“Spiegel”-(Selbst)-Betrug, Multipler Pinocchio, Abschied vom Pümpel

1. SPIEGEL legt Betrugsfall im eigenen Haus offen
(spiegel.de, Ullrich Fichtner)
In einer “Rekonstruktion in eigener Sache” schreibt “Spiegel”-Redakteur Ullrich Fichtner über einen Betrugsfall im eigenen Haus. Ein mit Preisen überhäufter Star-Reporter habe “in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert”. In seiner Stellungnahme schreibt Fichtner, um welche Fälschungen es sich handelte und wie es, aus seiner Sicht, dazu kommen konnte. Außerdem hat die “Spiegel”-Redaktion ein FAQ zum Thema verfasst: Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Weiterer Lesehinweis: Ex-“Spiegel”-Reporter Relotius wird erster Preis aberkannt (dwdl.de, Alexander Krei).

2. Lügendetektor
(sueddeutsche.de, Alan Cassidy)
Die “Washington Post” ordnete beim Factchecking die Falschheit von Aussagen bislang mit ein bis vier Pinocchio-Nasen ein. Nun führt sie den “Bottomless Pinocchio” ein, für Politiker, die eine offensichtliche Lüge mehr als zwanzigmal wiederholen. Erster Betroffener ist US-Präsident Donald Trump, der im laufenden Jahr 86-mal behauptet habe, die USA hätten mit dem Bau der Grenzmauer begonnen, obwohl dies nachweislich falsch sei.

3. Lieber Einheimisches als Ausländisches?
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio, 6:04 Minuten)
Gemäß einer neuen EU-Verordnung dürfte es für ausländische Investoren schwerer werden, in deutsche Medienhäuser zu investieren. Die Unabhängigkeit der Medien sei aber durch nationale Monopolisten genauso gefährdet, so Medienökonom Bjørn von Rimscha im Interview mit dem “Deutschlandfunk”.

4. Pubertät als einzigartiges Weltereignis
(deutschlandfunkkultur.de, Sigrid Löffler, Audio, 4:02 Minuten)
Literaturkritikerin Sigrid Löffler hat einen neuen Bücher-Trend festgestellt, nach dem Frauen die ganze Welt, Männer jedoch nur sich selbst erklären würden. Natürlich hat sie dafür einige aktuelle Beispiele parat, in denen Männer ihre Jugend zum Drama verklären würden. Egal, wie “mickrig und banal” diese in Wahrheit gewesen sein mag.

5. Rechts­be­griffe, vom Bild­zei­tungs­leser ver­standen
(lto.de)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Boris Becker muss mit der “Bild”-Schlagzeile leben, dass er das Haus seiner Mutter verpfändet habe. Becker hatte darauf abgestellt, dass es sich formaljuristisch um keine Pfändung gehandelt habe und damit bislang auch juristisch Erfolg gehabt. Nun entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es auf das Verständnis eines Laien ankommt und der Begriff “Verpfändung” in diesem Fall erlaubt sei.

6. Tetsche – der Meister des gehobenen Blödsinns verabschiedet sich vom stern
(stern.de, Kester Schlenz)
Nach 44 Jahren erscheint diese Woche das letzte Mal ein Tetsche-Cartoon im “Stern”. Kester Schlenz hat den berühmten Humoristen bei sich zu Hause besucht, in seiner umgebauten alten Dorfschule, auf deren Dach Tetsches Markenzeichen thront: ein überdimensionaler Pümpel.
Update Während es im “Stern”-Beitrag so aussieht, als hätte Tetsche aus eigenem Antrieb seinen Abschied erklärt (“Tetsche fand, dass man aufhören solle, wenn es noch schön ist.”), liest sich das auf seiner eigenen Homepage ganz anders: “Durch große Umbau- und Spaßmaßnahmen beim Stern ist die Tetsche-Seite tatsächlich rausgeflogen! Sorry … An mir lag’s nicht!”

Freizügigkeit im Internet

Es gab mal eine Zeit, da bedeutete der Begriff “Onlinejournalismus”, dass man im Internet über das schrieb, was sonst in der Zeitung stand.

Heute bedeutet “Onlinejournalismus” vor allem, dass man im Internet über das schreibt oder redet, was anderswo im Internet zu sehen ist.

Zum Beispiel so:

Auf sozialen Netzwerken wie Instagram und Co. geht es häufig sehr freizügig zu. Wer einen schönen Körper hat, möchte schließlich zeigen, was er hat.

Auch die 15-jährige Tochter des Millionär-Ehepaars Geiss hat jetzt ein Bikini-Foto gepostet. Aber ist Davina Geiss dafür nicht noch zu jung? Wie viel Freizügigkeit ist okay bei Jugendlichen in den sozialen Netzwerken?

Bild.de hat deshalb bei Julia von Weiler vom Verein “Innocence in Danger e.V.” (frühere Präsidentin: “Bild”Liebling Stephanie zu Guttenberg) nachgefragt:

Screenshot Bild.de - Kinder auf Instagram – wie viel nackte Haut ist ok?

Wobei: Das stimmt so nicht. Ursprünglich sah die Überschrift so aus:

Screenshot Bild.de - Kinder nackt auf Instagram - muss das sein?

Das war grob irreführend, weil Davina Geiss auf dem Foto (natürlich) nicht “nackt” ist, hätte aber im Zweifelsfall Leute auf Bild.de gebracht, die im Internet nach “Kinder nackt” gesucht hätten.

Also solche Leute, von denen Julia von Weber vom Verein “Innocence in Danger e.V.” direkt in ihrer ersten Antwort spricht:

“Die traurige Realität ist, dass privat gepostete Bikini- und Posenbilder von Kindern und Jugendlichen — auch solche, die stolze Eltern posten — zwischen Missbrauchsdarstellungen und Sextingbildern in pädokriminellen Sammlungen landen. Dort dienen sie der sexuellen Erregung.”

Solche Bilder landen allerdings auch noch ganz woanders: Zum Beispiel bei Bild.de, wo der Artikel, in dem die Expertin eindringlich aus verschiedenen Gründen davor warnt, “freizügige” Fotos von Kindern und Jugendlichen ins Internet zu stellen, mit einem Foto bebildert ist, auf dem die 15-jährige Davina Geiss neben ihrer Mutter im Bikini in einem Whirlpool zu sehen ist.

Auch in einem über zweiminütigen Video aus der “Bild Boxx” (ein Videoformat, das sich offenbar an junge Leute richten soll, und deshalb so aussieht wie Musikfernsehen in der Zeit, als die Eltern der jungen Leute jung waren) wird das Foto thematisiert (allerdings nicht warnend, wie im Interview mit der Frau von “Innocence in Danger”, sondern eher herablassend) und mehrfach gezeigt.

Mit Dank an @ballschwabing, @Kathy_Kolumna und @herrmausbp!

Bild.de macht ein O für ein U vor

Zum neuen Film von Clint Eastwood schreibt Bild.de:

In dem Film “The Mule” (dt.: Der Maulwurf) spielt Eastwood einen auf den ersten Blick harmlosen alten Mann.

Harmlos mag er sein, der alte Mann, und das vielleicht auch nur auf den ersten Blick. Aber ein “Maulwurf” ist er damit sicher nicht. Denn “The Mule” heißt korrekt übersetzt “Das Maultier” beziehungsweise “Das Muli” und, wenn man möchte, vielleicht auch noch “Der Dickkopf”. Aber nicht “Der Maulwurf”. Der wiederum heißt im Englischen mole.

Es wäre ja auch merkwürdig, wenn in einem anderen Eastwood-Film, “Two Mules for Sister Sara”, die Aussage

All right, Mr Mule. You were right. You are as stubborn as my mule.

… übersetzt würde mit:

Na gut, Herr Maulwurf. Sie hatten Recht. Sie sind so stur wie mein Maulwurf.

Mit Dank an Fischpott für den Hinweis!

Nachtrag, 15:29 Uhr: Da es in dem neuen Film von Clint Eastwood auch um den Schmuggel von Drogen geht — Bild.de: “In der Eingangsszene des Trailers lenkt er einen Polizeibeamten mit einer Geschichte über Pekannüsse ab. Die hat er nämlich auch im Kofferraum — direkt neben der Tasche mit den geschmuggelten Drogen!” — kommt in diesem Fall noch eine weitere Übersetzung für “The Mule” in Frage: “Schmuggler” oder “Drogenkurrier”.

Mit Dank an Karsten S. für den Hinweis!

Journalistenpreise, Reporterfabrik, Mizzie Meyers “Tatortreiniger”

1. Die Journalisten und Journalistinnen des Jahres 2018
(mediummagazin.de)
Eine rund 100-köpfige unabhängige Fachjury (PDF) hat die Journalisten und Journalistinnen des Jahres 2018 gewählt. Mit dabei: Der Dokumentarfilmer Stephan Lamby, die Politikjournalistin Melanie Amann und der “Unterhaltungsjournalist” Markus Lanz. “Team des Jahres” wurden die Protokollanten des NSU-Prozesses. Mehr über alle Preisträgerinnen und Preisträger sowie die Begründungen der Jury gibt es auf der Webseite oder in der aktuellen Ausgabe des “medium magazin”.

2. Per Video zum Journalismus-Versteher
(deutschlandfunk.de, Kai Rüsberg, Audio, 4:54 Minuten)
Eine Online-Journalistenschule für alle soll die vom Redaktionsbüro “Correctiv” ins Leben gerufene “Reporterfabrik” sein. Mehr als 100 Dozenten haben ihr Knowhow beigesteuert: Die “Fabrik” kommt auf derzeit stolze 1.000 Video-Episoden. Der “Deutschlandfunk” hat mit Cordt Schnibben, der das Bildungsangebot managt, und dem “Correctiv”-Chef David Schraven gesprochen.

3. «Diese kleine innere Stimme, die dir sagt, was du tun sollst»
(republik.ch, Ronan Farrow)
Ronan Farrow ist der Mann, dessen Hartnäckigkeit zur Aufdeckung des Skandals um den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein geführt hat. In seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Deutschen Reporterpreises erzählt er von den enormen Schwierigkeiten und Widerständen, die er seinerzeit erlebte: “Als ich mit der Recherche begann, hat mich niemand gefeiert. Und plötzlich stand alles infrage. Meine gesamte Karriere drohte in die Brüche zu gehen. So kompromisslos ich diese Recherche angegangen war, so vollständig fiel irgendwann alles auseinander. Es gab den einen Moment, in dem ich komplett allein dastand. Ich hatte mich geweigert, die Arbeit an dieser Story einzustellen. Mein Vertrag lief aus. Sogar mein Buchverleger liess mich fallen und weigerte sich, auch nur eine einzelne Seite von einem Manuskript anzusehen, an dem ich jahrelang gearbeitet hatte.”

4. Das Jahr 2018 wirft ziemlich viele Fragen auf und die sollten wir dringend diskutieren
(buzzfeed.com, Marcus Engert, Audio, 78 Minuten)
Im “Unterm Radar”-Podcast erzählen die Reporter von “BuzzFeed News” von ihren Recherchen, über die Arbeit in einer Redaktion und über all das, was gelingen, aber auch schiefgehen kann. Für die zehnte Ausgabe haben sie sich etwas Besonderes ausgedacht: Für einen Jahresrückblick haben sie den Medienjournalisten und “Übermedien”-Macher Stefan Niggemeier eingeladen, der “sehr frustriert” und “mit großer Sorge” auf das Jahr zurückblickt.

5. Abdruck ist Pflicht
(djv.de, Hendrik Zörner)
Bei der Aktion “Fotografen haben Namen 2018” hat der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) ausgewertet, welche Zeitungen besonders korrekt und sorgfältig bei der Namensnennung von Fotojournalistinnen und -journalisten verfahren. Das Feld wird angeführt von “Nordkurier”, “Oldenburgischer Volkszeitung” und der “Freien Presse Chemnitz”. Der DJV-Vorsitzende: “Wir laden alle Redaktionen dazu ein, sich an den als sehr gut bezeichneten Zeitungen zu orientieren.”

6. Diese Frau macht Schluss mit dem “Tatortreiniger”
(welt.de, Elmar Krekeler)
Viele Fans trauern derzeit um ihre geliebte TV-Serie “Tatortreiniger”, die nach zwei Grimmepreisen, sechs Staffeln und sieben Jahren endet. Elmar Krekeler rückt eine Person in den Vordergrund, die hinter dem Erfolg steht: Die Autorin Ingrid Lausund (“Mizzie Meyer”), die alle 31 Folgen geschrieben hat.
Weiterer Lesehinweis: Bei “DWDL” kommt “Tatortreiniger” Bjarne Mädel zu Wort: “Es fühlt sich an, als sei jemand gestorben”.
TV-Tipp: Heute Abend sendet der NDR die beiden letzten Folgen (22:00 Uhr: “Der Kopf”, 22:30 Uhr: “Einunddreißig”). Die 22-Uhr-Folge ist schon jetzt in der Mediathek verfügbar, die 22:30-Uhr-Folge wandert morgen in die Mediathek.

Keine Hostelzimmer für Influencer, Rheinterrorblog, Werbepannen 2018

1. Weltweit 80 Medienschaffende getötet
(reporter-ohne-grenzen.de)
Traurige Bilanz des zu Ende gehenden Jahres: Weltweit wurden mindestens 80 journalistisch tätige Personen getötet, 348 Medienschaffende sitzen wegen ihrer Arbeit in Haft. Die Organisation “Reporter ohne Grenzen” setzt sich bei den Vereinten Nationen intensiv für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten ein. Das Ziel: Die Verantwortlichen für solche Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen und den Kreislauf der Straflosigkeit zu durchbrechen.

2. Können Journalisten profitieren?
(deutschlandfunk.de, Dieter Wulf)
Die Hostelkette A&O hat in den vergangenen drei Jahren nach eigenen Angaben mehrere hunderttausend Euro für Influencer-Marketing ausgegeben. Nun wendet sich die Budget-Herberge frustriert von dieser Werbeform ab: “Da hatten wir auch immer wieder Differenzen mit unseren Influencer-Partnern, die teilweise Rechtschreibfehler hatten und teilweise solche Fehler gemacht haben, dass wir nicht mal mehr als Marke erkennbar waren, und das ist natürlich ein Riesenproblem.” Das könnte eine Chance für den Journalismus sein, so A&O: “Also Instagram-Accounts sind heute alle eigentlich austauschbar und alle gleich. Und gerade diese Individualität, die ja dann doch nicht vorhanden ist, die wird durch den Journalismus wieder zurückkommen.” Diesen optimistischen Worten stehen jedoch die schlechter gewordenen Bedingungen im Reisejournalismus entgegen.

3. dpa-Faktencheck
(dpa.com)
“Welche Bedingungen muss eine Behauptung erfüllen, um in einem dpa-Faktencheck überprüft zu werden? Welche Behauptungen greifen wir in der Regel nicht auf? Wie geht dpa mit Fehlern in den eigenen Berichten um?” Die Nachrichtenagentur dpa erklärt ausführlich, nach welchen Regeln Faktenchecks durchgeführt werden.

4. Zum Tod von Colin Kroll
(spiegel.de, Markus Böhm)
Anlässlich des Tods von Colin Kroll erinnert Netzwelt-Redakteur Markus Böhm an die Bedeutung der von Kroll entwickelten Sechs-Sekunden-Video-App namens Vine. Krolls Wirken habe entscheidenden Einfluss darauf gehabt, wie unser Online-Alltag heute aussieht.

5. Blogger wegen Fake News vor Gericht
(haz.de, Antonia Lange/RND)
Die Meldung über einen angeblichen Terroranschlag in Mannheim (“Blutbad apokalyptischen Ausmaßes”) hat dem Betreiber des “Rheinneckarblogs” neben vielen Klicks und Aufmerksamkeit, eine Geldstrafe in Höhe von 9.000 Euro eingebracht. Gegen letztere wehrte sich der Betreiber juristisch und ließ seinen Anwalt sogleich einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin stellen. Das Gericht lehnte den Antrag jedoch ab und setzt die Verhandlung im Januar fort.

Weiterer Lesehinweis: “rheinneckarblog”-Redakteur vor Gericht: Anwalt wirft Richterin Befangenheit vor! (mannheim24.de).

6. Werbefails 2018: Das waren die größten Werbepannen in diesem Jahr
(t3n.de, Cornelia Dlugos)
Das Online-Magazin für digitale Wirtschaft t3n.de hat die schlimmsten Marketing-Fehltritte und Werbe-Fails 2018 zusammengestellt. Mit dabei sind so bekannte Markennamen wie H&M, Dr. Oetker, Mediamarkt, BMW und Heineken, aber auch die Bundeswehr.

“BILD checkte die Fakten” und wirft sie dann durcheinander

Bei zwei Gruppen bringen die “Bild”-Medien besonders gern falsche Zahlen in Umlauf oder reißen richtige Zahlen aus dem Zusammenhang: bei Geflüchteten/Asylbewerbern und bei Hartz-IV-Empfängern. Daher sollte man bei so einem Artikel — heute erschienen auf der “Bild”-Titelseite — doppelt misstrauisch sein:

Ausriss Bild-Titelseite - Zwei von drei Flüchtlingen leben von Hartz IV

“Bild” schreibt:

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gelobt. “Ich bin selbst überrascht, dass das so schnell geht”, sagte Kramer der “Augsburger Allgemeinen”. BILD checkte die Fakten. So steht es um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt:

► Von 1,6 Mio. Migranten aus den Haupt-Fluchtländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) sind aktuell 360 000 beschäftigt (Sept. 2018). Das sind 41 % mehr als vor einem Jahr!

► Aber: Zwei von drei Migranten aus den Flüchtlingsländern (63,7 %) beziehen Hartz IV.

Die Verbindung aus “So steht es um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt” und “Zwei von drei Migranten aus den Flüchtlingsländern (…) beziehen Hartz IV” ist mindestens irreführend: Es stimmt zwar, dass 63,7 Prozent dieser Personengruppe Hartz IV bezieht (womit auch die Überschrift auf der “Bild”-Titelseite, für sich genommen, richtig ist) — allerdings sind dort auch Kleinkinder und Greise eingerechnet, die noch nicht oder nicht mehr arbeiten können. Die Zahl bezieht sich also auf alle “Migranten aus den Flüchtlingsländern”, egal wie alt.

Nimmt man hingegen, wie die Bundesagentur für Arbeit es macht (Excel-Tabelle, siehe Tabelle “T-Quoten”, Spalte “Arbeitslosenquote mit eingeschränkter Bezugsgröße”), nur die 15- bis 65-Jährigen, ergibt sich eine Arbeitslosenquote von 36 Prozent im September 2018 (zum Vergleich: im September 2017 lag sie noch bei 44,8 Prozent). Das ist immer noch deutlich höher als der Durchschnitt in Deutschland, aber eben auch deutlich niedriger als die 63,7 Prozent.

Im Artikel bei Bild.de war interessanterweise Platz für die Arbeitslosenquote der 15- bis 65-Jährigen. Auf der Bild.de-Startseite allerdings hat die Redaktion Erwerbsfähige und Gesamtbevölkerung wieder durch­ei­n­an­der­gewor­fen:

Screenshot Bild.de - So ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt wirklich - Zwei von drei Flüchtlingen leben von Hartz IV

Dazu auch:

Katsching! Ein Mensch ist tot

Eine Stadt in Trauer. Ein Verein unter Schock. Eine Familie in Fassungslosigkeit.

Das schreiben “Bild” und Bild.de zum Tod von Herbert Gentner, der am frühen Samstagabend, kurz nach Abpfiff der Bundesligapartie zwischen dem VfB Stuttgart und Hertha BSC, noch im Stadion starb. Herbert Gentner war der Vater von VfB-Kapitän Christian Gentner.

“Eine Familie in Fassungslosigkeit”, analysiert die “Bild”-Redaktion also. Sie will das eigene Handeln aber ganz offensichtlich nicht anpassen und die Familie Gentner nicht in Ruhe trauern, etwas Fassung zurückgewinnen lassen. Stattdessen will sie Klicks abgreifen, Abos verkaufen und Auflage machen. Sie will Geld verdienen mit dem Tod eines Menschen. Denn seit Samstag feuern die “Bild”-Medien wie am Fließband Artikel zu dem Thema raus. Eine Auswahl.

Bild.de berichtete — wie andere Medien auch — recht schnell über den tragischen Vorfall im Stadion des VfB Stuttgart. Noch am späten Samstagabend folgte diese Schlagzeile:

Screenshot Bild.de - Hier ahnt der VfB-Kapitän nicht nichts vom Todes-Drama - Während Gentner ein Interview gibt, bricht sein Vater im Stadion zusammen

“Bild am Sonntag” hatte das Thema auf der Titelseite und groß im Blatt:

Ausriss Bild am Sonntag - Drama in der Bundesliga! Vater von VfB-Kapitän stirbt im Stadion

Im Laufe des Sonntags legte Bild.de nach. Die Redaktion begann mit ihren Spekulationen zur Todesursache:

Screenshot Bild.de - Die wichtigsten Fragen zum Todes-Drama - Woran starb Gentners Vater?

Die Antwort auf den Klickköder hat das Bild.de-Team hinter die Bezahlschranke gepackt.

Gestern am Abend die nächste “Bild plus”-Story:

Screenshot Bild.de - Drama um Vater von VfB-Star Gentner - Der Tod kam 45 Minuten nach dem Siegtor
(Unkenntlichmachung durch uns. Der Krankenwagen ist laut “Bild”-Redaktion leer.)

Heute macht dann auch die “Bild”-Zeitung mit. Der Tod von Herbert Gentner, die angebliche Todesursache und der Ablauf am frühen Samstagabend im Stadion sind die große Titelgeschichte:

Ausriss Bild-Titelseite - Sekunden-Tod im Stadion nach 2:1-Sieg - So starb der Vater des Stuttgart-Kapitäns

Im Blatt fast eine komplette Seite:

Ausriss Bild-Zeitung - Vater von VfB-Star Gentner starb im Stadion - Der Tod kam 45 Minuten nach dem Siegtor

Zitate im Text belegen, dass die “Bild”-Schnüffeleien im privaten Umfeld von Herbert Gentner bereits begonnen haben; “Bild”-Reporter haben sich schon mit dem zweiten Vorsitzenden des örtlichen Fußballvereins unterhalten und “Vertraute” des Verstorbenen aufgetrieben.

“Bild” schreibt, dass “Bild” “DIE WICHTIGSTEN FRAGEN” beantworte. Die entscheidende haben sich die “Bild”-Mitarbeiter aber offenbar nicht gestellt: “Was zur Hölle machen wir hier eigentlich?”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Missbrauchs-Nachrichtensperre, Gemein(de)schreiber, Lügen-Charts

1. Ein Urteil, über das (fast) niemand spricht
(deutschlandfunk.de, Marco Bertolaso)
Dem Kurienkardinal George Pell (77) wird in Australien Missbrauch Minderjähriger vorgeworfen. Dass man wenig über den Fall erfährt, liegt an der von der australischen Justiz verhängten weltweiten Nachrichtensperre. Marco Bertolaso erklärt, warum sich der “Deutschlandfunk” nicht an diese Nachrichtensperre halte: “Das Thema ist weltweit bedeutsam. Es ist bedeutsam für die deutsche Gesellschaft. Der Missbrauch durch Priester und die langen Jahre der Vertuschung haben auch unser Land erschüttert. Auch in Deutschland sind viele Menschen Opfer geworden. Und auch bei uns wird über die Rolle der Kirche diskutiert. Dabei geht es nicht zuletzt um den Vatikan und seine hohen Vertreter wie Kardinal Pell. Die Relevanz des Themas steht also außer Frage.”

2. Stimmverlust
(sueddeutsche.de, Alan Cassidy)
Der amerikanische “Weekly Standard” gehörte zu den wenigen konservativen Medien, die Kritik am US-Präsidenten übten. Weil dem Geldgeber die Blattlinie nicht passte, muss die Zeitschrift nun dichtmachen. Die Blattmacher suchen jetzt finanzielle Unterstützung für ein Nachfolgeprojekt. Ob dieses Projekt je wieder an den Einfluss des “Weekly Standard” herankommt, sei jedoch fraglich.

3. Boswiler Gemeindeschreiber: Medien-Richter kennen keine Gnade
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Der Gemeindeschreiber des Schweizer Dorfs Boswil hat auf Facebook allerlei hässliche Botschaften hinterlassen. Dies griff die Schweizer Boulevard-Tageszeitung “Blick” in ihrer Berichterstattung auf. Was danach geschah, erzählt und bewertet Rainer Stadler in seiner “NZZ”-Kolumne.

4. “Richtig Stimmung machen”
(taz.de, Aron Boks)
Beim “Adbusting” werden bekannte Markennamen und Logos gekapert und in Fake-Plakate eingearbeitet. Bekanntes Beispiel der jüngeren Vergangenheit: Das gefakte Werbeplakat, auf dem sich Coca-Cola vorgeblich gegen die AfD positionierte. Die “taz” hat sich anlässlich des konkreten Falls mit einem PR-Berater über Marketingstrategien von großen Konsummarken unterhalten.

5. Das sind 8 der erfolgreichsten Falschmeldungen auf Facebook 2018
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
“BuzzFeed News” hat recherchiert, welche Falschmeldungen 2018 auf Facebook besonders erfolgreich waren. Erschreckend: Acht der erfolgreichsten Falschmeldungen hätten mehr Facebook-Interaktionen bewirkt als fast alle Artikel der größten Nachrichtenseiten in Deutschland. Wichtigste Verbreiter dieser Falschnachrichten seien die AfD und die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach gewesen.

6. Volks-Rock’n’-Proll
(spiegel.de)
Der heimatverliebte Volkstümler und Schlagersänger mit Schlagseite Andreas Gabalier überzog auf seinem Abschlusskonzert die als linksliberal geltenden Zeitungen “Standard” und “Falter” mit allerlei Schmähungen. Er glaube, dass Redakteure der — seiner Ansicht nach traditionsfeindlichen — Blätter “undercover in der Halle” seien, um “verheerende Geschichten” zu schreiben.

Jetzt nehmen uns die Muslime auch noch das Schwimmbad weg (2)

Nehmen wir für einen Moment mal an, dass das, was am Dienstag in “Bild” stand, stimmte. Dann hätte die Geschichte vom Bremer Vater, der mit seiner Tochter nicht ins Schwimmbad darf, “weil Muslime im Bad sind” (BILDblog berichtete), eine neue Wendung:

Screenshot Bild.de - Schlechte Kommunikation - Behörde bestätigt Schwimmverbot für Papa

Jetzt stellt es sich anders da: Der Schwimmtermin sei ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. muslimische Frauen, in den die Gruppe von Tim F. ausnahmsweise reinrutschte — Männer tatsächlich unerwünscht!

… schreiben die “Bild”-Medien.

Und es ist schon ein ausgesprochen interessanter Fokus, den sie an dieser Stelle gewählt haben: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. muslimische Frauen”. Sie hätten nämlich genauso gut schreiben können: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. katholische Frauen”. Oder: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. jüdische Frauen”. Oder: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. Frauen, die nicht religiös sind”. Oder einfach: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für Frauen”. Denn der Termin, den “Bild” meint, ist ein Frauenbadetag. Davon gibt es monatlich zwei in dem betreffenden Bremer Schwimmbad: jeden zweiten Samstag im Monat ohne Kinder, jeden letzten Samstag im Monat mit Kindern. Für alle Frauen, egal ob religiös, egal welche Religion.

Die Bremen-Redaktion der “Bild”-Zeitung hätte also irgendwas titeln können wie “Wegen Frauenbadetag — Vater darf mit Tochter nicht ins Schwimmbad”. Vermutlich hätte dann selbst der wütendste “Bild”-Leser verstanden, dass es nicht völlig überraschend ist, dass ein Mann nicht zum Frauendbadetag darf. Stattdessen titelte die Redaktion aber:

Ausriss Bild-Zeitung - Wegen Musliminnen - Behörde bestätigt Schwimm-Verbot für Papa Tim
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Wenn Frauenbadetag ist, zu dem auch (aber nicht nur!) Musliminnen gehen können, und ein Mann dadurch nicht ins Schwimmbad darf, sind laut “Bild”-Redaktion also die Musliminnen schuld.

Auf der Facebookseite von “Bild” (wo der Artikel mit den Worten “Wegen Musliminnen — Behörde spricht Schwimmverbot für Papa aus” verlinkt ist) reagieren die Leserinnen und Leser mit Kommentaren wie:

Rassismus gegen Deutsche!

Ja, das ist erst der Anfang, wir sind bald fremd im eigenem Land

Wie tief will Deutschland eigentlich noch sinken…

Nun müssen wir allerdings einmal zurück an den Anfang. Wir haben ja schon angedeutet, dass mit dem “Bild”-Text etwas nicht stimmen könnte. Und: Es stimmt etwas mit dem “Bild”-Text nicht. Ein Frauenbadetag spielt in dem Fall, anders als von “Bild” behauptet, überhaupt keine Rolle.

Der Sprecher der Bremer Sozialbehörde, der auch im Artikel der “Bild”-Medien zu Wort kommt, sagte uns auf Nachfrage, dass eine unglückliche Entscheidung der Mutter-Kind-Gruppe, die Tim F. mit seiner Tochter besucht, und zu der auch muslimische Frauen gehören, zum Ausschluss des Mannes beim Schwimmbadbesuch geführt habe: Die Frauen hätten sich gewünscht, dass nur Frauen mit zum Schwimmen kommen.

Der Vater selbst sei bei der Planung des Ausflugs nicht dabei gewesen und habe daher auch nichts dazu sagen können. Es sei bedauerlich, dass diese Entscheidung über den Kopf des Mannes hinweg gefallen sei und man ihn vor vollendete Tatsachen gestellt habe.

Er habe auch dem “Bild”-Reporter mitgeteilt, dass ein Frauenbadetag nicht der Grund für den Ausschluss des Mannes gewesen sei, so der Sprecher der Sozialbehörde. Warum dieser das dann trotzdem geschrieben hat, könne er sich auch nicht erklären.

Zeitstempel-Gelbwesten, Maskupedia, Eine Vergewaltigung ist kein Sex!

1. Verschwörungstheorien wegen eines Tweets
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Sabine Wachs)
Nach dem Anschlag in Straßburg zirkuliert in Kreisen der protestierenden “Gelbwesten” die Verschwörungstheorie, der französische Staat stecke dahinter. Als angeblicher Beleg dient unter anderem ein Tweet einer Polizeipräfektur mit einem scheinbar entlarvenden Zeitstempel. Die Gründe dafür sind jedoch technischen Ursprungs. Patrick Gensing und Sabine Wachs erklären das Phänomen, das auf Twitter in ähnlicher Form immer wieder für Verwirrung sorgt.

2. It’s a man’s world: Wie weibliche Editorinnen von der Wikipedia verdrängt werden
(netzpolitik.org, Carolina Schwarz)
Carolina Schwarz hat für das Gesellschaftsmagazin “ROM” aufgeschrieben, wie schwer es Frauen bei Wikipedia haben. “Oh, Hasilein, lösch dich von Wikipedia und kümmer dich lieber um das, was du wirklich gut kannst: shoppen, putzen und deinen Mann umgarnen.” Solche Sätze musste sich beispielsweise die Wikipedia-Editorin “Sophia” (Pseudonym) anhören. Anderen Frauen sei es ähnlich ergangen. Der Verein Wikimedia kenne das Problem und versuche gegenzusteuern. Wie es gelöst werden kann, bleibe jedoch offen.

3. Kritiker über Facebook verfolgt
(reporter-ohne-grenzen.de)
Dass man kritische Stimmen auch im Ausland unterdrücken kann, beweisen die böswilligen Facebook-Angriffe auf den in Deutschland im Exil lebenden Journalisten Trung Khoa Le aus Vietnam. Unbekannte hätten ausgenutzt, dass es auf Facebook bis vor Kurzem möglich war, eine andere Person unwissentlich zum Administrator einer Seite zu machen, auf der in grober Weise gegen die “Community Standards” vorstoßen wird. Das Resultat in derartigen Fällen: Der unfreiwillige Administrator wurde für die Verstöße verantwortlich gemacht und mit einer Sperre belegt. Christian Mihr, Geschäftsführer der “Reporter ohne Grenzen”: “Facebook eröffnet vielen Journalisten die Chance auf eine freie Berichterstattung, doch offensichtlich kann das Unternehmen solch zensurähnlichen Missbrauch nicht verhindern. Es braucht endlich eine demokratische Kontrolle des Konzerns, um die Rechte der Nutzer wirksam zu stärken.”

4. Die Dinge beim Namen nennen – Warum eine Vergewaltigung kein Sex ist
(genderequalitymedia.org, Vic Schulte)
Es ist eigentlich so einfach: Eine Vergewaltigung ist kein Sex! Dennoch schreiben Medien Vergewaltigungsfälle gerne zu klicksteigernden Sex-Stories um. Vic Schulte zählt einige unschöne Beispiele auf und fasst am Ende zusammen: “Wenn bei Sexualstraftaten statt von Belästigung und Vergewaltigung von “Sex” die Rede ist, sieht das auf der Titelseite zwar aufregend und ein bisschen skandalös aus und hilft möglicherweise, Verkaufs- oder Klickzahlen in die Höhe zu treiben. Aber durch die Vermischung der Begriffe wird zugunsten der Unterhaltsamkeit ein Gewaltverbrechen trivialisiert und verharmlost.”

5. Erfolgsfaktor Natur – das Genre „Nature Writing“
(fachjournalist.de, Torsten Schäfer)
Journalismusprofessor Torsten Schäfer ist als langgedienter Wissenschafts- und Umweltjournalist Experte für grüne, sprich naturnahe Themen. In einem Beitrag für den “Fachjournalist” beschäftigt er sich mit dem angloamerikanischen “Nature Writing”. Dieses Literaturgenre erobere den deutschen Buchmarkt und die Feuilletons, werde aber im Journalismus selbst kaum diskutiert — obwohl es viele Chancen für die Lokal- und Umweltberichterstattung biete.

6. Kleinvieh-Strategie: Endemol Shine erstmals an der Spitze
(dwdl.de, Torsten Zarges)
“DWDL” hat ein Ranking der TV-Produzenten für das Jahr 2018 erstellt. Spitzenreiter ist die Firma Endemol Shine, die mit zehn verschiedenen Formaten unter den 100 meistgesehenen Sendungen des Jahres vertreten ist. Wer sich für das TV-Geschäft interessiert, findet in dem Artikel viele Zahlen und Informationen über das milliardenschwere Geschäft mit der Fernsehunterhaltung.

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