Wie könnte die Bild.de-Redaktion über das Ergebnis einer Forsa-Umfrage berichten, nach dem sich eine Mehrheit der Befragten (57 Prozent) für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ausspricht, ohne dabei ihre Stimmungsmache gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen aus den Augen zu verlieren?
Selbst vor dem Auto macht der Klima-Wahn nicht halt!
Jetzt will der “Klima-Wahn” uns schon das Rasen wegnehmen! Es kommt im Moment aber auch eine ganze Menge für die “Bild”-Leute zusammen: Im Insa-Meinungstrend “verdrängen die Grünen die Union vom ersten Platz, Supermärkte schmeißen Plastik aus ihren Regalen und jeden Freitag trommeln Schüler für den Klimaschutz.” Und “plötzlich”:
Ganz so überraschend, wie Bild.de hier tut, ist dieser “UMFRAGE-HAMMER” dann aber doch nicht. Erstmal: Die Forsa-Umfrage fand nicht etwa vor ein paar Tagen oder vor einer Woche statt, sondern schon vor zwei Monaten, zwischen dem 5. und 15. April. Da lagen beispielsweise die Grünen noch in keinem bundesweiten Meinungstrend vor der Union. Außerdem gab es bereits im Januar dieses Jahres mehrereUmfragen zum Thema Tempolimit, bei der sich eine Mehrheit für eine generelle Beschränkung ausgesprochen hat (bei Welt.de sogar “eine klare Mehrheit von 63 Prozent”). 2012 gab es eine Umfrage von infratest dimap, bei der 53 Prozent für eine “Einführung eines generellen Tempolimits von 120 oder 130 km/h auf den deutschen Autobahnen” waren. Und bereits 2007, als ein generelles Tempolimit ebenfalls diskutiert wurde, war in verschiedenen Umfragen eine Mehrheit “zwischen 54 und 60 Prozent” für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h.
Diese Mehrheiten, die es also seit mindestens zwölf Jahren gibt, versucht die Bild.de-Redaktion heute als neueste Auswüchse des “Klima-Wahns” abzutun.
Mit Dank an David M. für den Hinweis!
Nachtrag, 17. Juni: Vom “Klima-Wahn”, der “selbst vor dem Auto” nicht halt mache, ist bei Bild.de inzwischen nicht mehr die Rede. Stattdessen:
Selbst vor dem Auto macht das Klima-Bewusstsein nicht halt!
3. Liebe Leser*innen: Warum wir ab sofort das Gendersternchen benutzen (linkedin.com, Sara Weber)
Die deutschsprachige Redaktion des Geschäftskontakt-Netzwerks LinkedIn erklärt, warum sie sich für die Verwendung des sogenannten Gendersternchens entschieden hat: “Für viele von Ihnen mag das Sternchen ungewohnt sein, einige wird es womöglich sogar verärgern. Doch gendergerechte Sprache verändert tatsächlich etwas: Kinder trauen sich eher zu, bestimmte Berufe ergreifen zu können, wenn sie gendergerecht dargestellt sind. Frauen werden als geeigneter für Führungsposten angesehen, wenn ein/e Projektleiterin/Projektleiter gesucht wird, nicht nur ein Projektleiter.”
4. Wie eine ARD-Doku absurdes Zeug über Elektromobilität verbreitet und dadurch den Klimawandel verstärkt (graslutscher.de, Jan Hegenberg)
Der “Graslutscher” ärgert sich über eine ARD-Doku über Elektroautos: “Nachdem ich die Hälfte der ARD-Dokumentation “Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten” gesehen hatte, rechnete ich schon fast damit, dass Elektroautos am Ende der Sendung nicht nur für eine Menge Umweltschäden, sondern schlussendlich auch beim Einspielen düsterer Musik für die Ermordung Kennedys, die achte Staffel von Game of Thrones und den Prager Fenstersturz verantwortlich gemacht werden.”
5. “Der Polizeischutz war wirklich Wahnsinn!” Tim Wolff im Gespräch – Die Titanic-Years (kaput-mag.com, Linus Volkmann)
Linus Volkmann hat sich mit dem langjährigen “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff über dessen Zeit bei dem Satiremagazin unterhalten. Ein spannendes und unterhaltsames Gespräch, bei dem man viel erfährt, was sonst nicht bekannt ist. Zum Beispiel von den Schwierigkeiten des Satirikers im Brennpunkt des öffentlichen Interesses: “Auf öffentlichen Aufruhr zu reagieren machte mir eigentlich sogar Spaß, du hast die vielen, größtenteils inkompetenten Reaktionen auf ein Geschehnis oder auf einen Skandal und du kannst damit spielen. Wobei es vor Kameras nie leicht ist, seine eigene Version durchzubekommen. Man erzählt dann vor der Kamera seine drei gut vorbereiteten Gags und dann kommen immer wieder Rückfragen und irgendwann sagt man dann doch mal einen ernsten Satz — und der wird dann gesendet! Schriftliche Interviews waren mir deswegen immer viel lieber.”
6. Ministerium erwägt Influencer-Gesetz (tagesschau.de)
Das Justizministerium erwägt ein Gesetz, das es Influencern vorschreibt, etwaige Werbung klar zu kennzeichnen. Zur Zeit sei Werbung in den Sozialen Medien vielfach eine rechtliche Grauzone (tagesschau.de, Audio: 2:39 Minuten).
Ein derartiges Gesetz könnte auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner helfen, bei der es anscheinend an Bewusstsein für diese Thematik mangelt. Siehe dazu auch: Blamiert: Klöckners werbliches Video mit Nestlé (ndr.de, Caroline Schmidt & Tim Kukral).
… jedenfalls sagten das die zwei Hansel mit “Bild”-Zeitung unterm Arm, die wir heute am Kiosk auf das Thema angesprochen haben. Und so funktioniert das ja auch bei den “Bild”-Medien mit den Überschriften:
Da hat “Bild”-Chefreporter Peter Tiede unter den rund 438.000 SPD-Mitgliedern doch tatsächlich ein paar gefunden, die sich Thilo Sarrazin als neuen SPD-Vorsitzenden vorstellen können und, zack, wird das bei Bild.de und in “Bild” zur Story. Wie groß die “Gruppe bayerischer SPD-Mitglieder” ist, die angeblich “Sarrazin als SPD-Chef” will, und wer die “Bayern-Genossen” überhaupt sind, die für die “Überraschung” “im Streit um die Nachfolge von Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles” sorgen, konkretisiert Tiede nicht.
Dafür gab es aber direkt klare Dementis von der bayerischen SPD. Die Landesvorsitzende Natascha Kohnen sagte dem Bayerischen Rundfunk: “Ich kenne niemanden, der das fordert, und für mich ist das undenkbar”. Horst Arnold, SPD-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag, sprach von einem “misslungenen Satirebeitrag”. Klaus Adelt, Vize der Landtagsfraktion, sagte, er habe “Fragezeichen hoch drei” und kenne auch niemanden, der Sarrazin als SPD-Chef will. Der bayerische Bundestagsabgeordnete Florian Post sprach von einer “völligen Blödsinnsidee”. Und die Partei vermutete den “Postillon” oder die “Titanic” als Quelle für die “Bild”-Geschichte. Diese “Bayern-Genossen” hat Peter Tiede offensichtlich nicht befragt bei seiner Recherche.
Nachdem unter anderem die “Bild”-Medien Thilo Sarrazin vor Jahrengroßgeschriebenhaben, bringen sie ihn jetzt also als SPD-Chef ins Spiel. Peter Tiede ist mit seinem Text bei den entsprechenden Kreisen auf jeden Fall schon mal auf Interesse gestoßen: Facebook-Gruppen wie “Bekenntnis zu Deutschland II” (“Hätte Charme!”), “Widerstand Bischofswerda” (“Ich kann mich noch genau erinnern wie sie ihn versucht haben fertig zu machen und aus der Partei zu ekeln.”) und “Kameradschaft Deutscher Nationen” haben seinen Artikel geteilt. Die “Achse des Guten” sieht sich bestätigt: “Vor vier Tagen hat Thilo Sarrazin auf Achgut.com beschrieben, was er als SPD-Vorsitzender jetzt tun würde, jetzt nimmt die Sache irgendwie Schwung auf.” Auch “Epoch Times” springt auf das Thema auf: “Bayern sorgt für Überraschung: Sarrazin soll neuer SPD-Chef werden”. Und “Compact” schreibt über “Messias” Sarrazin: “Nanu, was ist denn das? Es ist doch gar nicht Karneval. Die SPD sucht einen neuen Chef und nun soll es Thilo Sarrazin richten.”
Dass das alles — genau wie die Sache mit Florian Silbereisen als Wunschkanzler der “Bild”-Leser — ziemlich dünn ist, interessiert da schon längst nicht mehr.
1. FAZ-Innenpolitikchef zerstört sich im Kampf gegen Rezo (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Achtung, für diesen Beitrag braucht man starke Nerven und sollte einigermaßen Fremdscham-resistent sein: Stefan Niggemeier dröselt den Twitter-Beef zwischen dem “FAZ”-Innenpolitikchef Jasper von Altenbockum und dem Youtuber Rezo auf. Niggemeier bringt es schon im ersten Satz gut auf den Punkt: “Jasper von Altenbockum sollte mehr FAZ lesen und weniger Youtube-Videos gucken.”
2. Können wir aufhören, Philipp Amthor in eine Opferrolle zu schreiben? (twitter.com/C_Holler)
In letzter Zeit erschienen verschiedene Artikel über den Umgang mit dem CDU-Politiker Philipp Amthor (“Tagesspiegel”, “Freitag”, “Bento”). Allgemeiner Tenor: Man möge es unterlassen, Amthor für sein Auftreten zu kritisieren. Für Claudius Holler greift dies zu kurz. Sein Twitter-Thread startet mit: “Können wir aufhören, Philipp Amthor in eine Opferrolle zu schreiben? Dafür ist er viel zu schlau. Was hier vorschnell Lookismus genannt wird, ist die Sichtbarmachung seines Codes. Er kleidet sich nicht unbeholfen, sondern ganz bewusst und aus Machtinteresse exakt so.”
3. “Hört den Leisen zu!” (journalist-magazin.de, Ellen Ehni)
Das Medienmagazin “journalist” befragt regelmäßig führende Journalisten und Journalistinnen nach ihrem persönlichen Blick auf den Journalismus. In der aktuellen Ausgabe äußert sich die WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni. In einem achtteiligen Appell fordert sie ihre Kollegen und Kolleginnen dazu auf, sich selbst und ihre Routinen zu hinterfragen. Es sind viele Selbstverständlichkeiten dabei, die aber — wie so oft bei Selbstverständlichkeiten — eben doch nicht so selbstverständlich sind.
4. Vom Politik- zum Presseskandal? (message-online.com, Magdalena Neubig)
Magdalena Neubig fasst in einem längeren Beitrag die Verdachtsberichterstattung rund um das Bremer BAMF und dessen Leiterin Ulrike B. zusammen. Dabei lässt sie sowohl die berichterstattenden Medien als auch ihre Kritiker zu Wort kommen. Sie endet mit einem Zitat eines Strafrechtsprofessors, der es für gut möglich hält, dass es sich beim sogenannten “BAMF-Skandal” eher um einen “Skandal der (übertriebenen) Medienberichterstattung” handeln könnte.
5. Micropayments für Journalismus funktionieren nicht, Episode 736: Auch Blendle gibt auf (neunetz.com)
Seit Jahren suchen die Verlage nach funktionierenden Erlösmodellen für ihre journalistischen Inhalte. Eine Idee war es, einzelne Artikel zum Kauf anzubieten und über Micropayment abzurechnen. Der niederländische Dienst Blendle hatte hierzu eine Infrastruktur aufgebaut, streicht jedoch jetzt die Segel. Marcel Weiss kommentiert die Entscheidung und verweist dazu auf seine Aussagen von 2015 zur Inkompatibilität von Journalismus und Micropayment: “Man liest selbst den besten journalistischen Text nur einmal. Musikstücke, vor allem die, die man sogar kauft, hört man öfter an. Noch wichtiger: In der Regel hat man den Song, den man kaufen will, bereits oft gehört -im Radio, auf YouTube, in einer TV-Serie-. Man kennt also schon das Informationsgut, das jetzt erworben wird und weiß bereits, dass es gefällt und den zu bezahlenden Preis wert ist. Das kann für journalistische Texte niemals gelten.”
6. WR953 Wie man (k)ein populärwissenschaftliches Sachbuch macht (wrint.de, Holger Klein & Florian Freistetter, Audio: 91 Minuten)
Im “Wrint”-Podcast unterhalten sich Holger Klein und Florian Freistetter über das Schreiben von populärwissenschaftlichen Sachbüchern. Das ist insofern interessant, als dass Florian Freistetter ein erfahrener Sachbuchautor ist und Holger Klein jüngst an der Produktion eines Buchs gescheitert ist. Es geht unter anderem um Ideenfindung, Arbeitsweise und Strukturierung, die Wahl eines passenden Verlags und was unter dem Strich finanziell hängenbleibt.
Filipp Piatov sitzt bei “Bild” in der Politikredaktion, und man muss das einmal aufschreiben, denn man würde sonst nicht auf die Idee kommen, dass er in einer Politikredaktion sitzt.
Niemand hat so dringende Sorgen wie die Grünen: Das Klima muss gerettet, die Welt vor dem Untergang bewahrt und der Jugend ihre Zukunft zurückgegeben werden.
Doch die Grünen sind wie ein Beifahrer, der über den Fahrstil meckert, aber bloß nicht selbst ans Steuer möchte. Warnen, mahnen und die Regierung kritisieren, das können sie — aber regieren wollen sie nicht. (…)
Wer so dringende Sorgen wie die Grünen hat, müsste das nutzen: Neuwahlen fordern, Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken! Und vor allem: keine Zeit verlieren.
Dass Piatov behauptet, die Grünen würden nicht regieren wollen, ist etwas überraschend, schließlich sitzt die Partei aktuell in neun Bundesländern in der Regierung: in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. In Baden-Württemberg stellt sie mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten. Und das seit mehr als acht Jahren, was dafür spricht, dass auch Filipp Piatov das mal mitbekommen haben könnte.
Aber offenbar hat er ja nicht mal die Sondierungsgespräche zu einer möglichen Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl 2017 mitbekommen. Denn die sind am Unwillen der FDP gescheitert und nicht am vermeintlichen Nicht-Regieren-Wollen der Grünen. Und nun ist es auch historisch gesehen nicht so, dass sich die Grünen noch nie an einer Regierungbeteiligt hätten.
Dass die Grünen entgegen seiner Aussage durchaus schon mal Neuwahlen ins Spiel gebracht haben, hätte Piatov mit einer recht einfachen Google-Suche (“Grüne Neuwahlen”) herausfinden können. FAZ.net berichtete beispielsweise vor gut einer Woche:
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sagte zu möglichen Neuwahlen:
Wenn diese Bundesregierung keine Kraft mehr hat, dann muss die Gesellschaft, dann müssen die Bürgerinnen dieses Landes neu entscheiden
Da steckt dann auch ein entscheidender Punkt drin: Die amtierende Regierung aus CDU/CSU und SPD müsste entscheiden, ob sie weitermachen will oder nicht. Und nicht die Grünen. Neuwahlen gibt es in Deutschland in der Regel nicht durch das Fordern von Neuwahlen durch eine Partei, die in aktuellen Umfragen bei ordentlich über 20 Prozent liegen mag, die im Bundestag allerdings nach wie vor mit den 8,9 Prozent aus der Wahl 2017 vertreten ist. Das ist, zum Glück, dann doch ein etwas komplexerer Vorgang. Es mag Piatov überraschen, aber nicht mal die Grünen in ihrem derzeitigen Höhenflug haben die Möglichkeit, den Bundestag im Alleingang aufzulösen.
Wenn man sich mal die Mühe macht und sich hinsetzt, um Filipp Piatov das alles einmal in Ruhe zu erklären, dann fängt er einfach wieder von vorne an.
1. Verteidigung der Missionarsstellung (tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Andreas Tobler hat bei der “NZZ” so etwas wie ein eigenes Genre entdeckt: den Artikel gegen die “politische Korrektheit”. Allein im vergangenen Jahr seien in der “NZZ” über hundert dieser Anti-PC-Beiträge erschienen. Tobler kommentiert: “Gehegt und gepflegt wird das Phantasma der politischen Korrektheit nicht zuletzt, um sich ja nicht mit der schlichten Tatsache zu beschäftigen, dass Normalität schon immer einer gesellschaftlichen Aushandlung unterlag.”
2. Zuhause ist, wo die Männer sind (tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Das kommende Herbst- und Winterprogramm des Rowohlt-Verlags bestehe zu 90 Prozent aus Titeln von Männern, kritisiert Gerrit Bartels. Sein Unmut darüber mündet in einem langen Satz: “Man muss kein Feminist sein, um das seltsam und unbedacht zu finden, gerade in Zeiten, in denen der Verlag Klett-Cotta in seiner Vorschau bei der Ankündigung eines Buches von Lady Bitch Ray das “Trendthema Feminismus” entdeckt hat; in denen in den sozialen Medien alle halbe Jahre sorgfältig gezählt wird, wieviel Titel die Verlage von Frauen und Männern veröffentlichen; in denen, genau, das interessiert Verlage, junge Feministinnen nicht nur wie Stokowski, sondern auch wie Sophie Passmann oder Jagoda Marinic mit “Alte weiße Männer” und “Sheroes” gerade Bestseller veröffentlicht haben; in denen, auch das ist bekannt, Frauen mehr zu Büchern greifen als Männer, zu Belletristik überdies.”
3. Rezo-Video: Trend vom Lesen weg zum Vorlesen wie im Mittelalter (infosperber.ch)
“Infosperber” greift ein “Deutschlandfunk”-Interview des Medienwissenschaftlers Christoph Engemann auf, das dieser anlässlich des Rezo-Videos (“Die Zerstörung der CDU”) gegeben hat. Wie ist diese Art der “Vorlesung” einzuordnen, was bedeutet dies für die Kommunikationskultur, und wie soll man darauf reagieren? Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer erklärt, warum sich die CDU so schwer mit einer Reaktion tut: “Das ganze politische System ist stark formalisiert und strukturiert. Man kennt sich. Das war bisher eine gut geölte Maschine. Wenn da plötzlich irgendein Akteur aus dem Nichts kommt, den man auch nicht richtig einordnen kann, nicht ein Parteiakteur, keiner der für irgendwelche Interessengruppen steht, eher so ein Halbprominenter in einer bestimmten Generation, der sehr massiv, sehr fundiert und eben sehr gut sichtbar seine Meinung äussert — das irritiert die Politiker natürlich.”
4. Was soll der Müll (freitag.de, Hannah Schlüter)
Hannah Schlüter beschäftigt sich mit dem erfolgreichen Genre der Aussteiger- und Reisefilme. Die Protagonisten seien oft Influencer oder würden es durch ihre Filme werden wollen: “Der blinde Fleck der Filme bleibt die eigene Herkunft, die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Protagonisten auf ihre Reisen gehen können (und anschließend auf Kinotour durch Deutschland). Und der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die sie auf ihren Reisen treffen: Sie können am Ende wieder nach Hause. Sich doch wieder den Ballast eines Hauses gönnen und sesshaft werden.”
5. Das Problem heißt Hass (taz.de, Johanna Roth)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Eine derartige Pflicht wäre jedoch wenig hilfreich, findet “taz”-Redakteurin Johanna Roth: “Eine Klarnamenpflicht verhindert keine Hasskommentare. Facebook fordert seine User schon lange dazu auf, sich mit echten Namen zu registrieren, auch wenn eine entsprechende Verpflichtung im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt wurde. Das hält Nutzer aber nicht davon ab, Beleidigungen und Morddrohungen zu posten. Das Problem heißt nicht Anonymität, das Problem heißt schlicht: Hass.”
6. Hoch lebe der Staatshumor (heise.de, Wolf Reiser)
Wolf Reiser hat einen Artikel über die Humor- und Kabarettsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender geschrieben und dabei reichlich Ohrfeigen verteilt. Den ARD-Satiriker Dieter Nuhr beschreibt er wie folgt: “Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.” Das ZDF mit seiner “heute show” kommt nur wenig besser weg: “Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern.”
Nachtrag: Der Beitrag ist ein wildes Rumgebashe in viele möglichen Richtungen, manchmal auch in die falschen. Eine Leseempfehlung in den “6 vor 9” bedeutet nicht automatisch, dass der Kurator sich die Aussagen in den verlinkten Texten zu eigen macht. Dies gilt für diesen Text ganz besonders.
Vor eineinhalb Wochen erschien in “Bild am Sonntag” ein etwas überraschendes Doppelinterview. Reporterin Tanja Treser und Reporter Michael Witt begleiteten Fußballnationaltrainer Jogi Löw und VW-Chef Herbert Diess auf deren Weg durch Berlin zum DFB-Pokalfinale. Löw, Diess, Treser und Witt fuhren dabei mit einem Elektroauto von VW durch die Stadt. Jogi Löw durfte ein bisschen staunen (“Löw sitzt zum ersten Mal am Steuer eines Elektroautos und staunt über die Beschleunigung.”), Herbert Diess durfte ein bisschen was verraten (“Diess verrät ihm bei der Fahrt noch Details über den Prototypen.”). Aber eigentlich sollte es in dem Gespräch um Gemeinsamkeiten von Löw/Diess beziehungsweise Nationalteam/VW gehen. Und die fand das “BamS”-Duo mit etwas Hingebiege an manchen Stellen auch:
An anderen hingegen überhaupt nicht:
Sie sind bis auf wenige Monate gleich alt. Haben Sie in Ihrer Jugend gegen irgendwas demonstriert?
DIESS: Ja, ich war sehr politisch, wir hatten damals natürlich andere Motive. Damals waren Amerika und Vietnam ein großes Thema. Es gab viele Ungerechtigkeiten, ich habe beispielsweise gegen das Hochschulrahmengesetz demonstriert. (…)
LÖW: Wo ich aufgewachsen bin, im Schwarzwald, gab’s nur heile Welt.
Mit dieser zwanghaften Suche nach Berührungspunkten geht es dann immer weiter (“Sind Nationalelf und VW in die Krise gerutscht, weil sie zu arrogant waren, weil sie dachten: Wir sind die Nr. 1, uns kann keiner was?”, “Sie kommen beiden aus einfachen Verhältnissen. Papa Löw war Ofensetzer, Vater Diess Maler. Hatten Sie es dadurch schwerer?”, “Herr Diess, Sie sind mit 16 Jahren gestürzt, weil Sie mit dem Skateboard bei 60 km/h an einem Auto hingen. Dabei brachen Sie sich den Arm.” (…) “Haben Sie auch solchen Blödsinn gemacht, Herr Löw?”).
Am Montag, also einen Tag nach Erscheinen des Interviews in “Bild am Sonntag”, gab VW bekannt, dass Jogi Löw das neue Werbegesicht des Konzerns sein werde, speziell für die Elektromobilität. Jürgen Stackmann, Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen Pkw, betont in der Pressemitteilung die Gemeinsamkeiten des neu gewonnenen Markenbotschafters und seines eigenen Unternehmens:
Joachim Löw trainiert die Nationalelf seit vielen Jahren auf höchstem Niveau und hat sich dabei auch von sportlichen Rückschlägen nicht beirren lassen. Außerdem ist es ihm immer wieder gelungen, Umbrüche einzuleiten. Deshalb passt er perfekt zu Volkswagen. Mit Käfer und Golf haben wir Klassen über Jahre geprägt und leiten nun mit dem ID.3 den nächsten Umbruch in der Marke ein. Wir wollen mit der Elektromobilität Millionen begeistern — ebenso wie der Bundestrainer mit seiner neuen Mannschaft.
Also ziemlich genau der Spin, der einen Tag zuvor in “BamS” zu finden war. Zufälle gibt’s.
Und davon gibt es noch ein paar mehr: In dem Artikel von “Bild am Sonntag” steht nicht ein Wort darüber, dass Jogi Löw das neue Aushängeschild bei VW wird. Dabei müssen die Fotos, die in “BamS” zu sehen sind, bei derselben Gelegenheit entstanden sein wie die Werbefotos, die VW Medien für deren Berichterstattung zur Verfügung stellt. Und im offiziellen PR-Video von VW, in dem Löw und Diess in einem Elektroauto durch Berlin fahren und in dem Diess erzählt, wie sehr Löw über die Beschleunigung des Wagens gestaunt hat, ist zu sehen, wo diese Fahrt beginnt: vor dem Axel-Springer-Hochhaus.
Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Artikel in “Bild am Sonntag” und bei Bild.de Teil einer VW-Werbekampagne sind. Er schrieb uns:
Selbstverständlich war das Interview nicht Teil einer Werbekampagne, Redaktion und Verlag sind bei Axel Springer strikt getrennt. Gerade BILD am SONNTAG hat sich in den vergangenen Jahren sehr kritisch mit VW und der Dieselaffäre auseinandergesetzt und ist für seine investigativen Enthüllungen dazu ausgezeichnet worden.
(Dazu sei noch einmal kurz daran erinnert, dass ein anderes Springer-Blatt, die “Welt”, erst vor Kurzem Herbert Diess zum Co-Chefredakteur machte und dem VW-Konzern eine komplette Ausgabe überließ.)
Auf unsere Frage, ob die “BamS”-Redaktion davon wusste, dass Jogi Löw neuer Markenbotschafter bei VW werden soll, antwortete Christian Senft nur: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu redaktionellen Entscheidungen und Prozessen grundsätzlich nicht äußern.”
1. Euros für Ärzte: CORRECTIV wehrt sich gegen Prozesswelle (correctiv.org, Frederik Richter)
Es ist wahrlich eine verrückte Geschichte, die der stellvertretende “Correctiv”-Chef Frederik Richter erzählt. Ein Berliner Anwalt überziehe “Correctiv” und “Spiegel Online” wegen der Datenbank “Euros für Ärzte” mit einer beispiellosen Prozesswelle. Mit jedem der nahezu identischen Schriftsätze trete er irgendwo in Deutschland vor Gericht an und kassiere eine Niederlage. Es gäbe bereits 53 Urteile für “Correctiv” und 83 Urteile für “Spiegel Online”. Was sich unsinnig anhört, kann aus der Sicht des Anwalts jedoch sinnvoll sein: Er kassiert jedesmal nicht nur eine Niederlage, sondern auch das Geld seiner Mandanten beziehungsweise das ihrer Versicherungen. Für die betroffenen Redaktionen gestaltet sich die Sache jedoch weitaus weniger attraktiv, denn neben der vielen Arbeit besteht ein erhebliches finanzielles Risiko.
2. Niemand sieht Dein YouTube-Video (heise.de, Daniel AJ Sokolov)
Nach den Erhebungen der Video- und Musiksuchmaschine Pex würden nur 0,64 Prozent aller Youtube-Videos mehr als 100.000 Zugriffe erreichen. Diese seien jedoch für mehr als vier Fünftel des Traffics verantwortlich. Daniel AJ Sokolov konstatiert: “Mehr als 99 Prozent aller gehosteten Videos könnte YouTube theoretisch löschen, ohne nennenswerte Umsatzeinbußen zu erleiden — denn diese Videos schaut sowieso fast niemand an.”
3. Bundesweit Razzien wegen Hasskommentaren im Internet (zeit.de)
Anlässlich des dritten Aktionstags zur Bekämpfung von Hasspostings (das Bundeskriminalamt (BKA) spricht vom vierten Aktionstag) ist die Polizei in 13 Bundesländern gegen Hasskommentierer vorgegangen, hat Wohnungen durchsucht und Verdächtige vernommen. Laut BKA ließen sich 77 Prozent der Hasspostings dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, 14 Prozent entsprängen unterschiedlichen Ideologien und neun Prozent würden aus dem linksextremen Milieu stammen.
4. Wendepunkt am Buchmarkt 2018: Verlage und Buchhandlungen entwickeln erfolgreich Wege zum Leser (boersenverein.de)
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels blickt auf ein positives Jahr 2018 zurück. Die Zahl der Buchkäufer sei erstmals seit 2012 wieder gestiegen. Die Branche habe vergangenes Jahr ihren Umsatz gehalten und sei mit Zuwächsen ins Jahr 2019 gestartet. Der stationäre Buchhandel sei immer noch für rund 47 Prozent Buchverkäufe verantwortlich. Den stärksten Umsatzzuwachs habe es bei Sachbüchern gegeben (+5,5 Prozent).
5. “Sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen” (deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf)
Kurz nachdem die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihr umstrittenes Nestlé-Video veröffentlichte, tauchte die Frage auf, ob es sich dabei um Werbung beziehungsweise Schleichwerbung handele. Der “Deutschlandfunk” hat dazu den Medienanwalt Christian Solmecke nach dessen Einschätzung befragt: “Es gibt zwar unterschiedliche Urteile der verschiedenen Gerichte zum Thema Schleichwerbung, aber hier hat sich Frau Klöckner ausnahmslos positiv zugunsten eines Unternehmens ausgesprochen, und da muss man auch, gerade wenn man die Influencer-Urteile der letzten Monate ins Kalkül zielt, sagen, ja, sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen.”
6. “Neue Post”: Schwerer Abschied von Roland Hag (uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz, Video: 4:14 Minuten)
Todes-Drama bei der “Neuen Post”! Chefredakteur Roland Hag verlässt das Blatt. Sterben damit nun auch all die Lügen- und Quatschgeschichten, mit denen die Leserinnen und Leser 25 Millionen Mal im Jahr hinters Licht geführt werden? Keiner kann darauf eine schönere Antwort geben als Mats Schönauer und Boris Rosenkranz in diesem Video. Überaus gut angelegte vier Minuten vor dem Start ins Wochenende.
Vor 75 Jahren sind die Alliierten in der Normandie gelandet. Die komplette letzte Seite der heutigen “Bild”-Ausgabe dreht sich um den D-Day am 6. Juni 1944. Um den Leserinnen und Lesern noch mal zu erklären, wie viele Soldaten wo genau an der französischen Küste angekommen und auf wen die Briten und US-Amerikaner und Kanadier getroffen sind, hat die Redaktion diese Grafik dazugestellt:
Und wo wir gerade beim Thema “Nazis und Bundeswehr” sind, empfehlen wir an dieser Stelle gern noch einmal die viel zu wenig beachtete “Hannibal”-Recherche der “taz”.
Mit Dank an Marco B. für den Hinweis!
Nachtrag, 16. Juni: Da loben wir die “Bild”-Redaktion noch, dass sie sich die Mühe macht und die alte Flagge Kanadas raussucht, und dann schludert sie bei der Flagge der USA. Denn die Version, die in “Bild” zu sehen war …
… hat 50 Sterne (müsst ihr nicht extra nachzählen — haben wir schon gemacht). Die Siegesflagge der US-Armee sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg, die Old Glory Flag, hatte allerdings nur 48 Sterne. Erst seit dem 4. Juli 1960 hat die US-Flagge 50 Sterne, nachdem, nach Alaska als Bundesstaat Nummer 49, auch Hawaii als Bundesstaat Nummer 50 als Stern darauf hinzukam.