Influencer in Uniform, Altbrunnen WDR, Facebook-Ausstieg

1. Influencer in Uniform: Wenn die Exekutive viral geht
(netzpolitik.org, M. Reuter & A. Fanta & M. Bröckling & L. Hammer)
Kaum zu glauben, aber in Deutschland sind mittlerweile mehr als 100 Polizeien rund um die Uhr auf Twitter aktiv. netzpolitik.org hat sich genauer angeschaut, wie sich die Polizei in dem sozialen Netzwerk eine neue Form der Öffentlichkeit schafft. Mit dem Datenjournalisten und Medienwissenschaftler Luca Hammer zusammen wurden 97 verifizierte Twitter-Accounts von deutschen Länderpolizeien und der Bundespolizei ausgewertet. Das Fazit der umfangreichen Datenanalyse: Die Polizei werde zum Influencer mit all den damit verbundenen Gefahren: „Tweets landen häufig ungeprüft in den Artikeln der Journalisten. Das ist eine problematische Gratwanderung, denn die Polizei wird auf Twitter damit selbst zum politischen Player. Und Twitter zu ihrem Machtverstärker.“
Weiterer Lesetipp: Der elektrische Türknauf und die Molotowcocktails: Falschmeldungen der Polizei auf Twitter (netzpolitik.org, Markus Reuter)
. Und: Kriminologe: „Sichtbarkeit der Polizei in sozialen Medien bedeutet, dass das Gewaltmonopol greift“ (netzpolitik.org, Alexander Fanta).

2. Warum ARD und ZDF sich weiter Sorgen machen müssen
(haz.de, Imre Grimm)
Imre Grimm kann dem Schweizer Votum für die Rundfunkgebühr Gutes abgewinnen, sieht aber im Hinblick auf das öffentlich-rechtliche System Deutschlands auch Gefahren: „Die Schweizer Rundfunkkollegen haben echte, umfassende Reformen angekündigt. ARD und ZDF bleiben bisher bei kosmetischen Anpassungen und mehr technischer Kooperation – und wollen ab 2021 mehr Gebühren. Das ist nicht der richtige Weg, um die angeknackste Glaubwürdigkeit auch bei ihren Gegnern wiederherzustellen. Man wolle auf keinen Fall an die Programme heran, heißt es unisono bei allen Sendern. Eine Frage: Warum nicht?“
Weiterer Lesetipp: Schweizer Fingerzeig für ARD und ZDF (taz.de, Jürn Kruse).

3. Wie läuft es mit der Verjüngung des WDR, Herr Schönenborn?
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Vor zweieinhalb Jahren hatte der WDR unter dem Motto „#WDRmachtan“ Innovationswochen ausgerufen, um sich zu verjüngen. Beim Durchschnittsalter des Publikums hat sich allerdings nichts geändert: 2014 war der durchschnittliche WDR-Zuschauer 63 Jahre alt. 2017 ebenso. Thomas Lückerath hat sich mit WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn über lange Wege bei der Verjüngungskur, erste Etappen und Hochwasser am Niederrhein unterhalten.

4. Gemeinsam stark gegen die Geräteindustrie?
(vginfo.org)
Ist eine gemeinsame Verwertungsgesellschaft von Autoren und Verlegern durchsetzungsstärker gegenüber Internetplattformen und der Geräteindustrie? Ist eine einzelne Verwertungsgesellschaft effizienter und wirtschaftlicher als zwei getrennte? Die „VG-Info“-Autoren erklären, was dran ist an den Argumenten der Befürworter eines solchen Verbunds.

5. Dorothee Bär wird Staatsministerin für Digitales
(horizont.net, David Hein)
Dorothee Bär (CSU), ehemals Staatssekretärin im Verkehrsministerium, wird Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt. Digitalverbände begrüßen die Schaffung des Ministerpostens, FDP-Chef Lindner spricht von einem Trostpflaster.

6. “Folha de Sao Paulo” steigt aus
(deutschlandfunk.de, Grit Eggerichs, Audio, 4:45 Minuten)
Die größte Zeitung Brasiliens “Folha de Sao Paulo” hat auf Facebook fast sechs Millionen Follower und will sich trotzdem aus dem Netzwerk verabschieden. Der Grund: Facebooks neuer Newsfeed, der Beiträge von Freunden und Verwandten zum Nachteil von Medieninhalten bevorzugt. Von den knapp sechs Millionen Followern hätten zum Schluss nur 180.000 die redaktionellen Inhalte in ihrer Timeline zu sehen bekommen.

Medienschweiz, Frühstücksgestrunze, Gutenbergs Rache

1. Drei Männer in der Medienschweiz
(infosperber.ch, Robert Ruoff)
Die Schweizer haben sich mehrheitlich gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühren ausgesprochen. Nun müsse eine Mediendiskussion einsetzen, so Robert Ruoff, denn im Schatten der No-Billag-Debatte habe eine Machtverschiebung stattgefunden in der Schweizer Medienlandschaft: „Bei der Presse hat sich eine geballte Konzentration vollzogen, mit drei großen Zeitungsgruppen neben dem Blocherschen «Basler Zeitung»-Konglomerat und der NZZ. Im Mittelland zeichnet sich mit dem Joint Venture von NZZ-Regionalmedien und AZ Medien eine Multimedia-Gruppe ab, die sich zur (sprach-)nationalen Konkurrenz der SRG entwickeln könnte. Dieser Prozess wird weitergehen, mit weiteren Rationalisierungen und Stellenabbau.“ Obwohl noch vor Bekanntgabe des No-Billag-Ergebnisses geschrieben, ein lesenswerter Beitrag über den Schweizer Medienmarkt.

2. Brandstiftung erster Güte
(tagesspiegel.de)
Als „Brandstiftung erster Güte“ und reinen Populismus bezeichnet der Chefredakteur der PR-Agentur „fischerAppelt“ Dirk Benninghoff die Ausführungen des selbsternannten „Klartext“-Redners Claus Strunz im „Sat.1“-Frühstücksfernsehen: „Angela Merkel „Bürgerverachtung“ vorzuwerfen, nur weil die die Essener Tafel für ihre Entscheidung kritisiert hatte, keine Flüchtlinge mehr neu aufzunehmen: Da muss man sich über Pegida-Galgenbauer nicht wundern.“ Doch es gibt auch Dinge, über die sich Benninghof freuen konnte.

Weiterer Lesetipp: Im hausinternen Blog von „fischer Appellt“ hat Benninghof nochmal deutliche Worte für die Causa Strunz gefunden: Der Hassprediger.

3. Protestbrief an den Intendanten
(taz.de, Daniel Bouhs)
Die Wissenschaftsautoren des „Deutschlandfunks“ wehren sich mit einem Protestbrief gegen die geplanten Kürzungen bei der Wissenschafts­berichterstattung. Der Hintergrund: In Zukunft soll es unter anderem mehr günstige Reportagen statt aufwändige Features geben. Außerdem würden der Redaktion neue Aufgaben aufgebürdet. Daniel Bouhs erklärt die Standpunkte von Intendant und Betroffenen.

4. Krankenkasse untersucht, ob Social Media Teenager süchtig macht – und alle drehen durch
(motherboard.vice.com, Sebastian Meineck)
Eine Umfrage der Krankenkasse DAK zur Social-Media-Nutzung von Teenagern hätte Anlass zur Entspannung geben können: Nur 2,6 Prozent der Teenager zwischen 12 und 17 Jahren hätten laut DAK “einen problematischen Gebrauch sozialer Medien” gezeigt. In den Medien las sich das jedoch teilweise recht anders, dort war von hunderttausenden süchtigen Jugendlichen die Rede. Sebastian Meineck hat die Zahlen nachgerechnet und eingeordnet.

5. Wie es ist, als Journalist in der gefährlichsten Stadt der Welt zu arbeiten
(vice.com, Amelia Abraham)
Honduras ist für Medienschaffende ein gefährliches Pflaster: Seit dem Militärputsch vor knapp zehn Jahren wurden in dem zentralamerikanischen Land mehr als 30 Journalisten getötet. Die andere Seite sind die unheilvollen Allianzen zwischen Presse und Polizei. „Vice“ hat mit dem Reporter Alberto Arce gesprochen, der über seine Zeit in Honduras ein Buch geschrieben hat: „In Honduras haben Polizei und Lokalreporter einen teuflischen Pakt geschlossen. Sie teilen Informationen untereinander. Gangmitglieder sind ihre Trophäen. Es ist krank: Polizisten, Journalisten, Kameramänner – sie alle spielen dieses Spiel, bei dem sie untereinander Fotos von Leichen teilen.“

6. Urheberrecht: E-Book-Portal Gutenberg.org sperrt deutsche Nutzer aus
(heise.de, Martin Holland)
Das US-amerikanische „Project Gutenberg“ (nicht zu verwechseln mit dem bei „Spiegel Online“ gehosteten „Projekt Gutenberg-de“) hat einen Urheberrechtsstreit um 18 E-Books verloren. Dabei ging es um digitalisierte Werke von Heinrich Mann, Thomas Mann und Alfred Döblin, die beim S. Fischer Verlag erscheinen. Als Reaktion habe „Gutenberg.org“ nicht etwa die beanstandeten Werke offline genommen, sondern ausnahmslos alle Seiten und Unterseiten für Nutzer mit einer deutschen IP gesperrt.

“Außerdem dazu, das Video der schrecklichen Tat”

Im baden-württembergischen Laupheim wurde am Dienstagabend eine 17-Jährige lebensgefährlich mit einem Messer verletzt. Es soll sich um einen versuchten Ehrenmord handeln. Das Mädchen ist nach islamischem Recht mit einem deutlich älteren Mann verheiratet und wollte sich angeblich von ihm trennen. Der Bruder des Mädchens räumte nach seiner Festnahme ein, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Das Mädchen ist inzwischen außer Lebensgefahr.

Die “Bild”-Zeitung berichtet heute auf ihrer Titelseite über den grauenhaften Fall:

Ausriss Bild-Titelseite - Scharia-Gericht im Kinderzimmer - Bruder rammt seiner Schwester Messer in die Brust - Schwer verletzt - Familie dreht Video von der Tat

Bei Bild.de ist die schreckliche Geschichte seit einigen Stunden ganz oben auf der Startseite zu finden:

Screenshot Bild.de - Scharia-Gericht im Kinderzimmer - Bruder rammt seiner Schwester Messer in die Brust - Schwer verletzt - Familie dreht Video von der Tat - Mit Video
(Unkenntlichmachung des Bruders durch uns — wir wollen diesem verachtenswerten Typen nicht auch noch eine Plattform bieten. Unkenntlichmachung des Mädchens durch Bild.de)

Jeder, der beim Hinweis “MIT VIDEO” schon zusammenzuckt, wird beim Klick auf den Artikel bestätigt. Für Leser ohne “Bild plus”-Abo erscheint folgender Teaser:

Mit BILDplus lesen Sie das grausame Protokoll einer Familie ohne Gnade, verhaftet in einem vorsintflutlichen Weltbild. Außerdem dazu, das Video der schrecklichen Tat — von der Familie gefilmt.

Wie skrupellos kann man eigentlich sein? Da filmt eine Familie, wie die eigene 17-jährige Tochter gerade dabei ist zu sterben, wie sie ihre Brüder anfleht, einen Krankenwagen zu rufen, wie einer der Brüder in die Kamera sagt, dass er den Anblick, wie seine Schwester stirbt, genieße. Und die Bild.de-Mitarbeiter halten es für eine gute Idee, dieses Video zu zeigen? Das ist billigster, menschenverachtender Sensationsjournalismus. Obendrein versucht die Redaktion, mit dieser abscheulichen Videoaufnahme Abos zu verkaufen.

Unter dem Facebook-Post der “Bild”-Redaktion gibt es ziemlich deutliche Kritik für die Veröffentlichung des Videos. Die Antworten der “Bild”-Redaktion darauf sind bemerkenswert. Etwa:

Es ist nicht unsere Absicht das Opfer bloßzustellen. [Das Opfer] Alaa hat schreckliches erlebt. Ihre Schmerzen und seelischen Qualen sind nicht vorstellbar. Es ist eine Geschichte die erzählt werden muss, denn sie ist mitten in unserem Land passiert. Einem Land in dem sich JEDER Mensch sicher fühlen soll. Die Geschichte von Alaa zu verschweigen, hätte niemandem geholfen. Zumal wir ihre Geschichte sachlich, empathisch erzählen. Aus Rücksicht vor Alaa.

“sachlich, empathisch”? “Aus Rücksicht vor Alaa”? Die Schlagzeile “SCHARIA-GERICHT IM KINDERZIMMER” wirkt auf uns nicht gerade “sachlich”. Das Zeigen des Videos wirkt auf uns nicht gerade “empathisch” und rücksichtsvoll.

An anderer Stelle antwortet die “Bild”-Redaktion:

Gerade den Punkt mit dem Video werden wir mal in der Redaktion zur Diskussion stellen. Das wird dir und allen anderen in diesem Augenblick nicht helfen. Aber es sollte und muss auch darüber gesprochen werden.

Und tatsächlich — das Video ist von Bild.de verschwunden:

Screenshot Bild.de - Scharia-Gericht im Kinderzimmer - Bruder rammt seiner Schwester Messer in die Brust - Schwer verletzt - Familie dreht Video von der Tat - dieses Mal ohne den Hinweis Mit Video

Allerdings nicht, weil die Leute in der Redaktion auf einmal etwas Mitgefühl in sich entdeckt haben, sondern weil die zuständige Staatsanwaltschaft es so wollte. Am Artikelanfang steht nun:

Hinweis der Redaktion: In der Ursprungsversion des Artikels zeigte BILD ein Handy-Video unmittelbar nach der Tat. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat BILD gebeten, das Video zu entfernen. Dieser Bitte sind wir selbstverständlich sofort nachgekommen.

Mit Dank an @rumpelwicht23, @LaVieVagabonde und @WaywardKitten93 für die Hinweise!

Bild  

“Bild” lässt Wladimir Putin “Atom-Rakete auf Europa” richten

Bitte nicht erschrecken!

Ausriss Bild-Zeitung - Angst vor Satan 2 - Putin richtet neue Atom-Rakete auf Europa

Nein, nein — keine Sorge. Russlands Präsident Wladimir Putin hat nicht wirklich eine “neue Atom-Rakete auf Europa” gerichtet. Er hat auch keinem europäischen Staat konkret mit dem Abfeuern einer “Atom-Rakete” gedroht. Die “Bild”-Redaktion schreibt das nur einfach so auf ihrer heutigen Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite mit der Atom-Raketen-Schlagzeile

Wladimir Putin hat gestern in seiner jährlichen “Rede zur Lage der Nation” auch neue Waffensysteme vorgestellt. Darunter ein atombetriebener Marschflugkörper, eine Hyperschallrakete, mit Kernwaffen bestückte Unterwasserdrohnen und die Interkontinentalrakete “RS-28 Sarmat”, die von der NATO “Satan 2” genannt werden soll. Es gibt Zweifel daran, dass Russland all diese Waffen wirklich entwickelt oder bereits entwickelt hat. Und dennoch: Diese atomare Aufrüstung ist schon bedrohlich genug. Es braucht keine “Bild”-Redaktion, die mit ihrer Schlagzeile nicht nur “Angst” abbilden, sondern vor allem “Angst” machen will. Man sollte Putins Rede und seine Drohgebärden nicht herunterspielen. Man sollte sie aber auch nicht noch gefährlicher wirken lassen als sie ohnehin schon sind.

Denn im Waffen-Part der Rede des russischen Präsidenten ging es gestern kaum um Europa, sondern größtenteils um die USA. Putin sagte:

Es geht um neue strategische Raketensysteme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabwehr und die De-facto-Stationierung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen.

Eine Animation zeigte, wie eine Rakete Abwehrsysteme vor der US-Küste umfliegt, eine Kurve um Südamerika dreht und dann auf das US-Festland zusteuert, bevor die Animation stoppt. Um das Ausrichten einer “neuen Atom-Rakete auf Europa” ging es dabei nicht. Das weiß natürlich auch die “Bild”-Redaktion. Im, am Seite-1-Alarmismus gemessen, sehr kleinen Artikel auf Seite 2 kommt das Wort “Europa” nicht mal vor.

Diese Geschichte zeigt einmal mehr, wie sich die “Bild”-Zeitung unter Julian Reichelt schon geändert hat: Sie ist noch knalliger, noch zugespitzter. Es gibt weiterhin eine abstoßende Freude am Angstverbreiten. Nur steckt hinter den dazugehörigen Schlagzeilen auf der Titelseite nun noch weniger als bisher.

Pranger-Prozess, Upload-Filter, Medienkritik-Kritik

1. “Bild” unterliegt im Pranger-Rechtsstreit
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Die „Bild“-Zeitung hat 2015 Namen und Fotos von Facebook-Nutzern veröffentlicht, die gegen Flüchtlinge hetzten. Dazu druckte die Zeitung den Aufruf: “Bild reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!” Der Ruf nach der Justiz wurde gewissermaßen erhört, denn das Oberlandesgericht München hat diese Form des Online-Prangers für unzulässig erklärt.

2. Offener Brief: Zivilgesellschaft fordert Nein zu Upload-Filtern
(digitalegesellschaft.de)
„Nein zu Upload-Filtern!“, fordert ein Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Bürgerrechtsorganisationen und digitaler Zivilgesellschaft. In einem offenen Brief an verschiedene Bundesministerien und Mitglieder des Europäischen Parlaments rufen die Unterzeichner dazu auf, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen verpflichtenden Upload-Filter für Host-Provider zu verhindern: „Upload-Filter schaden mehr als sie nützen. Sie gefährden die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz. Für Nutzerinnen und Nutzer bedeuten Upload-Filter eine automatisierte Überwachung aller hochgeladenen Inhalte. Anders als von den Befürwortern erhofft, tragen Upload-Filter jedoch nicht zu einer gerechten Entlohnung von Urheberinnen und Urhebern bei.“

3. Medienkritik – bitte recht «freundlich»
(infosperber.ch, Hanspeter Guggenbühl )
Das Schweizer Medienmagazin „Edito“ hat vier Fachleute um eine „kurze und freundliche“ Kritik der Online-Zeitung „Republik“ gebeten. Hanspeter Guggenbühl empfindet die Bitte um die kollegiale Lobhudelei in zweifacher Hinsicht als außergewöhnlich: Wegen der Bitte als solcher und wegen der Bereitschaft der Fachleute, diese zu erfüllen.

4. Journalisten sind keine Therapeuten
(deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Journalisten müssen sich im Netz allerhand anhören, doch müssen sie sich mit Lesern, Hörern und Zuschauern auseinandersetzen, die unverschämt bis irre sind? Nein, findet Silke Burmester und findet eine Parallele zu Lehrern, deren Aufgabe mittlerweile auch darin bestehe, die Defizite der Elternhäuser auszugleichen: „Den Kindern fehlt es an Einfachstem. Benimm, Höflichkeit und Regeln des Miteinanders. Was zuhause versäumt wird, sollen die Lehrer vermitteln. So geht es uns Journalisten auch. Weil gesellschaftliche Konflikte seit Neuestem auch von Seiten des Rezipienten in der medialen Öffentlichkeit ausgetragen werden, sind wir auf einmal zuständig. Irre, Verwirrte, Rechte, Wendeverlierer – wir Journalisten sollen geraderücken, was an anderer Stelle verbockt wurde.“

5. Neues Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft: Das gilt ab dem 1. März
(irights.info)
Seit dem 1. März 2018 gelten neue Regeln des Urheberrechts für Schulen, Universitäten, Bibliotheken und andere Bildungseinrichtungen. „irights.info“ stellt die wichtigsten Änderungen des „Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“ (UrhWissG) vor.

6. Der Hype um Vero ist nur ein geschickter psychologischer Trick
(wired.de, Michael Förtsch)
Das soziale Netzwerk „Vero“ will vieles anders machen als die anderen und verspricht eine chronologische Timeline, Werbefreiheit und keine Datenschnüffeleien. Die Begeisterung für die Plattform wurde jedoch mit einem geschickten psychologischen Trick erzeugt, erklärt „Wired“-Autor Michael Förtsch.
Weiterer Lesetipp: In „Veros schlüpfriges Geheimnis: Sorgten leichtbekleidete Influencer für den Durchbruch“ analysiert Marketingspezialist Roland Eisenbrand den plötzlichen Erfolg. Es ist eine spannende und unterhaltsame Detektivgeschichte geworden.

Journalistenmord, Der sonderbare Hype um “Vero”, Bindestrich-Phobie

1. „Die Regierungen müssen handeln“
(taz.de, Belinda Grasnick)
Die „taz“ hat mit der Menschenrechtsanwältin Flutura Kusari über den Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Freundin gesprochen. Kusari, die auch Rechtsberaterin für das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit ist, drängt auf schnelle Ermittlungsergebnisse und fährt selbst nach Bratislava, um die dortigen Ermittlungen zu überprüfen.
Weiterer Lesetipp: „taz“-Redakteur Ambros Waibel fordert unsere Solidarität mit Investigativournalisten ein, auch in den Fällen, in denen es noch nicht zu Gewaltverbrechen kam: „Wenn versucht wird, Einschüchterung auf dem Rechtsweg durchzusetzen, wie es auch in Deutschland gang und gäbe ist, müssen wir auch das ernst nehmen – und Solidarität zeigen mit den mutigen Kolleginnen und Kollegen, die zum Thema Organisierte Kriminalität arbeiten.“
Lesenswert auch das kurze Interview mit dem Vorsitzenden der slowakischen Sektion des Europäischen Journalistenverbandes, der in Zusammenhang mit der Ermordung seines Kollegen schwere Vorwürfe erhebt: „Für den Premier sind wir dreckige Prostituierte“ (Welt.de, Hans-Jörg Schmidt).

2. Was ist dran am Hype um Vero?
(spiegel.de, Isabel Schneider)
Seit drei Jahren dümpelt das Social-Media-Netzwerk „Vero“ weitgehend unbeobachtet vor sich hin, doch auf einmal ist die App nahezu omnipräsent. In Apples App-Store ist sie gar auf Platz eins der Gratis-Downloads geschossen. Isabel Schneider erklärt die Hintergründe um die gehypte App. Weiterer Lesetipp: Fünf Dinge, die Sie wissen sollten, bevor Sie sich beim angesagten Instagram-Konkurrenten Vero anmelden (meedia.de).

3. Schalten die Schweizer ab?
(taz.de, Anne Fromm)
Sollten die Schweizer am 4. März für „NoBillag“ stimmen, könnte erstmals ein europäisches Land seinen öffentlichen Rundfunk abschaffen. Anne Fromm hat sich in der „taz“ etwas Raum genommen für die Aufarbeitung eines Vorgangs, der auch jenseits der schweizerischen Landesgrenzen von Bedeutung ist: „Am Beispiel der Schweiz lässt sich verstehen, wie es so weit kommen kann, sich ein Diskurs so zuspitzen kann, dass der öffentliche Rundfunk in seiner Existenz bedroht ist.“

4. Fake über Merkel erfolgreichster Artikel
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Es ist ein Trauerspiel: Der Fake-Artikel über eine angebliche Aussage von Kanzlerin Merkel war diesen Dienstag der erfolgreichste Social-Media-Beitrag überhaupt. Der „Faktenfinder“ erzählt, worum es dabei ging und mit welchen schmutzigen Tricks die Verbreiter derartiger Lügengeschichten vorgehen.

5. VG Neustadt, Kompa ./. LMK – Pressemitteilung
(kanzleikompa.de)
In einer formal als „Wahl“ bezeichneten Kungelrunde wurde der SPD-Politiker Marc Jan Eumann zum Landesmedienchef in Rheinland-Pfalz bestimmt. Dies hat Kritiker auf den Plan gerufen wie den Medienanwalt Markus Kompa, der mit einer Gegenkandidatur reagierte. Kompa hat nun Post vom Verwaltungsgericht Neustadt/Weinstraße bekommen: Sein Antrag wurde abgelehnt. Er kann der juristischen Niederlage trotzdem etwas Gutes abgewinnen: „Der kostspielige Antrag war mir die Sache aber wert, denn auf anderem Weg wäre ich nie in den Besitz der höchst unterhaltsamen Akte über dieses mehr als fadenscheinige Verfahren gekommen. Die Akte ist ein Offenbarungseid an Unprofessionalität und Mauschelei. Während mir für meine Bewerbung künstliche Formalitäten in den Weg gelegt wurden, hatte Herr Dr. Eumann nicht einmal eine Bewerbung geschickt. In der Akte gibt es von ihm keinerlei Papiere, nicht einmal ein polizeiliches Führungszeugnis.“

6. Rettet den Bindestrich!
(pressesprecher.com, Juliane Topka)
Werden Firmennamen mit anderen Begriffen zusammengesetzt, sollte man einen Bindestrich verwenden, doch in Deutschland scheint es eine Bindestrich-Phobie zu geben. Dies zeigt sich auch an anderen Beispielen. Juliane Topka erklärt, warum Bindestriche sinnvoll sind, und plädiert dafür, sie aus ihrem Schattendasein herauszuholen.

Verschleierungskünstler Reichelt, BR-Fremdkörper, Gut-genug-Magazin

1. Julian Reichelts abwegige Verteidigung
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
„Bild“ veröffentlichte einen ganz offensichtlich gefälschten Mailwechsel, der den Juso-Chef Kevin Kühnert inkriminieren sollte (#miomiogate), was infam und reichlich absurd war. Dieser Vorgang wird nur noch getoppt von den zweifelhaften Rechtfertigungsversuchen des „Bild“-Chefs Julian Reichelts. Dessen abwegige Ein- und Auslassungen haben Stefan Niggemeier keine Ruhe gelassen und so hat er sich auf „Übermedien“ nochmal des Falls angenommen.

2. Gastronom scheitert mit Klage gegen MDR
(thueringer-allgemeine.de, Martin Debes)
Ein Gastronom sah sich in einem 2015 ausgestrahlten Film des MDR über die organisierte Kriminalität in Erfurt zu Unrecht in die Nähe der Mafia-Organisation ’Ndrangheta gerückt. Nachdem er erfolgreich auf Unterlassung geklagt hatte, verklagte er Sender und Autoren des Berichts auf 50.000 Euro Schmerzensgeld. Dies wurde nun vom Thüringer Oberlandesgericht zurückgewiesen.

3. Warum sich Frauen online viel seltener in Debatten einmischen als Männer
(nzz.ch, Corinne Plaga)
In den Kommentarspalten der Medien dominieren meist männliche Namen, so auch bei der „NZZ“. Warum melden sich Frauen so selten zu Wort? Warum geht es in den Kommentarspalten oft zu wie an einem virtuellen Männerstammtisch? Corinne Plaga und das „NZZ“-Community-Team haben zu dieser Thematik Leser und Experten befragt. Die Gründe sind vielfältig und reichen von Zeitmangel bis zur kritisierten Oberflächlichkeit des Austauschs und der Sorge, im männerdominierten aggressiven Diskurs unter die Räder zu geraten.

4. “Ein Fremdkörper mitten im BR-Programm”
(sueddeutsche.de, Rudolf Neumaier)
Die bayerische Polit-Sendung „Quer“ mit Christoph Süß feiert dieses Jahr ihren zwanzigsten Geburtstag. Die „SZ“ zeichnet die Entstehungsgeschichte des Erfolgsformats nach, das zuletzt über eine Million Zuschauer hatte. PS: Die nächste Sendung gibt es am Donnerstag um 20.15 Uhr und danach auf der „Quer“-Seite des Bayrischen Fernsehens.

5. Facebook durchleuchtet die geistige Gesundheit seiner Nutzer
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Facebook setzt außerhalb von Europa verschiedene KI-Techniken ein, um ein Frühwarnsystem für suizidgefährdete Nutzer zu schaffen. Ein neuronales Netzwerk analysiere die Statusmeldungen und die Reaktionen anderer Nutzer, etwa Fragen wie „Kann ich helfen“ oder „Geht es dir gut?“, erstelle einen Gefahrenwert und löse ggf. einen Notfalleinsatz aus. Was sich zunächst hilfreich und verantwortungsvoll anhört, sorgt für Bedenken wegen mangelnder Transparenz und möglichem Missbrauch des Systems.

6. Folge 137, Radioserie der Zentralen Intelligenz Agentur im Deutschlandradio Kultur, 2008
(folge137.de, Audio, 54:45 Minuten)
Vor zehn Jahren startete bei „Deutschlandradio Kultur“ eine sechsteilige Serie fiktiver und subversiver Radiomagazine. Nun will man nach und nach die Folgen als Podcast veröffentlichen. Den Anfang macht die einstündige Sendung “Gut Genug – Magazin von Mittelmäßigen für Mittelmäßige“, bei der es fast wie im normalen Kultur-Hörfunk zugeht: Ein Reisereporter berichtet aus dem beschaulichen Molpe, der “matten Perle im Moor”, der Haus-Lyriker lobt das lauwarme Wasser und der Wissenschaftskorrespondent beklagt die Erkenntnis, dass durchschnittliche Gesichter nun doch nicht die schönsten seien.

Was für ein Chaos

In der 1. Fußball-Bundesliga finden seit Kurzem auch montags Spiele statt. Vergangene Woche gab es die Premiere zwischen Eintracht Frankfurt und RB Leipzig, gestern am Abend spielten Borussia Dortmund und der FC Augsburg gegeneinander. Insgesamt sind fünf Montagsspiele in der laufenden Saison vorgesehen. Bei den “Bild”-Medien wissen sie nicht, ob das nun für “Chaos” sorgt oder nicht.

Vielen Fans gefallen die Montagsspiele jedenfalls gar nicht. Sie sehen die Auffächerung des Bundesliga-Spielplans als Symptom der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs: Mehr Spiele an verschiedenen Tagen bringen mehr Übertragungsmöglichkeiten und damit mehr TV-Einnahmen. Außerdem mache es der Termin am Montagabend für sie schwerer, zu Auswärtsspielen ihrer Mannschaften zu fahren. Daher hatten Fangruppen schon im Vorfeld Proteste rund um die Montagsspiele angekündigt.

Vor der Partie Eintracht Frankfurt gegen RB Leipzig fragten “Bild am Sonntag” und Bild.de:

Ausriss Bild am Sonntag - Versinkt das erste Montagsspiel im Chaos?

Tat es nicht. Es gab in Frankfurt zwar ein Trillerpfeifenpfeifkonzert, Tennisbälle flogen auf den Platz, und einige Hundert Eintracht-Anhänger positionierten sich für einige Minuten im Stadioninnenraum hinter dem Tor. Das war aber jeweils angekündigt, alles blieb friedlich. Bei Bild.de stand noch am selben Abend:

Es war die Montags-Demo der Fans — ohne das befürchtete Chaos.

Und auch “Bild”-Sportchef Walter M. Straten kommentierte in Nachhinein:

Wer befürchtet hatte, dass das Frankfurt-Spiel im Chaos versinken und abgebrochen werden würde — der sah sich zum Glück getäuscht.

Gestern dann Montagsspiel Nummer zwei. Viele Dortmunder Fans entschieden sich dazu, aus Protest zu Hause zu bleiben. Das Stadion war nur zu zwei Dritteln gefüllt. Und bei Bild.de heißt es auf einmal:

Vor einer Woche gab es in Frankfurt noch Chaos und organisierten Platzsturm.

Mit Dank an Fabian für den Hinweis!

Doppelter Auftragsmord, Söders Sidekick, Von der AfD lernen

1. „Doppelter Auftragsmord“
(taz.de, Alexandra Mostyn)
In der Slowakei sind der Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Freundin Martina K. durch Auftragsmörder regelrecht hingerichtet worden. Kuciak hatte über Klüngeleien zwischen Politik und Wirtschaft recherchiert und sich mit Immobilienspekulanten angelegt. Er war seit 2015 Redakteur des Newsportals aktuality.sk, welches zu Ringier Axel Springer Slovakia gehört. 

Weiterer Lesetipp: Bastian Obermayer weist in der „SZ“ darauf hin, dass mit Ján Kuciak erneut ein Journalist ermordet wurde, der an den Panama Papers mitgearbeitet hat: „Die slowakische Politik muss nun zeigen, dass sie derartige Verbrechen nicht duldet. Sie muss mit aller Entschlossenheit den oder die Täter zur Verantwortung ziehen. In einem Land, in dem sowohl der Regierungschef als auch ein Minister sich abfällig über recherchierende Journalisten geäußert haben, ist dies leider nicht selbstverständlich. Auch in diesem Punkt gibt es also Parallelen zu Malta, wo noch immer vollkommen unklar ist, wer Daphne Caruana ermorden ließ und warum.“

2. Die AfD und ihr Newsroom
(buggisch.wordpress.com, Christian Buggisch)
Als die AfD ankündigte, einen Newsroom einzurichten, gab es teilweise empörte Reaktionen. Christian Buggisch kann die Empörung nicht teilen, sondern ermuntert die anderen Parteien an dieser Stelle von der AfD zu lernen: „Durch die Professionalisierung ihrer Kommunikation mittels Newsroom-Organisation könnte die AfD ihren Reichweiten-Vorsprung gegenüber anderen Parteien weiter ausbauen. Anstatt wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren und der AfD beleidigt Propaganda vorzuwerfen, sollten sich diese Parteien einen Ruck geben und ihre Kommunikation ebenfalls professionalisieren, modernisieren und an den Zielgruppen ausrichten – und sei es, indem sie das Newsroom-Modell ebenfalls adaptieren.“

3. Microsofts Nachrichtenzentrale
(wuv.de, Holger Schellkopf)
Vom Berliner “MSN”-Newsroom aus bespielt ein internationales Team die Nachrichtenangebote von Microsoft in zehn Ländern. Seit August 2017 werkeln dort etwa 70 Mitarbeiter aus den verschiedensten Ländern an den News von “MSN”, “Bing”, “Edge” und den Inhalten diverser Apps. Holger Schellkopf erklärt auf wuv.de wie das Ganze funktioniert.

4. Von der Redaktion in den Bundestag
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Manchmal engagieren sich Journalisten neben ihrer eigentlichen Arbeit auch parteipolitisch, und manchmal werden sie sogar Berufspolitiker wie im Fall von Tabea Rößner (Grüne) und Ralf Kapschack (SPD). Im „Deutschlandfunk“-Beitrag geht es um Fragen wie: Dürfen sich Journalisten politisch einbringen? Und wie wirkt sich ihre frühere Tätigkeit auf den späteren Job als Politiker aus?

5. Spiegel online fragt nach Zweifeln am Journalismus und liefert gleich Anlass
(stefan-fries.com)
Bei „Spiegel Online“ hat man die Leser zu ihrer „Haltung zu deutschen Medien“ befragt („Ich vertraue Ihnen weitgehend / Ich misstraue ihnen eher.“) und zu ihren Informationsquellen. Stefan Fries erklärt, warum diese Art der Befragung aus seiner Sicht genau den Zweifel an der journalistischen Arbeit aufkommen lässt, den man eigentlich abfragen will.

6. Söders Sidekick: Sat.1-Moderator auf CSU-Tour
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Wenn ein Moderator von „Sat.1 Bayern“ auch bei der CSU und großen Unternehmen moderiert, wirft dies Fragen z.B. zu seiner journalistischen Unabhängigkeit oder der Glaubwürdigkeit der Nachrichtensendung auf. Boris Rosenkranz hat versucht, Antworten auf diese Fragen zu bekommen. Es war ein beschwerlicher Weg, denn Moderator, Produzent und Sender sahen an keiner Stelle Probleme. Zum Glück kann sich Rosenkranz an einen alten Moderationsausschnitt aus dem Jahr 2009 erinnern, der seine Fragen gewissermaßen beantwortet.

Land der Dichter und Eishockeyspieler

Am Donnerstag schrieb “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner an die “Eishockey-Männer”. Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft hatte bei den Olympischen Spielen in Südkorea gerade das Team aus Schweden geschlagen, später noch die Favoriten aus Kanada und dann im Finale gegen die “Olympischen Athleten aus Russland” verloren:

Ausriss Bild-Zeitung - Liebe Eishockey-Männer, endlich, endlich richtige Männer. Statt dieser metoo-Vergewaltigungsmänner in den Bademänteln. Unsere Eishockey-Mannschaft hat den Weltmeister Schweden besiegt. Sie haben gezeigt, was Männer sind und was sie von diesen parfümierten Arschlöchern unterscheidet. Eishockey ist das schnellste und brutalste Spiel. Es ist kein Spiel für Männer, die sich für Theater, Ballett oder Malerei interessieren. Beim Eishockey wird der Gegner niedergerannt, manchmal verprügelt. Früher hatten die Eishockey-Spieler keine Zähne. Eishockey ist für mich das Spiel, wo Männer noch Männer sind, ums Überleben kämpfen. Die Eishockey-Männer sind um die 1,80 m groß und 90 Kilo schwer. Ich frage mich, welchen Mann eine hübsche Frau, ledig, wählen würde? Einen Eishockey-Mann oder einen parfümierten Mann. Ich denke, einen Eishockey-Mann. Herzlichst, Ihr Franz Josef Wagner

Man könnte sich jetzt aufregen. Man könnte fragen, warum irgendjemand bestimmen können sollte, wer “richtiger Mann” ist und wer nicht. Man könnte schreiben, dass sowohl zähneausschlagende “Eishockey-Männer” als auch “Männer, die sich für Theater, Ballett oder Malerei interessieren” “richtige Männer” sind. Und warum die “parfümierten Arschlöcher”? Es fehlt eigentlich nur, dass Wagner was von “Schwuchteln” schreibt.

Statt uns aufzuregen, wollen wir Franz Josef Wagner zeigen, dass es Männer gibt, “richtige Männer”, die sich für Kunst und Eishockey interessieren. Joachim Ringelnatz zum Beispiel. Der Schriftsteller, Kabarettist und Maler veröffentlichte 1932 dieses Gedicht über “Eis-Hockey”:

Eis-Hockey

Wenn die Hockeyhölzer hackeln,
Wenn die Schlittschuhschnörkel schnackeln
Und die Gummischeibe schnellt
Mir ans Kinn anstatt zum Ziele,
Dann empfinde ich die Spiele
Einer sportlich reifen Welt.
Mehrmals, wie in früheren Wintern,
Setzen zwei sich auf den Hintern,
Was an sich mir sehr gefällt.

Doch ich habe einen Schnupfen
Und kein Taschentuch zum Tupfen.
Auch zerbrach mir mein Monokel.
Und der Kampf bleibt unentschieden.
Also geh ich unzufrieden
Heim. Und hab von dem Gehockel
Nur den fraglichen Gewinn:
Eine Beule links am Kinn.

Hinter mir klingt etwas froh
Etwa so:
“Dem Verband Zentralafrikanischer Eishockeyspieler drei Hurras!”
Hurra! Hurra! Hurra!

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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