Bringt Julian Reichelt die Familien anderer Menschen in Gefahr? (3)

Ob nun die Familie des Rappers Capital Bra, des Fußballers Toni Kroos, der Sängerin Sarah Connor, der Schauspielerin Sonja Kirchberger, des Hedgefonds-Managers Chris Hohn, der Krankenkassen-Chefin Ute Schrader oder des Comedians Oliver Pocher — “Bild”-Chef Julian Reichelt hat nach Julian-Reichelt-Logik in den vergangenen Wochen mal wieder ziemlich viele Leute in Gefahr gebracht.

Zur Erinnerung: Reichelt will nicht, dass das Medienmagazin “kress pro” sein Gehalt als “Bild”-Oberchef veröffentlicht. Denn das, so Reichelt, bringe seine Familie in Gefahr.

Bei anderen Menschen und deren Familien zählt diese Art der Rücksichtnahme hingegen nicht. Wenn die “Bild”-Redaktion an “die geheime Gehaltsliste der DSCHUNGEL-STARS” gelangt, dann macht sie sie natürlich publik:

Screenshot Bild.de - Die geheime Gehaltsliste  der Dschungel-Stars

Die “Bild”-Medien listen auch detailliert auf, welche Musikerin und welcher Sänger wie viel beim “Millionen-Geschäft mit dem Musik-Streamen” kassiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Das Millionen-Geschäft mit dem Musik-Streamen

Die Gehälter der Krankenkassen-Vorstände gibt es ebenfalls bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Fürstliches Gehalt - So viel verdient der Chef Ihrer Krankenkasse

Genauso die Summen, die Michael Wendler und Oliver Pocher für ihre “Peinlich-Show” bekommen haben:

Screenshot Bild.de - Das kassieren Wendler und Pocher für die Peinlich-Show

Außerdem präsentiert Bild.de eine Liste mit den Gehältern der fünf “Einkommens-Milliardäre”:

Screenshot Bild.de - Kaum einer kennt sie - Der Fünfer-Club der Einkommens-Milliardäre

Und, klar, die deutschen Fußballer:

Ausriss Bild-Zeitung - Die 25 Top-Verdiener des deutschen Fußballs
Screenshot Bild.de - Alle Gehälter - Zwei Nicht-Nationalspieler unter Top Fünf - Die 25 Topverdiener des Fußballs

Julian Reichelt und sein Team haben dieses In-Gefahr-bringen zu einer Art Geschäftsmodell gemacht: Jeder der oben aufgelisteten Online-Artikel ist nur mit einem “Bild plus”-Abo zu lesen.

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

Mit Dank an die vielen Hinweisegeber!

Sabotage-Kampagne, Manifest der Freien, Framen für Fortgeschrittene

1. Eine rechte Sabotage-Kampagne will ARD und ZDF zu Fall bringen
(buzzfeed.com, Felix Huesmann)
Rechtskonservative, Neurechte und Rechtsextreme haben seit langer Zeit einen erklärten Lieblingsgegner: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Bei der Bekämpfung von ARD und ZDF greift die Allianz auf die unterschiedlichsten Mittel zurück — vom Zahlen der Beiträge in Cent-Stücken bis hin zum massenhafte Einreichen von Datenschutzanfragen. Felix Huesmann hat sich die Sabotage-Kampagne näher angeschaut.

2. Wie Facebook und Youtube mit Fakes zum Coronavirus umgehen
(deutschlandfunk.de, Henning Hübert, Audio: 6:09 Minuten)
In den Zeiten von Corona häufen sich in den Sozialen Medien die Falschmeldungen. Wie geht eine Plattform wie Facebook mit den Fakes um? Der Deutschlandfunk hat sich mit Martin Fehrensen vom Social Media Watchblog über Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung von falschen Inhalten unterhalten.
Weiterer Lesehinweis: Wie Rechte das Coronavirus zur Hetze gegen Flüchtlinge benutzen (blog.zeit.de, Frank Jansen).

3. Manifest der Freien
(freischreiber.de)
Der Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten Freischreiber appelliert mit einem “Manifest der Freien” an alle Medienhäuser, ihre freien Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen besser gegen Bedrohungen aus dem Internet zu schützen: “Wir sind freie Journalist*innen geworden, weil wir diesen Beruf lieben. Wir wollen für ihn aber nicht durch die Hölle gehen, wenn uns der Hass trifft. Stellt euch vor uns, eindeutig und unmissverständlich.”

4. Klaas Heufer-Umlauf entschuldigt sich “ohne jede Ironie”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Klaas Heufer-Umlauf hat knapp eine Woche nach Bekanntwerden der Fake-Vorwürfe gegen ihn und Joko Winterscheidt um Entschuldigung gebeten, und zwar “ohne jede Ironie”. Und er hat dabei angefügt, er habe sich für die Verhandlung bei Richter Alexander Hold “schon mal nen Rollator bersorgt”, wohl eine launige Anspielung auf Harvey Weinsteins Prozessauftritte. Spätestens dieser Satz zeigt, wie man diese “Ohne jede Ironie”-Entschuldigung einordnen kann.

5. Framen für Fortgeschrittene
(taz.de, Eric Wallis)
“Ein besonders schmieriger Euphemismus unserer Zeit ist das Wort ‘Sachpolitik’. Ein hehrer Anwender der Vokabel ist Friedrich Merz. Aber das Wort wird von vielen Politikschaffenden gebraucht. Und immer wieder schleusen sie das Wort in Medienüberschriften und -formate ein.” Eric Wallis hat sich angeschaut, mit welchen Vokabeln operiert wird, wenn von “Politik” die Rede ist. Das reicht von “Parteipolitik” und “Symbolpolitik” bis hin zu besagter “Sachpolitik”.

6. Coverfotos stammen nur selten von Frauen
(spiegel.de, Elisa von Hof & Angela Ölscher)
Die Fotos auf den Titelbildern deutscher Zeitschriften stammen mehrheitlich von Männern. Das ergibt eine Analyse des “Spiegel” und des Deutschen Journalisten-Verbands Hamburg, die über 500 Cover des vergangenen Jahres auswerteten.

Die kranke Welt der “Bild”-Zeitung

Seit Beginn des Jahres hat die “Bild”-Zeitung über 700 Mal das Wort “Corona” gedruckt.

Dagegen haben es andere Krankheiten schon deutlich schwerer, wenn sie mal in “Bild” landen wollen. Die Tuberkulose zum Beispiel: Mehr als 5.000 Erkrankungsfälle verzeichnete das Robert-Koch-Institut (RKI) 2018 allein in Deutschland. Mindestens 129 Menschen starben im selben Jahr bedingt durch die Krankheit. Weltweit erkrankten nach Angaben der WHO sogar zehn Millionen Menschen, etwa 1,5 Millionen Menschen starben.

Erwähnt wurde die Tuberkulose in sämtlichen “Bild”-Ausgaben des Jahres 2018 ganze acht Mal. Nicht groß und in Panikgelb, sondern meist irgendwo am Rand, in Nebensätzen und historischen Anekdoten:

Der Vater ist Lokomotivheizer, die Mutter Hausfrau, der große Bruder stirbt an Tuberkulose.

Oder das Norovirus: Über 77.000 Erkrankungen in Deutschland im Jahr 2018, mindestens 25 Todesfälle. “Bild” druckte im ganzen Jahr: zwei kleine Meldungen.

Oder das Rotavirus. Erkrankungen: 23.000. Todesfälle: 13. Erwähnungen in “Bild”: null.

Selbst die Grippe kam mit über einer Viertelmillion Erkrankten und mehr als 1.000 Toten auf vergleichsweise magere 191 Erwähnungen im gesamten Jahr.

Um mal einen kleinen Überblick zu geben, haben wir noch ein paar weitere Krankheiten aus dem Infektionsepidemiologischen Jahrbuch des RKI (die neueste Ausgabe bezieht sich auf 2018) herausgepickt und nachgezählt, wie oft “Bild” sie innerhalb eines Jahres erwähnt hat.

Die Zahlen des RKI sind zwar mit Vorsicht zu genießen, weil es natürlich nur die gemeldeten und laborbestätigten Fälle berücksichtigen kann. Außerdem kann bei einigen Krankheiten eine lange Zeitspanne zwischen Erkrankungsbeginn und Tod liegen, so dass diese Fälle nicht als Todesfälle registriert werden. Die Zahlen liefern also kein exaktes Abbild, lassen aber das Ausmaß und die Letalität der Krankheiten einigermaßen einschätzen.

Und klar sind das nicht die einzigen Aspekte, die eine Krankheit für Redaktionen erwähnenswert machen, aber vielleicht helfen sie ein bisschen dabei, die aktuelle Berichterstattung einzuordnen.

Die Anzahl der Erwähnungen bezieht sich auf die gedruckten Ausgaben von “Bild” und “Bild am Sonntag”. Mitgezählt haben wir auch synonym verwendete Begriffe, zum Beispiel “Grippe” (bei Influenza) oder “Krankenhauskeime” (bei MRSA).


(Draufklicken für größere Version.)

V-Mann-Legende, Licht ins Dunkle, TikTok-Liebe und keine Entschuldigung

1. Licht ins Dunkle bringen
(journalist.de, Juliane Löffler & Pascale Müller)
Juliane Löffler und Pascale Müller erklären, warum es in Deutschland besonders schwierig sei, über sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt zu schreiben. Wer öffentlich Vorwürfe erhebt, trage ein doppeltes Risiko: “Erstens, dass der mutmaßliche Täter nicht bestraft wird. Und zweitens, dass man stattdessen selbst bestraft wird.” In ihrem Artikel erläutern die couragierten Reporterinnen, warum über die Kriterien und Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung mindestens neu diskutiert werden müsste.

2. Deconstructing Woody
(taz.de)
Der Rowohlt-Verlag will die Autobiographie des amerikanischen Komikers und Filmemachers Woody Allen veröffentlichen. Dagegen wenden sich einige Rowohlt-Autoren und -Autorinnen in einem Offenen Brief. Ähnlich wie der US-Verlag Hachette möge Rowohlt die Veröffentlichung zurückziehen: “Wir zeigen uns solidarisch mit den Angestellten des Hachette-Verlags, deren Proteste dazu geführt haben, dass der Verlag sich gegen eine Veröffentlichung des Buches entschieden hat. Wir fordern Sie auf, diesem Beispiel zu folgen. Das Buch eines Mannes, der sich nie überzeugend mit den Vorwürfen seiner Tochter auseinandergesetzt hat, und der öffentliche Auseinandersetzungen über sexuelle Gewalt als Hexenjagd heruntergespielt hat, sollte keinen Platz in einem Verlag haben, für den wir gerne und mit großem Engagement schreiben.” Auf der Rowohlt-Seite zu Allens Autobiographie steht derzeit der Hinweis: “Dieses Buch wird auf unbestimmte Zeit verschoben”.
Weiterer Lesehinweis: David Steinitz hält die Entscheidung des US-amerikanischen Verlags Hachette, das Buch fallen zu lassen, für mindestens problematisch: “Die Entscheidung von Hachette sendet ein fatales Signal: an Missbrauchsopfer, weil den Verlag der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs nicht gestört zu haben scheint, solange in Aussicht stand, dass man mit dem Buch Geld verdienen kann; und an Autoren, weil der Verlag sie nicht aufgrund von Fakten und Beweisen, sondern von Meinungen und Stimmungen fallen zu lassen scheint. Das hat nichts mehr mit den ehernen Absichten der ‘Me Too’-Bewegung und ihren Unterstützern zu tun, sondern ist schlicht und einfach ein Trauerspiel.” (sueddeutsche.de)

3. Legendärer V-Mann – so lief die Recherche
(spiegel.de, David Walden, Video: 6:26)
Der “Spiegel” spricht von Murat Cem als dem “wohl wichtigsten Polizeispitzel der deutschen Kriminalgeschichte”, und das könnte stimmen, wenn man die aktuelle Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins zugrunde legt. “VP01” habe viele Jahre für die Polizei gearbeitet und die Behörden frühzeitig vor Anis Amri gewarnt, dem Terroristen, der am Berliner Breitscheidtplatz einen Anschlag beging. Im Video berichten die beteiligten “Spiegel”-Redakteure von ihren Treffen mit dem V-Mann und ihrer Recherche. Es ist ein abenteuerlicher Stoff, aus dem Netflix mühelos mehrere Serien machen könnte.

4. Donald Trump verklagt jetzt auch CNN
(faz.net)
Nachdem das Wahlkampfteam des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump bereits “Washington Post” und “New York Times” verklagt habe, ziehe es nun juristisch gegen den Fernsehsender CNN zu Felde. In der Klageschrift sei von einer “verleumderischen Berichterstattung” die Rede.

5. Warum das Urteil ver­öf­f­ent­licht werden darf
(lto.de, Martin W. Huff & Pia Lorenz)
Der Ehemann der Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) wollte die Veröffentlichung eines Urteils verhindern, das ihn wegen Arbeitszeit- und Reisekostenbetrugs aus dem Beamtenverhältnis entfernte. Er blieb damit erfolglos: Das Verwaltungsgericht habe das Urteil veröffentlichen dürfen, so die aktuelle Entscheidung des Gerichts. Martin W. Huff und Pia Lorenz schreiben über die Hintergründe der Causa Giffey und erläutern, wie es zu dem Urteil kam.

6. Ich liebe TikTok, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen
(uebermedien.de, Gabriel Yoran)
Gabriel Yoran erklärt in seiner Glosse anhand einiger praktischer Beispiele, warum er die chinesische Video-App TikTok so liebe: “Ich kann problemlos stundenlang TikTok gucken, und ich werde mich nicht dafür entschuldigen.”

Recherche? Ist “Bild” doch Extrawurst!

Am Mittwoch hat die “Bild”-Redaktion es geschafft, ein altes Lieblingsthema — das wiederholte Draufhauen auf eine 17-Jährige — mit einem neuen Lieblingsthema — der “Coronakrise” — zu verknüpfen:

Screenshot Bild.de - Auftritt mit von der Leyen bei der EU - Warum kriegt Greta in der Coronakrise eine Extrawurst?

“EU-Parlament ist für alle Besucher gesperrt, aber sie darf rein”, steht in der Unterzeile. Und “Bild”-Reporter Albert Link schreibt über den Besuch von Greta Thunberg in Brüssel:

Die Schwedin war für 13 Uhr im Europaparlament zu einem Meinungsaustausch im Umweltausschuss eingeladen. Und das, obwohl die Regeln derzeit zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus keine Besucher zulassen. Sogar für Mitarbeiter aus den Wahlkreisen der Abgeordneten gilt ein von Parlamentspräsident Davids [sic] Sassoli erlassenes, striktes Zutrittsverbot.

Der “Bild”-Autor hat auch einen deutschen Politiker gefunden, der ganz der Redaktionsmeinung ist:

Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber ist deswegen auf der Zinne. Als Antwort auf die Mail-Bestätigung des Thunberg-Termins schrieb er dem Umweltausschuss: “Warum darf sie das Europäische Parlament betreten — und meine lokale Assistentin nicht?”

“Uns erklärt man, es gebe keine Ausnahmen, und dann wird für Greta Thunberg doch eine gemacht. Das hat für mich ein Gschmäckle”, legte Ferber im Gespräch mit BILD nach.

Es wäre praktisch gewesen, wenn sich Albert Link und Markus Ferber vor ihrem aufgeregten Schnauben mal die Mitteilung des Präsidenten des Europäischen Parlaments, über die sie reden, angeschaut hätten. Darin steht zwar tatsächlich etwas von Einschränkungen wegen des Coronavirus, und Sassoli listet detailliert auf, wer derzeit alles nicht ins Parlament darf; er schreibt aber auch:

Unless otherwise specified in paragraph 1, the governing bodies of Parliament, plenary, ordinary and extraordinary committee meetings, and the political groups shall not be restricted in their ability to function normally, however without attendance of interest representatives nor visitors other than those specifically invited by the respective Chair as a speaker.

(Hervorhebung durch uns.)

Also: Wer von einer oder einem Ausschussvorsitzenden als Rednerin oder Redner eingeladen wird, darf weiterhin ins Europaparlament, unabhängig davon, ob es sich bei dieser Person um Greta Thunberg handelt. Das war von Anfang an in den von David Sassoli aufgestellten Regeln so vorgesehen. Wie Albert Link selbst schreibt, wurde Thunberg eingeladen. Eine “Extrawurst” gab es also nicht für die Schwedin.

Mit Dank an Miloš für den Hinweis!

Bundestag ausgerechnet, Igitt-Faktor Rechtsextremismus, Lesbos-Attacken

1. So haben wir den Bundestag ausgerechnet
(projekte.sueddeutsche.de, Martina Schories)
Wie diskutiert der Bundestag über Geflüchtete und Migration? Eine Datenanalyse der “Süddeutschen Zeitung” zeigt, was sich verändert hat. Dazu habe man alle Parlamentsprotokolle der Bonner Republik und des wiedervereinigten Deutschlands seit 1949 mit computerlinguistischen Methoden ausgewertet — 4.200 Schriftstücke. Der Rechtsruck in der Debatte sei nachweisbar: “Der politische Diskurs, das zeigt sich in der Datenanalyse, hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Der Einfluss der AfD dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, denn die Partei hat den Korridor des politisch Sagbaren nach rechts verschoben.”

2. “Ich bin von Joko und Klaas enttäuscht”
(deutschlandfunknova.de, Daniel Fiene & Herr Pähler, Audio: 16:39 Minuten)
Medienkritiker Stefan Niggemeier war bei “Was mit Medien” zu Besuch, dem wöchentlichen Medienmagazin bei Deutschlandfunk Nova. Dabei ging es um die jüngst enthüllten Fakes der ProSieben-Protagonisten Joko & Klaas und die Frage, warum derlei Betrügereien auch im Unterhaltungsfernsehen problematisch seien. Die komplette Sendung mit weiteren interessanten Themen, zum Beispiel zu den Vorgängen bei der “Berliner Zeitung”, gibt es hier (41:18 Minuten).

3. Die taz ist es wert
(blogs.taz.de, Andreas Bull)
Es sind überaus ernüchternde Zahlen, von denen “taz”-Geschäftsführer Andreas Bull im “Hausblog” berichtet: Im vergangenen Quartal habe man werktags eine Remissionsquote (Rückgaben durch den Handel) von 83 Prozent hinnehmen müssen, bei der Wochenendausgabe sei sie mit 76 Prozent geringfügig besser ausgefallen. “Von den Verkaufspreisen müssen nun mehrere an diesem Geschäft Beteiligte bezahlt werden: nach Abzug der Mehrwertsteuer die Druckereien und die Speditionen, dann die Grossisten und letztlich der Einzelhandel, die beide zusammen an die 40 Prozent des Einzelverkaufspreises einbehalten. Grob gefolgert: es bleibt nichts übrig, um das zu bezahlen, was drinnen steht.” In seinem Beitrag erklärt Bull, warum die “taz” trotzdem an dem wenig lukrativen Geschäft festhalte.

4. Lesbos: Attacken gegen Journalisten und Geflüchtete
(netzwerkrecherche.org, Franziska Grillmeier & Julian Busch)
Die freie Journalistin Franziska Grillmeier und der Fotograf Julian Busch wurden während ihrer Arbeit auf Lesbos von maskierten Rechtsradikalen angegriffen. In ihrem Beitrag schildern sie, wie es dazu kam und wie es ihnen derzeit geht: “Nach wie vor gibt es eine große Unsicherheit, sich auf der Insel zu bewegen. Wir versuchen, das Haus nicht mehr alleine zu verlassen und abends nicht mehr in der Stadt unterwegs zu sein. In den sozialen Medien trifft uns mittlerweile ein rechtsradikaler Shitstorm.”

5. “Die große Mehrheit findet dieses Thema eher schmutzig”
(deutschlandfunk.de, Bettina Köster, Audio: 8:32 Minuten)
Annette Ramelsberger ist die langjährige Gerichtsreporterin der “Süddeutschen Zeitung” und in Fachkreisen bekannt für ihre ausdauernde und gewissenhafte Berichterstattung über den NSU-Prozess. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk kritisiert Ramelsberger die Medien dafür, in der Vergangenheit zu wenig über rechtsextremistische Entwicklungen und die damit verbundene Gefahr berichtet zu haben: “Wir haben das über die letzten Jahrzehnte vernachlässigt. Das war immer ein Thema, das den Igitt-Faktor hatte, wo man auch häufig mal als Korrespondent so die rollenden Augen gesehen hat und die Frage: Schreiben wir jetzt die Rechten hoch? Und immer die Frage: Muss das sein?”

6. “Es ist schwierig, angemessen bezahlte Jobs zu finden”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Sportjournalist Christoph Biermann schreibt für das Fußballmagazin “11 Freunde” und hat zahlreiche Bücher zum Thema Fußball veröffentlicht. Im Interview mit dem “Fachjournalist” erzählt Biermann von den Besonderheiten und Herausforderungen seiner Arbeit und verrät, auf welche Themen er ein besonderes Auge habe: “Unser Magazin und auch ich persönlich sehen etwa RB Leipzig sehr kritisch. Der Verein wurde quasi gegründet, um Red Bull zu promoten. Das halten wir für falsch, weil es ein Bruch mit der Fußballkultur in unserem Land ist und den Wettbewerb verzerrt.”

Wann die “Bild”-Medien Roma und Romnja erwähnen

Eine Frau hat mehreren Rentnern Lügengeschichten erzählt und ihre Opfer dabei um viel Geld gebracht: Mal behauptete sie, dass sie ein Vermögen auf einem Schweizer Konto liegen hätte, an das sie aber nur rankäme, wenn man ihr Geld für Notar und Anwalt leiht; mal sagte sie, dass sie Probleme bei der Rückzahlung eines Darlehens hätte. Die Männer gaben ihr teilweise sechsstellige Summen, die sie nie wiederbekamen — insgesamt 1,5 Millionen Euro soll sich die Frau auf diese Weise ergaunert haben. Vergangene Woche wurde sie zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Bild.de und die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichteten über den Prozess:

Screenshot Bild.de - Betrügerin gaukelte Geldprobleme vor - R. (49) zockte 1,5 Millionen Euro bei Rentnern ab
(Zur Unkenntlichmachung: Verpixelung links und Augenbalken rechts durch “Bild”, der Rest durch uns.)

Der Autor schildert in seinem Text auch das Vorgehen der Frau und schreibt als Einleitung in “Bild”:

DIE MASCHE DER ROMA:

Bei Bild.de wurde daraus eine Zwischenüberschrift:

Screenshot Bild.de - Die Masche der Roma

Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Taten der Frau mit ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu tun haben. Und es gibt genauso wenig Anhaltspunkte dafür, dass man diese “Masche” als eine “der Roma”, wohlgemerkt im Plural, bezeichnen kann.

Der Presserat schreibt in Richtlinie 12.1 seines Pressekodex:

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Genau das befürchtet die Initiative Sinti-Roma-Pride. Sie hat einen Offenen Brief an die “Bild”-Redaktion geschrieben. Zu dem “zutiefst rassistischen, reißerischen und unzutreffenden” sowie “antiziganistischen Zusatz” im “Bild”-Artikel heißt es dort:

Als Angehörige der Ethnie selbst würden wir gerne mehr darüber erfahren, wieso das unsere Masche ist und wieso wir alle trotz dieser uns fest zugeschriebenen Masche selbst noch keine 1,5 Mio. € erwirtschaftet haben, weil wir dahinter noch nicht gekommen sind, da der Großteil der deutschen Sinti und Roma eben nicht kriminell ist, sondern ganz normal einer geregelten Arbeit nachgeht.

Die Nennung der ethnischen Herkunft der verurteilten Betrügerin findet Sinti-Roma-Pride auch deswegen so auffällig, weil eine solche Nennung an andere Stelle ausbleibe: Wenn Roma und Romnja Opfer sind, wie beim rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem auch zwei Roma und eine Romni getötet wurden. Der “Bild”-Redaktion schreibt die Initiative:

Wir als Interessenvertretung für Sinti und Roma, fragen uns angesichts dieser ungleichwertigen Benennung von Tätern und Opfern, welches Motiv Sie bei diesem sich immer wieder wiederholenden Vorgehen verfolgen.

Das ist eine sehr gute Frage, finden wir.

Mit Dank an Birgit B. für den Hinweis!

Bild  

To B, or not to B

Etwas war anders in diesem Jahr, als die “Bild”-Zeitung am Rande der Berlinale ihre traditionelle Promi-Party “Place to B” veranstaltete: Hinter den Kulissen gab es unter vielen der “500 handverlesenen Gäste” Diskussionen darüber, ob man überhaupt hingehen sollte — oder ob man die Party boykottieren sollte, aus Protest gegen “Bild”.

Nur wenige Tage zuvor hatten die “Bild”-Medien in nicht weniger traditioneller Weise über den Anschlag von Hanau berichtet. Zwar stellte sich heraus, dass der mutmaßliche Täter rechtsradikale Motive hatte, “Bild” jedoch mutmaßte nach der Tat reflexhaft darüber, dass kriminelle Ausländer dahinterstecken könnten. Russen womöglich oder Schutzgelderpresser aus “gewissen Milieus”. Eine weitere Folge der unendlichen “Bild”-Serie: Wie können wir Angst und Hass noch größer machen?

Kurz darauf also: Schicke “Bild”-Party im Borchardt. Doch einige Gäste konnten und wollten das nicht.

Nicht einmal 100 Stunden nach der Tat von Hanau mit den Menschen zu feiern, die für die rassistische Stimmung im Land entscheidend mitverantwortlich sind, fühlt sich für viele falsch an. Allen ist klar, dass man die Party nicht verhindern wird und dass man dadurch nicht die Welt verändert, aber es wäre ein Zeichen, ein dringend notwendiger Schritt, wenn die BILD versteht, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, ihre Hetze hinzunehmen. Und am allerwichtigsten: Dass die Stars und Sternchen, mit denen sie ihre Seiten so gerne füllen, nicht mehr “mitspielen”, solange dieser Zustand anhält.

So schreibt es die Aktivistengruppe “Modus”, die während der Berlinale dazu aufrief, die “Bild”-Party zu boykottieren. Auch einige der Eingeladenen regten im Hintergrund Diskussionen an: Hingehen? Nicht hingehen? Irgendeine Art Zeichen setzen?

Als auch die Agentur- und Presseleute Wind von den Boykott-Ideen bekamen, wurde es plötzlich hektisch. “Modus” schreibt:

Bereits nach wenigen Stunden ist klar: Der Boykott-Aufruf sorgt für Wirbel. Presseagenten und Agenturen schreiben ihre Klienten und Klientinnen an. Hinter den Kulissen werden Gespräche geführt. Aus verschiedensten Richtungen wird Druck aufgebaut.

Und sichtbar wird das Dilemma, in dem sich nicht nur die Entertainmentbranche, sondern auch Politikerinnen und Politiker und andere Personen der Öffentlichkeit offenbar immer wieder zu befinden fühlen: Sie wollen eigentlich nicht mit “Bild”, können aber anscheinend auch nicht ohne.

Die “Place to B”-Party zur diesjährigen Berlinale fand dann fast wie gewohnt statt. “Bild”-Chef Julian Reichelt kam, einige Schauspieler kamen, einige Models, Dschungelcampteilnehmer und andere “Stars”.

Einige blieben jedoch bewusst fern, aus Protest gegen “Bild”.

Andere kamen mit Statements:

Eine Gruppe von 15 Schauspielerinnen und Schauspielern auf dem Roten Teppich der Party halten Schilder, auf denen Botschaften stehen wie NORACISM

“Diversität ist Normalität” oder “#NORACISM” stand auf den Schildern. Es gab auch subtile “Bild”-Kritik: “Euer Bild ist nicht unser Bild” oder “Deutschland sind wir ALLE!”, geschrieben in typischer “Bild”-Aufmachung.

Am Tag darauf berichtete auch die “Bild”-Zeitung über die Party, widmete ihr sogar die komplette letzte Seite:

Letzte Seite der Bild-Zeitung gefüllt mit Fotos von der Place-to-B-Party. Überschrift: So bunt war PLACE TO B noch nie!

Dass einige Gäste mit Botschaften kamen, erwähnte die Redaktion jedoch mit keinem Wort. Auch Fotos davon druckte sie nicht ab.

Online berichtete Bild.de ebenfalls über die Party, zeigte mehr als drei Dutzend Fotos. Von den Gästen mit Schild: kein einziges. Für Kritik an “Bild” ist in “Bild” eben kein Platz. Ganz traditionell.

Siehe auch:

Medien von Tickern infiziert, Des Rappers Brunftgebrüll, Fakende Idole

1. Wohldosierte Panikmache
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 5:03 Minuten)
Samira El Ouassil beschäftigt sich in ihrer Deutschlandfunk-Kolumne unter anderem mit der medienethischen Frage, inwieweit die ständige Berichterstattung über das Coronavirus in Live-Tickern sinnvoll ist: “Tickern ist die mediale Form der Stunde. Es wird über den Virus getickert als handele es sich um ein Fußballspiel von der Dauer einer Präsidentschaftswahl. ‘Bild’, ‘Welt’, ‘Spiegel’, ‘Focus’ haben alle natürlich einen Ticker. Ja, sogar die ‘Superillu’ berichtet minutengenau über die ersten Infektionen in Brandenburg. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll das Vermelden jeder neuen Infektion wirklich ist, denn es vermittelt lediglich eine protokollarische Unmittelbarkeit und inszeniert eher das Informieren, als tatsächlich zu informieren.”

2. Zahlen lügen nicht
(journalist.de, Carsten Fiedler)
In der empfehlenswerten Serie “Mein Blick auf den Journalismus” sprechen Mediengrößen über ihre Ideen für einen besseren Journalismus. In der siebzehnten Folge ist Carsten Fiedler zu Gast, der Chefredakteur des “Kölner Stadt-Anzeigers” und vormalige Chef des Boulevardblatts “Express”. Letzteres merkt man ihm noch etwas an: Fiedlers elf Empfehlungen tragen die Namen von erfolgreichen Popsongs.

3. Viel Brunftgebrüll
(zeit.de, Daniel Gerhardt)
Als “Härtetest für die deutsche Rapszene” bezeichnet Daniel Gerhardt das Verhalten des Rappers Fler: “Wer den Einsatz von #unhatewomen schmälert oder Flers Drohgebärden verharmlost, überschreitet eine rote Linie, die nicht verhandelbar sein darf. Gerade dort, wo sich Sexismus, Misogynie, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung vollkommen unverhohlen zeigen, ist es wichtig, sie zu benennen und dagegen vorzugehen.”

4. “Demokratie ist kein Kaufhaus”
(kontextwochenzeitung.de, Susanne Stiefel)
Die Wochenzeitung “Kontext” hat sich mit der Journalistin Anja Reschke unterhalten, die bei der ARD das Magazin “Panorama” moderiert. Im Gespräch geht es um Gleichberechtigung, Antifeminismus und rechtes Gedankengut, um Freude an der Empörung und Besonnenheit.

5. Zoff um Johnsons Hausblatt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die für ihren konservativen Grundton bekannte britische Tageszeitung “Daily Telegraph” macht wirtschaftlich schwere Zeiten durch. Die Auflage sei vergleichsweise zusammengebrochen, und das Blatt habe sich der offiziellen Auflagenkontrolle entzogen. Zu alldem sei auch noch eine Familienfehde zwischen den adligen Eigentümern entbrannt, wie Steffen Grimberg in der “taz” berichtet.

6. Fakes bei Joko und Klaas – “Wir haben Hinweise bekommen”
(ndr.de, Juliane Puttfarcken, Video: 5:36 Minuten)
“Ich habe gegen meine eigenen Medienidole recherchiert.” Han Park vom Youtube-Format “Strg_F” erzählt, wie es zur Aufdeckung der gefakten Joko-&-Klaas-Videos kam. Ein angenehm unaufgeregtes Gespräch, das nachdenklich macht. Und in dem Han Park anregt, der Frage nachzugehen, was Unterhaltungsfernsehen darf und was es nicht dürfen sollte.

Bei Bild.de ist das Coronavirus am tödlichsten

Es müssen ja nicht immer gleich Dutzende Alarmartikel sein, mit denen die “Bild”-Redaktion Angst und Schrecken zum Coronavirus, Verzeihung, “CORONAVIRUS” verbreitet. Manchmal reicht auch eine kleine Schummel-Rechnung:

Weltweit gibt es derzeit (Stand Sonntagvormittag) 41 663 aktive Fälle. Davon sind 34 095 (82 Prozent) milde verlaufen. Bei 7568 Menschen (18 Prozent) verlief die Infektion kritisch. Insgesamt sind 86 993 Menschen am Coronavirus erkrankt. Davon wurden 42 351 Menschen geheilt. 2979 Menschen (7 Prozent) starben.

Das stand am Sonntag im Bild.de-Live-Ticker zum Coronavirus.

Nimmt man die Anzahl der Menschen, die durch das Virus gestorben sind (2979), und teilt sie durch die Anzahl der Menschen, die jemals daran erkrankt sind (86.993), kommt man allerdings nicht, wie Bild.de, auf 7 Prozent, sondern auf 3,4 Prozent — also etwa die Hälfte.

Dass die Redaktion auf eine viel höhere Sterberate kommt, können wir uns nur so erklären, dass sie die geheilten Menschen (42.351) aus ihrer Rechnung genommen hat, also: 2979 Menschen geteilt durch 44.642 Menschen (alle jemals Erkrankten minus die Geheilten). Dann kommt man auf 6,7 Prozent beziehungsweise gerundet auf 7 Prozent.*

Experten gehen derzeit von einer deutlich niedrigeren Sterberate aus: Laut Robert-Koch-Institut liege sie bei 1 bis 2 Prozent. Genaue Zahlen könne man allerdings erst nach Ende der Epidemie nennen. Außerdem müsse man von Land zu Land und Region zu Region unterscheiden: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beziffert die Sterberate in China, ohne das Epizentrum Hubei, auf 0,7 Prozent. In der Provinz Hubei liege sie bei 2,9 Prozent.

Die “Bild”-Redaktion schafft es jedenfalls locker, das tödlichste Coronavirus zu berechnen.

Mit Dank an Christoph G. und Timo für die Hinweise!

Nachtrag, 21:46 Uhr: Auf die 3,4 Prozent, die wir oben nennen, kommt auch die WHO:

Globally, about 3.4% of reported COVID-19 cases have died.

Mit Dank an @publictorsten für den Hinweis!

*Nachtrag, 5. März: Mehrere Leserinnen und Leser weisen darauf hin, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, um (gerundet) auf die 7 Prozent von Bild.de zu kommen. Man kann lediglich die abgeschlossenen Fälle, also nur die Geheilten und die Gestorbenen, nehmen. Und mit ihnen die Sterberate der abgeschlossenen Fälle berechnen. Das würde hier so aussehen: 2979 Menschen geteilt durch 45.330 Menschen (42.351 Geheilte plus 2979 Gestorbene) — macht 6,6 Prozent.

Dazu auch:

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