Radio-Lug-und-Trug, Weißraum, Falsche Wortwahl bei Femiziden

1. Dlf-Chefredakteurin: “Wir müssen die Instrumente schärfen”
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:04 Minuten)
Mehr als zwanzig Jahre lang hat ein freier Mitarbeiter des Deutschlandradios Radiobeiträge geliefert, die teilweise nicht sauber produziert waren (siehe Beitrag auf “Übermedien”, Abo nötig). So habe er sich an fremdem Audiomaterial bedient und den Eindruck erweckt, er sei vor Ort gewesen. Mirjam Kid hat sich mit Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunk, über den Fall und seine Konsequenzen unterhalten.

2. Editorial: Weißraum statt Höcke-Interview
(thueringer-allgemeine.de, Jan Hollitzer)
Nachdem der AfD-Politiker Björn Höcke ein bereits zugesagtes Interview wieder abgesagt hat, hat sich die “Thüringer Allgemeine” zu einem ungewöhnlichen, aber konsequenten Schritt entschlossen: “Da wir allen Parteien und Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien plus der FDP den gleichen Platz für Interviews und die gleiche Aufmerksamkeit einräumen, bleibt der für Björn Höcke eingeplante Raum leer.”

3. Verfassungsbeschwerde gegen Adblocker abgelehnt
(golem.de, Friedhelm Greis)
Seit Jahren zofft sich der Axel-Springer-Verlag mit dem Adblock-Plus-Hersteller Eyeo. Nun hat der Medienkonzern eine weitere juristische Niederlage hinnehmen müssen: Seine Beschwerde gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs sei vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden. Doch der Kampf gehe weiter: Nachdem Springer mit seiner wettbewerbsrechtlichen Verfassungsbeschwerde nicht durchgedrungen sei, habe das Unternehmen Urheberrechtsklage beim Landgericht Hamburg eingereicht.

4. Die Berichte zum Fünffach-Mord in Kitzbühel zeigen, wie falsch Medien über Femizide schreiben
(vice.com, Alexandra Stanic)
Wenn Medien über Morde an Frauen schreiben, ist oft von einer “Beziehungstat” oder einem “Eifersuchts-” beziehungsweise “Familiendrama” die Rede. Eine aus verschiedenen Gründen unangemessene Wortwahl, wie Alexandra Stanic betont: “Wenn ein Mann seine Partnerin ermordet, ist das niemals ein “Beziehungsdrama” und auch keine “Familien-Tragödie”: Es ist Mord. Gerade Journalisten und Journalistinnen müssen ihre Worte mit großer Vorsicht auswählen. Sprache bildet Alltag.”

5. Eine Wunschliste für von der Leyen
(sueddeutsche.de, Matthias Kolb)
Viele Journalistinnen und Journalisten, die über die Europäische Union berichten, seien unzufrieden mit den werktäglichen Pressekonferenzen der EU-Kommission. Nun haben sie eine “Wunschliste” an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt. Ein Kernpunkt: “Tatsachenbasierte Information über die Arbeit der Kommission muss wichtiger sein als politischer Spin.” Außerdem beklagen die Journalistinnen und Journalisten, dass relevante Dokumente häufig nur Minuten vor der Pressekonferenz verteilt würden und keine Zeit zur vorbereitenden Lektüre bleibe.

6. Wundersame Welt
(journalist-magazin.de, Thilo Komma-Pöllath)
Thilo Komma-Pöllath wirft einen Blick auf das wirtschaftlich einträgliche Multitasking des beliebten Fußballjournalisten Arnd Zeigler und kommentiert: “Dass man es, wie Zeigler, zum “Sportjournalisten des Jahres” bringen kann, wenn man sich gleichzeitig von einem öffentlichen-rechtlichen Sender, von den Profiklubs (Zeigler ist auch Stadionsprecher beim SV Werder Bremen) und den großen Fußballsponsoren (Audi) bezahlen lässt, macht das ganze Dilemma einer unabhängigen, kritischen Berichterstattung deutlich.”
PS: Dem Beitrag hätte ein Hinweis gut getan, dass Komma-Pöllath laut eigener Homepage bei Eurosport.de als “Der LIGAstheniker” das wöchentliche Fußballgeschehen glossiert und gewissermaßen Kollege und Konkurrent Zeiglers ist.
Nachtrag: Das Magazin “journalist” hat den Autorenkasten um einen entsprechenden Hinweis ergänzt.
Nachtrag, 9. Oktober: Mittlerweile hat sich auch der WDR zu dem Fall geäußert: “Da Arnd Zeigler selbstständiger Autor und Moderator ist, steht es ihm frei, neben seiner Tätigkeit für den WDR auch andere Aufträge anzunehmen. Wichtig ist aber, dass bei den angesprochenen Veranstaltungen kein originäres WDR-Logo zum Einsatz kommt, sondern das Logo von “Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs”. Dieses ist — ebenso wie der Titel der Sendung — die Idee von Arnd Zeigler, mit der er damals auf den WDR zugegangen ist. Somit steht es ihm zu, auch jenseits der Sendung damit zu arbeiten.”

Kurz korrigiert (532)

Mit dem Impeachment eines US-Präsidenten und der daraus möglicherweise resultierenden Amtsenthebung ist das aber auch nicht ganz einfach: Was entscheidet das Repräsentantenhaus? Was der Senat? Wo braucht man welche Mehrheiten? Und fliegt ein Präsident, der impeached ist, schon aus dem Weißen Haus? Es gibt inzwischen einige erhellende Erklärtexte und –videos zu dem Thema.

Bei Bild.de scheitert’s aber schon sechs bis sieben Stufen weiter unten: Heiko Roloff, laut Eigenbeschreibung bei Twitter immerhin “US-Correspondent for Germany’s most popular News outlet”, bekommt es nicht hin, Republikaner und Demokraten auseinanderzuhalten.

In einem Artikel über schlechte Umfragewerte für US-Präsident Donald Trump schreibt Roloff:

Screenshot Bild.de - Sogar Nixon hatte weniger Gegner - Mehrheit der Amis will Trumps Impeachment

Die Stimmung der Wähler ist bei einem Impeachment von großer Bedeutung. Denn am Ende ist es kein juristischer Prozess, in dem es um Schuld oder Unschuld geht, sondern ein politischer. Dass heißt, die Republikaner entscheiden, was für sie besser ist: ihren Präsidenten wie 1973 fallen zu lassen oder sich wie 1998 hinter ihn zu stellen.

Das ist gleich mehrfach falsch: Mit “wie 1998” meint Roloff Bill Clinton. Der Demokrat, der 1998 impeached wurde, war für die Republikaner aus parteipolitischer Sicht ganz bestimmt nicht “ihr Präsident”. Und selbst wenn es so gemeint sein sollte, dass die Republikaner als us-amerikanische Staatsbürger Clinton als “ihren Präsidenten” sehen konnten, ist es immer noch falsch, was Roloff schreibt: Sie standen nicht hinter ihm. Beim Impeachment durch das House of Representatives stimmten die Republikaner mehrheitlich gegen Bill Clinton. Beim Senate trial stimmten sie mehrheitlich gegen Bill Clinton. Es reichte im Senat aber nicht für die nötige Zweidrittelmehrheit, um den Präsidenten aus dem Amt zu entfernen.

Mit Dank an Clemens für den Hinweis!

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Gefühle statt Fakten: “Bild” will TV-Sender werden

Im aktuellen “Spiegel” spricht “Bild”-Chef Julian Reichelt über seine Pläne, “Bild” auf die TV-Bildschirme zu bringen:

Wir sind selbstbewusst genug zu glauben, dass es genug Menschen gibt, die lieber das schauen, was »Bild« zeigt, als etwas anderes.

Auf die Frage von “Spiegel”-Redakteurin Isabell Hülsen, was “Bild” als TV-Sender denn könne, was andere nicht längst können und machen, sagt er:

Reichelt: Exklusive News zeigen und emotionale Geschichten erzählen. Man kann natürlich sagen, das bieten andere auch schon. Die Wahrheit ist: Die meisten Fernsehsender machen das, was wir uns vorstellen, eben nicht. Aus dem brennenden Amazonasgebiet, so wie wir zuletzt, sendet nicht jeder.

SPIEGEL: Vielleicht nicht mit acht Reportern wie »Bild«, aber etliche Sender haben durchaus direkt vor Ort berichtet.

Reichelt: Ja, aus dem Hotelzimmer. Aber nicht mit mehreren Teams, die im brennenden Regenwald stehen und mit Menschen reden, um die herum alles gerodet wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass es diese menschliche Geschichte im Nachrichtenangebot gab.

Nun, blöderweise hat er da falsch gefühlt. Die ARD zum Beispiel stand auch im brennenden Regenwald und redete mit Menschen:

Screenshot vom ARD-Weltspiegel: Eine Frau wird interviewt, um sie herum abgebrannter Regenwald

Genauso RTL:

Screenshot von RTL: Ein Reporter steht vor einem brennenden Waldstück in Brasilien

Auch das ZDF war vor Ort:

Screenshot einer ZDF-Reportage: "Die Brände im Amazonas-Regenwald"

Und Stern-TV schickte gar Ex-DSDS-Jurorin Fernanda Brandão los, um mit Amazonas-Bewohnern über ihre Gefühle zu reden:

Screenshot von Stern-TV: Fernanda Brandao unterhält sich mit Amazonas-Einwohnern, umgeben von abgebranntem Regenwald

Wenn das nicht der Gipfel des menschlichen Fernsehens ist, dann wissen wir auch nicht.

Aber das alles passt natürlich nicht in Reichelts Erzählung.

Die Fernsehsender, so der “Bild”-Chef, vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, würden über einige wichtige Dinge gar nicht berichten. Die Medien und die Politik hätten “das Gefühl für den Alltag der großen Masse von Menschen in diesem Land verloren. Die Leute haben das Gefühl, sie werden nicht gehört.”

Ich frage mich: Wo findet die Realität, die wir auf der Seite 2 von »Bild« abbilden, im Fernsehen statt? Etwa, dass Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, jetzt Flaschen sammeln müssen.

Wo das im Fernsehen stattfindet?

Im ZDF zum Beispiel, wie Medienjournalist Daniel Bouhs korrekterweise bei Twitter anmerkt. Der Sender zeigte erst vor Kurzem die “37 Grad”-Reportage “Warum Menschen Flaschen sammeln”.

Oder in der ARD. Die befasste sich schon 2013 für die Reihe “Menschen hautnah” mit den Schicksalen von Flaschensammlern.

Der RBB begleitete erst Ende Juli dieses Jahres zwei Flaschensammler in Berlin. Vor sieben Jahren hatte der Sender die beiden schon einmal für eine Reportage begleitet: “Die Flaschensammler – ohne Pfandgeld geht’s nicht mehr”.

Im NDR lief schon vor fast zehn Jahren eine Reportage über die Geschichte eines Flaschensammlers in Hamburg.

Arte brachte 2017 eine Reportage, in der es um Rentner geht, die nur 400 Euro im Monat haben und darum Flaschen sammeln müssen.

2018 befasste sich “Akte” bei Sat.1 mit dem Thema. Zwei Jahre zuvor gab es auch im Sat.1-Frühstücksfernsehen einen Beitrag: “Wegen Minirente: Immer mehr Rentner gehen Flaschen sammeln!”

Und so weiter.

Julian Reichelt aber tut so, als gäbe es so etwas im Fernsehen nicht, als klaffe dort eine Lücke, die nur “Bild” füllen kann. Er sehe da “großes Potenzial”.

Wir wollen das Land, die Welt, die Politik und den Alltag der Menschen so zeigen, wie es die Leute erleben, und nicht so steril und weichgespült wie teilweise bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Wir können es kaum erwarten.

Von der ARD zur AfD, Brennpunkt brennt nicht, Hausbesuch vom Rapper

1. Von der ARD zur AfD: Journalisten, die den rechten Rand bevölkern
(uebermedien.de, René Martens)
“Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es eine Partei, in der Journalisten derart wirkmächtig sind wie derzeit in der AfD.” Und in der Tat: Dafür, dass die AfD die Kommunikation mit der Presse oft verweigert, sie gar als “Lügenpresse” diffamiert, haben erstaunlich viele Journalisten den Weg zu ihr gefunden und bekleiden dort wichtige Funktionen. Wie konnte es dazu kommen? René Martens hat sich in einem längeren Essay auf die Suche nach den Gründen begeben.

2. EuGH-Urteil zu Facebook: Der freien Meinungsäußerung droht Schiffbruch
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Alexander Fanta kommentiert für netzpolitik.org das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, nach dem Facebook nicht nur einen hetzerischen Post, sondern auch “sinngleiche” Äußerungen entfernen müsse. Dies sei äußerst problematisch, so Fanta: “Wer darüber entscheidet, was sinngleich ist und was nicht, der schwingt sich zum Gericht über die Meinungsfreiheit auf.”
Weiterer Lesetipp: Die USA, Großbritannien und Australien fordern Hintertüren für die Facebook-Messenger-Verschlüsselung und begründen dies mit der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Eine Argumentation, die Lisa Hegemann in ihrem “Zeit Online”-Kommentar als perfide bezeichnet.

3. Fakten, Fakten, Fakten
(kreuzer-leipzig.de, Aiko Kempen & David Muschenich)
Eine “Focus TV”-Reportage über den angeblichen “Brennpunkt Leipzig” wird von den dort eingebundenen Protagonistinnen und Protagonisten kritisiert. Sie sehen sich vom Filmteam getäuscht. Der Film, so der Vorwurf, habe mit der Realität auf Leipzigs Straßen nicht viel zu tun. Die Filmemacher hätten mit falschen Zahlen operiert, die Situation tendenziös dargestellt und unnötig dramatisiert. Vorwürfe, zu denen sich Filmproduktion und Autoren augenscheinlich nicht äußern möchten: “Eine Anfrage des kreuzer zu den hier geschilderten Punkten ließ Focus TV bisher unbeantwortet. Auch Kontaktversuche mit den Autoren des Films waren erfolglos.”

4. Pressefreiheit für Seehofer kein Thema
(djv.de, Hendrik Zörner)
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat sich mit türkischen Regierungsmitgliedern zu Gesprächen getroffen. Es ging vor allem um Sicherheitsfragen und finanzielle Hilfen für die Türkei in der Flüchtlingspolitik. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert, dass bei den Gesprächen das Thema Presse- und Meinungsfreiheit ausgespart blieb: “Es ist nicht zu verstehen, dass Seehofer gut Wetter macht und seine türkischen Gesprächspartner in höchsten Tönen lobt, ohne auf die Verfolgung und Inhaftierung von Journalisten einzugehen. Das kann er gerade im Unrechtsstaat Türkei nicht ausblenden.”

5. Prinz Harry klagt gegen britische Zeitungen wegen Telefon-Hackings
(sueddeutsche.de)
Prinz Harry hat die Verlagshäuser von “Sun” und “Mirror” wegen illegalen Abhörens von Mailbox-Nachrichten verklagt. Der Vorgang erinnert an einen der größten Medienskandale Großbritanniens, als Murdoch-Journalisten Handygespräche von Verbrechensopfern und Prominenten abgehört hatten.
Weiterer Lesehinweis: Auch Herzogin Meghan wehrt sich und verklagt die britische Boulevardzeitung “Mail on Sunday” wegen der Veröffentlichung eines privaten Briefs (sueddeutsche.de).

6. Rapper Fler droht Journalisten
(tagesspiegel.de, Alexander Fröhlich)
Der Rapper Fler hat den “Tagesspiegel”-Reporter Sebastian Leber bedroht und versucht, ihn zu Hause zu “besuchen”. Leber hatte zuvor in Bushido gegen Fler — ein Streit in 54 Akten die Dauerfehde zwischen den beiden reimenden Straßensängern mit Aggressionsproblem nachgezeichnet.
 Außerdem hatte der “Tagesspiegel” ein von Flers Freundin aufgenommenes Handyvideo veröffentlicht, in dem er bei einer Fahrerlaubniskontrolle Polizeibeamte körperlich anging und bepöbelte.

Ost-Aufwiegler, “Bild Politik” am Ende, Gute Nacht Österreich

1. Vollgas, Schnitzel!
(zeit.de, Christian Bangel)
Laut einer “Zeit”-Umfrage glauben 41 Prozent der Ostdeutschen, dass es um die Meinungsfreiheit heute in der Bundesrepublik nicht besser bestellt sei als zu DDR-Zeiten. Christian Bangel hält für diese Entwicklung auch Leute verantwortlich wie den FDP-Chef Christian Lindner, Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt und den Publizisten Roland Tichy. In seinem Kommentar bei “Zeit Online” fragt sich Bangel: “Ahnen sie, dass sie damit den Unterschied zwischen der Bundesrepublik und der DDR verwischen? Ist ihnen klar, dass ihre Worte im Osten viel stärker und ganz anders wirken als im Westen? Finden sie es vielleicht einfach ein bisschen geil? Ist da auch eine narzisstische Lust, mit der Macht der eigenen Erzählung zu spielen, wie Boris Johnson es tut?”
Weiterer Lese- und Gucktipp: Verblühte Presselandschaften in Ostdeutschland (ndr.de, Sebastian Friedrich, Video: 8:00 Minuten).

2. Wegen Restrukturierungsmaßnahmen: Axel Springer mottet das Printprojekt “Bild Politik” endgültig ein
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Anfang des Jahres hatte “Bild” einen neuen Ableger an die Kioske gebracht: Die von “Bild”-Vize-Chef Nikolaus Blome und Selma Stern (jetzt: “Business Insider”) geleitete “Bild Politik”. Nach einer längeren Pause stellt der Axel-Springer-Verlag das Printprojekt endgültig ein. Als Grund werden die Restrukturierungsmaßnahmen der “Bild”-Gruppe angegeben. Klingt ja auch besser als Erfolglosigkeit.

3. Gerichte können Facebook zu weltweiten Löschungen zwingen
(golem.de, Friedhelm Greis/dpa)
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Facebook Löschanordungen europäischer Gerichte Folge leisten und die monierten Inhalte weltweit aus dem Netz nehmen muss. Die Entscheidung geht auf den Fall der ehemaligen österreichischen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek zurück. Facebook ist mit der Entscheidung naturgemäß und wenig überraschend nicht zufrieden: “Dieses Urteil wirft kritische Fragen rund um das Thema Meinungsfreiheit auf”.

4. Die Zeit danach
(sueddutsche.de)
Als Reaktion auf den Fälschungsskandal um Claas Relotius baut der “Spiegel” sein umstrittenes Gesellschaftsressort um und verpasst ihm den neuen Namen “Reporter”. Die Leitung übernimmt Özlem Gezer, die nach vielen Hinweisen durch Juan Moreno das entscheidende Gespräch mit Relotius führte, in dem dieser erstmals einige seiner Fälschungen eingestand.

5. Akut bedrohte Journalisten gerettet
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (ROG) ist es gelungen, zwölf besonders gefährdete syrische Journalistinnen und Journalisten und deren Familien nach Deutschland zu holen. Sie saßen in einer Region Syriens fest, bei der die Übernahme durch die Assad-Regierungstruppen drohte. Die Folgen wären womöglich Verhaftung, Folter und Tod gewesen. ROG-Leiter Christian Mihr wünscht sich in diesem Zusammenhang eine beschleunigte Bearbeitung durch die deutsche Bürokratie: “Wenn sich Journalistinnen und Journalisten aufgrund ihrer Arbeit in akuter Lebensgefahr befinden, sollten die deutschen Behörden aus humanitären Gründen auf langwierige Einzelfallentscheidungen verzichten. Mit unbürokratischen Nothilfe-Visa könnten Betroffene schnell in Sicherheit gebracht werden.”

6. Gute Nacht Österreich
(tvthek.orf.at, Video: 29:29 Minuten)
Der österreichische Comedy-Autor, Kabarettist, Philosoph und Fernsehmoderator Peter Klien ist seit Kurzem Host der Late-Night-Show “Gute Nacht Österreich”. In der aktuellen Sendung kümmert er sich hingebungsvoll um die österreichische Politik und ihre Verbindungen zu alpenländischen Medienmachern (ab Minute 14:45). Und er klärt auf, wie es seinem Team gelungen ist, eine Falschmeldung “Skorpion-Alarm auf Kinderspielplatz” in die Boulevardmedien “Kronen Zeitung”, “Österreich” und “Heute” zu bekommen.

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Wenn Altherren Teaser schreiben

“War bei der Entwicklung dieser Blöcke eine Frau beteiligt? Ich glaube nicht”, sagt die deutsche Sprinterin Gina Lückenkemper. Mit “diesen Blöcken” meint sie die neuen Startblöcke, die bei der derzeit laufenden Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha im Einsatz sind. Ihre Besonderheit: Vorne sind Kameras eingebaut, die den Sportlerinnen und Sportlern vor dem Start unter anderem ins Gesicht filmen sollen. Doch man kann noch mehr sehen: Sie finde es “sehr unangenehm”, so Lückenkemper, “in den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen, um in den Block zu gehen”.

Gina Lückenkemper will sich verständlicherweise nicht in den Schritt filmen lassen.

Was würde wohl der Altherrenverein “Die geilen Böcke” dazu sagen? Vermutlich sowas wie: “Na, Mäuschen, stell dich nicht so an, normalerweise gehst du kaum einer Kamera aus dem Weg.”

Und wie teasert die “Bild”-Sportredaktion einen Artikel zum Thema bei Facebook an? Genau:

Screenshot eines Facebookposts der Bild-Sportredaktion - Normalerweise geht die 22-Jährige kaum einer Kamera aus dem Weg

Nachdem sich mehrere nationale Verbände über die Aufnahmen der neuen Kameras beschwert hatten, reagierte der WM-Veranstalter übrigens: Die Bilder, die entstehen, während die Athletinnen und Athleten in den Block gehen, sollen nun geschwärzt werden.

Nie wieder Faschismus, “Botometer”, Gesprengter Cyberbunker

1. Nie wieder Faschismus
(krautreporter.de, Farhad Dilmaghani & Georg Diez)
“Sie drohen mit der Abschaffung von Menschenrechten und Demokratie, sie drohen Pressevertretern mit faschistischen Fantasien, sie drohen damit, demokratische Parteien verbieten zu wollen. Für solch rechtsradikale Parteivertreter braucht es klare Grenzen.” Farhad Dilmaghani und Georg Diez haben sich Gedanken zum medialen Umgang mit der AfD gemacht und schlagen neue Regeln für den Pressekodex vor. Daran gibt es allerdings auch Kritik, etwa vom Journalisten Armin Wolf, der in einem Twitter-Thread erklärt, warum er die Position “für extrem problematisch” hält.

2. Die Social Bots sitzen schon in den Parlamenten – wenn man Botometer glaubt
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Immer wieder gibt es erschreckende Meldungen über den Einsatz von Social Bots. Dabei soll es sich um als Personen getarnte Computerprogramme handeln, die in Netzwerken Stimmung für oder gegen eine Sache machen. Oftmals gehen die Nachrichten auf Ergebnisse des Analysetools “Botometer” der Indiana University Bloomington zurück. Das liefert jedoch recht zweifelhafte Resultate, wie ein Experiment des Datenforschers Michael Kreil zeigt. Kreil hat dazu den “Botometer” mit echten Daten deutscher Landtagsabgeordneter gefüttert. Das Analysetool habe sofort (falschen) Alarm geschlagen: Über 40 Prozent der saarländischen Abgeordneten wären angeblich Social Bots, in Bremen seien es 37 Prozent und auch in Baden-Württemberg mehr als ein Drittel.

3. Beschäftigung unter Wert in der Filmproduktion? Ein Gespräch mit Oliver Zenglein
(blmplus.de, Lisa Priller Gebhardt)
Der Film- und Fernsehbranche mangelt es in vielen Gewerken an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Kein Wunder, möchte man sagen, denn die Branche zahlt oft notorisch schlecht und bietet wenig sozialverträgliche Arbeitsbedingungen. Oliver Zenglein, einer der beiden Chefs eines Netzwerkes für die Film- und Fernsehbranche, erzählt von zu niedrigen Gagen sowie unterlaufenen Tarifverträgen und sagt, was in der Ausbildung anders laufen muss.

4. Condé Nast will weniger Verlag und mehr Markenagentur sein
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier)
Der Verlag Condé Nast ist für seine Hochglanzmagazine im Mode- und Lifestylebereich bekannt (“Glamour”, “GQ”, “Vogue” etc.). Doch der digitale Wandel geht auch an Condé Nast nicht spurlos vorbei: Das Unternehmen macht hohe Verluste. Nun hat die Geschäftsführerin Jessica Peppel-Schulz eine Neustrukturierung und einen Stellenabbau angekündigt. Anscheinend will man weg von einem traditionellen Verlag und hin zu einer Marken- und Kreativagentur für Lifestyle und Luxus.

5. Sieben Plattformen dominieren die digitale Welt
(infosperber.ch, Daniela Gschweng)
Der “Digital Economy Report 2019” (PDF) der Vereinten Nationen liefert interessante Daten und Erkenntnisse zur Digitalwirtschaft. Es herrscht eine erschreckende Marktkonzentration, die sich auf wenige Firmen und Länder beschränkt, dominiert von den USA und US-Unternehmen. Daniela Gschweng hat sich die wichtigsten Zahlen des Reports herausgegriffen und kommentiert die bedenkliche Entwicklung.

6. Dunkle Geschäfte im Cyberbunker
(zeit.de, Kai Biermann & Karsten Polke-Majewski)
Spannender als manche Netflix-Serie oder “Tatort”-Produktion: Die Geschichte vom ehemaligen Bundeswehrbunker an der Mosel, der zum Rechenzentrum für Cyberkriminelle ausgebaut wurde. Im “Cyberbunker” sorgten 290 Server dafür, dass zum Beispiel Darknet-Drogenportale ihre Geschäfte ungestört verrichten konnten. Allein auf der dort gehosteten Seite “Wall Street Market” hätten die Ermittler 250.000 Geschäfte mit Betäubungsmitteln identifizieren können. “Wir haben auf den Servern bisher nichts gefunden, was legal wäre”, so die Koblenzer Generalstaatsanwaltschaft.

7. Steingart-Interview erscheint geschwärzt
(journalist-magazin.de, Matthias Daniel)
Heute ein nachgereichter Zusatzlink, weil der Beitrag gerade erst veröffentlicht wurde, aber sehr lesenswert ist: Die “journalist”-Redaktion wollte in ihrer neuen Ausgabe eigentlich ein Interview mit dem Medienunternehmer Gabor Steingart veröffentlichen. Das tut sie jetzt irgendwie auch, aber in deutlich anderer Form als ursprünglich geplant: “Der journalist veröffentlicht in seiner Oktober-Ausgabe ein Interview mit Ex-Handelsblatt-Chef Gabor Steingart, in dem nur die Fragen lesbar sind. Sämtliche Antworten wurden hingegen geschwärzt. Gabor Steingart hatte seine Aussagen komplett zurückgezogen, nachdem die journalist-Redaktion bei der Autorisierung des Interviews die massiven Eingriffe und Änderungen Steingarts nicht akzeptiert hatte.” Matthias Daniel, Chefredakteur bei “journalist”, sagt zu dem Vorgang: “Dass Steingart dabei sogar versucht hat, in die Fragen der Autorin einzugreifen und diese zum Teil umzudichten, wirft ein düsteres Bild auf das Berufsverständnis eines Medienunternehmers, dessen Werbeslogan ‘100 Prozent Journalismus. Keine Märchen’ lautet”. Zusätzlich kann man sich auch alle Fragen an Steingart durchlesen — jedoch ohne die Antworten.

Ein Teaser, dem man keine Beachtung schenken sollte

Schon Politiker in den höchsten Ämtern hatten mit der englischen Sprache zu kämpfen: deutsche Außenminister, Bundespräsidenten oder EU-Kommissare für Digitales. Manche der legendärsten Fauxpas (“Equal goes it loose”) sind zwar bloß Erfindungen von Journalisten, halten sich aber hartnäckig im kollektiven Gedächtnis.

Bei der Kombination aus Englischübersetzungen und Erfindungen von Journalisten sind wir auch schon bei Welt.de. Die Redaktion teaserte am vergangenen Donnerstag einen Artikel über einen Tweet von Greta Thunberg so an:

Screenshot Welt.de - Als Reaktion auf Hass und Spott hat Greta Thunberg ihren Kritikern geantwortet. Wer ihr Vorgehen zum Klimaschutz nicht billigt, sei keiner Beachtung wert, schrieb sie. Wichtiger sei es, Gutes zu tun, als jugendliche Klimaschützer mit Verachtung zu verfolgen.

Thunberg will also ihren Kritikern keine Beachtung schenken? Wie ignorant und totalitär ist das denn!? Nur: Hat sie das wirklich so gesagt? Mitnichten.

Thunberg, schwedische Muttersprachlerin, 16 Jahre alt, hält ihre Reden auf Englisch und wird anschließend häufig von ihren Gegnern in deren Muttersprache kritisiert, beleidigt oder verhöhnt. Die Vorwürfe lauten unter anderem Unbedarftheit, Unverschämtheit und Überheblichkeit.

Auf all den Hass, der ihr entgegenschlägt, hat Greta Thunberg bei Twitter geantwortet, auf Englisch. Das ist der Tweet, um den es im Artikel bei Welt.de geht:

Screenshot zweier Tweets von Greta Thunberg - I honestly don't understand why adults would choose to spend their time mocking and threatening teenagers and children for promoting science, when they could do something good instead. I guess they must simply feel so threatened by us. But don’t waste your time giving them any more attention. The world is waking up. Change is coming wether they like it or not. See you in the streets this Friday!

Ins Deutsche lässt sich das so übersetzen:

Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Erwachsene sich dazu entscheiden, ihre Zeit damit zu verbringen, Teenager und Kinder, die sich für die Wissenschaft einsetzen, zu verspotten und zu bedrohen, anstatt selber etwas Gutes zu tun. Ich vermute, sie fühlen sich einfach bedroht von uns. Aber verschwendet eure Zeit nicht damit, ihnen weiterhin Beachtung zu schenken.

Anders als die “Welt”-Redaktion behauptet, will Thunberg also nur jene nicht beachten, die spotten und drohen. Komisch, dass daraus im Welt.de-Teaser wird: “Wer ihr Vorgehen zum Klimaschutz nicht billigt, sei keiner Beachtung wert”. Passierte das aufgrund von Schlampigkeit, von Sprachschwierigkeiten oder einfach aus Bock auf einen geileren Teaser? Im dpa-Text selbst, auf dem der Welt.de-Artikel basiert, wird Thunbergs Tweet jedenfalls richtig wiedergegeben.

Greta Thunbergs vermeintliche Aussage im Teaser, die die “Welt”-Redaktion ihr dort unterjubelte, reichte aber, um die Leserschaft zu empören:




Nachtrag, 18:49 Uhr: Die “Welt”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert und den Teaser angepasst. Dieser lautet nun:

Als Reaktion auf Hass und Spott hat Greta Thunberg ihren Kritikern geantwortet. Wer Spott und Bedrohungen gegen Kinder und Jugendliche verbreite, sei keiner Beachtung wert, schrieb sie. Wichtiger sei es, Gutes zu tun.

Einen Hinweis auf diese Korrektur gibt es nicht.

Fossile Anzeigen, Bilder aus Doha, “Bild”-Glotze

1. Maaßen wechselt zu Anwaltskanzlei
(tagesschau.de, Georg Mascolo & Katja Riedel)
Der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen ist seit heute als sogenannter “Of counsel” bei der Kölner Anwaltskanzlei des Medienrechtlers Ralf Höcker beschäftigt. Darunter versteht man laut Wikipedia “Rechtsanwälte, die außerhalb der Hierarchie von Partnern/Sozien und angestellten Anwälten (“Associates”) bei bestimmten Mandaten herangezogen werden”. Maaßen und Höcker eint die Mitgliedschaft in der sogenannten “Werte-Union”, ein Zusammenschluss von etwa 3.000 besonders konservativen CDU-Anhängern, der von der Partei jedoch nicht als offizielle Parteiorganisation geführt wird.

2. “Sport soll positive Bilder liefern”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen)
Der Deutschlandfunk hat sich anlässlich der Leichtathletik-WM in Doha mit der Kommunikationswissenschaftlerin Stephanie Heinecke über die Besonderheiten der Berichterstattung unterhalten. Der Veranstalter nehme starken Einfluss auf die visuelle Darstellung des Sportspektakels. Einerseits sorge er für umstrittene, als übergriffig empfundene Bilder, andererseits unterdrücke er Bilder von Athleten, die unter den besonderen klimatischen Bedingungen des Wüstenstaats zusammenbrechen.

3. Deutsche-Presse Agentur kämpft um Auftraggeber
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier & Stefan Mayr)
Den Medienwandel bekommen nicht nur Zeitungen zu spüren, sondern auch ihre Zulieferer, die Nachrichtenagenturen. Die Deutsche Presse-Agentur sieht sich nun zu Umstrukturierungen gezwungen, die nicht nur eine stärkere Zentralisierung, sondern auch Stellenabbau vorsehen.

4. “Bild”, “BamS” – jetzt Glotze
(spiegel.de, Isabell Hülsen & Alexander Kühn)
Seit einiger Zeit deutet sich an, dass der Einstieg des Finanzinvestors KKR bei Axel Springer ein Runterfahren des Printsektors bei gleichzeitiger Stärkung des Onlinegeschäfts nach sich zieht. Nun wird bekannt, dass der Verlag “Bild” und “Bild am Sonntag” zusammenlegen und um einen TV-Sender ergänzen will. Geld für das neue “Bild-TV” dürfte vorhanden sein: Springer will bei “Bild”, “BamS” und “B.Z.” insgesamt 20 Millionen Euro einsparen.

5. “Lieber Geschichte schreiben statt Artikel”: Wie Leitmedien von “Zeit” bis “FAS” sich am Phänomen Greta Thunberg abarbeiten
(meedia.de, Franz Sommerfeld)
Greta Thunberg und die von ihr ins Leben gerufene Fridays-For-Future-Bewegung sind ein Thema, das von Medien sehr unterschiedlich wahrgenommen und dargestellt wird. Der Publizist Franz Sommerfeld hat sich angeschaut, durch welche Brillen Leitmedien wie “Zeit”, “Welt” oder “FAZ” das Phänomen betrachten.

6. Flüge fliegen raus
(taz.de, Reinhard Wolff)
Die als grün-rot geltende schwedische Tageszeitung “Dagens ETC” will keine “fossilen Annoncen” mehr annehmen. Damit soll vermieden werden, dass neben Artikeln über die Klimapolitik Anzeigen für klimaschädliche Flugreisen oder Verbrenner-Autos präsentiert werden. Chefredakteur Andreas Gustavsson lobt und kritisiert die Branche: “Viele Medien haben ihren Klimajournalismus in letzter Zeit deutlich ausgebaut, teilweise gibt es jetzt eigene Klimaredaktionen, aber man meint auf der Anzeigenseite nichts opfern zu müssen.” Seine Zeitung wolle sich finanziell unabhängig von den Branchen machen, die man kritisiere: “Alles andere ist Heuchelei.”

Den Lomborg zum Gärtner machen

This article is misleading.

I think the article misrepresents statistics and cherry picks some facts to support its position while ignoring relevant ones.

The author misleads the audience with flawed logic, omission of important information, and cherry-picked examples.

The article contains numerous scientific errors, does not provide references for some of its key claims, and ignores much of the published literature on the subjects discussed.

Diese nicht gerade schmeichelhaften Urteile stammen von Professoren, Assistenzprofessoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und sie alle gelten Björn Lomborg.

Der Däne ist Politologe und Statistiker und schreibt immer wieder in verschiedenen englischsprachigen Medien Artikel zum Thema Klimawandel. Das führt wiederum zu Urteilen wie oben, die auf der Plattform “Climate Feedback” erscheinen, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Medienberichte aus ihren Fachgebieten kommentieren und bewerten. Lomborgs Texte wurden durchweg als “biased” und “misleading” eingestuft. Diese Einschätzungen bestätigt auch der Abschnitt “Rezeption” seiner Wikipedia-Seite, die eine illustre Sammlung von kleineren und größeren wissenschaftlichen Katastrophen ist: Da findet man den Vorwurf, Lomborg nutze öfter nicht-peer-reviewte Arbeiten anstatt die entscheidende wissenschaftliche Literatur, er soll mit schiefen Vergleichen und irreführendem Zahlenmaterial soziale und ökologische Probleme verharmlosen und habe Daten erfunden.

Dieser Björn Lomborg schreibt jetzt für “Bild” und Bild.de. Das passt doch.

Screenshot Bild.de - Björn Lomborg versus Greta Thunberg - Forscher rechnet mit Klima-Greta ab

Nun könnte man erstmal auf den Kniff der Bild.de-Redaktion hinweisen, Lomborg auf der Startseite als “Forscher” zu bezeichnen und nicht etwa als Politologen oder Statistiker. “Forscher” erinnert im allgemeinen Sprachgebrauch vermutlich stärker an “Naturwissenschaftler”, der sich in Klimafragen auskennen könnte. Allerdings muss man auch sagen, dass in der Politikwissenschaft ebenfalls geforscht wird. Interessanter ist da eigentlich zu gucken, wie sehr Lomborg denn überhaupt forscht in einem wissenschaftlichen Sinne. Und da sieht es recht mau aus: Fast alle seiner Veröffentlichungen seien Meinungsstücke, die von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern so gut wie nie zitiert werden, so die Kritik.

Unter der Überschrift “Ja, die Erderwärmung ist real, ABER …” stellt Björn Lomborg also heute in “Bild” die “Thesen von Greta Thunberg infrage”. Zum Beispiel so:

CO2 STEHT FÜR WOHLSTAND

Wir stoßen CO2 nicht aus Böswilligkeit aus. CO2 hat Menschen aus der Armut geholt. Noch vor 100 Jahren war unser Leben mit Knochenarbeit verbunden. Unsere Situation hat sich erheblich dadurch verbessert, dass große Mengen an Energie zur Verfügung stehen. Unsere Lebenserwartung hat sich verdoppelt. In den letzten 25 Jahren hat Energie mehr als eine Milliarde Menschen aus der Armut befreit.

Es ist ein rasanter Sprung, den Lomborg innerhalb von wenigen Zeilen hinlegt: Erst schreibt er von “CO2”, rasch ist er bei “Energie”, und schon wirkt es so, als wollte irgendjemand generell die Energiegewinnung statt den CO2-Ausstoß stoppen. Eine derartige Forderung von Vertretern von Fridays For Future, ernstzunehmenden Wissenschaftlerinnen oder seriösen Forschern ist uns nicht bekannt.

Weiter geht’s bei Lomborg mit:

WENIGER TODESFÄLLE

Tatsache ist, dass wetterbedingte Katastrophen vor 100 Jahren jedes Jahr eine halbe Million Menschen getötet haben. Aufgrund von zurückgehender Armut und besserer Klimaresistenz kommen heute nur 20 000 Menschen durch Dürren, Überflutungen und Hurrikans ums Leben.

Neben “zurückgehender Armut und besserer Klimaresistenz” dürften noch andere Gründe für den Rückgang verantwortlich sein, schreibt ein Klimawissenschaftler dazu, etwa das deutlich verbesserte weltweite Gesundheitswesen. Außerdem merkt er an, dass Todesfälle durch Hitzewellen durchaus steigen.

Nimmt man einen anderen Bezugspunkt als “vor 100 Jahren”, sieht es auch schon anders aus als in Lomborgs Darstellung: Einem UN-Bericht zufolge haben die Schäden durch klimabedingte Naturkatastrophen zwischen 1998 und 2017 im Vergleich zum vorangegangenen 20-Jahres-Zeitraum deutlich zugenommen.

Am Ende schreibt Björn Lomborg noch:

WAS MENSCHEN WIRKLICH WOLLEN

Als die UN zehn Millionen Menschen weltweit befragten, was ihre Prioritäten seien, waren die Antworten: Gesundheit, Bildung, Jobs und Nahrung. Das Klima wurde als letzte von 16 Antwortmöglichkeiten genannt. Nicht, weil es unwichtig ist, sondern weil für große Teile der Menschheit andere Themen viel dringlicher sind.

Wie in seinem gesamten “Bild”-Artikel gibt Lomborg auch hier keine Quelle an. Wir vermuten, er bezieht sich auf die MyWorld Survey der UN von 2015. Damals haben 9,74 Millionen Menschen Themen genannt, die für sie von Bedeutung sind. Tatsächlich landete dabei “Action taken on cliamte change” auf Platz 16.

Zu der groß angelegten Umfrage sei angemerkt, dass die verschiedenen Länder der Erde nicht gerade proportional in den Ergebnissen vertreten sind: 48,4 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus nur zwei Ländern (Nigeria und Mexiko). Der Grund dafür dürfte sein, dass die Partnerorganisationen der UN dort besonders fleißig waren.

Vor allem aber gibt es inzwischen eine neuere Auflage dieser MyWorld Survey, die noch bis 2030 laufen soll. Daran haben zwar noch nicht zehn Millionen Menschen teilgenommen, aber immerhin schon knapp 500.000. Der Aspekt “Climate Action” liegt nun auf Rang 8 der Prioritäten. Die Daten, mit denen Lomborg argumentiert, sind schlicht überholt.

Als “Bild” vor knapp drei Wochen Björn Lomborgs Thesen schon einmal groß im Blatt präsentierte (“Was ist schlimmer — Greta oder die Zukunft, Herr Professor?”), gab es direkt Widerspruch und Gegenargumente von zwei Professoren. Die Redaktion verkaufte das Ganze am nächsten Tag als große Debatte (“Die Klima-Debatte wird immer heißer”). Und sie fand auch Unterstützer für Lomborgs Aussagen: zwei FDP-Politiker.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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