Hauptsache Hauptstadt

Neulich habe ich nach dem Schwimmen den besten Freund meines Sohns nach Hause gefahren. Die Jungs, beide in der achten Klasse, saßen hinten im Auto, und irgendwie kamen wir auf das Thema Erdkunde zu sprechen. Das heißt, ich kam auf das Thema. Die Jungs wollten lieber auf dem Rücksitz in den Gurten hängen und dösen. Aber wenn man sie nicht ganz verloren geben will, muss man mit den pubertierenden Kindern ja in Kontakt treten. Und da dachte ich: Die finden das sicher cool, wenn ich etwas Wissen abfrage.

An der Ampel drehte ich mich also nach hinten und sagte:

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Wisst ihr denn, was die Hauptstadt von Frankreich ist?

Ohne die Lippen zu bewegen oder mich überhaupt anzusehen, antwortete der Freund meines Sohnes:

Paris.

Das ist dann wohl zu einfach, dachte ich und fragte:

Und die von Australien?

Keine Ahnung.

Das ist Canberra. Und die von Dänemark?

“Papa, das nervt”, sagte mein Sohn.

Ich dachte: Wie undankbar ihr doch seid. Als wir selbst in dem Alter waren, sind wir gleich nach der Schule durch die Fußgängerzone in die Stadtbücherei gerannt, um da die Hauptstädte, Gebirge und Flüsse auswendig zu lernen. Damals wären wir froh gewesen, wenn unsere Eltern uns abgefragt hätten. Glaube ich jedenfalls.

Ich sah mich noch mal um. Der Freund meines Sohnes war eingeschlafen.

Ein paar Tage darauf saß ich am Schreibtisch, klickte mich durch die Nachrichtenseiten und geriet in einen Artikel über Designer-Brillen. Danach glaubte ich zu wissen, warum die Begeisterung für Hauptstädte bei Jugendlichen so nachgelassen hat.

Die Erklärung ist einfach: Die Welt ist zu komplex geworden. Früher konnte man sich noch merken: Italien — Rom. England — London. Frankreich — Paris. Heute ist das nicht mehr so leicht. Kennen Sie zum Beispiel die Hauptstadt der Brillen?

Oder die der Witwen?

Die der Taschendiebe?

Oder die der Singles?

Sehen Sie.

Eigentlich gilt überhaupt nur noch eine Regel: Alles, was existiert, braucht auch eine Hauptstadt. Das Problem ist: So viele Städte gibt es gar nicht – oder jedenfalls nicht so viele, die sich für diesen Zweck eignen.

Nehmen wir das Beispiel Sex. Auf welche Hauptstadt könnte man sich da einigen? Würselen? Delmenhorst? Unterschleißheim? Die einen wollen Bad Godesberg — die anderen rufen: “Natürlich Illertissen!” Aber letztlich fällt die Wahl dann doch auf eine Stadt, bei der alle sagen können: Kennen wir, und das passt auch vom Image her einigermaßen. Und so ist es dann Wien geworden. Warum, das kann man hier nachlesen.

Kleine Städte haben in diesem Wettbewerb oft schlechte Chancen. Eigentlich ist es nur einmal einer kleineren Stadt gelungen, Hauptstadt von etwas Größerem zu werden. Das war Bonn. Davon habe ich neulich auch im Auto erzählt, aber der Freund meines Sohns schlief fest, und mein Sohn selbst hatte von einer deutschen Hauptstadt namens Bonn noch nie etwas gehört.

“Hä? Das ist doch Berlin”, sagte er.

“Ja, aber früher war das anders. Da war Berlin noch die Hauptstadt der DDR — also jedenfalls die eine Hälfte”, sagte ich.

Mein Sohn sagte nichts mehr, und ich sah: So einfach war das früher wohl doch nicht. Und heute ist alles noch viel komplizierter. Früher konnte man sich wenigstens darauf verlassen, dass die Hauptstadt der DDR nicht auch noch zusätzlich einem anderen Land in der gleichen Funktion dienen musste.

Heute nimmt auf so was niemand mehr Rücksicht. Wenn für irgendetwas eine Hauptstadt gesucht wird, ist vor allem eins wichtig: dass es schnell geht. Und meistens muss dann Berlin herhalten.

Hauptstadt der Kiffer? Ja, mein Gott. Dann das halt auch noch.

Das Ergebnis ist fürchterlich verwirrend.















Wie soll man sich das noch merken? Ich habe wirklich keine Ahnung.

Die Kinder habe ich damit dann auch in Ruhe gelassen. Sie müssen das heute ja alles auch gar nicht mehr wissen. Eigentlich müssen sie gar nichts mehr wissen. Sie haben ihre Smartphones. Wenn sie etwas suchen, können sie es googeln. Und im Prinzip genügt es schon, wenn sie sich das merken. Sie sollten halt nur möglichst nicht nach Barcelona ziehen. Da könnten sie dann ein Problem kriegen:

Planetenschließung, Trump-Fehde, Kinder-Zeitschriften

1. Vorübergehend geschlossen
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
“Planet Interview” hat mit Nikolaus Blome gesprochen, dem stellvertretenden Chefredakteur der BILD (aktuelles Buch: “Links oder rechts?”). Nun soll Blome große Teile seines Interviews nicht freigegeben haben. Betroffen seien 41% seiner Antworten. Dies wäre ein seltsames Gebaren, da Blome kritische Fragen bei anderer Gelegenheit als „essentiellen Bestandteil“ einer funktionierenden Demokratie bezeichnet hat. “Planet Interview” hat aus Protest gegen diesen Eingriff die Webseite für zwei Tage stillgelegt und zeigt nur das Interview. Inklusive der Fragen, deren Antworten von Blome nachträglich gestrichen worden seien.
Lesetipp: Wir haben dem Vorgang den Artikel Antworten auf kritische Fragen? Nicht mit Nikolaus Blome gewidmet und dort Blomes mutmaßliche Antworten mit Hilfe von Gedankenlesen und einer komplizierten mathematischen Formel (der sogenannten „Blome-Gleichung“) extrapoliert.

2. Pöbeln, klagen, drangsalieren
(spiegel.de, Marc Pitzke)
“Fox”-Moderatorin Megyn Kelly enthüllt in ihrer Autobiografie “Settle for More” erstmals die Hintergründe ihrer Fehde mit dem damaligen Präsidentschaftsbewerber Trump. Dieser hatte während des Wahlkampfs viele Journalisten bepöbelt und teilweise mit Prozessen überzogen. Auch Megyn Kelly bekam Morddrohungen von aufgeheizten Trump-Anhängern. Für Kelly wird sich die Sache wenigstens gerechnet haben: “Für ihre – bis nach der Wahl verzögerten – Enthüllungen kassierte sie einen Millionenvorschuss und fordert von Fox News nun angeblich 20 Millionen Dollar im Jahr für ihre Vertragsverlängerung, da sie alle hofieren.”

3. Die FPÖ und die blanke Niedertracht
(taz.de, Ralf Leonhard)
In Österreich wird Anfang Dezember erneut der Bundespräsident gewählt, entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung im Land. Vor kurzem hat sich der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer vom boulevardesken Kanal “oe24.tv” für eine Homestory interviewen lassen, in der auch nach dem Beziehungsstatus der 13-jährigen Tochter gefragt wurde. Der Fernsehjournalist Martin Thür twitterte daraufhin: “Ich will nicht in einem Land leben, wo Kandidaten die Zimmer und das Liebesleben ihrer 13-jährigen Töchter offenbaren müssen, um zu gewinnen.” Ein von empörten Hofer-Anhängern initiierter Shitstorm war die Folge.

4. «Die Schweiz ist ein Land der Parallelwelten»
(tagesanzeiger.ch, Nicola Brusa & Beat Metzler)
Der “ARD”-Journalist Hans-Jürgen Maurus arbeitete von 1978 bis 2016 beim Radio, unter anderem als Auslandskorrespondent in Asien, Afrika und Amerika. Die letzten fünf Jahre war er Korrespondent in der Schweiz. Im Interview mit dem “Tagesanzeiger” geht es vor allem über sein Bild der Schweiz.

5. Niemand weiß, was jetzt passiert? Dann Schluss mit der Panikmache!
(perspective-daily.de, Frederik von Paepcke)
Auf dem Cover des aktuellen “Spiegel” rast ein überdimensionaler Trump-Kopf mit geöffnetem Mund und brennendem Kopf auf den Erdball zu. “Was soll das?”, fragt Frederik von Paepcke in seinem Kommentar zur Verantwortung der Medien und verlangt nach dem Schluss mit der Panikmache. Sein Vorschlag: “Entdecken wir konstruktive Tugenden wie Zuversicht, Respekt oder Kreativität neu. Überdenken wir unsere Kommunikation, üben wir uns in mehr Selbstreflexion.”

6. turi2 edition3: Sandra und Simon Peter, Chefredakteure bei Blue Ocean
(youtube.com, Video, 3:16 Minuten)
Sandra und Simon Peter sind, was den Output anbelangt, wahrscheinlich die fleißigsten Chefredakteure Deutschlands: Beim Stuttgarter Blue Ocean Verlag verantworten sie Dutzende von Kinder-Zeitschriften – mit 500 Ausgaben pro Jahr. Die Aufteilung ist dabei ganz klassisch: Sie macht die Mädchenhefte wie “Prinzessin Lilifee”, er die Jungsmagazine wie das “Playmobil-Magazin”.

Antworten auf kritische Fragen? Nicht mit Nikolaus Blome

Kritische Fragen? Ja, doch, die seien schon wichtig, findet Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. Kritische Fragen seien sogar ein “essentieller Bestandteil” einer funktionierenden Demokratie, sagte er Anfang des Monats bei einer Lesung in Dresden (Audio, 1:53 Minuten).

Knapp einen Monat zuvor hat Jakob Buhre von der Interview-Plattform “Planet Interview” Nikolaus Blome einige Fragen zum Buch “Links oder rechts?” gestellt, das “Bild”-Journalist Blome zusammen mit Jakob Augstein veröffentlicht hat. Darunter waren auch einige kritische Fragen zur “Bild”-Berichterstattung. Blome antwortete auf diese Fragen, am Ende des Autorisierungsprozesses wollte er aber mehrmals nicht, dass das, was er Buhre gesagt hat, veröffentlicht wird. Er hat Antworten komplett rausgestrichen. Und zwar nicht nur ein paar — nach Angaben von “Planet Interview” sind letztlich nur 59 Prozent von Blomes Antworten übrig geblieben.

Kritische Fragen seien ein “essentieller Bestandteil” einer funktionierenden Demokratie. Aber das Veröffentlichen von Antworten auf kritische Fragen? Nun ja.

Viele der gestrichenen Blome-Aussagen betreffen konkrete “Bild”-Berichte. Einige davon hatten wir auch hier im BILDblog kritisiert: die “Bild”-Darstellung des vermeintlichen Umgangs der Kieler Polizei mit Straftaten von Flüchtlingen, die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität, die Berichte über die Verdauungsprobleme des Gehers Yohann Diniz bei den Olympischen Spielen in Rio. “Die nachträgliche Streichung mehrerer Antworten begründete Herr Blome damit, dass er nur ein Interview zu seinem Buch geben wollte”, schreibt “Planet Interview”. Die Begründung ist in der Tat bemerkenswert, denn in Blomes und Augsteins Buch geht es auch ganz konkret um Journalismus, um den “Lügenpresse”-Vorwurf, um die publizistische Macht von “Bild”. Dort heißt es zum Beispiel: “BILD kann, als Massen- und Leitmedium, in einer speziellen Situation wahrscheinlich einen Bankrun auslösen. Darüber denken Sie besser drei Mal nach.” Fragen zu “Bild” und “Bild”-Berichten kann man also durchaus auch als Fragen zum Buch sehen.

Als Protest gegen die vielen Streichungen durch Nikolaus Blome hat das Team von “Planet Interview” die eigene Seite heute fast komplett vom Netz genommen*:

Wir schließen für zwei Tage unsere Website, um auf ein Problem hinzuweisen: Das Streichen von kritischen Fragen.

Lediglich das Blome-Interview mitsamt der nun unbeantworteten Fragen sind dort momentan zu lesen.

***

Schade, dass Nikolaus Blome so viele seiner Antworten nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat. Zum Glück kann unser Autor Lorenz Meyer nicht nur über lange Distanzen Gedanken lesen, er kennt sich auch mit Realitätsverzerrung, Wahrheitsverdrehung, inhaltsleerem Gefasel und Marketingsprech aus und hat die Antworten mit Hilfe einer komplizierten mathematischen Formel (der sogenannten “Blome-Gleichung”) extrapoliert.

1. Planet Interview: Ein Beispiel: Die BILD schrieb im Januar 2016, dass die Polizei in Kiel “vor Flüchtlingskriminalität kapituliert!”. Grundlage war ein Papier vom Oktober 2015 der Polizeidirektion Kiel, in dem es heißt dass “ein Personenfeststellungsverfahren oder erkennungsdienstliche Behandlung” bei “einfachen/niedrigschwelligen Delikten … regelmäßig ausscheidet”. Der BILD-Bericht wurde von der Polizei umgehend dementiert.

Blomes erster Antwortgedanke: Nichts gegen die Kieler Polizei, aber wenn hier jemand etwas “regelmäßig ausscheidet”, dann immer noch wir von der BILD. Ich würde sogar behaupten, dass wir Deutschlands größtes Ausscheidungsorgan sind!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ihre Frage beinhaltet bereits die Antwort: Anscheinend enthielt das uns zugespielte Papier der Kieler Polizei unangenehme Fakten, die nicht nach außen dringen sollten. Als grundgesetzlich verankertes Presseorgan sehen wir es als unsere Pflicht an, der Exekutive auf die Finger zu schauen. Auch, wenn uns dies verschiedentlich negativ ausgelegt wird. So wie im vorliegenden Fall …

2. Die Kieler Polizei gab aufgrund der Berichterstattung eine Pressekonferenz und erklärte, dass Strafanzeigen “in jedem Einzelfall” erstattet wurden, und dass “in keinem Fall eine andere Behandlung zur Maßgabe erklärt wurde wie bei deutschen Tatverdächtigen auch”.

Blomes erster Antwortgedanke: Das klingt alles recht alkoholisiert. Vielleicht hat sich die Kieler Polizei von ihren Kollegen aus dem Süden inspirieren lassen. Die verstehen unter einer “Maßgabe” nämlich etwas anderes, höhöhö.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich finde es bedauerlich, dass die Kieler Polizei augenscheinlich dem politischen Druck nachgegeben hat und sich so geäußert hat, wie sie sich geäußert hat. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

3. Ein anderes Beispiel: BILD veröffentlichte einen Auszug aus dem Buch “Soko Asyl” des Leiters der Braunschweiger Kripo Ulf Küch. Dieser schreibt darin u.a. “Diejenigen (Flüchtlinge), die wir verfolgen, sind eine winzige Minderheit, deren Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt” und “es darf nicht sein, dass die große Mehrheit der dankbaren und friedlichen Flüchtlinge mit diesen Personen über einen Kamm geschoren wird und am Ende unter deren Aktivitäten leiden muss.” Der BILD-Artikel trug die Überschrift “Polizist packt über Flüchtlingskriminalität aus: Manche Banden klauen auf Bestellung”. Nochmal die Frage: Kann es sein, dass Sie mit solchen Artikeln zu den Ressentiments gegenüber Flüchtlingen beitragen?

Blomes erster Antwortgedanke: Meine Güte … Nennen Sie mir ein einziges Wort in der Überschrift, das gelogen war … Aber für begriffsstutzige Ethik- und Moral-Mimosen wie Sie können wir ja nochmal ‘nen Hinweis anbringen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Der von Ihnen genannte Autor hatte keineswegs nur die von Ihnen zitierten Aussagen getätigt, sondern auch Dinge gesagt, die vollkommen andere Rückschlüsse zulassen. Trotzdem haben wir auf seinen Wunsch hin in einer späteren Ausgabe einen entsprechenden Hinweis veröffentlicht.

4. Und diesen Hinweis bringen Sie als große Headline?

Blomes erster Antwortgedanke: Ja, in Fontsize=1.000 und quer über das Brandenburger Tor gespannt. Das hätten Sie wohl gerne, Sie Gutjournalist!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Stellen Sie diese Frage in vergleichbaren Fällen auch anderen Medien? Wohl kaum. Das muss als Antwort reichen.

5. Doch die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität fällt in BILD größer aus als in anderen Medien, wo berichtet wird, dass sich die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge rechtskonform verhält.

Blomes erster Antwortgedanke: Ist ein Skandal, dass wir skandalisieren, oder? Merkste selber, McFly, oder?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Wir haben uns in einer Zeit für Flüchtlinge engagiert, da haben sich weite Teile der deutschen Presselandschaft noch bedeckt gehalten. Ich erinnere nur an die große BILD-Aktion “Wir helfen-#refugeeswelcome”. Das hat uns viel Kritik eingebracht, die nicht immer einfach auszuhalten war, uns aber nicht von unserem Weg abgebracht hat. Wir sind jedoch nicht einäugig. Und wenn es wie beim Silvester-Geschehen in Köln zu Übergriffen kommt, kehren wir das nicht unter den Teppich, sondern berichten darüber. Wir sind da nämlich ganz altmodisch und fühlen uns nur der Wahrheit verpflichtet.

6. “Die meisten Hauseinbrüche werden von Deutschen begangen.” Könnte das eine “Bild”-Schlagzeile sein?

Blomes erster Antwortgedanke: Klar, könnte das ‘ne Überschrift sein! Natürlich werden die meisten Hauseinbrüche von Deutschen begangen. Und zwar, weil Flüchtlinge ihnen den Schlüssel geklaut haben und sie wieder in ihr Haus zurück wollen. Alle anderen Medien verschweigen das. Wir berichten darüber!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Veröffentlichung des Offensichtlichen und von naheliegenden Belanglosigkeiten überbelassen wir unserer Konkurrenz. Wir bei BILD wollen unseren Informationsvorsprung nutzen und unseren Leser über Dinge unterrichten, die er vorher noch nicht wusste. Insofern lautet die Antwort: Nein.

7. Viele Leser haben (z.B. auf Facebook) kritisiert, wie BILD über einen Sportler berichtet hat, der tatsächlich hingefallen ist: Ein Geher brach bei den Olympischen Spielen in Rio über die 50km-Distanz mehrfach zusammen, hatte Verdauungsprobleme, konnte seinen Durchfall nicht zurückhalten und verlor zeitweise die Orientierung. Bild zeigte Fotos davon und kommentierte u.a. mit “Dieser Gang ging in die Hose.” Wie kann es sein, dass BILD sich über so etwas lustig macht?

Blomes erster Antwortgedanke: Wenn ich mich nie mit Dünnpfiff beschäftigen würde, gäb’s dieses Interview nicht, Sie investigatives Abführmittel!

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Unsere Leser haben einen Anspruch auf eine vollumfängliche Sportberichterstattung. Und dazu gehören bei Olympia die großen Medaillenkämpfe, aber auch die kleinen Dramen im olympischen Sportbetrieb. Wir haben über das kleine Malheur in einer lockeren und augenzwinkernden Form berichtet. Wenn Sie das stört, ist das Ihr Problem und nicht unseres.

8. Aber Witze wie “Er war kurz davor, aus Sch**** Gold zu machen. Doch dann läuft’s beim 50-km-Geher Yohann Diniz — so richtig” oder “Dieser Gang ging in die Hose.” Warum muss das in Ihre Zeitung?

Blomes erster Antwortgedanke: Weil Scheiße zu Scheiße passt. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Nochmal: Wenn Sie zu verkrampft sind, etwas über ein allzu menschliches Geschehen zu lesen, sagt das mehr über Sie aus als über uns.

9. Auf den anderen Seiten dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen. Warum geht da nicht mehr Politik?

Blomes erster Antwortgedanke: Geben Sie Bescheid, wenn Sarah Lombardi Bundeskanzlerin wird. Dann machen wir sofort mehr über Politik.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich habe heute morgen “Spiegel Online” aufgerufen. Und was soll ich sagen: Auf der Startseite “dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen”, um es mit Ihren Worten zu sagen. Ich kann den Kollegen Augstein aber gerne fragen, warum da nicht mehr Politik vorkommt. Der fühlt sich dem Haus ja immer noch sehr verbunden.

10. Interessieren Sie sich persönlich für die Skandale, Unfälle, Voyeurismus etc. auf den anderen Seiten?

Blomes erster Antwortgedanke: Nö, die hab’ ich ja meist schon irgendwo in der Originalfassung gelesen und für die Veröffentlichung bei uns vom Praktikanten per “Google Translator” übersetzen lassen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: In der Frage schwingt eine abwertende Unterstellung, die ich ablehne. Ich habe Sie auch nicht gefragt, wann Sie aufgehört haben, ihre Frau zu schlagen.

11. Hellmuth Karasek sagte bei uns im Interview: “Ich würde nie eine politische Entscheidung aufgrund der BILD-Lektüre treffen”.

Blomes erster Antwortgedanke: Gegenfrage: Würden Sie eine Kaufentscheidung aufgrund eines Rabatts auf ein Karasek-Buch treffen?

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: (lacht) Wollte Herr Karasek von BILD wissen, wo er bei der Bundestagswahl sein Kreuzchen setzen soll?

12. Ja, zum Beispiel.

Blomes erster Antwortgedanke: In einem kalten Winter und mit ‘ner Ofenheizung mag das in Ordnung gehen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Das traue ich dem Kollegen Karasek auch ohne unsere Mithilfe zu.

13. Aber Sie wollen doch vermutlich die Leute zum Denken anregen, wollen ihnen Informationen mitgeben, so dass sie am Wahltag informiert sind über die politische Lage. Wie würden Sie Karasek, wenn er noch unter uns wäre, vom Gegenteil überzeugen?

Blomes erster Antwortgedanke: Ach, der Karasek … Soll lieber literarisches Quartett im Himmel spielen und dort dem Reich-Ranicki mit seiner Wahlentscheidung auf die Nüsse gehen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ich würde ihm sagen, er soll bei seiner Wahlentscheidung nicht nur seinem Bauchgefühl, sondern seinem Verstand folgen. Und wenn er dafür Unterstützung braucht, findet er die bei BILD.

14. Und es reicht in dieser Verkürzung für eine Wahlentscheidung?

Blomes erster Antwortgedanke: Ja.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Ja.

15. Nun stehe ich aber vor diesem Gegensatz: Ich sehe zwei Hochintellektuelle, Sie und Herrn Karasek, und der eine sagt über die Arbeit des anderen: “Die BILD ist ein Medium, das ich so ernst nehme, wie ich Stefan Raab ernst nehme.” Können Sie mir helfen, diesen Gegensatz aufzulösen?

Blomes erster Antwortgedanke: Medium nehm’ ich nur mein Steak. Außerdem sehe ich in Ihrer Aufzählung nur einen Hochintellektuellen, Sie lästiger Frageonkel. Und das ist, ich sag’s Ihnen durch die Blome, weder der Kollege Karasek noch Stefan Raab.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Stefan Raab zeichnet sich durch einen hohen Grad an Professionalität aus, insofern kann mich der Vergleich nicht treffen. Außerdem führt uns der ewige Weg über Gegensätze nicht weiter. Fragen Sie doch mal nach Verbindendem. Da wüsste ich einiges zu berichten. Auch Dinge, die Herrn Karasek betreffen.

16. Sie schreiben es ja selbst, in Ihrem Buch.

Blomes erster Antwortgedanke: Ach, das Buch … Weiß der Geier, was ich da reingekrakelt habe. Weiß ja noch nicht mal, ob ich da überhaupt was reingeschrieben habe. Wenn der Kollege Augstein ‘nen schizophrenen Anfall hat, übernimmt der gerne mal meinen Part und kotzt sich die neoliberale Zweitseele aus dem Leib.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Dann haben Sie ein anderes Buch gelesen. In meinem steht das nicht.

17. Die Otto Brenner Stiftung schrieb 2012 in einer Studie, BILD praktiziere Journalismus nur “vorübergehend”. Ist Ihnen das nicht zu wenig?

Blomes erster Antwortgedanke: Das Wort “praktiziere” in Zusammenhang mit “Journalismus” lehne ich ab. Das setzt ja voraus, dass wir wüssten, was wir da machen.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Otto Brenner Stiftung sollte sich als Tochter der IG Metall lieber mit Dingen beschäftigen, bei denen sie sich auskennt. Zum Beispiel mit der Verschwendung von Gewerkschaftsgeldern.

18. Die Stiftung hat viele BILD-Artikel analysiert, Interviews mit Experten geführt, verweist auf Quellen, Literatur …

Blomes erster Antwortgedanke: Ich sage es mal mit den Worten, die oft dem früheren britischen Premierminister Sir Winston Churchill zugeschrieben werden: “Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.” Fälschlicherweise zugeschrieben, aber das werden Sie als kritischer Journalist ja bestimmt schon selbst in Erfahrung gebracht haben.

Was er tatsächlich eventuell gesagt haben könnte: Die Axel-Springer-Stiftung kommt in ihrer Studie zum postfaktischen Zeitalter zu ganz anderen Ergebnissen, Sie Argumentationswunder! Und als Springer-Journalist akzeptiere ich nur eine Quelle: Die Einnahmequelle!

*Nachtrag, 16. November: Inzwischen ist der Zwei-Tage-Protest vorbei und die Seite wieder komplett online.

Nein, die Transen und die Homos sind nicht schuld an Trump

In der Komischen Oper in Berlin läuft eine Inszenierung der musikalischen Komödie “Eine Frau, die weiß, was sie will”, in der alle Rollen von zwei Darstellern gespielt werden. Dies führt dazu, dass beide (Dagmar Manzel und Max Hopp) nicht nur ständig die Kostüme, sondern auch die Geschlechter wechseln. Sowohl sämtliche Rollen als auch die Sängerin und der Sänger, die sie spielen, sind mutmaßlich heterosexuell. Heteros spielen also Heteros, sie tauschen eben nur manchmal ihre Geschlechterrollen, ich weiß, ich bin gerade etwas redundant, was ich sagen will: Mit schwul, lesbisch, homo hat das alles nichts zu tun.

All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.

Eine Berliner Kritikerin konnte die Inszenierung nicht ertragen, sie sei ihr zu schwul. Ich denke, dass es vielen Menschen so geht, nicht nur in der Operette, sondern überall, im Fernsehen, im echten Leben: Überall gibt es zu viel schwul, auch da, wo es es gar nicht gibt. Die Operetten-Inszenierung und die Reaktion dieser Frau darauf ist ein schönes Beispiel dafür, dass Homophobie im Kern nichts mit Homosexuellen zu tun hat.

Es ist die grundsätzliche Ablehnung von dem, was einer vermeintlich natürlichen Ordnung widerspricht. Es ist die Reaktion auf Veränderung, und sie mag meinetwegen auch etwas damit zu tun hat, dass man sich (mein Vorschlag für das Unwort des Jahres:) “abgehängt” fühlt. Vor allem ist sie aber eine Reaktion darauf, dass man sich nicht verändern kann oder möchte, aus welchem Grund auch immer. Schwule, Homosexuelle sind dabei vor allem eine Projektion, genau wie Juden vor allem eine Projektion sind, wenn es um Antisemitismus geht, beide Gruppen können selbst sehr wenig beeinflussen, wofür man sie alles hasst.

Schwule werden nicht dafür gehasst, wie sie sind, sondern dafür, dass sie anders sind. Sie eignen sich einfach zu perfekt als Gegen-“Ideologie” zum Totalitarismus, zum Erregungsmittel der Populisten. Deshalb sind sie auch — neben dem Nationalismus — der größte gemeinsame Nenner aller Putins, Trumps, Erdogans dieser Welt.


(Foto: Gage Skidmore)

Es gibt nur noch eine Gruppe, die sich noch besser zum liebsten Hass-Symbol der Demagogen eignet: Transmenschen. Der “Grad” ihrer Andersartigkeit verbunden mit der Tatsache, dass die allermeisten Trump-Wähler nie bewusst einen von ihnen zu Gesicht bekommen werden, machten sie zu deren idealem Schreckgespenst. Auch hier liegt es nicht an den Transmenschen, nicht an der Frage, wie wichtig es ist, welche Toilette sie benutzen dürfen. Es liegt einfach daran, dass es diese Frage gibt, dass sie sich so hervorragend anderen Fragen gegenüberstellen lässt, die nichts mit ihr zu tun haben.

Das Problem an “Haben wir eigentlich keine wichtigeren Probleme als” ist nicht das, was hinter dem “als” steht, sondern dass diese Frage keine wirkliche Frage ist. Sie ist ein Populistentrick.

Natürlich wenden ihn nur wenige Journalisten so konsequent an wie Matthias Matussek (Sein Rat an alle “‘Experten’, Leitmedien und enorm verbiesterte Eliten” nach der Trump-Wahl lautete: “Die Leute wollen keine Toiletten für das dritte Geschlecht, sondern Arbeit, um ihre Familien durchzubringen.”)

Etwas eleganter machen es gerade andere Kommentatoren, zum Beispiel Berthold Kohler in der “FAZ”:

Die Balten haben anders als westeuropäische Kommentatoren, die sich jetzt vor allem um die Rechte der Schwulen in Amerika sorgen, nämlich sofort verstanden, dass Trumps noch im Wahlkampf gegebene Signale zum Rückzug aus der Welt auf Putin wie eine goldgeränderte Einladung wirken müssen.

Ganz abgesehen davon, ob das mit den Balten und Putin stimmt: Was hat das in dieser Gegenüberstellung mit den Rechten der Schwulen zu tun? Und wo sind westliche Kommentatoren tatsächlich damit beschäftigt, sich “vor allem” und diese zu “sorgen”? Erzählt es nicht einfach, losgelöst von jeder Sorge, eine Menge über diese Wahl, dass in den USA ein Vizepräsident gewählt wurde, der für “Homoheilungen” ist, der die Gleichwertigkeit Homosexueller genauso bestreitet wie den Klimawandel? Ist das wirklich nur Gedöns?

Immer noch tun viele deutsche Medien so, als handele es sich bei der Frage nach der Rolle von Homo- und Transsexuellen in der Gesellschaft um ein Minderheiten-, ein Lifestyle-, ein Luxusthema, als würde von Politikern nicht vor allem deshalb auf Schwule, Homos, Transsexuelle gezielt, um grundsätzlich die Verfasstheit freiheitlicher Gesellschaften infrage zu stellen. Die NATO, also das, um was sich Journalisten wie Kohler gerade Sorgen machen, ist eben nicht wichtiger als die “Rechte der Schwulen”, sie ist im Gegenteil unter anderem auch dafür da, diese zu garantieren. Zumindest dann, wenn man die Werte im Begriff “Wertegemeinschaft” als universal begreift.

Barack Obama hat das getan, und der Hass, der ihm dafür entgegenschlug, hat offensichtlich viel dazu beigetragen, dass Trump diese Wahl gewonnen hat. Dass viele deutsche Medien diesen Zusammenhang nicht herstellen, hat damit zu tun, dass sie ihn nie wirklich verstanden haben. Dabei hatte gerade in Deutschland Obama auf eindrückliche Art die Verbindung von Sicherheit und Inklusion beschworen, ohne damit Journalisten erkennbar zu beeindrucken. In seiner von vielen Kommentatoren als eine Art sicherheitspolitisches Vermächtnis verstandenen Rede am 24. April in Hannover sagte er:

The world depends upon a democratic Europe that upholds the principles of pluralism and diversity and freedom that are our common creed. As free peoples, we cannot allow the forces that I’ve described — fears about security or economic anxieties — to undermine our commitment to the universal values that are the source of our strength.

Im Gegensatz zu zu Günther Oettinger, der, wie viele Putin-Unterstützer, die “Homo-Ehe” als Synonym für all das verspottet, was in Wirtschaft und Gesellschaft bei uns alles falsch läuft, definierte Obama Pluralität und Vielfalt als Zeichen der Stärke, zum schützenswerten Wettbewerbsvorteil, der allen zugutekommt. Und bezeichnet sogar an anderer Stelle die “Ehe für alle”, die die “Freiheit der Menschen, den zu heiraten, den sie wollen” nennt, als das Beispiel für die Gleichheit und Würde jedes einzelnen Menschen, an die “wir” (“perhaps most importantly”) — glauben. Das Benennen dieses fundamentalen Unterschieds des “Wir”, also des Westens, wie Obama ihn sah, und wie ihn die Trump-Wähler sehen wollen, fand in deutschen Medien so gut wie nicht statt. Es hätte bedeutet, auch das Thema Homosexuelle aus einer grundsatzpolitischen, einer Menschenrechts-Perspektive begreifen zu müssen und nicht als Charity: Es geht nicht um Respekt oder Toleranz der einen für die anderen, um etwas, das Mehrheit einer Minderheit gönnt. Es geht darum, dass sich die Gesamtgesellschaft erst als komplett begreift, wenn alle gleichermaßen dazugehören. Nach der Präsidentschaftswahl hat Angela Merkel ihn jetzt — zum ersten Mal — ausgesprochen, diesen Unterschied im “Wir”, als sie die Achtung von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen als einen westlichen demokratischen Grundwert anführte. Auch das war keine News. Charity halt. Oder noch böser: Political Correctness.

Erst vor ein paar Wochen hat diese Kolumne begonnen und sich das zugegebenermaßen etwas großspurige Ziel gesetzt, “Political Correctness” zu “verteidigen”. Natürlich nicht das Wort, das ein Kampfbegriff* ist, sondern das Konzept derjenigen, die mit ihm bekämpft werden. Obwohl das erst ein paar Wochen her ist, klingt das heute, nach den Wahlen in Amerika, lächerlich, ich weiß. Es macht wahrscheinlich gerade keinen Sinn, darüber zu schreiben, was “Political Correctness” sein könnte, sondern eher darüber, was es nicht ist. Angela Merkels Äußerung ist es jedenfalls nicht. Dass sie trotzdem oft so gedeutet wurde, ist bezeichnend. Der Schutz der “sexuellen Orientierung” beinhaltet ja schließlich unter anderem auch die der Heteros.

“Wenn Politik […] zu oft sagt, was politisch korrekt ist, aber zu selten das, was ist, dann verliert sie die Gefolgschaft”, sagt Mathias Döpfner. Geht es ihm wirklich um “das, was ist”, also eine wie auch immer definierte Wahrheit, oder darum festzustellen, dass diese durch eine falsche Rücksichtnahme ausgebremst wird? Eine Rücksichtnahme gegen was? Oder Wen? Kristina Schröder darf in Döpfners “Welt” deutlicher werden. In Deutschland gebe es “eine Reihe von Positionen, die durchaus von der Verfassung gedeckt sind, die man aber trotzdem nicht äußern kann, ohne auch sehr persönlich niedergemacht zu werden”. Als erstes fällt ihr zu dieser These die “Homo-Ehe” ein. Die Homos sind schuld.

Nein, siehe oben, sind sie nicht.

Welche Absicht haben die, die sich nach der Wahl in Amerika jetzt über zu viel Political Correctness beklagen? Leute wie Döpfner, Schröder und vor allem “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt geben vor, damit die Demagogen bekämpfen zu wollen. Kann sein. Kann aber auch sein, dass sie einfach nur von ihnen lernen wollen, wie es geht.

*Unbedingte Hörempfehlung (gerade auch, weil noch vor der US-Wahl aufgezeichnet): Im “Übermedien”-Podcast von Stefan Niggemeier und Sascha Lobo erklären und streiten sich beide über Political Correctness.

Tatort, “Wirus”, Meinungsjournalismus

1. An jedem verdammten Sonntag
(taz.de, Klaus Raab)
Gestern feierte der “Tatort” seine tausendste Folge. Sein Erfolg ist “Symptom einer Gegenwart, die Gefühle standardmäßig mit Gewissheiten verheiratet”, findet Klaus Raab in der “taz”. Raab sieht den “Tatort” nicht, wie oft beschrieben, als Spiegel der Gesellschaft. “Der „Tatort“ nun, die Krimireihe der ARD, gedeiht eigentlich in einer Welt, in der man jeden Unsinn erzählen soll, wenn er der Geschichte dient; der Welt der Fiktion. Die Drehbücher sind erfunden, eigentlich weiß das auch jeder, und das ist auch gut. Man stelle sich vor, wie entsetzlich der „Tatort“ wäre, würde er tatsächlich als „Spiegel der Gesellschaft“ fungieren, wie es bisweilen heißt. Dann würden im Berlin-„Tatort“ 89 Minuten lang nur Fahrräder geklaut.”

2. «Trump-Debatte widerspiegelt Egozentrik des Journalismus»
(srf.ch, Roman Fillinger, Audio, 6:09 Minuten)
Wolfgang Blau war Digitalchef beim “Guardian” und bei “Die Zeit”. Nun arbeitet er als “Chief Digital Officer” beim internationalen Verlag Condé Nast. Beim “Schweizer Radio und Fernsehen” SRF spricht er über die Trump-Berichterstattung. Blau plädiert für mehr Empathie: “Journalisten müssen sich stärker damit auseinandersetzen, dass – selbst wenn sie nicht viel Geld verdienen – sie in aller Regel wohlhabender sind als die Menschen, über deren Wahlverhalten sie sich nun wundern. Journalisten würde mehr Empathie gut tun, um zu spüren, wie es sich anfühlt, mit größter Wahrscheinlichkeit nie mehr einen Job zu bekommen, oder dass auch die eigenen Kinder wahrscheinlich nie eine Festanstellung bekommen werden, wie man sie selbst einmal hatte.”

3. Hubertus Koch bei den #JMT16: „Ich bin Meinungsjournalist“
(flurfunk-dresden.de, Nadine Faust)
Hubertus Koch ist mit seinem Dokumentarfilm “Süchtig nach Jihad” bekannt geworden, in dem er sehr persönlich und emotional aus dem syrischen Flüchtlingslager Bab al-Salameh berichtet. Anfang des Jahres erhielt er dafür den Nachwuchspreis des Deutschen Fernsehpreises. Auf den “Jugendmedientagen 2016” in Dresden hat er sich mit dem Medienblog “Flurfunk” über seine Arbeit und die Zukunft der Medien unterhalten.

4. Ein gefährliches „Wirus“ breitet sich aus
(udostiehl.wordpress.com)
Der Gebrauch von “Wir”-Konstruktionen führt zu einer Lagerbildung, die dem Versuch einer Geiselnahme gleichkommt, so Udo Stiehl in seinem Artikel über den gefährlichen “Wirus”. “Wer gezielt seine Position als mehrheitsfähig darstellen will, nutzt diese rhetorisch einfache und schlagkräftige Wortwahl. Ganz egal, welches Thema in die öffentliche Debatte gedrückt werden soll: „Wir“ funktioniert inzwischen wie eine Droge. Und sie spaltet exakt so, wie es beabsichtigt ist.”

5. aspekte vom 11. November 2016
(zdf.de, Video, 45 Minuten)
In der aktuellen Ausgabe der Kultursendung “aspekte” (ZDF) hatte Moderatorin Katty Salié einen berühmten Co-Moderatoren: den türkischen Journalist und ehemaligen Chefredakteur der “Cumhuriyet” Can Dündar. In der Sendung geht es überwiegend um Medienthemen und Pressefreiheit. Die Beiträge selbst sind in Deutsch; Dündars Redeanteile auf Türkisch mit deutschen Untertiteln.

6. Facebook erklärt Mark Zuckerberg für tot
(zeit.de)
Eine Softwarepanne führte dazu, dass auf Profilen vieler Facebook-Nutzer Gedenknachrichten erschienen. Selbst Gründer Mark Zuckerberg wurde vom eigenen Netzwerk für tot erklärt.

Donald Trump will weiter einen Einreisestopp für Muslime

In völliger Verzweiflung klammern sich Menschen ja auch mal an Sprichwörter. Aktuell und mit Bezug auf den Wahlsieg von Donald Trump zum Beispiel: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Soll heißen: Trumps wildeste Ankündigungen im Wahlkampf — Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze, genereller Einreisestopp für Muslime und so weiter — waren eben nur wilde Ankündigungen im Wahlkampf und keine ernsthaften politischen Vorhaben.

Da passte eine Neuigkeit in den “Tagesthemen” (ab Minute 4:50) gestern Abend ganz gut ins Beruhigungsprogramm:

Doch die meisten seiner Pläne sind bisher nicht viel mehr als Gedankenspiele und Worthülsen. Zwei seiner umstrittensten Forderungen sind inzwischen von der Homepage verschwunden: der Einreisestopp für Muslime und die Kündigung des Klimapaktes.

Und nicht nur im “Ersten” wurde über das Verschwinden der Trump-Forderungen berichtet. “Zeit Online” hatte ebenfalls eine Meldung dazu auf der Seite:

Von der Wahlkampfseite des künftigen Präsidenten sind einige brisante Punkte verschwunden. Dazu zählt das von Trump geforderte Einreiseverbot für Muslime.

Genauso n-tv.de:

Einige der umstrittensten Forderungen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump sind von dessen Wahlkampf-Website entfernt worden. Dazu zählt der Aufruf, Muslimen die Einreise in die USA zu verbieten und sein Versprechen, das Pariser Klimaabkommen zu kippen. Auch eine Liste mit potenziellen Richtern für den Obersten Gerichtshof sowie diverse Details seiner Wirtschafts-, Verteidigungs- und Regulierungsvorhaben finden sich nicht mehr auf der Seite.

Die Quelle für diese Artikel ist eine “Reuters”-Meldung. Durch die Agentur ist die Info, dass das Team von Donald Trump einige ausgewählte Ankündigungen und Pressemitteilungen gelöscht haben soll, auf vielen Nachrichtenseiten in die Ticker zur US-Wahl gerutscht.

Schauen wir uns mal die Sache mit dem Einreisestopp für Muslime genauer an. Anders als von “Tagesthemen”, “Zeit Online”, n-tv.de und allen anderen behauptet, kann man Trumps “Statement On Preventing Muslim Immigration” vom 7. Dezember 2015 aktuell auf seiner Wahlkampf-Website abrufen. Es war allerdings tatsächlich mal für eine Weile nicht abrufbar — das zeigt ein Test mit der “Wayback Machine”, bei der man ältere Versionen einer Webseite abrufen kann.

Es zeigt sich: Am 8. November um 8:52 Uhr ist das Statement noch abrufbar. Am gleichen Tag um 23:43 Uhr erscheint eine sogenannte “HTTP 302 response” und man wird automatisch zu donaldjtrump.com weitergeleitet. So bleibt es den gesamten Wahltag über, und erst gestern um 19:40 Uhr ist Trumps Statement zu den Muslimen wieder abrufbar.

Also: Die umstrittene Ankündigung von Donald Trump war zwischenzeitlich tatsächlich nicht abrufbar, allerdings nicht erst nach der erfolgreichen Wahl, sondern schon vor und am Wahltag.

Manche Medien haben erkannt, dass Trumps Aussage inzwischen wieder online einzusehen ist. Handelsblatt.com zum Beispiel. Erst hieß es dort:

Und nun:

Dazu schreibt die Redaktion:

Die meisten Kernforderungen Trumps fanden sich durchweg auf der Website, etwa sein Versprechen, eine unüberwindbare Mauer an der Grenze zu Mexiko hochzuziehen, für deren Bau das Nachbarland zahlen solle.

Dieser Aspekt stammt ebenfalls aus der “Reuters”-Meldung. Und er dürfte nicht stimmen. Die “Washington Post” hat einen Kampagnensprecher zu dem Thema befragt:

“The website was temporarily redirecting all specific press release pages to the homepage. It is currently being addressed and will be fixed shortly,” the campaign told The Post in a statement.

Da die “Wayback Machine” nicht für alle Statements von Donald Trump hinreichend viele Vorgänger-Versionen abgespeichert hat, ist es nicht möglich, diese Aussage komplett zu überprüfen. Es gibt aber Hinweise, dass nicht nur die kontroversesten Pressemitteilungen für eine gewisse Zeitspanne nicht abrufbar waren, sondern deutlich mehr, vielleicht sogar alle.

Nehmen wir mal die drei aktuellsten Trump-Statements:

Die Ursache dafür, dass die Forderung nach einem Einreisestopp für Muslime zwischenzeitlich nicht auf der Trump-Website zu finden war, dürfte also tatsächlich technischer Natur gewesen sein. Oder anders gesagt: Donald Trump hat sich keineswegs von seinen radikalen Forderungen verabschiedet.

Mit Dank an Stefan N. für den Hinweis!

“Breitbart”, Leonard Cohen, Neuköllner Neonazis

1. “Breitbart News” will expandieren
(zeit.de)
Mit seinen Angriffen auf Hillary Clinton gehörte das rechtspopulistische Medium “Breitbart News” im US-Wahlkampf zu den Garanten für Donald Trumps Erfolg. Jetzt könnte es auch nach Deutschland und Frankreich kommen: “Breitbart, das bereits eine Website in Großbritannien betreibt, führt nach Angaben seines Chefredakteurs bereits Gespräche mit deutschen und französischen Journalisten. Ziel sei es, gewählte rechtspopulistische Politiker in Frankreich und Deutschland zu unterstützen.” Als Reaktion auf die Expansionsdrohung von “Breitbart” entwickelt Johannes Kuhn auf seiner Seite kopfzeiler.org eine Empfehlung für die Berichterstattung über den im kommenden Jahr anstehenden Wahlkampf in Deutschland: “Die Lösung für publizistische Portale kann nur lauten, möglichst viele Mitarbeiter weg vom Bildschirm und raus in die deutsche Realität zu schicken, aufzuschreiben, was ist. Normalen Menschen das Wort zu geben, sie erzählen zu lassen, wie es ihnen geht, was sie denken, hoffen, fühlen.”

2. Trump-Wähler scheren sich nicht um die Wahrheit? Du doch auch nicht!
(t3n.de, Lisa Hegemann)
Ob nun die irrtümliche Bebilderung der “Simpsons”-Vorhersage, ein vermeintlicher Titelblatt-Fauxpas der “Märkischen Allgemeinen” oder ein Donald-Trump-Zitat von 1998, das aber gar nicht von Donald Trump stammt — obwohl das alles faktisch falsch ist, verbreitet es sich in den Sozialen Netzwerken wie blöd. Ziemlich problematisch, findet Lisa Hegemann: “Wenn wir Links von Texten teilen, die wir nicht gelesen haben, wenn wir Bilder teilen, deren Ursprung wir nicht geprüft haben, dann prägen wir die postfaktische Ära mit — dann gehen wir nach Gefühl und nicht nach Tatsachen.”

3. Neonazis posten Karte mit Adressen
(juedische-allgemeine.de)
Eine rechtsextreme Gruppierung aus Berlin-Neukölln hat vor zwei Tagen — also zum Jahrestag der Pogromnacht — auf einer Facebook-Seite “eine Grafik mit jüdischen Einrichtungen in Berlin veröffentlicht”: “In Frakturschrift steht auf der Grafik der Satz: ‘Juden unter uns!’. Darauf sind rund 70 Einrichtungen samt Adressen aufgelistet, darunter Kitas, Schulen, Synagogen, Geschäfte, Friedhöfe und Restaurants. Daneben steht die Anmerkung: ‘Heut ist so ein schöner Tag’.” Inzwischen sei die Seite von Facebook gelöscht worden, berichtet “Spiegel Online”.

4. Marxismus im Dauerminus
(taz.de, Judith Freese)
Der “jungen Welt”, in der DDR “das Medium der Freien Deutschen Jugend, kurz FDJ, und mit millionenstarker Auflage zeitweise die meist gelesene Tageszeitung im Osten”, geht es finanziell ziemlich mies: Judith Freese schreibt von einem “nicht gedeckten Fehlbetrag von 953.000 Euro”. Die aktuell 17.000 Abonnenten seien 2000 zu wenig, “um weiterhin die Zeitung produzieren zu können.” Noch solle aber nicht Schluß sein.

5. Leonard Cohen Makes It Darker
(newyorker.com, David Remnick, englisch)
Vor gut einem Monat erschien dieses 60.000-Zeichen-Stück über Leonard Cohen, geschrieben vom “New Yorker”-Chefredakteur David Remnick. Wenn man einen Text zum Tod von Leonard Cohen lesen will, dann diesen.

6. Heisse News vom Vortag
(operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Ralf Heimann wundert sich über die Titelseite der “Augsburger Allgemeinen”, die noch am Donnerstag damit aufmachte, dass Donald Trump “neuer US-Präsident” ist: “Früher war das immer so. Wenn am späten Freitagabend etwas passiert ist, das am Samstagmorgen keinen Platz mehr in der Zeitung fand, na, dann kam es eben am Montag auf die Titelseite.”

7. Liebe Leserinnen und Leser. Wir müssen reden.
(netzpolitik.org)
Heute ausnahmsweise mal ein siebter Link, denn die Kollegen von netzpolitik.org brauchen Hilfe: Die Zugriffszahlen seien zwar 1A, und zu wenig Themen gebe es auch nicht, aber das Geld werde bald knapp. “Sollten sich die Spenden nicht monatlich um 5.000 bis 10.000 Euro erhöhen, werden wir recht bald gezwungen sein, wieder Stellen abzubauen”, schreibt das Team, das nach der “Landesverrat-Affäre” aufgestockt wurde, und bittet um finanzielle Unterstützung.

Atomkoffer! Trump! Apokalypse!

So, der erste Schock über die Wahl von Donald Trump zum kommenden US-Präsidenten könnte langsam verdaut sein. Vielleicht mal Zeit für eine sachliche, durchdachte Analyse.

Hättet ihr da was im Angebot, liebe Mitarbeiter von krone.at?

Sein Aussehen ist unscheinbar, doch sein Inhalt könnte die Apokalypse auslösen: Ein Lederkoffer, von einem Adjutanten getragen, wird auch den gerade erst gekürten 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten auf Schritt und Tritt begleiten.

Na ja, einen Versuch war’s wert.

Mit Dank an @i_am_fabs und @coralandmauve für Screenshot und Hinweis!

Wie haben die Fake-Promis reagiert?

Zum klassischen Journalismus-Abspulprogramm nach Großereignissen gehört auch die Antwort auf die Frage: “Wie haben Promis reagiert?” Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist ohne Zweifel so ein Großereignis.

Also, express.de und berliner-kurier.de, wie haben denn nun die Promis reagiert?


Puh, ziemlich heftig. Die Aussage “‘F*** deine Eltern'” soll von der Sängerin Cher stammen:

Besonders heftige Reaktionen kamen von Cher. Sie setzte mehrere Tweets voller Verachtung ab. Die Sängerin fühlte sich gar an das Deutsche Reich erinnert: “So wie in Deutschland in den 30ern haben Ärger und Wut die USA erfasst.” Am Ende wurde die 70-Jährige ganz schön ausfällig: “Fick deine Eltern, Trump!”

Den Tweet mit “Deutschland in den 30ern” hat Cher tatsächlich geschrieben:

Die wüste Beschimpfung in Richtung der Trump-Eltern stammt hingegen von einem anderen Account. Den Tweet haben die beiden Schwester-Portale express.de und berliner-kurier.de dankenswerterweise sogar in ihren Artikeln eingebettet:

Nun könnte der Name “PARODY CHER ACCOUNT” schon ein Hinweis darauf sein, dass es sich nicht unbedingt um den offiziellen Twitter-Kanal von Cher handelt. Ziemlich sicher ist die Sache dann, wenn man sich die Beschreibung des Accounts ansieht:

*I AM NOT CHER* PARODY ACCOUNT Please Follow CHER HERE @Cher

Bei shz.de ist das falsche Cher-Zitat ebenfalls aufgetaucht:

Nach der Entscheidung in der Nacht zu Mittwoch twitterte Cher beinahe im Minutentakt — mit zum Teil heftigen Reaktionen. “Fick dich, Donald Trump” schrieb sie ebenso wie “Fick deine Eltern, Trump”.

Unter den Artikeln von express.de und berliner-kurier.de steht als Quelle übrigens “dpa”. In weiten Teilen stimmt das auch — die “dpa” hat tatsächlich eine Zusammenstellung mit Promi-Reaktionen auf Trumps Sieg rausgeschickt. Die Stelle mit der falschen Cher haben die beiden Redaktionen aber selber hinzugefügt.

Mit Dank an Michael W. für den Hinweis!

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