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n24.de  

Über tote Flüchtlinge lachen mit N24

Am Wochenende berichtete N24 auf seiner Onlineseite:

Wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen haben in Südschweden in der Nacht zum Freitag einige Menschen unter freiem Himmel übernachten müssen. Im südschwedischen Malmö liegen die Temperaturen nachts derzeit knapp über dem Gefrierpunkt.

Zuvor hatte die Ausländerbehörde mitgeteilt, dass das Land nicht mehr allen Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf anbieten könne.

Und wie reagierten die Leser auf diese Nachricht?

(“belustigt”, “inspiriert”, “überrascht”, “informiert”, “egal”, “erschreckt”, “traurig”, “verärgert”)

Eine ähnliche Emotions-Funktion (“Lachen”, “Weinen”, “Wut”, “Staunen”, “Wow”) gab es bis vor Kurzem auch bei den Springer-Kollegen von Bild.de. Der Unterschied: Die Leser von N24 lachen (im Gegensatz zu denen von Bild.de) nicht über alles. Wenn Menschen Deutsche zu Schaden kommen, reagieren sie sogar meist “erschreckt” oder “traurig”. Wenn jedoch Flüchtlinge die Leidtragenden sind, kommt Freude auf:




































Der Presserat hat sich in seiner letzten Sitzung mit diesem Emotions-Tool beschäftigt. Im konkreten Fall ging es nicht um N24, sondern um Bild.de, und zwar um einen Artikel mit der Überschrift “Schläger attackieren homosexuellen Politiker” (224-mal “Lachen”). Es schade dem Ansehen der Presse, so der Presserat, “wenn ein Medium bei einem Beitrag, der sich mit einer Gewalttat gegen einen Menschen beschäftigt, den Usern die Möglichkeit eröffnet, den Artikel mit einer Emotion wie ‘Lachen’ zu bewerten”. Darum sprach der Presserat einen folgenlosen “Hinweis” gegen Bild.de aus; inzwischen gibt es die Funktion dort nicht mehr.

Bei N24 muss man fairerweise dazusagen: Nicht bei allen Artikeln über Flüchtlinge reagieren die Leser mehrheitlich belustigt.


Mit Dank an Thomas O.!

Nachtrag, 25. November: N24 hat die Funktion jetzt komplett von der Seite entfernt. Übrigens kam die hohe “belustigt”-Zahl im ersten Screenshot (“In Schweden schlafen Flüchtlinge nun in der Kälte”) vor allem dadurch zustande, weil auf der Plattform “pr0gramm” jemand auf die Voting-Funktion hingewiesen hatte.

Lügen über Flüchtlinge, Erika Steinbach, Magazinsammlung

1. “Wir holen dich da raus”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck)
Als sie eine Zeit lang in Kabul leben und von dort berichten, lernen Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck den afghanischen Jungen Hasib kennen. Plötzlich meldet sich Hasib, er sitze auf seiner Flucht in Ungarn fest. Die zwei Journalisten machen sich auf den Weg, um ihn nach Deutschland zu schmuggeln.

2. Warum es sich gut anfühlt, über Flüchtlinge Lügen zu verbreiten
(diepresse.com, Sibylle Hamann)
Warum veröffentlichen Leute in den sozialen Medien Gerüchte über Flüchtlinge, die ganze Gruppen in Verruf bringen und gleichzeitig gar nicht stimmen (hier ein aktuelles Beispiel)? Aus Bösartigkeit? Sibylle Hamann will “eine andere, kompliziertere Erklärung zur Diskussion stellen”: die Rechtfertigung für das eigene Nichtstun.

3. Der Shitstorm als Mittel der politischen Kommunikation
(lampiongarten.wordpress.com, Sebastian Baumer)
Aus gegebenem Anlass erinnert Sebastian Baumer an die Wirkungsweise von (bewusster) Provokation und (reflexhaft-empörter) Reaktion: “Es ist ein bisschen traurig (…), aber die ältere CDU-Dame versteht das Internet sehr viel besser und weiß es cleverer zu nutzen als die Leute, die sich über sie aufregen.” Und Ole Reißmann appelliert: “Erika Steinbach ist ein Internet-Troll. Die füttert man nicht, die ignoriert man.”

4. “Ich entschuldige mich!”
(sueddeutsche.de, Nadia Pantel)
Der Inhaber von Serbiens größter Tageszeitung, dem Boulevardblatt “Kurier”, entschuldigt sich auf der Titelseite seiner Sonntagsausgabe: Er habe jahrelang Selbstzensur geübt und sich bereitwillig mit den Mächtigen des Landes arrangiert. Dazu ein offener Brief, in dem er beschreibt, wie die Regierung Journalisten zu positiver Berichterstattung nötige. Der Fall sorgt in Serbien für Aufruhr — und auch die EU-Kommission warnt: “Es besteht Sorge über die sich verschlechternden Bedingungen der Meinungsfreiheit in Serbien. (…) Drohungen und Gewalt gegenüber Journalisten bleiben besorgniserregend.”

5. “Im Magazinmachen steckt die Sehnsucht, unsterblich zu werden”
(buchalsmagazin.tumblr.com, Peter Wagner)
Beruflich macht Horst Moser Magazine, privat sammelt er sie — mittlerweile braucht es zum Lagern eine ganze Halle: “Wieviele haben Sie beisammen?” — “Keine Ahnung, es sind viele Regalkilometer.” Peter Wagner hat sich mit ihm über seine Leidenschaft unterhalten.

6. Berliner Drehtüreffekt: Vom Journalisten zum Regierungssprachrohr
(youtube.com, Tilo Jung, Video, 1:53 Minuten)
Hier ein Wechsel aus der Wirtschaft in die Politik (oder andersrum), dort ein Wechsel aus dem Journalismus in die Wirtschaft. Nun ist mal wieder ein Wechsel aus dem Journalismus in die Politik dran: Sibylle Quenett, zuletzt stellvertretende Chefredakteurin der “Mitteldeutschen Zeitung”, arbeitet jetzt im Pressereferat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Tilo Jung zu ihrer Vorstellung in der Bundespressekonferenz: “Der ganz normale, andere Drehtüreffekt im Berliner Regierungsviertel”.

Wie falsche Bilder von Flüchtlingen entstehen

Es ist nicht unwichtig, welche Bilder man im Kopf hat, wenn man über Flüchtlinge redet.

Wenn “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer über Flüchtlinge redet, hat er zwei Bilder im Kopf, aber wenn es nach ihm geht, passt nur eins davon zur Realität.

Da wäre zum einen das hier, das er auf der Facebook-Seite der Grünen-Politikern Katrin Göring-Eckardt gefunden hat:

“Es ist das, was man ein herziges Bild nennt”, schreibt Fleischhauer. “Wer keine Seele aus Stein hat, der möchte das Kind an die Hand nehmen und an einen sicheren Ort bringen.”

Und dann das andere Bild, auf der Titelseite der “FAZ” vom 30. September:

“Man sah darauf Neuangekommene, die auf ihre Registrierung als Asylbewerber warteten”, schreibt Fleischhauer. “Ein Kollege, mit dem ich telefonierte, fragte mich, ob ich bemerkt habe, dass es sich von vielen Flüchtlingsfotos unterscheide. Er hatte recht: Es gab darauf weder Kinder noch Frauen. Man sah ausschließlich Männer, die sich an weißen Sperrgittern gelehnt die Zeit vertrieben.”

Und das, findet Fleischhauer, treffe die “Migrationswirklichkeit” “leider” viel besser als das herzige Kinder-Bild:

Wer wie Katrin Göring-Eckardt vor allem schutzbedürftige Kinder sieht, hält jeden für einen Unmenschen, der laut über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit nachdenkt. Was die Migrationswirklichkeit angeht, sprechen die Fakten leider gegen die Fraktionsvorsitzende der Grünen und für die “FAZ”: Rund 70 Prozent derjenigen, die zu uns kommen, sind allein reisende, junge Männer.

Es ist also klar, welches Bild Fleischhauer in die Köpfe seiner Leser bringen will:

Fleischhauer schreibt:

Bislang spielt sich die Krise abseits der Innenstädte ab, wo die Leute, die in der Flüchtlingsdebatte den Ton angeben, gerne wohnen. Wer durch die Einkaufszonen von Hamburg oder München schlendert, würde nie auf die Idee kommen, dass man in vielen Kommunen nicht mehr weiß, wie man der Lage Herr werden soll. Aber dieser Zustand des seligen Nebeneinanders kann sich schnell ändern. Der Soziologe Armin Nassehi, der übrigens ein Befürworter von mehr Zuwanderung ist, spricht von einer “Maskulinisierung” des öffentlichen Raums, auf die man sich beizeiten einstellen sollte.

Man wird sehen, wie das aufgeklärte Deutschland reagiert, wenn das neue Eckensteher-Milieu die inneren Großstädte erreicht. Für die #Aufschrei-Welt, in der schon ein zu offensiver Blick auf Po oder Busen einen sexuellen Übergriff markiert, verheißt das Wort “Maskulinisierung” jedenfalls nichts Gutes.

Für Fleischhauer offenkundig auch nicht. 70 Prozent junges, männliches “Eckensteher-Milieu”, du liebe Zeit!

Woher er diese Zahl hat, verrät er allerdings nicht.

Vielleicht von Boris Palmer. Der Grünen-Politiker hatte nicht nur die gleiche Zahl, sondern vermutlich auch ähnliche Bilder im Kopf wie Fleischhauer, als er Ende September in der “taz” über Flüchtlinge sprach:

“Derzeit sind über 70 Prozent der Flüchtlinge junge Männer, die ganz andere Vorstellungen von der Rolle der Frauen, der Religion, Meinungsfreiheit, Homosexualität oder Umweltschutz in der Gesellschaft haben als wir Grüne. Machen wir uns nichts vor: Die Aufgabe ist riesig.”

Seit Palmer und Fleischhauer geistern die Behauptungen immer wieder durch die Medien. Vor drei Wochen zum Beispiel in einem Interview der “Welt”:

Die Welt: Über 70 Prozent der Flüchtlinge sind allein reisende junge Männer. Der Soziologe Armin Nassehi warnt schon vor einer Maskulinisierung des öffentlichen Raums. Was heißt das im Alltag?

Oder in der “Huffington Post”:

Und über noch etwas sollten sich die Politik und die Deutschen keine Illusionen machen: Rund 70 Prozent der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Junge Männer – egal welcher Herkunft und welches Glaubens – sind besonders anfällig dafür, Gewalttaten zu begehen.

Auch Leser machen sich die Behauptungen zu eigen:

Wie stellen sich unsere Politiker künftig diese Gesellschaft eigentlich vor, wenn mehr als 70 Prozent der Asylanwärter und Flüchtlinge junge Männer sind, die andere Vorstellungen haben von Religion, Meinungsfreiheit, Toleranz, vom Rollenverständnis Mann/Frau, für die in ihrer bisherigen Lebenswirklichkeit christliche Werte und Demokratie bislang Fremdworte waren (…)?

Ganz besondere Aufmerksamkeit erregen die Aussagen aber bei jenen, die von den Medien sonst eigentlich nicht so viel halten und von den Flüchtlingen erst recht nicht:

Auch in rechtspopulistischen Zeitungen, auf ausländerfeindlichen Hetzseiten und in Naziforen werden die Aussagen dankbar aufgegriffen.

Quellen (außer Fleischhauer oder Palmer) oder Belege für diese Behauptung finden sich nirgends.

Wir haben uns daher mal vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die aktuellsten Daten über das Alter und Geschlecht von Asylbewerbern besorgt. So sehen sie (für die von Januar 2015 bis einschließlich September 2015 gestellten Anträge) aus:

Altersgruppe männlich weiblich
bis unter 16 43.482 36.743
16 bis unter 18 9.706 2.948
18 bis unter 25 56.539 14.743
25 bis unter 30 34.517 11.685
30 bis unter 35 23.075 9.858
35 bis unter 40 15.213 7.549
40 bis unter 45 10.058 5.003
45 bis unter 50 6.263 3.336
50 bis unter 55 3.513 2.213
55 bis unter 60 1.870 1.521
60 bis unter 65 965 839
65 und älter 834 967
unbekannt 2 1
Gesamt 206.037 97.406

Der Anteil der jungen Männer — sagen wir mal: 18 bis 35 Jahre — an der Gesamtzahl der Flüchtlinge beträgt demnach nicht 70, sondern 38 Prozent. Selbst wenn man “junge Männer” als 16 bis 40 Jahre definiert, kommt man nur auf 46 Prozent.

Es stimmt, dass überwiegend männliche Flüchtlinge in Deutschland Asyl suchen (rund 70 Prozent). Doch fast die Hälfte davon ist entweder minderjährig oder älter als 35.

Viele “besorgte” Bürger und Medien stellen insbesondere die jungen, allein reisenden Männer unter den Flüchtlingen als Gefahr dar. Behauptungen wie die von Fleischhauer und Palmer erleichtern ihnen die Panikmache, denn wenn sogar die Gutmenschenmedien 70 Prozent Eckensteher-Flüchtlinge ausmachen, ist die endgültige Schändung des Abendlandes ja praktisch nicht mehr aufzuhalten.

Den Hetzern kommt dabei auch zugute, dass durch die Betonung des (falschen) “junge Männer”-Anteils ein anderer Ausschnitt der (tatsächlichen) Migrationswirklichkeit verzerrt wird: der Anteil der Kinder.

70 Prozent der Flüchtlinge sind junge, alleinstehende Männer – es gibt kaum Kinder.

Aber gerade sie tauchen in den Pressebildern auf. Die Medien informieren nicht mehr, es wird mit Gefühlen manipuliert: Die großen Augen eines verlorenen Kindes können selbst ein Herz aus Stein erweichen. Viele im Land wollen helfen, weil sie den Ernst der Lage vollkommen falsch einschätzen und die Krise noch nicht in den Innenstädten angekommen ist.

So schreibt es ein Autor des “Kopp”-Verlags. Die Rechnung ist ja auch nicht allzu schwer: Wenn schon 70 Prozent der Flüchtlinge junge Männer sind, kommen noch alte Männer dazu, dann junge Frauen, alte Frauen — da muss die Zahl der Kinder ja gering sein.

In Wahrheit aber ist fast jeder dritte Flüchtling minderjährig, jeder vierte ist jünger als 16. Allein in diesem Jahr haben laut BAMF bis Ende September fast 7.500 unbegleitete und 85.000 begleitete Minderjährige Asylanträge gestellt.

Keine Frage: Wer nur schutzbedürftige Kinder sieht, verkennt die Realität. Wer 70 Prozent junge Männer und kaum Kinder sieht, verkennt sie aber auch.

Die Statistiken für 2014 sehen übrigens ähnlich aus (und sind für jeden einsehbar, sogar für Journalisten und Politiker). Anteil der jungen Männer: 37 Prozent. Anteil der Kinder unter 16: 28 Prozent.

Ob die jungen Männer allesamt alleine reisen und oft an Ecken stehen, welches Verständnis sie von der Rolle der Frau, von Religion, Meinungsfreiheit, Homosexualität und Umweltschutz haben, ist den Statistiken übrigens nicht zu entnehmen.

Bei diesem Teufel-an-die-Wand-Malen nach Zahlen fällt auch unter den Tisch, warum vor allem junge Männer nach Europa flüchten. Dafür gibt es viele Gründe, die zum Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“ vor Kurzem genauer betrachtet hat:

„In vielen Familien, die in Gefahr geraten, reichen die Ressourcen einfach nicht aus, um mehr als einem Mitglied die Flucht nach Europa zu finanzieren”, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Aus verschiedenen Gründen würden dann eher die jungen Männer als Frauen oder Ältere und Kinder auf den Weg geschickt.

So sind Männer etwa in der Regel körperlich stärker und – je nach Herkunft – häufig besser ausgebildet als Frauen. Deshalb gelten ihre Chancen als größer, eine gefährliche Reise zu überleben und am Zielort Arbeit zu finden. Häufig stellen sie aus traditionellen Vorstellungen heraus den Haupternährer – und stehen damit in der Verantwortung, für die Familie zu sorgen.

Auch die Gefahr, als Kämpfer zwangsverpflichtet zu werden, motiviert laut Experten viele Männer zur Flucht:

“Männer wollen so vermutlich einer direkten Beteiligung am Kampfgeschehen entgehen”, sagte Pro-Asyl-Chef Günter Burkhardt SPIEGEL ONLINE. Die Gefahr, getötet oder zwangsrekrutiert zu werden, sei für sie etwa im Bürgerkriegsland Syrien sehr hoch.

Darüber hinaus „kümmern sich in vielen Fällen Frauen um den Nachwuchs und bleiben aus diesem Grund eher in den Herkunftsländern zurück“, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Für Frauen komme in manchen Gebieten zudem das Risiko hinzu, auf der Flucht verschleppt und vergewaltigt zu werden, so Pro Asyl.

Es ist also, wie die “Süddeutsche” feststellt, …

nicht überraschend, dass sich – unabhängig vom konkreten Anlass der Flucht – eher Männer auf die gefährliche Reise machen, während die Familien in der Hoffnung zurückbleiben, dass sie später über eine Familienzusammenführung ohne Risiko nachreisen können – oder aus der Ferne vom Mann versorgt werden.

All das spielt bei Fleischhauer, Palmer, den Rechtspopulisten und Nazis keine Rolle. Sie stürzen sich auf die eine Zahl, die eine falsche Zahl, und erzeugen damit ein verzerrtes und unvollständiges Bild, das seit Wochen weitergetragen und verfestigt wird.

Und dann war da noch Kai Gniffke, der Chefredakteur von “ARD Aktuell”. Der “Focus” schrieb vor zwei Wochen:

Die „Tagesschau“ und die „Tagesthemen“ zeige nicht immer ein richtiges Bild der nach Deutschland drängenden Flüchtlingen. Das hat „ARD aktuell”-Chefredakteur Kai Gniffke jetzt eingeräumt.

Vor Branchenexperten in Hamburg sagte Gniffke: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

Also:

„Wir müssen sensibel sein, damit die Bildauswahl nicht allzu sehr auf Kinder fokussiert wird“, kündigt der Chefredakteur gegenüber FOCUS an.

Die, die sonst nur Lügen in der Presse sehen, glaubten diese Nachrichten ausnahmsweise sofort und verkündeten triumphierend:



Der “Focus”-Artikel mit den Aussagen Gniffkes dient den Verschwörungstheoretikern und Rechtspopulisten sogar als Beleg dafür, dass “der Begriff ‘Lügenpresse’ absolut richtig!!” sei. Die Argumentation:

Wenn also diese Berichterstattung über die Flüchtlinge ansich „getürkt“ ist, dann sind es andere Themen aus der Flüchtlingskrise ebenso. Der mediale Modder fängt an zu stinken!

Zu offensichtlich wurde in den Medien gelogen, das „saubere Bild“ konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden. Jeder wusste, dass sie lügen und somit ist der Begriff „Lügenpresse“ absolut richtig!!

(gefunden auf einer Seite, auf der man “Weltnetz” statt “Internet” sagt.)

Bloß ist das zentrale Zitat von Gniffke …

… völliger Unsinn. Wir haben ihn gefragt, wie er auf die Zahl kommt. Seine Antwort: Dieses “angebliche Focus-Zitat ist komplett falsch”.

Es gibt allerdings einen Mitschnitt seiner Aussagen (ab 47:30), und der zeigt: Der “Focus” hat Gniffke weitgehend korrekt zitiert. Er sagte:

Immer, wenn wir Flüchtlinge zeigen und wenn die dann als Beispiel vorkommen, dann sind das Familien. Meistens: Frauen, Kinder… Tatsächlich ist es aber so: 80 Prozent der Flüchtlinge sind kräftig gebaute, junge Männer. Die da überwiegend auch alleine kommen. Wie gesagt: Die Berichterstattung sieht aber irgendwie sehr familiär aus. Nun kennt jeder Journalist das: Och, nee, das ist viel schöner, auch als Kameramotiv, als Bildmotiv – da nimmste kleine Kinder, ist total nett. Aber es verbiegt ein bisschen tatsächlich die Realität.

Seine Aussage ging noch weiter:

Deshalb haben wir dann auch gesagt: Wir machen jetzt mal ein Soziogramm, und zwar in der Hauptausgabe, 20 Uhr: Wer sind das? Wo kommen die her? Hmm, fast die Hälfte kommt aus Ländern, wo wir sagen: Uiuiui, da eine politische Verfolgung nachzuweisen, wird schwer, zumal wenn es sich noch um EU-Beitrittskandidaten handelt. Das müssen wir den Leuten mal sagen. Wir müssen denen sagen: Das sind junge Männer. Wir haben denen gesagt: Was haben die für einen Bildungsgrad? Und und und. Aus welchen Zusammenhängen kommen die.
Nee, ich glaube nicht, dass wir da blinde Flecken haben. Und, wirklich, gegen das Extremistische hilft dann auch tatsächlich nur informieren, Fakten liefern und widerlegen – sonst wüsste ich keinen Weg.

Wir auch nicht.

Mit Dank an Martin.

Nachtrag, 5. November: Einige Leser haben uns darauf hingewiesen, dass ja nicht alle Flüchtlinge einen Asylantrag stellen, die Gesamtzahl der Flüchtlinge in Deutschland also höher sei als die vom BAMF registrierten 300.000. Daran besteht auch kein Zweifel.

Das Bundesinnenministerium teilte im August mit, es rechne damit, …

dass in diesem Jahr bis zu 800.000 Asylbewerber bzw. Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden.

Womöglich wird die Zahl aber noch deutlich höher sein. In einem Interview sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor zwei Wochen:

Schweriner Volkszeitung: Die Prognose, dass in diesem Jahr 800 000 Flüchtlinge und Asylbewerber ist nicht mehr zu halten, oder?

De Maizière: Ich werde keine neuen Zahlen nennen. Jedenfalls nicht in den nächsten Wochen. Jede neue, womöglich höhere Prognose würde von den Schleppern missbraucht. Als die Bundesregierung die Prognose auf 800 000 für dieses Jahr erhöht hatte, kam in Afghanistan das Gerücht auf, wir würden 800 000 afghanische Flüchtlinge zu uns einladen.

Gehen wir also mal großzügig von 1,5 Millionen in Deutschland ankommenden Flüchtlingen im Jahr 2015 aus. Dann müssten unter den 1,2 Millionen Flüchtlingen, die in den BAMF-Zahlen nicht erfasst sind, 936.000 junge Männer sein, um sagen zu können: 70 Prozent aller erfassten und nicht-erfassten 1,5 Millionen Flüchtlinge sind junge Männer.

Der Anteil der jungen Männer an den 1,2 Millionen nicht-erfassten Flüchtlingen müsste also 78 Prozent betragen – ein mehr als doppelt so großer Anteil wie unter denen, die laut BAMF in diesem Jahr einen Asylantrag gestellt haben. Und ebenfalls doppelt so groß wie unter denen, die im vergangenen Jahr einen Antrag gestellt haben. Und doppelt so groß wie unter denen, die 2014 europaweit Asylanträge gestellt haben. Wir sehen keinen Grund, warum das so sein sollte.

Nachtrag, 11. November: Boris Palmer hat uns kurz nach Erscheinen unseres Eintrags eine Mail geschickt, die wir mit seinem Einverständnis hier veröffentlichen:

Ich schätze die Arbeit von bildblog sehr. Daher freue ich mich, dass Sie der Frage nachgehen, wer die Flüchtlinge sind und meine Aussage, 70% der Flüchtlinge seien junge Männer, kritisch hinterfragen.

Vorneweg: Es ist desaströs , dass wir keine Ahnung haben, was nun eigentlich stimmt. Die Statistik des Bamf sagt nichts mehr aus, weil sie nur noch einen kleinen Teil der Flüchtlinge erfasst – im Oktober weniger als ein Fünftel. Für die öffentliche Debatte ist es extrem wichtig, dass möglichst bald präzise Zahlen zu Zahl, Herkunft, Alter, Geschlecht, Bildung und Qualifikation der Flüchtlinge erhoben werden. Sonst kann man nicht vernünftig diskutieren, wie wir als Gesellschaft auf die Herausforderung reagieren, die Einwanderung in diesem Maßstab darstellt.

Ich habe im September in der taz darauf aufmerksam gemacht, dass ein Großteil der Flüchtlinge junge Männer sind – bis dahin in der öffentlichen Debatte wenig beachtet – und dabei die Zahl 70% genannt. In einem mündlichen Interview. Meine Quelle war keine offizielle Statistik, sondern mündliche Informationen von Verantwortlichen in der Flüchtlingsverwaltung und der Augenschein in Erstaufnahmeeinrichtungen und Unterkünften. Die Zahl habe ich nie als exakten Wert begriffen.

Anders als Sie in bildblog schreiben, ist die Größenordnung aber durchaus plausibel. Die Statistik des Bamf, die Sie heranziehen, enthält noch einen großen Anteil von Asylbewerbern aus dem Balkan. Denn in der ersten Jahreshälfte kamen mit Abstand die meisten Asylbewerber aus den Balkanstaaten. In dieser Gruppe sind in der Tat sehr viele Kinder und der Frauen. Die Reise ist eben nicht so weit und gefährlich wie von Syrien oder Afghanistan. Da diese Menschen so gut wie alle keinen Asylanspruch haben und das Land verlassen müssen, sind sie für die Frage nach Integrationserfordernissen, um die es im Kontext meines Interviews in der taz ging, nicht entscheidend.

Betrachtet man die Zahlen ohne die Flüchtlinge vom Balkan, liegt sogar die Zahl des Bamf schon bei etwa 50% junger Männer. Da man sicher annehmen kann, dass eine Familie sich viel schwerer tun wird, allein und unregistriert in Deutschland Fuß zu fassen, als ein junger Mann, ist es auch plausibel, den Anteil der nicht Registrierten in dieser Personengruppe noch höher anzusetzen. Mit dieser Hypothese lässt sich der Eindruck aus den Erstunterkünften, dass weit überwiegend junge Männer Asyl suchen, gut bestätigen.

Entscheidend ist für mich allerdings, dass es auf die exakte Zahl nicht ankommt. Die Aussage, dass sehr viele junge Männer alleine zu uns kommen und dies entweder ein großes soziales Problem für diese Männer oder Familiennachzug in siebenstelliger Höhe bedeutet, ist richtig. Und darauf kommt es in der Debatte an. Denn zumindest in dieser Hinsicht hat Jan Fleischhauer schon einen Punkt getroffen: Über sehr lange Zeit wurde die Berichterstattung über Flüchtlinge von Kinderbildern dominiert. Das weckt Emotionen und ist an sich nicht zu beanstanden. Für die Debatte müssen aber die Fakten benannt werden.

Ich finde alles gut, was diese Debatte sachlich voranbringt. Daher besten Dank für Ihren Beitrag

Es müssten „die Fakten benannt werden“, schreibt Palmer. Also gut.

Sein Hauptgegenargument sind die Flüchtlinge vom Balkan. Er schreibt:

Betrachtet man die Zahlen ohne die Flüchtlinge vom Balkan, liegt sogar die Zahl des Bamf schon bei etwa 50% junger Männer.

Das wollten wir überprüfen und haben das BAMF gebeten, uns die Zahlen aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht und Herkunftsländern zuzuschicken. Antwort:

(…) leider haben wir keine Altersgruppen nach Herkunftsländern. Ich kann Ihnen also leider nicht weiterhelfen.

Wo also hat Palmer die BAMF-Zahl her, wenn nicht mal das BAMF sie hat? Wir haben ihn gefragt. Geantwortet hat er nicht. Sie dürfte also ebenfalls erfunden eine Schätzung sein.

Gestern hat Palmer übrigens einen Gastbeitrag für die „FAZ“ geschrieben, in dem er unter anderem – das BAMF kritisiert:

Fortsetzung: hier.

Flüchtlingskriminalität, Björn Höcke, Martensteins Wohnung

1. “Kehrt um!”
(zeit.de, Alena Jabarine)
Eigentlich wollte Alena Jabarine fürs NDR-Magazin “Panorama” über den Flüchtlingstreck in Slowenien berichten. Und auf einmal steht sie zwischen den Fronten, auf der einen Seite eingekesselte Geflüchtete, die sich weigern, in ein Camp zu gehen; auf der anderen die Polizei, die droht, Gewalt anzuwenden. Und Jabarine muss vermitteln: “Noch nie habe ich mich so hilflos gefühlt. Wir sind mitten in Europa. Ich bin der Hoffnungsschimmer dieser Menschen, denn sie sind eingeschlossen, und ich bin frei. Frei und handlungsunfähig.” Beim NDR gibt es die dazugehörigen Videoaufnahmen zu sehen.

2. Fragwürdige Debatte um “Flüchtlingskriminalität”
(ndr.de, Andrej Reisin)
Die “Kieler Nachrichten” veröffentlichen in acht Tagen zehn Artikel zur “Flüchtlingskriminalität”, darin zitieren sie auch aus internen Polizeilageberichten. Sind das nun Scoops, oder bauscht die Redaktion ein Angstmacherthema auf? Andrej Reisin entschlüssel für “Zapp” die Berichterstattung.

3. Höcke und die Medien – “Kamerad” mit grünem Korrekturstift
(carta.info, Klaus Vater)
Björn Höcke ist eigentlich ein Provinzpolitiker — der sich auf N24 mit Michel Friedman streiten durfte, von Sandra Maischberger und Maybritt Illner eingeladen wurde und bei Günther Jauch vor einem Millionenpublikum eine schwarz-rot-goldene Fahne über die Armlehne seines Sessels legte. Der Politologe Klaus Vater glaubt, dass die Medien damit auf Höckes Provokationen hereinfallen und ihm unnötigerweise Aufmerksamkeit verschaffen.

4. Rufmord als Methode (1): Varoufakis
(norberthaering.de, Norbert Häring)
Deutsche Medien hätten den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis “in aggressiver Penetranz auf sein Äußeres und sein Auftreten reduziert und als Person wahlweise lächerlich oder unmöglich gemacht”, findet Norbert Häring. Und selbst vier Monate nach seinem Rücktritt sei damit noch nicht Schluss: Varoufakis’ Auftritt am 28. Oktober in München sei boulevardesk verzerrt dargestellt worden, die Spekulationen über seine angeblich überzogenen Vortragshonorare empfindet Häring als unnötig skandalisierend.

5. “Die Angst kann ich nachvollziehen”
(taz.de, Jürn Kruse)
Die Bemühungen von ARD und ZDF, ein öffentlich-rechtliches Jugendangebot zu etablieren, haben noch nicht das Running-Gag-Ausmaß des Berliner Flughafens erreicht — dennoch bezweifeln manche, ob der fürs kommende Jahr anvisierte Start realistisch ist. Der verantwortliche Geschäftsführer Florian Hager ist da zuversichtlicher. Die Eisbrecher-Frage zum Einstieg: “Wie alt wird ein heute 18-Jähriger sein, wenn er das erste Mal einen Inhalt aus dem Jugendangebot sieht?” Hagers Antwort: “19.”

6. Die Wohnung des Herrn Martenstein
(prinzessinnenreporter.de, Ramona Ambs)
Ramona Ambs über Harald Martenstein, dessen “schöne Wohnung” und seine vermutliche Angst, dass bald “dunkle Flüchtlingskinder am eigenen teuren Kronleuchter schaukeln” könnten.

Bild  

Dirk Hoerens halbe Hartz-Wahrheit über Flüchtlinge

Die „Bild“-Zeitung schlägt heute wieder Alarm:

Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus Asyl-Ländern steigt

Immer mehr Flüchtlinge landen in Hartz IV! Laut einer neuen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, die aus Asylzugangsländern stammen, im Juli auf 442 230 gestiegen. Das waren 23,5 % mehr als im Vorjahresmonat. Die meisten kommen aus Syrien (98 494), Irak (56 661), Serbien (56 264), Russland (40 798) und Afghanistan (36 776).

Geschrieben wurde der Artikel von Dirk Hoeren, er stimmt aber trotzdem. Die Zahlen stammen aus einer aktuellen Statistik der Bundesagentur (PDF):

Doch einen Punkt lässt Dirk Hoeren in seinem Artikel unerwähnt: Nicht nur die Zahl der Hartz-IV-Empfänger ist gestiegen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten:

Dazu schreibt die Bundesagentur:

Aus den Asylzugangsländern waren in Deutschland im August insgesamt 495.000 Beschäftigte registriert, das waren 39.000 oder 8,5 Prozent mehr als vor einem Jahr (…). Dabei fiel der Anstieg von Personen mit einer syrischen Staatsangehörigkeit mit 43 Prozent relativ am stärksten aus. Der Anteil von Beschäftigten aus den Asylzugangsländern an allen Beschäftigten beläuft sich auf 1,4 Prozent. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhöhte sich um 34.000 oder 9,6 Prozent und die geringfügige Beschäftigung um 5.100 oder 4,7 Prozent.

„Bild“ hätte also auch schreiben können:

Zahl der Beschäftigten aus Asyl-Ländern steigt - Immer mehr Flüchtlinge haben einen Job! Laut einer neuen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der Beschäftigten, die aus Asylzugangsländern stammen, im Juli auf 494612 gestiegen. Das waren 8,5 % mehr als im Vorjahresmonat. Die meisten kommen aus Russland (82996), Serbien (72932), Bosnien und Herzegowina (70193), Kosovo (60932) und Ukraine (44135).

Aber so eine Schlagzeile passt halt schlecht zum aktuellen Hilfedie“Asylanten”kommen-Kurs der „Bild“-Zeitung.

Und weil andere Medien ja lieber blind von “Bild” abschreiben, statt sich das Gesamtbild anzuschauen, ist jetzt auch nur der eine Teil der Wahrheit im Umlauf:

Immer mehr Flüchtlinge erhalten Hartz IV
Immer mehr Flüchtlinge erhalten Hartz IV

Flüchtlinge, Ladezeiten, Datenhehlerei

1. Flüchtlinge plötzlich verschwunden
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler ist irritiert, wie abrupt die “laute Berichterstattung über die Flüchtlinge” verstummt ist: “Allenfalls gibt es noch kürzere Meldungen dazu. Auf den Titelseiten und in den Nachrichtensendungen herrscht wieder Alltagsroutine.” Kathrin Hollmer sieht das anders und stellt bei sueddeutsche.de Magazine vor, die Geflüchtete selbst zu Wort kommen lassen. Das “Mindener Tageblatt” erklärt im Redaktions-Blog, “warum das MT nicht ungefiltert aus der Häverstädter Notunterkunft berichten kann”.

2. What It’s Like To Report on Mass Shootings Routinely
(medium.com, Polly Mosendz, englisch)
Nach dem Amoklauf am Umpqua Community College in Roseburg erzählt Polly Mosendz, wie routiniert sie und ihr “Newsweek”-Team inzwischen auf Schießereien reagieren: “It’s so routine that we have an entire assembly line in place, complete with prewritten and predictable stories.” Dazu auch: “The Concourse” über das Ranwanzen an Augenzeugen durch Reporter bei Twitter und “Poynter” über die Reaktion der Medien auf Barack Obamas Bitte, US-Opfer von Terroranschlägen und von Amokläufen ins Verhältnis zu setzen.

3. Maas und die Datenhehlerei
(sueddeutsche.de, Ulf Buermeyer)
In diesem Herbst wird der Bundestag aller Voraussicht nach die Vorratsdatenspeicherung verabschieden. Für Ulf Buermeyer gibt es viele Gründe, warum man das Gesetz ablehnen könnte — einen besonders wichtigen sieht er bislang nicht ausreichend beleuchtet. Der Paragraf gegen Datenhehlerei könnte “unvorhersehbare Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche” haben, “in denen der Umgang mit Daten eine Rolle spielt — ganz besonders auch auf den investigativen Journalismus.” Buermeyer sieht darin “den eindeutigen Versuch, den Umgang mit Daten, wie sogenannte Whistleblower ihn pflegen, möglichst weitgehend zu kriminalisieren.”

4. Braune Biobauern: Vegane Nazis bauen sich ihr Bullerbü
(spiegel.de, Anja Reiter)
Die Umweltzeitschrift “Umwelt & Aktiv” kümmert sich nicht nur um Umwelt- und Tierschutz, sondern auch um den “Heimatschutz”: Das Öko-Magazin gehört zu einer rechten Gruppe, die zum Teil aus ehemaligen NPD-Mitgliedern besteht. Für Anja Reiter nicht abwegig, denn Umweltschutz passe gut zu “völkisch-nationalen Idealen”.

5. Mobile Ads und die Geschwindigkeit deutscher Nachrichtenseiten
(datenkritik.de, Steffen Kühne)
Vergangene Woche visualisierte die “New York Times” Ladezeiten und Datenverbrauch der 50 größten US-News-Seiten — einmal mit Adblocker, einmal ohne. Steffen Kühne hat nun das Gleiche mit deutschen Medien gemacht — und musste zwischen 3,2 Sekunden (“Bild”) und 16,5 Sekunden (“Hamburger Abendblatt”) warten. In diesem Zusammenhang ebenfalls interessant: Mobilfunk-Kunden zahlen durchschnittlich 16,6-mal mehr für ihr Datenvolumen, als Verlage an ihren Klicks und Visits verdienen.

6. So würden Medien berichten, wenn die Mauer heute erst gefallen wäre
(buzzfeed.com, Sebastian Fiebrig)

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Wer gegen Massenunterkünfte ist, muss gegen Flüchtlinge sein

In Potsdam sieht es derzeit so aus, wie in vielen anderen Städten und Gemeinden: Die Verwaltung sucht dringend nach möglichem Wohnraum für Geflüchtete. Bei der durchaus schwierigen Suche nach freien Plätzen hat die Stadt Potsdam auch beim örtlichen Kulturzentrum “freiLand” nachgefragt. Und das hat in einem offenen Brief geantwortet:

Am Montag dem 14.09.2015 erreichte uns über eine Arbeitsgruppe der Stadt Potsdam die Anfrage, ob auf dem freiLand-Gelände über einen längeren Zeitraum Unterkünfte für Geflüchtete aufgestellt werden könnten. Längerer Zeitraum bedeutet hier eine Unterbringung von Flüchtlingen über mehrere Jahre und nicht ein vorübergehendes Provisorium.

Die Pläne sähen vor, “zwei Container mit Stoffdächern” aufzustellen, die “jeweils 48 Geflüchteten Platz bieten sollen.” In diesen Containern befänden sich lediglich Schlafplätze, “Sanitäreinrichtungen würden zusätzlich auf dem Gelände installiert werden.” Gemeinschaftsräume und Küchen seien nicht vorgesehen, die Beheizung solle per Heißluftgebläse erfolgen.

Das ist nach Meinung des Kulturzentrums keine angemessene Lösung:

Aus unserer Sicht ist diese Form der massenhaften Unterbringung von Geflüchteten über Monate und Jahre hinweg unzumutbar. Sie nimmt den Menschen die letzten Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben und zu handeln.

Das “freiLand”, nach eigenen Angaben recht aktiv in der Flüchtlingshilfe vor Ort, schreibt aber auch, dass es “absolut bereit” sei, “Menschen einen Zufluchtsort — auf bestimmte oder unbestimmte Zeit — zu bieten.”

Also: Ein Angebot, Flüchtlingen einen Platz zu bieten, gleichzeitig die Forderung nach einer würdevollen Unterbringung — müsste doch eigentlich was für die “Wir Helfer” der “Bild”-Zeitung sein. Oder?

Mal abgesehen von der Verkürzung, der Verdrehung und der einseitigen Auslegung des offenen Briefes: Einer Einrichtung, die sich für eine würdevolle Unterbringung von Geflüchteten stark macht, vorzuwerfen, sie sei “richtig herzlos”, ist so, als würde man dem FC St. Pauli vorwerfen, er hätte “Kein Herz für Flüchtlinge”.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (3)

Dass Fans des Hamburger SV dem FC St. Pauli Respekt zollen und sich wünschen, ihr Verein würde genauso handeln wie der Kiezklub, kommt nicht häufig vor. Auch nicht, dass Anhänger des FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund voller Neid auf die kleineren Nachbarn VfL Bochum und MSV Duisburg schauen. “Bild”-Chef Kai Diekmann hat mit seinen zwei Pöbeltweets zu St. Paulis Entscheidung, sich nicht als Werbetransmitter der “Wir helfen”-Aktion benutzen zu lassen, also das geschafft, was sonst nur Reizthemen wie Stadionverbote oder zu hohe Ticketpreise schaffen: Er hat Fans vereint, die sich sonst nicht besonders leiden können, mitunter sogar regelrecht bekriegen.

Es waren nämlich vor allem die Anhänger der deutschen Fußballvereine, die seit Mittwoch mächtig mobil machten. Fangruppen forderten die Vereinsbosse in offenen Briefen auf, sich der “Bild”-Hermes-DFL-Werbekampagne zu verweigern. Viele Fans haben bei Twitter das Hashtag #BILDnotwelcome tagelang in den sogenannten Trending Topics gehalten. Manche von ihnen kündigten dabei recht drastische Maßnahmen an.

Und ihr Protest hatte Wirkung: Bis zum Ende des vergangenen Spieltags in der 1. und 2. Bundesliga hatten sich zehn Vereine dem FC St. Pauli angeschlossen. Manche verzichteten ebenfalls komplett auf das “Wir helfen”-Logo, andere klebten nur das darin beinhaltete “Bild”-Logo ab; alle elf spielen in der 2. Liga, damit gab es lediglich sieben Zweitligisten, die sich der “Bild”-Aktion komplett angeschlossen haben. In der 1. Liga waren es alle 18 Klubs.

Unabhängig davon, ob ihr Verein mit oder ohne “Wir helfen”-Aufnäher auf dem Spielfeld stand, haben viele Fangruppen ihren Protest aus dem Internet auf die Stadionränge getragen. In Nürnberg zum Beispiel …



(Danke an @Ilja_FCN)

… oder in Paderborn durch die Gästefans aus Karlsruhe …


(Danke an @Doering_Stefan)

… oder beim SC Freiburg, wo die Heimfans Transparente mit “Refugees welcome — Bild nicht” und “Erst die Hetze angefacht — wird’s mit Fußball wieder gut gemacht?” hochhielten …



(Danke an Fotografin Friederike Bauer und @HulaLena)

… oder in Darmstadt …


(Danke an @DaTagblatt-Fotograf Arthur Schönbein)

… oder in Köln …


(Danke an @Lollipop2701 und die #SektionTwitter)

… oder in Mainz …



(Danke an @ne_ratte)

… oder in München, wo die 1860-Fans “Scheinheiligkeit und Doppelmoral als PR-Strategie — das bringt nur Blöd #BILDnotwelcome” aufs Banner schrieben …


(Danke an @Komissarov95)

… oder in Bremen durch die Gäste aus Ingolstadt …


(Danke an fuba tour)

… oder in Stuttgart …




(Danke an die Cannstatter Kurve)

… oder auf beiden Seiten beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Fortuna Düsseldorf …


(Danke an @mistadangee)



(Danke an turus)

… oder in Wolfsburg durch die Fans von Hertha BSC Berlin …


(Danke an La Familia)

… oder bei der Partie Union Berlin gegen Greuther Fürth von beiden Fanlagern …



(Danke an @NN_Online-Redakteur @chribenesch)

… oder mit Stickern beim BVB:


(Danke an @Doering_Stefan)

In Dortmund gab es bereits beim Spiel in der Europa League am Donnerstagabend Proteste gegen “Bild”. Die Fans auf der legendären Südtribüne hatten zahlreiche Banner gespannt:





(Danke an @schwatzgelbde)

Damit stellten sich genau die Fans mit Zitaten aus der neuen “Bild”-Imagekampagne gegen das Blatt, die noch vor wenigen Tagen von “Bild” für die neue Imagekampagne instrumentalisiert wurden:

Nun liest man derzeit immer wieder, dass Kai Diekmann genau das wollte: Aufmerksamkeit, für sich, für “Bild”, für die “Wir helfen”-Aktion.

Klar, mit seiner Twitterei zum FC St. Pauli dürfte er genau darauf ausgewesen sein. Jedenfalls wären so seine unsinnig-steilen Thesen zum Kiezklub zu erklären (weitere Erklärungsversuche: Warnschuss für mögliche Wackelkandidaten, bloß nicht auch noch abzuspringen; spezielles Weltbild: Wer nicht mit “Bild” kooperiert, kann nicht ganz sauber sein). Aber dieses Mal scheint der Aufmerksamkeitsprofi Diekmann die Folgen falsch eingeschätzt zu haben. Die Heftigkeit und die Vielfältigkeit der Reaktionen dürften auch für ihn überraschend gewesen sein. Unzählige Medien berichteten, kleinere Blogs, die großen Onlineportale, selbst die “Tagesthemen”. Und bei so gut wie allen Beiträgen konnte man das Unverständnis über die Äußerungen des “Bild”-Chefs herauslesen und -hören. In Interviews durften Sprecher von Faninitiativen ihren Ärger darüber äußern, dass ihr Verein möglicherweise mit Diekmanns Blatt paktiert, und sich über den scheinheiligen Wandel der “Bild” beim Thema Flüchtlinge auslassen.

Der sonst so tweetselige Diekmann wurde in der Folge auffallend still und twitterte stundenlang überhaupt nichts. Auch dem “Spiegel” wollte er nichts sagen. Gut möglich, dass er mit nur zwei Kurznachrichten eine ganze Menge zerstört hat — nicht nur beim Verhältnis zu den Fußballvereinen, sondern auch am mühsam aufgebauten Image der freundlichen “Bild”.

Damit sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält, schwenkte die Redaktion in ihrer Berichterstattung schnell um: Während sie am Donnerstag noch vorwurfsvoll-beleidigt meldete

… war sie bereits einen Tag später ganz handzahm und einsichtig:


Wir helfen — das haben alle Vereine bereits vorher schon mit zahlreichen Aktionen und Projekten bewiesen. Die Bundesliga ist Meister im Helfen. […] Beispiel St. Pauli: Sach- und Geldspenden des Vereins, seiner Mitarbeiter und Fans. Aktionen beim Test gegen Dortmund. Die Warmmach-T-Shirts und Refugees-Welcome-Banner werden versteigert. Profis besuchen Flüchtlingslager. Es gibt Trainingsangebote für die Kinder.

Nur zur Erinnerung: Das schreibt das Blatt, dessen Chefredakteur zwei Tag zuvor noch polterte, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”, und den Verein in die Nähe der AfD rückte.

Wie heuchlerisch dieser neue “Bild”-Ton vom Freitag ist, zeigt auch ein Blick in die anderen Regionalausgaben:

Einen Tag später, als bei einigen Klubs noch nicht endgültig feststand, ob sie sich an der “Wir helfen”-Kampagne beteiligen oder nicht, ging das Gutwettermachen auf der Titelseite weiter:

Und das Erstligaduell am Freitagabend zwischen dem FSV Mainz 05 und der TSG Hoffenheim nutzte die Redaktion für ihre Samstagsausgabe so:

Also alles wie gehabt: Die Bundesliga steht im Mittelpunkt, genauso die “Bild” selbst mit ihrer “Wir helfen”-Aktion. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, bleiben eine Randerscheinung.

Eine Überraschung gab es dann aber doch noch: Die “Bild am Sonntag” titelte im Sportteil mit Blick auf die Spiele in Liga eins und zwei:

Dabei klopfte sie ganz sicher auch sich selbst und ihrem Schwesterblatt auf die Schultern. Aber immerhin: Die Flüchtlinge haben es in die Überschrift geschafft.

Damit war heute allerdings direkt wieder Schluss, als Kai Diekmann das redaktionelle Sagen zurück hatte — bei “Bild am Sonntag” ist er lediglich Herausgeber –, und seine “Wir helfen”-Aktion wieder die wichtigste Rolle in diesem Schmierentheater bekam:

Mit Dank an alle Fotografen für die Bilder aus den Stadien!

Nachtrag, 22. September, 13:29 Uhr: Auch die Fans des FC Schalke 04 haben sich am Wochenende per Banner zur “Bild”-Aktion geäußert …


(Danke an die Cannstatter Kurve)

… genauso wie die des 1. FC Kaiserslautern.

Mit Dank an Johannes S. für den Link.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (2)

Gestern wurde bekannt, dass die Fußballer des FC St. Pauli am kommenden Wochenende bei der “Bild”-Aktion “Wir helfen” nicht mitmachen werden. Damit war der Verein der erste der 36 Erst- und Zweitligisten, der beim “Bild”-Hermes-DFL-Theater nicht mitspielt. (Inzwischen hat sich der 1. FC Union Berlin den Hamburgern angeschlossen, genauso der SC Freiburg, der VfL Bochum, der MSV Duisburg, die SpVgg Greuther Fürth, der 1. FC Kaiserslautern, Eintracht Braunschweig, der TSV 1860 München und Fortuna Düsseldorf teilweise und womöglich auch der 1. FC Nürnberg.)*

“Bild”-Chef Kai Diekmann polterte daraufhin bei Twitter los, behauptete, am Millerntor seien “#refugeesnotwelcome”, und rückte den Verein in die Nähe der AfD. Seine “Bild”-Kumpels fanden das gut, viele andere eher nicht. Im Blog des DJV schreibt Hendrik Zörner heute, Diekmanns Verhalten sei “eine ausgemachte Sauerei”, und fordert ihn auf, Flüchtlinge nicht zu instrumentalisieren. Und selbst der Kai-Diekmann-Fanklub “Meedia” spricht von “offenkundig ungerechtfertigten Vorwürfe[n]” in Richtung FC St. Pauli.

Wie falsch der “Bild”-Chef mit seinem Angriff liegt, zeigt ein Blick in seine eigene Zeitung. Die Hamburg-Ausgabe berichtete am vorletzten Mittwoch, nach St. Paulis Freundschaftsspiel gegen den BVB, das der Klub unter das Motto “Refugees welcome” gestellt hatte, so:

Und auch Bild.de erkannte, dass beim FC St. Pauli “REFUGEES WELCOME” sind:

Immerhin: In der heutigen Printausgabe gibt es nicht den großen publizistischen Gegenschlag der “Bild”. Zur Weigerung des FC St. Pauli findet man lediglich eine kleine Überschrift …

… und diese vier Sätze:

Schade nur, dass einer der 36 Klubs aus der Solidaritäts-Aktion ausschert.

Der FC St. Pauli macht nicht mit bei „Wir helfen“ und wird stattdessen mit den normalen Firmenzeichen des Logistik-Unternehmens spielen. Das teilte der Hamburger Zweitligist den Beteiligten mit. Man tue schon genug für Flüchtlinge.

Der letzte Satz lässt sich allerdings als eine ziemlich böse Interpretation dessen verstehen, was St. Paulis kaufmännischer Geschäftsleiter Andreas Rettig gestern zu Diekmanns Vorwürfen sagte:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. […] Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen.

“Bild” macht daraus eine beleidigt klingende Absage, als wollte Rettig sagen: “Irgendwann ist auch mal gut hier mit der ganzen Hilfe für diese Flüchtlinge.”

Im Gegensatz zu dieser vermeintlichen Haltung steht für die “Bild”-Leute ihre “Wir helfen”-Aktion. Doch wohlgemerkt: Wofür sich das Blatt (und auch die Deutsche Fußball Liga) seit Tagen feiert, ist nicht etwa die komplette Umbenennung des Bundesligaspieltags oder der Verzicht aller Trikot-Hauptsponsoren zugunsten eines großen “Refugees welcome”-Schriftzugs auf der Brust der Mannschaften (wie zum Beispiel beim Zweitligisten MSV Duisburg), sondern ein ein paar Quadratzentimeter großer Badge, bei dem optisch diejenigen im Mittelpunkt stehen, die helfen, und die Flüchtlinge wortwörtlich zur Randerscheinung werden.

Schon möglich, dass am Wochenende einige Fußballfans vor dem Fernseher sitzen, den Aufnäher sehen und denken werden: “Boah, toll, was mein Verein und die ‘Bild’ und Hermes und die Bundesliga so für Flüchtlinge machen.” Spätestens dann ist Kai Diekmanns Werbeplan aufgegangen.

Mit Dank an Michael P.

*Nachtrag, 19:41 Uhr: Nicht nur der 1. FC Union Berlin schließt sich dem FC St. Pauli an, sondern mindestens zwei weitere Zweitligaklubs: der SC Freiburg und der VfL Bochum.

Die Freiburger schreiben:

Für uns ist klar, dass es vor allem das glaubwürdige Engagement vieler lokaler Initiativen ist, das Flüchtlingen jetzt in enger Absprache mit örtlichen Behörden und überregionalen Hilfswerken ganz konkret hilft. Wir haben uns entschieden, morgen ohne den veränderten Ärmel-Aufnäher „Wir helfen” gegen die Bielefelder Arminia auf den Platz zu gehen.

Und beim VfL Bochum heißt es von Seiten des Vorstands:

Die VfL-Vorstände Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht erklären hierzu: „Gegen Engagement ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Der VfL Bochum 1848 begrüßt sämtliche Hilfsmaßnahmen, die in Not geratene Menschen unterstützen. Wenn es also um die Sache gegangen wäre, wären wir kompromissbereit gewesen und hätten eine Aktion, die von der BILD mitgetragen wird, unterstützt. Allerdings hat uns die scharfe Reaktion seitens der BILD-Chefredaktion ob der Absage eines anderen Clubs an die Aktion dazu gebracht, sich mit diesem Verein solidarisch zu zeigen. Es darf unserer Ansicht nach nicht sein, dass jemand einem Verein die Solidarität mit Flüchtlingen abspricht, nur weil dieser nicht bereit ist, eine u.a. von der BILD initiierte Aktion zu unterstützen.

Ähnlich argumentiert auch ein fünfter Zweitligist, der 1. FC Nürnberg. Aus der Vereinsmitteilung wird unserer Meinung nach allerdings nicht zu 100 Prozent klar, ob die Mannschaft nun mit oder ohne “Wr helfen”-Aufnäher spielen wird:

Der 1. FC Nürnberg begrüßt die ligaweite Aktion für Flüchtlinge. Sie ist sinnvoll und unterstützenswert. Weil der 1. FC Nürnberg aber den Umgang mit den Vereinen, die an der freiwilligen Aktion nicht teilnehmen, für unangebracht hält, wird der Club auf eine besondere Promotion des Medienpartners verzichten.

Damit haben schon mal die drei aktuell besten Vereine der 2. Bundesliga der “Bild”-Werbeaktion abgesagt. Was noch fehlt ist der erste Erstligist. Ein bisschen Zeit ist ja aber noch.

Nachtrag, 18. September, 11:15 Uhr: Der Zweitligist MSV Duisburg sagt mit Blick auf die eigenen geplanten Aktionen der “Bild” ebenfalls ab:

Wir Zebras möchten den Einsatz der Menschen in Duisburg, unserer Fans und des Vereins für Flüchtlinge in den Vordergrund stellen. Angesichts der tief entbrannten und kontrovers geführten Diskussion um die Aktion “Wir helfen” befürchten wir einen Schatten über die von uns vorbereiteten Aktionen am Sonntag und in den kommenden Wochen. Das wollen wir vermeiden, deshalb verzichten wir auf das angebotene Aktions-Badge auf dem Trikotärmel.

Nachtrag, 17:26 Uhr: Im morgigen Zweitligaspiel zwischen dem TSV 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern wird kein “Bild” auf den Trikots zu sehen geben. 1860 wird zwar mit dem “Wir helfen”-Badge auf dem Ärmel auflaufen, aber das “Bild”-Logo mit einem weißen Herz überkleben. Kaiserslautern verzichtet komplett auf den Werbeaufnäher:

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen mussten die Verantwortlichen des FCK feststellen, dass es in dieser Sache inzwischen leider nicht mehr um das Thema Hilfe für Flüchtlinge geht, sondern nur noch um die Haltung der Vereine zu einzelnen Medien. Daher hat sich der 1. FC Kaiserslautern nun entschlossen, nicht wie ursprünglich geplant mit dem entsprechenden Badge, sondern mit dem klassischen Logo des Partners Hermes aufzulaufen. Der FCK reagiert damit auf die Tatsache, dass durch die öffentliche Diskussion die eigentliche Botschaft in den Hintergrund gerückt ist.

Nachtrag, 18:56 Uhr: Fortuna Düsseldorf macht es wie 1860 München und klebt das “Bild”-Logo ab:

Damit ist auch das Spiel zwischen dem VfL Bochum und der Fortuna frei von “Bild”-Werbung auf den Trikots der Mannschaften.

Nachtrag, 19. September, 00:11 Uhr: Die “Braunschweiger Zeitung” meldet, dass Eintracht Braunschweig ebenfalls nicht an der “Wir helfen”-Aktion teilnehmen wird, und zitiert Eintracht-Präsident Sebastian Ebel:

“Im Vordergrund stehen die Motive und was Vereine für Flüchtlinge tun. Das sollte bewertet werden”, sagte Eintracht-Präsident Sebastian Ebel.

Nachtrag, 20. September, 14:59 Uhr: Zweitligist Greuther Fürth ist beim Auswärtsspiel bei Union Berlin — etwas überraschend — ohne die “Wir helfen”-Werbung der “Bild” aufgelaufen. Eine Anküdigung des Vereins gab es im Vorfeld nicht.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein

Auf die Frage, wie man Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen kann, hat Kai Diekmann eine ziemlich klare Antwort: Man schließt sich der “Bild”-Kampagne “Wir helfen” an. Derjenige, der das nicht tut, kann im Diekmann’schen Umkehrschluss nur gegen Flüchtlinge sein:

Hintergrund ist der kommende Spieltag in der ersten und zweiten Fußballbundesliga. Normalerweise laufen die 36 Profiklubs mit einem Hermes-Werbeaufnäher auf dem Trikotärmel auf. Dieses Wochenende wird stattdessen das “Wir helfen”-Logo der “Bild” hundertfach zu sehen sein. Für diesen werbetechnischen Coup beweihräuchern sich Diekmann und seine Mitarbeiter fleißig selbst, Hermes-Chef Hanjo Schneider bekam heute als Lohn den Titel “Gewinner des Tages” in der “Bild”-Zeitung verliehen.

Nur der FC St. Pauli, als Zweitligist ebenfalls betroffen von der Hermes-“Bild”-Bundesliga-Kooperation, will bei dem ganzen Bohei laut Bild.de nicht mitmachen.

Auf dieser Verweigerung basiert nun offenbar Kai Diekmanns steile Twitterthese, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”. Gerade dem Kiezklub aus Hamburg vorzuwerfen, sie würden Flüchtlinge nicht willkommen heißen, ist selbst für Diekmannverhältnisse ausgesprochen dreist.

Fans des FC St. Pauli standen schon mit “Refugees welcome”-Aufnähern und -Transparenten im Stadion, als “Bild” und Bild.de noch gegen Ausländer und Asylbewerber zündelten. Und auch der Verein ist aktiv. Nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Das Freundschaftsspiel vor rund einer Woche gegen den BVB stand unter dem Motto “Refugees welcome”, der Verein lud dazu 1000 Flüchtlinge ins Millerntor ein; und vor der Zweitligapartie am Montag sammelte der Klub Hygieneartikel für Geflüchtete. Über das Engagement hat vor Kurzem erst die “New York Times” berichtet.

Für Kai Diekmann reicht das alles anscheinend nicht. Solidarität mit Flüchtlingen bedeutet für ihn, sich seinem Blatt zu beugen.

Mit Dank an all die Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:50 Uhr: Inzwischen hat sich auch der FC St. Pauli geäußert. Man wundere sich, “dass das vertrauliche Schreiben an die Bild-Zeitung von dieser genutzt wurde, die Absage des FC St. Pauli negativ in der Öffentlichkeit darzustellen.” Der kaufmännische Geschäftsleiter Andreas Rettig zu den Vorwürfen der “Bild”:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. Unser Testspiel gegen Borussia Dortmund, das private Engagement unserer Spieler sowie verschiedenste Aktionen unserer Fans und Abteilungen für die Flüchtlinge in Hamburg sind Beleg dafür. Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen. Hierüber haben wir vorab alle Beteiligten informiert. Der FC St. Pauli steht für eine Willkommenskultur und wir handeln damit auf eine Art und Weise, die unseren Club schon seit Jahrzehnten ausmacht. Wir leisten ganz praktische und direkte Hilfe dort, wo sie gebraucht wird.

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