Youtuber vs. “Bild”, Grönemeyer, Cinema Perverso

1. Machtlos gegen Flüchtlingsgerüchte?
(ndr.de, Bastian Berbner, Video, 7:24 Minuten)
Michael Würz jagt abgeschlagenen Köpfen und angeblichen Vergewaltigungen hinterher — und findet nie Handfestes. Das liegt nicht daran, dass der Redakteur des “Zollern-Alb-Kuriers” schlampig recherchiert, im Gegenteil: Er findet ständig heraus, dass an den Gerüchten über die Flüchtlinge in Meßstetten nichts dran ist. Ein Beitrag von Bastian Berbner über Facebook-Verleumdungen und den Umgang der Medien mit ihnen.

2. Das Ringen um Vertrauen und Glaubwürdigkeit
(deutschlandfunk.de, Benjamin Dierks, Audio, 18:16 Minuten)
“Lügenpresse, Lügenpresse!” Diese Parole steht stellvertretend für eine besorgniserregende Entwicklung: Immer mehr Menschen haben immer weniger Vertrauen, dass Journalisten wahrheitsgemäß berichten. Der “Deutschlandfunk” hat Wissenschaftler und Medienmacher gefragt, woran das liegt, welche Rolle das Internet dabei spielt, was Journalisten dagegen tun können und inwiefern die veränderten Rahmenbedingungen auch Chancen bieten.

3. Abgemahnter Youtuber will Bild.de verklagen
(golem.de, Friedhelm Greis)
Bild.de sperrt Adblock-Nutzer aus, Youtuber erklärt, wie man die Sperre umgehen kann, Axel-Springer-Verlag verschickt eine Abmahnung, Youtuber weigert sich, eine Unterlassungserklärung abzugeben. So die Vorgeschichte in Kurzform (siehe Link Nummer 2 und Link Nummer 1). Jetzt die nächste Runde: Der Youtuber Tobias Richter geht in die Offensive und plant eine sogenannte negative Feststellungsklage gegen Springer. Helfen soll dabei eine (inzwischen erfolgreiche) Crowdfundingkampagne.

4. Im Auftrag von…
(taz.de, Daniel Bouhs)
Im April 2014 schrieben zwei “Spiegel”-Journalisten: “Beim Spiegel ist die Offenheit für das neue Format begrenzt: Werbung, die aussieht wie ein Text der Redaktion, wird es nicht geben.” Anderthalb Jahre später fällt dieses kategorische Nein längst nicht mehr so deutlich aus. Beim “Spiegel”-Ableger “Bento” sollen Native Ads für Einnahmen sorgen und möglicherweise auch den Weg für Sponsored Content beim Mutterschiff bereiten. Bei “Spiegel Online” heißt es auf Anfrage zwar, es gebe “derzeit keine konkreten Pläne” — eine klare Absage ist das aber nicht mehr. Damit ist der “Spiegel”-Verlag nicht alleine, auch bei “Zeit Online” und dessen Beiboot “Ze.tt” sollen Werbetreibende “Geschichten erzählen” dürfen, “um ihre Marke zu stärken oder Produkte zu verkaufen”.

5. Warum wir nicht über Grönemeyers Tour-Pläne berichten
(derwesten.de)
Anlässlich seines neuen Albums geht Herbert Grönemeyer auf Tour. Darüber wollte er mit Journalisten reden, die dafür “eine schriftliche Vereinbarung unterzeichnen [sollten], die dem Künstler im Extremfall einen massiven Eingriff in die Berichterstattung ermöglichen würde.” Die “WAZ” sieht darin einen “deutlich über die gängige Autorisierungspraxis hinausgehenden Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit” und verzichtet auf die Berichterstattung.

6. Cinema Perverso
(arte.tv, Oliver Schwehm, Video, 58:30 Minuten, verfügbar bis 29.1.2016)
Nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete die Bahn an größeren Bahnhöfen eigene Kinos für die Reisenden, in denen eher speziellere Filme liefen wie “Nackt und zerfleischt”, “In der Gewalt der Riesenameisen”, “Das Blutgericht der reitenden Leichen” oder “Heiße Katzen in der grünen Hölle”. Die Arte-Doku wirft einen Blick in “die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos” und erklärt zum Beispiel, warum für den US-Streifen “Die Todesgruft des Dr. Jekyll” Szenen in Bielefeld nachgedreht werden mussten.

“Bild am Sonntag” schwingt die “Deppen”-Keule

Ein Punkt lag den drei “Bild am Sonntag”-Autoren Markus Balczuweit, Kurt Hofmann und Daniel Peters offenbar besonders am Herzen, als sie ihren Bericht über das Bundesligaspiel zwischen dem VfL Wolfsburg und Werder Bremen verfassten:

Werders Schießbude hat den Deppen-Rekord!

Nach dem Deppen-Rekord von Galvez brach das Team von Trainer Viktor Skripnik (46) völlig auseinander.

Immerhin gab’s den Deppen-Rekord.

In der Tat hat Werders Innenverteidiger Alejandro Gálvez am vergangenen Wochenende mit seinem Eigentor zum 0:1 nicht nur die deutliche 0:6-Niederlage eingeleitet, sondern seinem Verein auch einen Negativrekord beschert: Werder Bremen ist jetzt der Klub mit den meisten Eigentoren der Bundesligageschichte. Das ist für “Bild am Sonntag” und Bild.de der “Deppen-Rekord”.

Betrachtet man die Zahlen, um die es geht, mal etwas genauer, sieht das alles aber schon deutlich weniger dramatisch aus. Gálvez’ Eigentor war das 54. eines Werderaners in der obersten deutschen Fußballliga. Werder Bremen war allerdings auch 1963 Gründungsmitglied der Bundesliga und hat seitdem lediglich eine Saison in der zweiten Liga gespielt. Hinter dem HSV sind die Bremer daher der Verein mit den zweitmeisten Bundesligaspielen, aktuell 1743. Im Schnitt schießen die Spieler von Werder Bremen also alle 32 Spiele mal ein Eigentor. Davon ist in den “Bild”-Medien natürlich nicht die Rede.

Auf Platz zwei der “Bild am Sonntag”-“Deppen-Rekord”-Rangliste liegt übrigens Eintracht Frankfurt mit 53 Eigentoren. Die Frankfurter haben allerdings auch deutlich weniger Bundesligaspiele als Werder Bremen, derzeit 1573. Somit schießt die Eintracht durchschnittlich alle 30 Spiele ein Eigentor. Immer noch sehr selten, aber im Schnitt häufiger als die Bremer “Deppen-Rekord”halter.

Immer wenn “Bild” diese “Deppen”-Keule rausholt, müssen wir an die Worte von “Bild”-Sportchef Walter M. Straten denken, mit denen die “Süddeutschte Zeitung” ihn nach dem Suizid von Robert Enke zitierte:

Aber auch das Boulevardblatt ist nach dem Enke-Tod nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen. Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: “Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Das Vorhaben war schnell über Bord geworfen. Und heute reicht ein Eigentor, um zum “Deppen” gemacht zu werden.

Dass Alejandro Gálvez sich seinen Fauxpas offenbar ziemlich zu Herzen genommen hat, konnte man am Montag in der Bremen-Ausgabe der “Bild”-Zeitung lesen:

Doch was juckt das schon die Haudraufreporter bei “Bild”? Eine Seite weiter vorne titeln sie Gálvez und seine Teamkollegen zu “Versagern”:

Mit Dank an Dustin!

Paris-Attentäter doch nicht “als Flüchtling in Bayern registriert”

Gestern Abend verkündete die “Welt” über alle Kanäle:

(Wie die „Welt“ auf „drei Terroristen“ kam, wissen wir nicht. Im Text war auf jeden Fall nur von zwei Attentätern die Rede, von denen die Ermittler ohnehin annehmen, dass sie als Flüchtlinge gereist sein könnten.)

Jedenfalls: Bayern.

Feldkirchen bei München. Die 7.000-Einwohner Gemeinde östlich der bayerischen Landeshauptstadt ist seit Monaten ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge. Im Oktober ließ sich in Feldkirchen auch ein Mann als Asylbewerber registrieren, der womöglich wenige Wochen später in Paris mordete. Einer der Attentäter vom 13. November. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat dies nach Informationen der „Welt“ ermittelt.

Wenig später klang die „Welt“ allerdings nicht mehr so sicher:

Feldkirchen bei München. Die 7.000-Einwohner Gemeinde östlich der bayerischen Landeshauptstadt ist seit Monaten ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge. Im Oktober ließ sich in Feldkirchen auch ein Mann als Asylbewerber registrieren, der womöglich wenige Wochen später in Paris mordete. Einer der Attentäter vom 13. November. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat dies nach Informationen der „Welt“ ermittelt. Deutsche Ermittler gehen dem Verdacht in der bayerischen Aufnahmestation für Flüchtlinge nach. Noch werde überprüft, ob es sich um eine Verwechslung handelt. Dies sei noch nicht abschließend geklärt, heißt es aus Sicherheitskreisen.

(Hervorhebung von uns.)

Und schließlich musste das Blatt einräumen:

Die “Welt” hatte ursprünglich berichtet, einer der Pariser Attentäter, der mutmaßlich mit einem gefälschten syrischen Pass gereist war, habe sich in Feldkirchen bei München als Flüchtling registrieren lassen. Dies soll allerdings nach bisherigem Ermittlungsstand nicht der Fall sein. Weiter ist unklar, ob die Terroristen von Paris durch Deutschland reisten.

Da hatte die Falschmeldung aber schon längst die Runde gemacht (auch dank der Agentur AFP, die sie etwa eine halbe Stunde lang verbreitet hatte, bevor sie sie zurückzog) — und den Rechtspopulisten und Ausländerfeinden mal wieder eine wunderbare Steilvorlage geboten:



Übrigens hatte auch der Münchner “Merkur” geschrieben, dass einer der Paris-Attentäter möglicherweise als Flüchtling in Bayern registriert worden sei. Quelle dafür war Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU), der dem “Merkur” erzählt hatte, es spräche “im Moment sehr viel dafür”. Kurz darauf ruderte der Innenminister aber wieder zurück:

Nach derzeitiger Erkenntnislage hat sich der Verdacht, einer der Paris-Attentäter sei zuvor in Bayern als Flüchtling registriert worden, doch nicht bestätigt. “Es handelt sich offensichtlich nicht um den entsprechenden Menschen”, sagte der Sprecher des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU), Oliver Platzer, am Dienstagabend der Nachrichtenagentur AFP. Ein Flüchtling mit selbem Namen wie einer der Attentäter sei in Feldkirchen registriert worden. Die französischen Behörden hätten den Flüchtling vor Ort angetroffen und mit ihm gesprochen.

Auch die dpa schreibt:

Oliver Platzer [der Sprecher des bayerischen Innenministers] sagte nun: «Es handelt sich nicht um den gestorbenen Attentäter.» Das habe sich bei einer Überprüfung herausgestellt.

Damit gibt es nicht nur “keinen Beleg” für die Geschichte der “Welt” (so ja der neueste Stand bei der “Welt”) — es spricht auch alles dagegen.

Aber wenigstens in der „Welt“-Chefetage sieht man die Sache nicht so eng:

Siehe auch:

Nachtrag, 26. November: Unsere Leser Alex B. und Benedikt H. sowie der “Merkur” haben noch einen weiteren Fehler in der “Welt”-Geschichte entdeckt:

Der in Bayern registrierte Flüchtling lebt, Sicherheitskräfte haben ihn besucht. Er wurde auch nicht, wie von der Zeitung Welt beharrlich verbreitet, in Feldkirchen bei München, sondern in Feldkirchen bei Straubing registriert – aus außerbayerischer Sicht schien das alles recht nahe beieinander zu liegen. In der Realität hat das niederbayerische Feldkirchen aber eine sehr große Unterkunft, das oberbayerische nur eine sehr kleine, in der auch keine syrischen Flüchtlinge registriert wurden.

“IS-Pate”, Schalke-Fans, Peng!

1. “Ich bin kein IS-Pate!” — Exklusiv-Interview mit dem Imam der sogenannten “Winterthurer IS-Zelle”
(watson.ch, Rafaela Roth)
Je nachdem, ob man die “Weltwoche” oder den “Sonntagsblick” liest, ist der Imam A. E. entweder “purer IS” oder der “IS-Pate von Winterthur”. Im Interview mit watson.ch wehrt er sich gegen die Vorwürfe. Ein etwas anders gelagerter Fall: “Vice” erzählt die Recherche von “AJ+” über Nabila Bakkatha nach: Die Marokkanerin, die fälschlicherweise für eine Terroristin bei den Paris-Anschlägen gehalten und von Medien für tot erklärt wurde.

2. Warum wir einen Facebook-Post gelöscht haben
(rp-online.de, Tobias Dupke)
Kurz nachdem die Moerser Redaktion der “Rheinischen Post” eine Reportage über die Ankunft von 200 Flüchtlingen auf Facebook teilte, “tat die Redaktion etwas, das sie bislang noch nie tun musste”: Sie löschte das Posting. Die Entscheidung begründet Tobias Dupke so: “Beleidigungen, teilweise sogar hetzerische Beiträge haben hier nichts verloren. Ebensowenig grausame Fotos von toten Kindern. (…) In Zukunft werden wir Nazi-Kommentare sofort an die Behörden weiterleiten.”

3. Populistische Töne im “SocialWeb”
(ndr.de, Teja Adams, Video, 5:40 Minuten)
In den sozialen Medien macht “Focus Online” eine Menge richtig — zumindest, wenn man die Zahl der Interaktionen als alleiniges Erfolgskriterium heranzieht. Berücksichtigt man auch, mit welchen Methoden diese Reichweite erzielt wird, relativiert sich der Respekt vor Burdas Social-Media-Abteilung. Diese sei “extrem auf das Flüchtlingsthema aufgesprungen und meldet da alles — auf eine populistische Art und Weise”, sagt Jens Schröder von “10000 Flies”. “Zapp” wollte mit “Focus Online” über die Vorwürfe sprechen, die Redaktion stimmte zu. Doch am Tag des angefragten Interviews teilte die Pressestelle mit: “Wir stehen aktuell nicht für ein Interview zur Verfügung.” Auch Stefan Niggemeier hat die populistische Social-Media-Strategie von “Focus Online” unter die Lupe genommen.

4. Wir verlieren täglich Tausende Datenpunkte Zeit- und Mediengeschichte
(konradlischka.info)
Konrad Lischka hat die Berichterstattung zu den Anschlägen in Paris als sehr “actionorientiert” wahrgenommen. Und wollte nachprüfen, ob die Schlagzeilen nach dem 11. September ähnlich waren. Dabei fiel ihm auf: Es gebe kein ordentliches Archiv für Online-Seiten, Momente der Zeitgeschichte seien unauffindbar.

5. Gewalt in der Liga: Ein offener Brief an die “Bild”
(schalke-news.de)
Am Samstagabend, vor dem Bundesligaspiel zwischen Schalke 04 und dem FC Bayern München, kam es vor dem Stadion in Gelsenkirchen zu gewalttätigen Angriffen auf Schalke-Fans. “Bild” und vor allem Bild.de berichteten in einer Art, die das Magazin “Schalke News” dazu bringt, einen offenen Brief zu schreiben: Man könne nicht nachvollziehen, “dass Schalker und auch Dortmunder in der Bildsprache der ‘Bild’ zu den prototypischen Problemfans stilisiert werden, während die wahren Schuldigen dieses Spieltages in keinem Foto Erwähnung finden.”

6. Peng! entert Bundeswehr-Werbung
(jetzt.sueddeutsche.de, Eva Hoffmann)
“Mach, was wirklich zählt” ist der Slogan der neuen Werbekampagne der Bundeswehr. machwaszaehlt.de ist die Website der neuen Gegenkampagne des “Peng!”-Kollektivs. Dort geht es um die Themen, die das Werbeteam von Ursula von der Leyen lieber ausgespart hat, schreibt Eva Hoffmann: “Wenn man auf die Seite machwaszaehlt.de klickt, bekommt man deshalb ausführliche Informationen zu Folgeschäden von Kriegseinsätzen, Rechtsextremismus beim Bund oder die aktuellen Auslandseinsätze.”

n24.de  

Über tote Flüchtlinge lachen mit N24

Am Wochenende berichtete N24 auf seiner Onlineseite:

Wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen haben in Südschweden in der Nacht zum Freitag einige Menschen unter freiem Himmel übernachten müssen. Im südschwedischen Malmö liegen die Temperaturen nachts derzeit knapp über dem Gefrierpunkt.

Zuvor hatte die Ausländerbehörde mitgeteilt, dass das Land nicht mehr allen Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf anbieten könne.

Und wie reagierten die Leser auf diese Nachricht?

(“belustigt”, “inspiriert”, “überrascht”, “informiert”, “egal”, “erschreckt”, “traurig”, “verärgert”)

Eine ähnliche Emotions-Funktion (“Lachen”, “Weinen”, “Wut”, “Staunen”, “Wow”) gab es bis vor Kurzem auch bei den Springer-Kollegen von Bild.de. Der Unterschied: Die Leser von N24 lachen (im Gegensatz zu denen von Bild.de) nicht über alles. Wenn Menschen Deutsche zu Schaden kommen, reagieren sie sogar meist “erschreckt” oder “traurig”. Wenn jedoch Flüchtlinge die Leidtragenden sind, kommt Freude auf:




































Der Presserat hat sich in seiner letzten Sitzung mit diesem Emotions-Tool beschäftigt. Im konkreten Fall ging es nicht um N24, sondern um Bild.de, und zwar um einen Artikel mit der Überschrift “Schläger attackieren homosexuellen Politiker” (224-mal “Lachen”). Es schade dem Ansehen der Presse, so der Presserat, “wenn ein Medium bei einem Beitrag, der sich mit einer Gewalttat gegen einen Menschen beschäftigt, den Usern die Möglichkeit eröffnet, den Artikel mit einer Emotion wie ‘Lachen’ zu bewerten”. Darum sprach der Presserat einen folgenlosen “Hinweis” gegen Bild.de aus; inzwischen gibt es die Funktion dort nicht mehr.

Bei N24 muss man fairerweise dazusagen: Nicht bei allen Artikeln über Flüchtlinge reagieren die Leser mehrheitlich belustigt.


Mit Dank an Thomas O.!

Nachtrag, 25. November: N24 hat die Funktion jetzt komplett von der Seite entfernt. Übrigens kam die hohe “belustigt”-Zahl im ersten Screenshot (“In Schweden schlafen Flüchtlinge nun in der Kälte”) vor allem dadurch zustande, weil auf der Plattform “pr0gramm” jemand auf die Voting-Funktion hingewiesen hatte.

NPD, Olympia, Snowden

1. Bewährungschance missachtet: taz-Autor darf nicht vom NPD-Bundesparteitag berichten
(blogs.taz.de, Andreas Speit)
“Leider gehören Sie zu der Sorte ‘Journalisten’, die im Umgang mit der NPD bzw. der nationalen Opposition notorisch den presserechtlichen Pflichten zuwider handeln und die journalistischen Sorgfaltspflichten chronisch missachten.” Mit dieser Begründung schloss die NPD den “taz”-Autor Andreas Speit 2010 vom Bundesparteitag aus. Auch fünf Jahre später verweigert ihm die Partei den Zugang, da Speit “in den letzten Jahren nicht dazu beigetragen [habe], dass wir unsere Beurteilung Ihrer Tätigkeit seit dem letzen Akkreditierungswunsch aus dem Jahre 2010 ändern konnten.”

2. No, 1 in 5 British Muslims doesn’t have sympathy with ISIS — here’s why
(mirror.co.uk, Mikey Smith, englisch)
In bester Knallblattmanier titelte “The Sun” gestern: “1 in 5 Brit Muslims’ sympathy for jihadis”. Mikey Smith erkennt an der Geschichte allerdings ein ganz gravierendes Problem: Die Boulevardzeitung frage in ihrem selbsternannten “shock poll” nach etwas ganz anderem als nach “sympathy for jihaids”. Bei der “Independent Press Standards Organisation” seien für die “Sun”-Titelgeschichte bereits mehrere Hundert Beschwerden eingegangen.

3. SPIEGEL blamiert sich mit Social Media-Schelte für @RegSprecher
(jensrehlaender.com)
Der “Spiegel” ärgert sich darüber, durch die Facebook-Seite der Bundesregierung nun vollends die Informationshoheit verloren zu haben. Das wiederum stört Jens Rehländer, der jede Kritik des Nachtrichtenmagazins an Regierungssprecher Steffen Seibert nur als vorgeschoben ansieht. Da werde mit BVerfG-Urteil von 1977 argumentiert, obwohl damals wohl noch niemand soziale Medien für Regierungsposts für möglich gehalten hätte. Rehländer findet: Der “Spiegel”-Artikel ende “als Blamage für das Autoren-Duo”.

4. Presserat bewertet Fotos von Aylan und Leichen in LKW unterschiedlich
(derstandard.at)
Ende August und Anfang September sorgten zwei Fotos für heftige medienethische Diskussionen: die Leichen von Flüchtlingen im Laderaum eines LKWs und der ertrunkene Aylan Kurdi. Der österreichische Presserat hält die Abbildung von Aylan Kurdi für “angemessen” und stellt das Verfahren gegen die Medien ein, die das Bild zeigten. Für den Abdruck des LKW-Fotos erhält die “Kronen Zeitung” dagegen eine Rüge, zuvor waren mehr als 180 Beschwerden eingegangen.

5. Mit Sonne
(sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Thomas Hahn sieht in der Berichterstattung der Hamburger Lokalmedien rund um die Olympiabewerbung der Stadt — ganz im Sinne der sportlichen Veranstaltung, um die es geht — “eine Art Rekordversuch des abhängigen Journalismus”.

6. Citizenfour
(mediathek.daserste.de, Laura Poitras, Video, 1:46:17 Stunden)
Einen Oscar hat er bekommen, einen Emmy und noch eine ganze Reihe weiterer Auszeichnungen. Jetzt (und noch bis zum 30. November) ist der Dokumentarfilm “Citizenfour” in der ARD-Mediathek abrufbar. In aller Kürze: Es geht um Edward Snowden und den NSA-Skandal. Der Journalist Glenn Greenwald und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras spielen dabei wichtige Rollen.

Xavier Naidoo, Terror-Propaganda, y-Achse

1. Nehmt dem NDR den Eurovision Songcontest aus der Hand!
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Erst die Naidoo-Nominierung, dann der Protest, nun der NDR-Rückzieher: Johannes Kram — durch sein Engagement für Guildo Horn dem “Eurovision Song Contest” eng verbunden — bittet ARD-Chef Lutz Marmor, den “ESC” vor dem NDR zu retten. Michael König plädiert dafür, gleich die gesamte ARD von der Veranstaltung fernzuhalten. Arno Frank bescheinigt den Verantwortlichen Ahnungslosigkeit und “wenig Rückgrat”. Sonja Álvarez fragt sich, ob die ARD bald auch ganze Sendungen absetze, “wenn der Protest bloß groß genug ist”. Hans Hoff und Claudia Tieschky führen das Umkippen des NDR vor allem auf “die eigenen Mitarbeiter im Sender” zurück.

2. Flüchtlingskrise in den Medien: Exzesse der Engstirnigkeit
(spiegel.de, Georg Diez)
“Was soll man etwa davon halten, wenn der Chefredakteur von ‘Cicero’ schreibt, es gebe eine ‘Pflicht’ zum ‘Ungehorsam’ gegen Angela Merkel? (…) Oder was soll man davon halten, wenn der Chefredakteur vom ‘Handelsblatt’ schreibt, Angela Merkel sei ‘die Kanzlerin der Flüchtlinge, aber nicht die der Deutschen’?” Georg Diez vom “Spiegel” hält davon: nicht viel.

3. Inside the surreal world of the Islamic State’s propaganda machine
(washingtonpost.com, Greg Miller hnd Souad Mekhennet, englisch)
Was bringt junge, gebildete Menschen dazu, sich einer Terror-Miliz wie dem “Daesh” (eine gute Erklärung der verschiedenen Bezeichnungen für den sogenannten “Islamischen Staat” gibt es bei “Vox”) anzuschließen? Eine wichtige Rolle spielen dabei professionelle Medienarbeit und Werben in den sozialen Netzwerken. Die “Washington Post” hat mit einem ehemaligen Kameramann des “Daesh” gesprochen, der unter anderem Hinrichtungen filmen musste. Ein erschreckender Einblick in die Propaganda-Maschinerie des Terrors.

4. Iranisches Gericht verurteilt US-Journalisten zu Haftstrafe
(sueddeutsche.de)
Jason Rezaian, Korrespondent der “Washington Post”, muss offenbar ins iranische Gefängnis. Das hat das Revolutionsgericht in Teheran hinter verschlossenen Türen entschieden. Wie lang die Haftstrafe wegen Spionage und Gefährdung der nationalen Sicherheit ausfällt, ist allerdings noch nicht bekannt.

5. Shut up about the y-axis. It shouldn’t always start at zero.
(vox.com, Johnny Harris und Matthew Yglesias, englisch, Video, 2:33 Minuten)
“Vox” wagt das Undenkbare und bricht mit der heiligsten Regel aller Statistiker und Datenjournalisten: “The truth is that you certainly can use truncated axes to deceive. (…) It’s long past time to say no to y-axis fundamentalism.” Vorsicht ist allerdings trotzdem geboten, denn wer die y-Achse beschneidet, kann damit Fakten verzerren und Stimmung machen — so wie es einige ältere Beispiele (siehe Link Nummer 2) zeigen.

6. Beim Zeichnen ist kaltes Blut besser.
(planet-interview.de, Adrian Arab)
Karikable Politiker, Angela Merkels Mimik und das Zeichnen auf dem Tablet — Adrian Arab hat sich für “Planet Interview” ausführlich mit dem Karikaturisten Heiko Sakurai unterhalten.

Journalisten über Terrorismus, Xavier Naidoo, Copyright bei blick.ch

1. Medien, Polizei und die Inszenierung des Terrorismus
(zeit.de, Yassin Musharbash)
In einer Rede bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamts hat “Zeit”-Redakteur Yassin Musharbash über die Dilemmata gesprochen, “mit denen wir Journalisten konfrontiert sind, wenn wir über Terrorismus und Terroristen berichten.” Das Manuskript hat “Zeit Online” veröffentlicht.

2. Kindern im Umgang mit Medien — wie können Eltern helfen?
(srf.ch, Claudio Fuchs)
Die ausgiebige Berichterstattung über die Attentate in Paris bekommen natürlich auch Kinder und Jugendliche mit. “Die ständige Konfrontation mit solchen verstörenden Bildern kann ernsthafte Konsequenzen auf das Wohlbefinden haben”, schreibt Claudio Fuchs beim SRF. Tipp vom Medienwissenschaftler: “offene Kommunikation zwischen den Generationen” sei wichtig. Dazu gibt’s auch ein Video — allerdings in Schweizerdeutsch.

3. Ex-Ministerin macht auf Ex-Bundespräsident
(spiegelkritik.de)
Die evangelische Nachrichtenagentur “Idea” veröffentlicht einen kritischen Kommentar, der “rund zwei Tage nach Erscheinen” wieder aus dem Internet verschwindet. Die Löschung soll laut “Spiegelkritik” auf einen Eingriff von Irmgard Schwaetzer, ehemalige Bundesministerin und heutige Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, zurückzuführen sein. Ebenfalls zum Thema: Timo Rieg mit “‘Idea’ ist journalistisch unten durch”.

4. Xavier Naidoo beim ESC ist ein schlechter Scherz
(sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Es sei “blanker Hohn”, so Carolin Gasteiger, dass die ARD im kommenden Jahr Xavier Naidoo zum “Eurovision Song Contest” schicken will: “Wenn Xavier Naidoo Deutschland beim ESC vertritt, wirkt das so, als würde man Matthias Matussek zum Bundespräsidenten küren.” Hans Hoff schreibt über die “ziemlich einsame Entscheidung” der “Showstrategen der ARD”. Johannes Kram ärgert sich im “Nollendorfblog”, dass die Rechtfertigung der ARD “Homophobie und Rassismus in einer Aktion” sei. Und Patrick Gensing schreibt beim — für den ESC federführenden — NDR: “Nicht in meinem Namen”.

5. Faszinierendes Copyrightverständnis bei blick.ch
(facebook.com, Jörgen Camrath)
Jörgen Camrath, Social-Media-Leiter bei der “Morgenpost”, wundert sich über die Quellen- und Copyrightlage bei einem “Telegraph”-Video, das auf der Facebook-Seite von blick.ch auftaucht. Auf seine Nachfrage bekommt er eine interessante Antwort. “Blick”-Vizechef Thomas Benkö revidiert später das eindeutige “Jain” seiner Social-Media-Kollegen.

6. IS bedankt sich bei Medien für Hilfe bei Verbreitung von Angst und Schrecken
(der-postillon.com)

Die exklusive München-Terror-Falschmeldung von “Focus Online”

“Focus Online” behauptet aktuell:

Da heißt es:

Antiterror-Fahndung in München: Spezialeinsatzkräfte der Polizei haben am späten Donnerstagabend nach Informationen von FOCUS Online eine verdächtige arabische Gruppe entdeckt, die offenbar einen Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt vorbereitet hat.

Für die Durchführung der Tat wollten die Verdächtigen offenbar mehrere deutsche Polizei-Uniformen benutzen, die auf dem Zimmer des Central Apart Hotels im Münchner Stadtteil Berg am Laim beschlagnahmt wurden. Außerdem fanden die Ermittler auf dem Zimmer mehrere Gasflaschen.

Vier der insgesamt acht Verdächtigen, darunter ein Deutscher mit iranischer Herkunft, flohen mit einem 5er und einem 3er BMW. Die Münchner Polizei leitete eine Großfahndung ein, an der sich auch Fahnder der Bundespolizei beteiligen.

Die Polizei schreibt jedoch:

Nachtrag, 20. November, 8 Uhr: Trotzdem herrschte auch in anderen Medien sofort …




Die Polizei betonte aber weiter:



Daraufhin kamen auch die aufgeschreckten Spätdienstler in den Newsrooms wieder runter und gaben (vorerst) Entwarnung.

Nur „Focus Online“ blieb – scheinbar – stur:

Die Polizei dementierte, dass der Einsatz im Zusammenhang mit einem Terror-Verdacht steht. FOCUS Online bleibt jedoch bei seiner Darstellung.

Allerdings hatte „Focus Online“ seine Darstellung da schon unauffällig geändert. Aus dem Terror-“Alarm” hatte die Redaktion einen Terror-“Verdacht” gemacht, und von der „verdächtigen arabischen Gruppe“, die zuvor noch einen „Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt vorbereitet” hatte, ging plötzlich nur noch eine unkonkrete “Gefahr aus“:

Und das „exklusiv“ war verschwunden. Und das Foto hatte sich geändert – auf dem neuen war zwar noch weniger zu erkennen, aber: geschossen vom „Focus Online“-Chef persönlich.

Jedenfalls hat die Polizei inzwischen in einer Pressemitteilung erklärt:

MÜNCHEN. Am Donnerstag, 19.11.2015, rief eine Angestellte eines Hotels im Stadtteil Berg am Laim die Polizei an. Ihr kamen mehrere Gäste verdächtig vor, da sie eine Butangasflasche bei sich hatten.

Im darauffolgenden Polizeieinsatz wurden ein 30-jähriger Iraner und eine 44-jährige Landsfrau kontrolliert. Bei der Absuche fanden sich keine verdächtigen Gegenstände. Abklärungen ergaben, dass die Butangasflasche zu einem Campingkocher gehört und als Kochgelegenheit benutzt wurde.

Drei weitere Iraner, die zu dem Appartement gehören, wurden im Anschluss ausfindig gemacht und zwischenzeitlich ebenfalls befragt.

Nach jetzigem Kenntnisstand war das Appartement zur Familienzusammenfindung angemietet worden. Bei den Personen handelt es sich ausschließlich um Asylbewerber, die der 30-jährige Iraner dort zusammenführte.

Und “Focus Online”?

FOCUS Online bleibt jedoch bei seiner Darstellung.

Nachtrag, 15.30 Uhr: Jetzt doch nicht mehr. In einem neuen Artikel müssen die Leute von „Focus Online“ nun einräumen, dass sie völligen Quatsch berichtet haben. Natürlich verpacken sie es etwas anders:

Das Portal schreibt:

„Bei der intensiven Absuche fanden sich keine verdächtigen Gegenstände. Es wurden drei kleine 0,5 Liter Butangasflaschen aufgefunden. Des Weiteren ein handelsübliches Baseball-Cap mit der Aufschrift „Police“ und eine schwarze Weste. Bei der Durchsuchung wurden keine Uniformteile gefunden“, so die Polizei über die Razzia. Die Kappe sei als Geschenk für einen „polizeiaffinen Neffen“ eines der Gäste bestimmt. Ermittlungen hätten ergeben, dass die Gasflaschen zu einem Campingkocher gehörten.

Nachtrag, 27. Januar 2016: Wir haben uns beim Presserat über die Berichterstattung von “Focus Online”, FAZ.net und “Huffington Post” beschwert. Bei den letzten beiden konnte er aber “keinen Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze feststellen” (hier ausführlicher). Mit “Focus Online” beschäftigt sich der Beschwerdeausschuss im März.

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