Unwillkommenskultur, Whistleblower, Hitler-Droge

1. Wie sich die deutsche Willkommenskultur in Ablehnung verwandelte
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Die “SZ” hat die Medienberichte zur Flüchtlingsthematik der letzten neun Monate und die Social-Media-Reaktionen ausgewertet. Daraus ließe sich ablesen, wie sich die deutsche Willkommenskultur in Ablehnung verwandelte. Lege man die Zahl der Facebook-Interaktionen zugrunde, sei “Focus Online” das mit Abstand erfolgreichste deutsche Nachrichtenportal. 97 Berichte zählten zwischen Juni und Februar zu den monatlichen Top 100. Davon hätten sich 50 mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigt – und 48 hätten einen negativen Tonfall. Mit großem Abstand folgten die “Deutschen Wirtschafts Nachrichten” (14 negative Artikel), die “Welt” (13 negative, zwei positive Artikel) und die rechtskonservative bis rechtsextreme “Junge Freiheit” (zehn negative Artikel).

2. Vater aller Whistleblower
(freitag.de, Jacob Augstein)
Der 84-jährige “Vater aller Whistleblower” Daniel Ellsberg hat den internationaler Friedenspreis “Dresdenpreis” erhalten. Jacob Augstein dankt ihm in einer Laudatio. Ellsberg hätte dafür gesorgt, dass die “Pentagon Papers” veröffentlicht wurden, die Unterlagen, die bewiesen haben, dass vier amerikanische Präsidenten hintereinander die Öffentlichkeit über Absichten und Aussichten des Vietnamkriegs belogen haben. Papiere, die dazu beigetragen haben, den Krieg zu beenden. Die in vielerlei Hinsicht lesenswerte Rede endet mit den Worten “Freiheit für Chelsea Manning! Freiheit für Julian Assange! Asyl für Edward Snowden!”

3. Der Mann, der den Toten vom Lageso erfand
(tagesspiegel.de, Julia Prosinger)
Im Januar verbreitete sich die Falschmeldung, das “Lageso” (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in Berlin habe einen Flüchtling auf dem Gewissen. Auslöser war eine Facebooknachricht des ehrenamtlichen Helfers Dirk V., die von einer Unterstützerorganisation zunächst ungeprüft übernommen wurde. Julia Prosinger vom “Tagesspiegel” hat mit dem Mann und anderen Helfern gesprochen. Ein nachdenklich machendes Stück Journalismus, das mehr sagt als tausend Zahlen und das man der Politik mit “Fontsize=20” ausgedruckt auf den Schreibtisch legen möchte.

4. tagesspiegel.de
(netzpiloten.de, Angela Phillips)
Im letzten Teil der Serie über Geschäftsmodelle für Nachrichtenmedien betrachtet Angela Phillips die Möglichkeit des Crowdfundings und wie es zukünftige Nachrichtenprojekte finanziell unterstützen könnte. Dabei stellt sie erfolgreiche Modelle aus anderen Ländern vor und streift Paywalls und Micropayment.

5. „Hitler-Droge!“: eine kurze Geschichte des Methamphetamin
(moritz-hoffmann.de)
Der Grünen-Politiker Volker Beck wurde mit einer Substanz erwischt, von der “Bild” behauptet, es handele sich um Methamphetamin (Crystal Meth). Weil der Tageszeitung die Schlagzeile immer noch nicht reißerisch genug war, setzte man einen drauf und schrie hinaus: “Grüner mit Hitler-Droge erwischt!”. Diese Bezeichnung liege hauptsächlich an einem Buch aus dem letzten Jahr, das von Hitlers angeblicher Cracksucht berichtet hätte (damaliges Präparat: “Pervitin”). Der Historiker und Geschichtsblogger Moritz Hoffmann verrät, was von den knalligen Behauptungen zu halten ist.

6. War die Hitler-Überschrift ein Geniestreich der Bild-Redaktion?
(vice.com/de, Paul Garbulski)
An den letzten Beitrag anschließend die Kommentierung von “Vice”, die unter anderem auf die “Reductio ad Hitlerum” verweist.

Gestreckter Stoff mit Hitler

Gestern Nachmittag verkündete Bild.de:

Im Artikel sagt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, bei dem Politiker seien „0,6 Gramm einer betäubungsmittelsuspekten Substanz“ gefunden worden.

Nach Informationen von BILD soll es sich dabei vermutlich um Crystal Meth handeln.

Heißt also: Vielleicht hat “Bild” recht. Vielleicht war es auch wieder nur Salz. Oder was ganz anderes.

Volker Beck selbst erklärte bisher nur:

Und wie immer sind die Leute von „Bild” nun sehr darum bemüht, daraus eine möglichst große Sache zu machen. Allein sprachlich. Zum Beispiel nennen sie Crystal Meth konsequent die “gefährlichste Droge der Welt”. Wie sie darauf kommen, verraten sie allerdings nicht. Womöglich deshalb, weil sich über diesen Superlativ durchaus streiten lässt: In vielen “Gefährlichkeit”-Rankings belegen Alkohol, Heroin und Crack die obersten Plätze, noch vor Crystal Meth. Aber es ist ohnehin fraglich, wie groß die Aussagekraft solcher Rankings ist.

“Bild” jedenfalls bleibt dabei und lässt in den Berichten inzwischen auch die “Soll”s und “Vermutlich”s weg.


Für die heutige Titelseite hat sich die Print-Redaktion Folgendes überlegt:

Warum Hitler? Erstens: Weil’s geil ankommt. Zweitens:

Crystal Meth ist kristallisiertes Methamphetamin. Dieser Wirkstoff war einst Hauptbestandteil eines der populärsten Arzneimittel Deutschlands: Pervitin – in der Nazizeit bekannt als „Panzerschokolade“.

Vor allem Soldaten der Wehrmacht hätten die Pillen im Zweiten Weltkrieg genommen, schreibt „Bild“. Jedoch:

Was Süchtige heute konsumieren, entspricht dem Tausendfachen dessen, was Wehrmachtsoldaten geschluckt haben

Dem „Tausendfachen“?

Die “Nazi-Pillen” (Bild.de) sollen etwa drei Milligramm Wirkstoff enthalten haben. Laut „Spiegel“ wurde den Soldaten die Einnahme von ein bis zwei Tabletten empfohlen. Das entspricht also drei bis sechs Milligramm.

Heutzutage liegt eine mittlere Dosis bei 10 bis zu 40 Milligramm. Das ist nicht das Tausend-, sondern maximal das Dreizehnfache.

Gewöhnte Konsumenten dosieren oft höher. „Bild“ selbst schreibt:

Ein Gramm Crystal entspricht dem Tageskonsum eines Langzeitkonsumenten

Aber auch das wäre “nur” das 150- bis 300-fache. Noch dazu sind diese Dosierungen häufig verunreinigt, die Menge des reinen Wirkstoffs liegt also oft darunter. Wahrscheinlich wird es auch Leute geben, die noch höher dosieren, doch bis zum „Tausendfachen“ dürften wohl die wenigsten gehen.

Wie viele der anderen „Informationen von BILD“ im Fall Beck der Realität entsprechen, wird sich zeigen. Bisher hat die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufgenommen.

Mit Dank an Thomas R.!

Muslime, Umfragewesen, Wiedergeburt

1. Total normal
(krautreporter.de, Irena Amina Rayan)
In den Medien seien Muslime Terroristen oder Verbrecher. Dabei wären sie in Wirklichkeit genauso durchschnittlich wie der Rest der deutschen Gesellschaft, stellt Irena Amina Rayan in ihrem Essay fest. Wer nach Ursachen für Integrations-Probleme suche, finde andere, komplexere Erklärungen.

2. Hier die «Bürger», dort die «Populisten»”
(medienwoche.ch, Fabian Baumann)
Dem Autor ist eine Diskrepanz in der Schweizer Politberichterstattung aufgefallen. Ausländische Rechtsparteien würden bevorzugt mit harten und härtesten Adjektiven tituliert, von “fremdenfeindlich” bis “national-sozialistisch”. Die heimische SVP gelte indes seit Jahr und Tag als “bürgerlich”. Der Artikel geht der Frage nach, wie es dazu gekommen ist und warum man über treffendere Begriffe nachdenken sollte.

3. Über den Hass
(ploechinger.tumblr.com)
Der Chefredakteur der “Süddeutschen Zeitung” Stefan Plöchinger über die uns umgebende Gesinnungs-Filterblase, Hass im Netz und die Schwierigkeit, damit umzugehen. Die Antwort darauf sei trivial, die Umsetzung jedoch weniger trivial: “Unser digitales Hochtempo-Reizthesen-Emotionsoptimierungs-Reichweitensystem bedingt, dass wir uns die ehernen Grundsätze unseres Berufs neu vergewärtigen.” Etwas längerer Text mit klugen Gedanken, aus dem Blattmacher und Mensch sprechen.

4. Journalisten gegen „Lügenmedien“
(taz.de, Reinhard Wolff & Anne Fromm)
In Finnland haben sich 22 ChefredakteurInnen in einer gemeinsamen Erklärung gegen Hetze im Netz ausgesprochen. Man wolle sich als Teil der seriösen Medien offensiver mit Falschmeldungen und Hetzkampagnen im Internet auseinandersetzen. Für Deutschland können sich die “taz”-Autoren einen solchen Zusammenschluss nicht vorstellen: “Schließlich haben sie das in der Vergangenheit nicht einmal getan, wenn es um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen ging: weder bei der Diskussion über das Leistungsschutzrecht noch bei der Frage nach Bezahlmodellen im Internet. Wieso sollten sie also jetzt?”

5. Die Stunde der Demoskopen
(deutschlandfunk.de, Ulrike Winkelmann)
Lesens- beziehungsweise hörenswerter Beitrag des Deutschlandfunks, der sich mit dem Umfragewesen und der damit verbundenen Datenindustrie beschäftigt. Es sind nur wenige Player im Spiel: Die Forschungsgruppe Wahlen versorgt das ZDF, infratest dimap die ARD und den Deutschlandfunk, Allensbach die “FAZ”. Emnid beliefert ProSieben/Sat1, Forsa RTL und den “Stern” und INSA die “Bild”.

6. Das Leben nach dem Tod
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Vor zwei Jahren musste die Münchner “Abendzeitung” Insolvenz anmelden. Was danach folgte, war das, was man wohl eine Gesundschrumpfung nennt. Claudia Tieschky hat das mittlerweile profitable Start-Up besucht und berichtet über “das Leben nach dem Tod”.

Auskommentiert, Ausgeschafft, Ausgemalt

1. Nahezu jede zweite Zeitungsredaktion schränkt Online-Kommentare ein
(journalist.de)
Viele Zeitungsredaktionen beklagen sich über den zunehmend aggressiver werdenden Ton der Kommentierer. Einige sehen sich angesichts des Moderationsaufwandes gezwungen, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Das Fachblatt “Journalist” wollte es genauer wissen und hat im Februar 2016 alle Tageszeitungsvollredaktionen angeschrieben. Das erschreckende Ergebnis: Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben 27 von 66 befragten Zeitungsredaktionen die Kommentarfunktion auf ihren Websites eingeschränkt.

2. Social-Media-Entwicklungsland Deutschland: Niedrigste Nutzungsrate, höchste Alterskluft”
(blog.wiwo.de, Michael Kroker)
Michael Kroker von der “Wirtschaftswoche” weist auf neue Zahlen zur Social-Media-Nutzung hin. Deutschland liege bei der allgemeinen Internet- und Smartphone-Verbreitung ungefähr auf demselben Niveau anderer Industriestaaten. Bei Social Media würden wir jedoch weiterhin eine auffällige Sonderrolle spielen: So rangiere Deutschland mit einer Quote von nur 50 Prozent Social-Media-Nutzer (gemessen an Internet-Usern) auf dem letzten Rang aller betrachteten Staaten – gemeinsam mit Pakistan.

3. Nach der Anti-DSI-Kampagne: Wie «neutral» soll politischer Journalismus sein?
(watson.ch, Peter Blunschi)
In der Schweiz hat die “Schweizerische Volkspartei” (SVP) eine Volksinitiative “Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)” in die Wege geleitet, die von Bundesrat und Parlament abgelehnt wurde und in der Abstimmung vom 28.02.2016 nicht die nötigen Stimmen erreichte. “Watson”-Redakteur Peter Blunschli geht auf die Rolle der Schweizer Medien bei der Kampagne gegen die Initiative ein und fragt, wie parteiisch Medien sein dürfen.

4. Kommentar: Respekt für einen toten Segler.
(segelnblogs.de, Hinnerk Weiler)
Eine Gemeinschaftsseite von bloggenden Seglern erreicht die Nachricht über ein führerloses deutsches Segelschiff in der Südsee; der Skipper sei verstorben. Man entschließt sich, die Privatsphäre des Manns zu respektieren und auf eine Berichterstattung zu verzichten. Auch mit Rücksicht auf die Angehörigen, was auch gleich zum Hauptkritikpunkt überleitet: “Heute morgen fanden diese Menschen auf der Webseite bei Bild-Online Fotos, die einen lieben Menschen, vielleicht Freund, Vater oder Bruder als Leiche zeigen. Nicht verpixelt, gestochen scharf. Betitelt mit Beschreibungen vom Grad der Verwesung in fetten Lettern. Hundertfach geteilt in Segelgruppen, bei Facebook, Twitter und in anderen Sozialen Netzwerken. Das hat uns das Frühstück im Halse stecken lassen und darin bestätigt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.”

5. Trump will Klagen gegen Medien erleichtern
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” ist besorgt über die Ankündigung des republikanischen US-Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump, Verleumdungsklagen gegen Medien zu erleichtern. Sie füge sich in ein beunruhigendes Muster von Restriktionen Trumps gegen Journalisten. Schon unter Präsident Barack Obama habe die Pressefreiheit in den USA Schaden genommen, in dessen Amtszeit die Verfolgung von Investigativjournalisten und Whistleblowern stark genommen habe.

6. Malen nach dem Zahlen
(uebermedien.de, Peter Breuer)
Werbetexter Peter Breuer hat sich für “Übermedien” eine Spezialausgabe der “Brigitte” mit Malvorlagen angesehen und mit einer Handvoll Finelinern einen kühnen Selbstversuch unternommen. “Möglicherweise ist der Ausmal-Trend eine weitere Stufe der gesellschaftlichen Regression von Erwachsenen, die in einer immer komplizierter wirkenden Welt die bepulloverten Hände um eine schöne große Tasse Kakao schlingen wollen und sich in ein Bällebad wünschen.”

Sehen alle gleich aus (12)

Aber auf welches nur?

Es kämen nämlich zwei Eggesteins in Frage: Einer heißt Maximilian, einer heißt Johannes. Sie sind Brüder und spielen beide Fußball beim SV Werder Bremen. Der eine, Maximilian, ist 19 Jahre alt und Teil des Profikaders, der andere, Johannes, ist 17 und stürmt bei der U19.

Das ist bereits zu viel Komplexität für den durchschnittlichen Bild.de-Mitarbeiter. Für das Teaserbild hat die Redaktion zwar ein Foto von Maximilian Eggestein gewählt. Aber bevor der sich jetzt fürs Probetraining schon mal ein Flugticket nach Manchester kauft oder eine Bleibe in Englands Nordwesten mietet: Gemeint ist eigentlich Johannes, der jüngere Eggestein. Das schreiben die Bild.de-Transferexperten zumindest in dem Artikel (“Wie lange kickt Johannes Eggestein (17) noch für Werder?”).

Dass es sich bei dem gewählten Foto nicht um den richtigen der Brüder Eggestein handelt, hätte die Redaktion durchaus rausfinden können. Zum Beispiel mit einem Blick auf die eigene Seite: Vor einem halben Jahr hat sie das Bild schon einmal verwendet — in einem Text über Maximilian Eggestein:

Mit Dank an Arnd Z.!

Yahoo  

Bei “Yahoo” kann man noch ungestört “Todesstrafe für Ausländer” fordern

VORSICHT! HETZEND!Am vergangenen Donnerstag erschien auf der Nachrichtenseite von „Yahoo“ ein Artikel darüber, dass in Köln mehrere Jugendliche einen 15-Jährigen verprügelt haben, weil er sie davon abhalten wollte, ein Mädchen zu belästigen. Laut dem Opfer soll es sich bei den Angreifern offenbar um Osteuropäer handeln, wie es im Text heißt.

Die Kommentare unter dem Artikel sehen unter anderem so aus (kleine Auswahl):

In über 200 Kommentaren hatten sich die Hetzer bereits ausgetobt, als wir „Yahoo“ am Sonntagabend nahelegten, doch mal einen Blick in den Kommentarbereich zu werfen. Es passierte: nichts. Ein paar Stunden später klopften wir noch einmal an. Und wieder geschah: nichts.

Gestern Abend, also noch mal 24 Stunden später, erreichte uns plötzlich eine E-Mail mit einem Statement von „Yahoo“:

“Nachdem wir von unseren Lesern auf die betroffenen Postings aufmerksam gemacht wurden, wurden sie von unserem deutschen Redaktionsteam entfernt. Die Postings entsprachen nicht den Werten, die Yahoo mit Respekt und Anstand verbindet.”

Gut, es war ja auch Sonntagabend. Kann mal passieren.

Doch das Statement ist jetzt wieder 16 Stunden her. Und passiert ist: immer noch nichts. Alle 219 Kommentare stehen unverändert unter dem Artikel, inklusive der Gewaltaufrufe, Mordfantasien und volksverhetzenden Rassistenscheiße. Seit mittlerweile fünf Tagen.

In der Regel schalten die Leute von „Yahoo“ die Kommentarfunktion unter Artikeln zu Flüchtlingen oder kriminellen Ausländern von vornherein ab. Doch da, wo es einen Kommentarbereich gibt, haben sie ihn offenbar entweder nicht im Blick oder nicht im Griff. Nicht mal bei Artikeln, die gar nichts mit dem Thema zu tun haben.

Gestern zum Beispiel ist dieser Text erschienen:

Kommentare:

Über zwei Dutzend sind es bisher, Tendenz steigend.

Mit Dank an Uwe K.

Nachtrag, 18.30 Uhr: “Yahoo” hat die Kommentarfunktion jetzt in beiden Artikeln deaktiviert.

Ukraine, Meinungszensur, Snapchat

1. Kein Sinn fürs Europäische
(de.ejo-online.eu, S. Fengler, M. Kreutler & T. Bettels-Schwabbauer)
Das “European Journalism Observatory” hat eine vergleichende Studie zur Ukraine-Berichterstattung durchgeführt, bei der Teams von Forschern an 13 Universitäten mitgewirkt haben. Insgesamt wurden mehr als 3.000 Artikel der jeweils maßgeblichen Tageszeitungen analysiert. Dabei stellte sich heraus, dass der Ukraine-Konflikt in der europäischen Presse sehr unterschiedlich gewichtet wird und die nationalen Medien der nationalen Politik folgen.

2. Wir zeigen alles
(medienwoche.ch, Antonio Fumagalli)
Der Schweizer Journalist Antonio Fumagalli arbeitet zur Zeit in Nicaragua und berichtet Erschreckendes über die dort herrschende aggressive Pressepraxis. In dem zentralamerikanischen Land werde die öffentliche Zurschaustellung in den Medien auf eine besonders fragwürdige Art praktiziert. Nicht nur mutmaßliche Straftäter würden vorgeführt, sondern auch Opfer jeglicher Art – von Verbrechen, Unfällen oder Naturkatastrophen. Und zwar auf allen Kanälen.

3. Steinbach-Tweet: Empörungskultur ist Meinungszensur
(novo-argumente.com, Sabine Beppler-Spahl)
“Empörungskultur ist Meinungszensur”, findet Novo-Redakteurin Sabine Beppler-Spahl. Die Empörung über Erika Steinbachs jüngsten Tweet sei illiberal und gefährlich: „Ohne das Prinzip der Gedanken- und Meinungsfreiheit wäre eine liberale, offene Gesellschaft nicht denkbar“. Natürlich ist Letzterem zuzustimmen. Dennoch möchte man die Autorin fragen, warum eben jene Gedanken- und Meinungsfreiheit nicht auch für die Empörten gelten soll.

4. Adieu Elfenbeinturm! Wissenschaftler in sozialen Netzwerken.
(livestream.com, Video, 67 Minuten)
Videomitschnitt einer Paneldiskussion über die Wirkungen, Möglichkeiten und Risiken sozialer Medien für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anlässlich der Hamburger “Social Media Week”. Es diskutierten die Journalismus-Forscherin Wiebke Loosen, der Medienwissenschaftler Matthias Kohring, der Wissenschaftsjournalist Jakob Vicari und der Physiker und Quantenwelt-Blogger Joachim Sohn.

5. Überraschend überschaubar: Medien für Homosexuelle
(dwdl.de, Nora Jakob)
Mehr als fünf Millionen Schwule und Lesben würden in Deutschland leben, doch der Markt für Magazine, die sich an queere Menschen wenden, sei erstaunlich überschaubar, so das Medienmagazin “DWDL”. In einem dreiteiligen Schwerpunkt zu schwul-lesbischen Printmedien geht man der Frage nach, warum dies so ist.

6. 10 Meinungsmacher, denen man folgen sollte
(horizont.net, Tilo Bonow)
Das Branchenmagazin “Horizont” fragt, welchen Snapchattern aus der Medienbranche es sich bei Snapchat zu folgen lohne und lässt ihren Autor eine Liste der wichtigsten Meinungsmacher vorstellen. Bevor Sie den Link anklicken: Raten Sie, wie viele Frauen auf der Liste vorkommen.

Der Minister, die Schauspielerin und die Medien

Bundesjustizminister Heiko Maas und seine Frau haben sich getrennt. Der Anwalt der beiden hat die Trennung am vergangen Mittwoch bekanntgegeben, seitdem haben sie sich nicht mehr öffentlich geäußert.

„Bild“ vermeldete das …

… am Mittwochabend online und wusste am Tag darauf in der Print-Ausgabe exklusive Details zu berichten:

Dass der Minister und seine Frau darum gebeten hatten, „ihre Privatsphäre strikt zu respektieren“, steht in dem Artikel natürlich nicht.

Am nächsten Tag ging es weiter, diesmal nannte “Bild” auch den Namen der angeblichen Affäre:


(Wir haben die Frau hier und in den folgenden Screenshots unkenntlich gemacht.)

Genüsslich gibt „Bild“-Reporter Michael Schacht in dem Artikel das „Getuschel“ wieder, das es im “Umfeld” der beiden gebe, und erklärt: „Wie die Ehe von SPD-Hoffnungsträger Maas zerbrach“.

Doch so eklig dieser Voyeurismus auch ist — rechtlich gesehen ist der Fall nicht ganz eindeutig. “Bild” greift zwar in die Privatsphäre der Betroffenen ein, doch das heißt nicht, dass sie vor Gericht automatisch Recht bekämen, sollten sie dagegen vorgehen.

Rechtsanwalt Ralf Höcker sagte 2014 in der „taz“ auf die Frage, ob es zulässig sei, über die Affäre eines Politikers zu berichten:

Das hängt vom Vorleben ab. Wer sein Privatleben schon vorher öffentlich macht, der muss auch später unangenehme Berichterstattung dulden. Man müsste also die Archive nach freiwilligen privaten Selbstveröffentlichungen (…) durchsuchen, um zu wissen, was er sich gefallen lassen muss.

Auch Anwalt Johannes Eisenberg erklärte in einem Interview mit dem „Freitag“ vor einigen Jahren:

Das entscheidende Kriterium ist, ob man selber in guten Zeiten seine Familie zum Gegenstand öffentlicher Wahrnehmung macht, die Frau präsentiert, Homestorys zulässt.

Im vergangenen Jahr trafen sich Heiko Maas und die Schauspielerin zum Doppel-Interview mit der “Bild am Sonntag”, um über ihre Freundschaft zu plaudern. Ob das genug “Homestory” ist, um auch über eine (angebliche) Affäre berichten zu dürfen, werden im Zweifel Gerichte entscheiden müssen.

Ob man alles machen muss, was man machen darf, ist eine andere Frage. Man könnte auch Privates einfach im Privaten lassen. Oder zumindest abwarten, bis sich die Betroffenen selbst zu Wort melden.

Eine ganze Reihe von Medien hat sich entschieden, nicht abzuwarten und stattdessen die Affärengerüchte der „Bild“-Zeitung nachzuplappern. Darunter natürlich Klatschmedien wie “Gala”, vip.de und stern.de:



Aber auch Medien wie der „Tagesspiegel“, die “WAZ” und das „Handelsblatt:



Die Gerüchte gingen ins Ausland …

… wurden zum Clickbait …

… und dienten selbst den Fremdenfeinden von „Politically Incorrect“ für was auch immer:

Am eifrigsten aber sind die Leute von „Bild“. Vergangenen Samstag gab’s die dritte Titelstory.

Heiko Maas hatte sich zwar immer noch nicht geäußert („WARUM SCHWEIGT DER MINISTER?“), und die Schauspielerin „ließ BILD über ihr Management wissen, dass es eine gemeinsame Erklärung geben werde“. Doch so lange wollte das Blatt nicht warten. Reporter Michael Schacht hatte sich ja ohnehin bereits im “Umfeld” der beiden umgehört, was ihm reichte, um das “Liebes-Wirrwarr” zu konstruieren und einen der schmierigsten “Bild”-Artikel seit Langem abzuliefern:

Die Schauspielerin ist maaslos verliebt. Er hat das Direktmandat für ihr Herz gewonnen.

Der Minister leidet, wie aus seinem Umfeld zu hören ist. Nicht nur seine Ehe ist zerbrochen, er weiß auch, dass jedes Wort zu viel nun politisch riskant wäre, jedes Wort zu wenig aber seine neue Liebe aufs Spiel setzt.

[Die Schauspielerin] ist eine selbstbewusste Frau. Sie kennt die Spielregeln auf Berlins glattem gesellschaftlichen Parkett, wo Macht und Glamour sich umarmen. Da muss man schweigen können. Aber geht das, wenn zwei Herzen so laut schlagen, dass es ganz Berlin hört?

Am nächsten Tag: nächste Titelstory.

Die Reporter hatten anscheinend vor dem Haus der Schauspielerin campiert; im Blatt zeigen sie ein Foto, auf dem sie gerade das Haus verlässt und zum Auto geht. Offenbar sind sie ihr auch weiter gefolgt (sie wissen zumindest, wohin sie dann gefahren ist).

Und sie bleiben dran. Heute der nächste Artikel.

Der nächste Akt in diesem „Boulevardtheater mit Starbesetzung“, wie es die „Bild am Sonntag“ nennt. Als wäre es bloß ein Spiel, eine weitere amüsante Aufführung auf dem „Klatsch-Parkett“ („Bild“).

Um dieses Spiel zu beenden, bleibt Maas und der Schauspielerin im Grunde nur, sich öffentlich dazu zu äußern oder sich juristisch dagegen zu wehren. In jedem Fall haben sie es mit einem verdammt unbequemen Gegner zu tun.

Anwalt Eisenberg sagte damals im Interview mit dem „Freitag“ noch:

Die Bild ist jedenfalls besonders rücksichtslos, und sie müssen überhaupt nicht aufs Geld achten. Wenn ein Politiker sich mit der Bild anlegt, hat er erst einmal schlechte Karten. Politiker haben ja in der Regel kein größeres einsetzbares Vermögen für eine Auseinandersetzung mit einem weltweit operierenden Konzern, der Milliardengewinne macht. Ich habe noch keinen einzigen Politiker gesehen, der in einer echten Krise das Geld hatte oder aufbringen wollte, der Bild Paroli zu bieten und die 80.000 Euro oder so Prozesskosten zu riskieren.

Mir hat kürzlich ein Richter gesagt, der in dem anschließenden Urteil die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung feststellte: „Ihr kriegt den Deckel sowieso nicht mehr zu.“ Das ist genau das Kalkül: Wenn die Sache in der Welt ist, fragt niemand danach, ob die Medien berechtigt waren, sie in die Welt zu setzen. Sie ist dann nicht mehr rückholbar. Und genau darauf setzen die Medien.

Glyphosat, Abrüstungsinitiative, Armutsbericht

1. Meinung: Glyphosat im Bier, die Klickmaschine
(spektrum.de, Philipp Hummel)
Letzte Woche machten Meldungen von angeblichen Glyphosat-Bier die Runde. Wissenschaftsjournalist Hummel hat sich den Fall von wissenschaftlicher Seite angeschaut. Sein Resumee: “Wenn es um Aufmerksamkeit geht, dann verlässt so manchen Newsdesk-Mitarbeiter das Bewusstsein für klassische journalistische Tugenden. Das nutzen Lobbygruppen wie das Umweltinstitut München, die genau wissen, wie man die von Klicks getriebene Onlinepresse auf ein Thema ansetzt. Das Fatale: Egal was am Ende von solchen Sensations- oder Albtraummeldungen wie der HIV-Heilung oder dem Glyphosat-Bier übrig bleibt, die große Schlagzeile wird es meist nicht mehr machen. Solche Meldungen lassen sich kaum wieder völlig einfangen.”

2. Fiene & der Hype um Mark Zuckerberg ist ausgefallen”
(danielfiene.com)
Daniel Fiene denkt an den Zuckerberg-Besuch zurück. “Er selbst hat keinen Hype ausgelöst, aber die Angst vor einem Hype, seitens der Nutzer, Beobachter, Journalisten und Menschen, die ihn persönlich begegneten, ist selbst zu einem Hype geworden.” Persönliche Gedanken, verbunden mit einer kleinen Presseschau.

3. push und pull
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Der Blogger Felix Schwenzel sieht sich an die Anfänge seines Blogger-Daseins zurückgeworfen. In die Zeiten, in denen ihm Bloggen als “Selbstbefriedigung, Schreibübung und Welt- und Wahrnehmungs-Verdauungshilfe” diente. Wer sich nicht an der fiesen Kleinschreibung stört, könnte Gefallen an der Ego-Plauderei eines Alpha-Bloggers finden.

4. Gegen die Meinungsangst
(carta.info, Dirk Neubauer)
Wenn derzeit über Sachsen geredet würde, geschähe dies stets mit einem negativen Unterton, konstatiert Dirk Neubauer. Inzwischen zum unbeliebtesten Bundesland abgestiegen, stünde eine gesamte Region unter Generalverdacht. Ein Umstand, der ebenso falsch wie richtig sei. Doch das verbale Aufrüsten der letzten Tage gegen Rechts werde das Problem nicht lösen. Im Gegenteil, es treibe den Keil noch tiefer, sagt Neubauer, der einen journalistischen Hintergrund hat und als Bürgermeister einer sächsischen Kleinstadt unmittelbar von der Thematik betroffen ist.

5. “Unter Beschuss – auslösen!” – der Bang-Bang Club
(wdr.de)
Noch bis zum 2.3.2016 in der WDR-Mediathek zu sehen: Das packende Porträt von vier jungen Fotografen aus Südafrika, die durch ihr Dokumentieren der alltäglichen Gewalt mit dazu beigetragen haben, dass das Apartheitsregime unterging. Und die als “Bang Bang Club” zwar weltberühmt wurden, für ihre mutige Arbeit jedoch einen hohen Preis zahlten: Einer der vier wurde im Einsatz erschossen, ein anderer nahm sich kurz nach Entgegennahme des Pulitzer-Preises das Leben.

6. Relative geistige Armut
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas Steinschneider)
Mit der Wahrheit ist es bekanntermaßen so eine Sache. Viele behaupten, es gäbe sie nicht oder es existierten gar mehrere davon. Ein gutes Beispiel ist der alljährliche Armutsbericht, der von vielen Medien aufgegriffen und oft spöttisch bis höhnisch kommentiert wird. Diese Kommentare haben den Autor zur Überschrift seines Artikels inspiriert, den er mit “Relative geistige Armut” betitelt.

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