediennutzern keine Aufnahme fanden, weil sie mit dem Anschauen von Katzenfotos beschäftigt waren: “I have a vision – a vision of the apocalypse, and it will consist of Earth being consumed by fire and brimstone, but no one will notice because they’ll be too busy inside looking at a photo on the web of a frog using a leaf like an umbrella. And as their faces melt, they’ll be crying, ‘Wait! But I must tweet a link to this baby panda sneezing!'” Siehe dazu auch “ZDF und Putin reiten den Wieselspecht” (olereissmann.de).

5. “Ein Jahr ohne Roaming-Schikane: So fühlt sich echte Freiheit an”
(t3n.de, Martin Weigert)
Martin Weigert nutzt seit einem Jahr ein Mobilfunkabo, bei dem Daten-Roaming in 120 Ländern inklusive ist: “Ein Zurück wird mir schwerfallen. Ich hoffe, dass auch mindestens ein deutscher Netzanbieter erkennt, wie gut der Abbau der Roaming-Schikanen sich auf Kundenwachstum und Imagewerte auswirken kann.”

6. “Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy”
(zeit.de, Thomas Fischer, 6. März 2014)
Bundesrichter Thomas Fischer schreibt zur Edathy-Affäre: “Das Strafrecht lebt – wie jede andere formelle oder informelle Sanktionierung abweichenden Verhaltens – davon, dass es klare gesetzliche Grenzen zieht zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten. Diese Grenzen sind nicht zu dem Zweck erfunden worden, Staatsanwälten Anhaltspunkte für den Start von Vorermittlungen oder für die Anberaumung von Pressekonferenzen zu geben, sondern allein um der Bürger willen. Die wollen nämlich, seit sie sich als Bürger und nicht als Untertanen verstehen, eine Staatsgewalt, die die Guten und die Bösen voneinander scheidet, ohne zu diesem Zweck zunächst alle des Bösen zu verdächtigen und auch so zu behandeln.”

Sibel Kekilli will nicht mit “Bild” sprechen

Sibel Kekilli hat kein besonders gutes Verhältnis zur “Bild”-Zeitung, und das verwundert wenig, wenn man weiß, was das Blatt der Schauspielerin vor zehn Jahren angetan hat.

Zwei Tage nachdem der Film „Gegen die Wand“, in dem Kekilli die Hauptrolle spielt, den Goldenen Bären gewonnen hatte, breitete “Bild” wochenlang genüsslich ihre Vergangenheit als Pornodarstellerin aus. Kekilli sagte danach gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Die ‘Bild’-Zeitung sagt mir zum Beispiel: Wir wollen jetzt an deine Eltern ran. Aber wir können sie in Ruhe lassen, wenn du uns ein Interview gibst. Ich laß mich ganz bestimmt von denen nicht erpressen.“

Die “Bild”-Berichterstattung wurde später vom Presserat mit einer Rüge belegt (die “Bild” erst zwei Jahre später unauffällig abdruckte) und vom Berliner Kammergericht als unzulässiger “Eingriff in die Würde eines Menschen“ bezeichnet (Genaueres s. Kasten).

Seitdem hat Sibel Kekilli der „Bild“-Zeitung (mit zwei Ausnahmen) keine Interviews mehr gegeben und würde es nach eigener Aussage auch nicht mehr tun. Darum waren wir auch etwas überrascht, als wir vor gut drei Wochen lasen:

Jetzt erzählt Sibel Kekilli BILD bei der Berlinale, wie ihr neues Leben in Hollywood läuft und wie es weitergeht.

Unser Verdacht war zuerst, dass „Bild“ sich das Interview (das wortgleich auch in der „B.Z.“ erschienen ist) in guter alter Sportteil-Tradition aus den Antworten von einer allgemeinen Pressekonferenz zusammengestückelt hat, doch inzwischen wissen wir, dass es doch ein wenig anders war:

Die Reporterin selbst erinnert sich offenbar anders. In einer Anmerkung schiebt die Redaktion hinterher:

Mit Dank auch an Christian M. und Bernhard W.

Nato, Alkohol, Daily Mail

1. “Durchgestochen: Justiz und Journalisten”
(ndr.de, Video, 4:50 Minuten)
Die Weitergabe von teilweise kompletten Ermittlungsakten aus Kreisen der Staatsanwaltschaft an Journalisten “als politisches Kalkül”: “Nur wenn sie Amtsträger zum Geheimnisverrat anstiften oder Hilfestellung dazu leisten, begehen sie eine Straftat. Ansonsten endet der Geheimnisverrat in dem Moment, wo der Journalist die Unterlagen bekommt, ergänzt Martin Huff. Dadurch bleiben die Journalisten straffrei.”

2. “My Year Ripping Off the Web with the Daily Mail Online”
(tktk.gawker.com, James King, englisch)
James King berichtet aus seiner Zeit im New Yorker Newsroom der “Daily Mail”: “In a little more than a year of working in the Mail’s New York newsroom, I saw basic journalism standards and ethics casually and routinely ignored. I saw other publications’ work lifted wholesale. I watched editors at the most highly trafficked English-language online newspaper in the world publish information they knew to be inaccurate.”

3. “Zum Totlachen”
(peterbreuer.me)
Peter Breuer wertet Voting Buttons auf Bild.de aus: “Ich habe willkürlich sieben Stichproben gezogen und in fünf von sieben Fällen dominierte bei diesen Texten die Emotion ‘Lachen’.”

4. “Die Nato bleibt undurchschaubar”
(n-tv.de, Christoph Herwartz)
Nato-Informationen zum Krieg in der Ukraine lassen sich kaum überprüfen, schreibt Christoph Herwartz: “Journalisten und Abgeordnete kommen schnell an die Grenzen dessen, was sie selbst beobachten können. Das liegt auch daran, dass die Nato ihre Mitteilungen sehr allgemein hält. Wenn sie von russischen Truppen und russischen Waffen in der Ukraine spricht, gibt sie nicht an, wann wo wie viele Einheiten gesichtet wurden. Wenn sie es täte, könnten Journalisten an diese Orte fahren oder mit Anwohnern telefonieren.”

5. “Aus der Rausch: Leben mit der Alkoholsucht”
(spiegel.de, Video, 23:01 Minuten)
Eine Reportage über Alkoholiker in Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesland mit den “meisten Alkoholtoten der Republik”.

6. “So kann man’s natürlich auch machen”
(twitter.com/dennishorn)
Wie eine Beilage der “Zeit” die Trennung von Inhalten und Werbung transparent macht.

AFP, Julius Tröger, Knowledge Vault

1. “It’s not Wahrheit, stupid. Anmerkungen zu Google Knowledge Vault.”
(christophkappes.de)
Christoph Kappes liest zwei Artikel zur Wissensdatenbank Knowledge Vault: “Beide Texte enthalten nicht nur fachliche Fehler, sondern sie führen auf die falsche Fährte mit Begriffen wie ‘Wahrheit’ oder ‘Unseriös’ und ‘Plausibilität’.”

2. “AFP fabriziert Falschmeldung”
(faz.net, Jürg Altwegg)
Die Nachrichtenagentur AFP vermeldet fälschlicherweise den Tod von Martin Bouygues. Siehe dazu auch “Martin Bouygues annoncé mort: l’invraisemblable couac de l’AFP” (letemps.ch, Olivier Perrin, französisch) und “Fausse mort de Bouygues : la version de l’AFP contestée” (rue89.nouvelobs.com, David Perrotin, französisch).

3. “Julius Tröger: Heiß auf Daten”
(vocer.org, Sarah Klößer)
Sarah Klößer porträtiert Datenjournalist Julius Tröger: “Während viele Verlage sparen, hat Tröger geschafft, Fuß zu fassen. Seit über einem Jahr leitet er das Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost.”

4. “Print-Experience”
(benjaminnickel.com)
Benjamin Nickel abonniert ein Probeabo einer überregionalen Zeitung: “Die Bilanz bislang: 1x lag die Zeitung im Eingangsbereich, 2x kam sie gar nicht.”

5. “Justin Bieber, der ‘BILD’-Geburtstagsbesuch und die gute alte Homestory”
(tobiasgillen.de)
Tobias Gillen beleuchtet die Bild.de-Geschichte “Wie ich Justin Bieber ein
Geschenk machen wollte …”, in der Ricarda Biskoping versucht, Justin Bieber Kuchen und Kerzen zu überreichen.

6. “Bild-Griechen-Bashing-Bullshit-Bingo”
(facebook.com/fernoestliche.leere)

Die Ente mit der pinken Katze

Katzencontent geht natürlich immer, und wenn es sich dann noch um ein armes, pinkes, grausam verendetes Kätzchen handelt, ist das deutschsprachigen “News”-Portalen auch schnell mal einen prominenten Platz auf der Startseite wert.

Bild.de:

Auf einer russischen „Pretty-in-pink-Party“ musste jeder geladene Gast in Pink erscheinen, auch das Kätzchen von Lena Lenia! Jetzt starb die Katze an ihrer Fellfarbe. Durch das Lecken am pinken Fell hat das Kätzchen toxische Gifte aufgenommen. Laut Tierarzt soll dies zu einer Vergiftung geführt haben.

Rtl.de berichtet gleich mehrfach:

News.de:

Oe24.at:

N-tv.de:

N24.de:

Die Geschichte kommt ursprünglich vom britischen Knallportal “Mail Online” und sorgt seither europaweit für Empörung, angeblich haben sogar 30.000 Menschen eine Petition unterzeichnet, die eine Gefängnisstrafe für die Katzenbesitzerin fordert. Für viele deutsche Kommentarschreiber ist das noch zu wenig, sie fordern:

Diese Frau gehört erschossen!

diese Scheißbande sofort in Säure schmeißen…… aber vorher die Haut mit stumpfen Klingen ritzen

Deppate drecksnutte gehört verbrennt die sau!

Und was sagt die Beschuldigte? Laut N24.de ist sie sich …

keiner Schuld bewusst: Auf ihrem Blog rechtfertigt sie die Aktion.

Folgt man dem Link und liest, was dort steht (was leider weder N24 noch sonst irgendeiner der abschreibenden Journalisten getan hat), erfährt man ein nicht ganz unwesentliches Detail dieser Geschichte: Die Katze ist gar nicht tot. Sie lebt putzmunter (und schon deutlich weniger pink) bei einer neuen Besitzerin:

Im Text erzählt die neue Besitzerin, dass kein einziger Journalist sie kontaktiert habe, um zu überprüfen, ob die Geschichte überhaupt stimmt.

„Es ist sehr traurig, dass die Menschen alles glauben, was in den Boulevardmedien steht, die nicht mal die Fakten checken.“

Elena Lenina, die die Katze gefärbt hatte und der nun Hunderte Menschen öffentlich den Tod wünschen, will juristisch gegen die Falschmeldungen vorgehen.

Mit Dank an Katharina K.

Nachtrag, 20.25 Uhr: N24 hat sich für den Fehler entschuldigt und den Artikel gelöscht.

Johannes Kram, Tages-Anzeiger, Stefanie

1. “Hauptsache, die Story knallt”
(tagesspiegel.de, Patrick Wildermann)
Patrick Wildermann stellt Johannes Kram vor, Autor des Theaterstücks “Seite Eins”: “‘Seite Eins’ legt vielmehr ein System der multiplen Verflechtungen offen, an dem auch die Leser oder Zuschauer mit ihrer Lust am Untergang anderer beteiligt sind. ‘Wenn man sich die Fernsehboulevard-Magazine anschaut, Wahnsinn, was für ein Verkehrsunfall-Porno da stattfindet’, findet Kram, ‘und das sind öffentlich-rechtliche Sender’.”

2. “‘Es ist einfacher, irgendeine Indiskretion über Parteifreunde in den Medien zu platzieren als ein politisches Konzept'”
(zeit.de, Christopher Lauer)
Christopher Lauer schreibt über die Skandalisierungsprozesse zwischen Politikern und Journalisten: “Große öffentliche Debatten werden vielleicht über das Internet beschleunigt, aber noch immer von den klassischen Medien bestimmt. Es ist also an Journalisten, so banal und naiv das jetzt klingt, sich zu entscheiden, worüber sie wie berichten wollen.” Siehe dazu auch “‘Diese Spirale wird nicht nur von den Bürgern gedreht'” (tagesanzeiger.ch, Philipp Loser).

3. “Keine Motivation mehr für den Tagi”
(edito.ch, Philipp Cueni und Bettina Büsser)
Bruno Schletti, Ex-Wirtschaftsredakteur beim “Tages-Anzeiger”, redet über die Auswirkungen von Sparmaßnahmen bei Tamedia: “Kaum eine Morgensitzung beginnt mit der Frage: Was sind die relevanten Geschichten? Man schlägt die naheliegenden Themen vor, die sich innerhalb nützlicher Frist realisieren lassen – letztlich eine Überlebensfrage, da das Unternehmen Überstunden nicht zu zahlen gewillt ist. Honoriert wird nicht Qualität oder Engagement. Entscheidend ist am Ende des Tages, dass das Blatt voll ist. Es gibt also kein inhaltliches Teamdenken, kaum inhaltliche Diskussionen, auch werden Beiträge nicht wie früher von der Redaktion begleitet und nicht mehr gegengelesen. Die journalistische Qualität geht an allen Ecken und Enden vor die Hunde.”

4. “‘Es mangelt in erster Linie an der Erfahrung'”
(persoenlich.com, Edith Hollenstein)
Res Strehle, Chefredakteur des “Tages-Anzeigers”, gibt Auskunft, warum Führungspositionen trotz ausdrücklich formulierten Absichten nicht mit Frauen besetzt wurden.

5. “Das Glaubwürdigkeitsproblem der YouTube-Prominenz”
(buggisch.wordpress.com)
Wenn es um Werbung geht, “verwendet der YouTube-Kumpel von nebenan aber exakt dieselben Methoden wie der börsennotierte Medienkonzern”, bemängelt Christian Buggisch: “Dabei wäre die Sache ganz einfach: ‘Für dieses Video habe ich Geld von der Techniker Krankenkasse bekommen.’ Ein solcher Satz vom YouTuber im Video gesprochen (und nicht nur klein ein- und ausgeblendet) sowie in der Videobeschreibung vermerkt, und ich wäre zufrieden.”

6. “Ich bin Stefanie”
(ichbinstefanie.ch)

Spiegel, Grusel-Foto, Kurt Imhof

1. “Warum ich die Bild-Zeitung komplett ignoriere (und Du das auch tun solltest)”
(lampiongarten.wordpress.com, Sebastian Baumer)
Sebastian Baumer rät dazu, “Bild” vollständig zu ignorieren: “Es ist ja auch leicht und irgendwie befriedigend, sich über Kais Zeitung aufzuregen. Man steht damit automatisch auf der richtigen moralischen Seite, man kann sich fast immer des sehr klaren Zuspruchs seiner Kontakte und einiger Likes und Favs sicher sein und wer will schon keinen Zuspruch, Likes und Favs? Viel schwerer ist es, die Zeitung links liegen zu lassen, vor allem dann, wenn wieder mal der halbe Netzbekanntenkreis darüber spricht. Besser wäre es aber in jedem Fall, sie vollständig zu ignorieren, ihre Botschaften nicht weiterzutragen, sie nicht zu verlinken und sie einfach rumplärren zu lassen wie ein trotziges Kind.”

2. “Zu Schnibbens (‘Spiegel’) Medien-Tsunami: Lokalzeitungen können überleben – nur wie?”
(journalismus-handbuch.de, Paul-Josef Raue)
Paul-Josef Raue antwortet auf den Blogbeitrag “Warum wir in Lesern mehr sehen sollten als zahlende Kunden” (spiegel.de, Cordt Schnibben): “Bravo! sollten wir Cordt Schnibben zurufen. Endlich! sollten wir hinzufügen. Endlich eröffnet einer, dessen Stimme Gewicht hat, eine tiefe Debatte über die Zukunft der seriösen Medien.”

3. “Oh, My!”
(medium.com, Jeff Jarvis, englisch)
Jeff Jarvis liest die die aktuelle “Spiegel”-Titelgeschichte “Das Morgen-Land”: “It is nothing less than prewar propaganda, trying to stir up a populace against a boogeyman enemy in hopes of goading politicians to action to stop these people.”

4. “GreWi erklärt das ‘Grusel-Foto’ von Hampton Court”
(grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.de, AM)
Zum Bild.de-Artikel “Der Grusel-Foto-Beweis: Es spukt im
englischen Königsschloss” schreibt “Grenzwissenschaft aktuell”, es handle sich dabei “um einen bekannten Effekt der fälschlichen bzw. zufällig-unbeabsichtigten Anwendung der Panorama-Funktion von Mobilfunkkameras: Bleibt der Hintergrund konstant so kann ein sich davor bewegender Gegenstand oder eine Person auf bizarrste Weise deformiert, gestaucht, gestreckt und gerade neu zusammengefügt werden.”

5. “Der beste Freund und treuste Fan, den man sich wünschen kann”
(watson.ch, Maurice Thiriet)
Maurice Thiriet erinnert an den gestern verstorbenen Kurt Imhof, der den Schweizer Journalismus mit einer jährlichen Qualitätsanalyse überprüft hatte: “Wir von Kurt Imhof so scharf kritisierten Journalisten haben bis heute nicht begriffen, dass unser schärfster Kritiker eigentlich unser bester Freund und treuster Fan war.”

6. “Der Vertrauensbruch”
(taz.de, Jan Feddersen)
Jan Feddersen schreibt über das Sicherheitsgefühl in der “taz”-Redaktion, in der es mancherorts “wie in einer WG der siebziger Jahre” aussieht.

Blättern:  1 ... 429 430 431 ... 1159