Lucien Favre lächelt wieder, der Schock vom 0:1 gegen Lautern ist halbwegs verdaut. Vor den Endspiel-Wochen spricht der Trainer im EXPRESS.
Favre spricht im “Express” unter anderem über “Borussias Minimal-Chance im Abstiegskampf”, “den nächsten Gegner Bayern München” und “die Formkrise von Marco Reus”.
Dabei ist entscheidend, dass er im “Express” spricht und nicht etwa mit ihm: Favres Statements hat der “Express” nämlich aus einem Interview mit dem Mönchengladbacher Radio 90,1 von vergangener Woche herausdestilliert, das in schriftlicher Form auch auf einer Borussia-Fanseite erschienen war.
Der “Express” selbst hat mit dem Trainer gar nicht gesprochen, wie uns der Verein auf Anfrage bestätigte.
Diese Art der O-Ton-Beschaffung scheint bei Boulevardzeitungen gerade voll im Trend zu liegen.
Als kürzlich bekannt wurde, dass der Fußballfunktionär Mohamed bin Hammam bei der Wahl zum FIFA-Präsidenten gegen den seit 1998 amtierenden Sepp Blatter antreten will, gab auch “Bild” eine Einschätzung ab:
Blatter (…) ist seit den Manipulations-Enthüllungen rund um die umstrittene Doppel-Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 angeschlagen. Auch Bin Hamman spricht inzwischen von einer “korrupten Organisation”.
(Hervorhebung von uns)
Dass Bin Hamman von einer “korrupten Organisation” gesprochen hat, stimmt. Allerdings war der Inhalt seiner Aussage das exakte Gegenteil dessen, was “Bild” glauben macht:
Die FIFA sei keine korrupte Organisation, sagte bin Hammam. “Aber wir brauchen mehr Transparenz.”
(Hervorhebung von uns)
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Ranga Yogeshwars Nebenjobs und die Zukunft des Journalismus” (visdp.de, Sebastian Esser)
Ein meedia.de-Artikel über Ranga Yogeshwar und die Atom-Lobby wird in den Kommentaren kontrovers diskutiert. Sebastian Esser nimmt ihn zum Anlass, über die Transparenz von Journalisten nachzudenken: “Yogeshwars Nebenjobs waren kein Geheimnis, die Veranstaltungen öffentlich zugänglich. Trotzdem waren sie nicht allgemein bekannt. Es wäre eine gute Idee, für solche Informationen eine zentrale Stelle zu schaffen, die freiwillige Auskünfte über die Einkünfte von Journalisten sammelt. Solche Offenheit ist viel verlangt. Journalisten müssten dann mehr über sich preisgeben als die meisten anderen in der Gesellschaft – Politiker vielleicht ausgenommen. Aber es wäre ein Weg, unter neuen Bedingungen das Ansehen des Journalismus zu sichern.”
2. “Es gibt keine glaubhaften Helden” (falter.at, Florian Klenk und Armin Thurnher)
“Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hält es für gefährlich, wenn Qualitätsmedien nur noch auf die Eliten zielen: “Wir sind natürlich Teil der politischen Klasse, und das birgt Gefahren. Der Minister, der Professor, der Parteisprecher: Mit all diesen Leuten sitzen wir zu oft in einem Kreise.”
3. “Halte nichts davon, Zeitung totzureden” (derstandard.at, Harald Fidler)
NZZ-Chefredakteur Markus Spillmann erklärt, was für ihn Qualität ist: “Für mich ist Qualität letztlich schon journalistisches Handwerk, das nicht kopierbar ist. Das beginnt mit der Prüfung von Quellen; nur das zu schreiben, was man wirklich weiß oder wovon man wirklich sicher ist; dass man in der Regel mehr wissen sollte, als man schreibt, also die inhaltliche Kompetenz vorhanden ist; dass man sich um größtmögliche Transparenz bemüht; dass man ausgewogen bleibt, ohne deswegen Neutralitätsgedanken zu pflegen.”
4. “EHC-Trainer Gross wehrt sich gegen Hetz-Artikel aus Köln” (newsclick.de, Christian Buchler)
Eishockey: Pavel Gross, Trainer des EHC Wolfsburg, nimmt Stellung zu einem “Express”-Artikel, in dem er als “Grizzly-Grossmaul” bezeichnet wird. “Es werden in diesem Artikel Dinge geschrieben, die ich nicht gesagt habe, und Tatsachen geschildert, die nicht passiert sind.”
6. “Gefälschte Flyer machen Stimmung gegen die Choriner Höfe” (prenzlauerberg-nachrichten.de, Juliane Wiedemeier)
Eine Wurfsendung gibt vor, von einer Investorengemeinschaft zu stammen, die ein Neubauprojekt im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg plant.
Man soll mit sowas ja keine Späße machen, aber stellen wir uns für einen Moment mal vor, der Fahrer von Angela Merkels Dienstwagen setzt das Automobil in den Straßengraben. Er war allein unterwegs, um die Kanzlerin abzuholen, und ihm ist nichts schlimmes passiert.
Würden die Zeitungen am nächsten Tag groß über diese, für Merkel gefährliche Situation berichten? Es ist nicht auszuschließen.
Gut: Es hat ein anderes Transportmittel erwischt und es ist letztlich noch weniger passiert, aber die Medien berichten tatsächlich.
Irre, oder? Nur “wenige Stunden”, nachdem Angela Merkel einen Hubschrauber verlassen hat, ist dieser “beinahe abgestürzt”.
Doch die “Bild am Sonntag” ist mit ihrer Feststellung, Merkel sei “nur knapp einem Beinahe-Absturz ihres Polizeihubschraubers entgangen” noch vergleichsweise zurückhaltend unterwegs.
Der gleiche Burkhard Uhlenbroich, der im Print noch einigermaßen entspannt war, verkündet hier plötzlich:
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist am Mittwochabend bei einer Wahlkampfveranstaltung nur knapp einem Absturz ihres Hubschraubers entgangen.
Und weil “Bild am Sonntag” die Story vorab an die Agenturen gegeben hatte, taten die das Ihre, um den Wahnsinn zu steigern.
AFP scheint sich selbst nicht ganz sicher gewesen zu sein, was jetzt genau passiert ist:
“BamS”: Merkel entkommt knapp Beinahe-Absturz ihres Hubschraubers – Polizei geht nicht von Sabotageakt aus
Berlin, 20. März (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am Mittwochabend bei einer Wahlkampfveranstaltung nur knapp einem Beinahe-Absturz ihres Polizeihubschraubers entgangen. Nach Informationen der “Bild am Sonntag” (BamS) hatte der Hubschrauber sie nach einem mehrstündigen Flug zunächst in Offenburg abgesetzt. Beim Weiterflug nach Oberschleißheim setzten laut “BamS” zeitgleich beide Antriebsturbinen des Superpuma 332 aus. Der Helikopter sackte aus einer Höhe von 1600 Metern ab. Der Crew gelang es erst wenige hundert Meter über dem Erdboden, die Turbinen wieder zu starten und einen Absturz zu verhindern.
dpa ist da schon klarer, gibt sich in der Überschrift aber auch missverständlich:
“Bild am Sonntag”: Merkels Hubschrauber fast abgestürzt
Berlin (dpa) – Ein Polizeihubschrauber von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist laut “Bild am Sonntag” nur knapp einem Absturz entgangen. Nur wenige Stunden nachdem die CDU-Vorsitzende den Helikopter am Mittwochabend verlassen habe, seien die Turbinen ausgefallen und der Helikopter um rund 1000 Meter abgesackt, berichtet das Blatt. Der Besatzung sei es erst wenige hundert Meter über dem Erdboden gelungen, die Turbinen wieder zu starten.
Reuters zerstört die in der Überschrift erzeugte Spannung dann gleich mit dem ersten Satz:
Merkels Hubschrauber wäre am Mittwoch beinahe abgestürzt
Berlin, 20. Mär (Reuters) – Ein Hubschrauber von Angela Merkel ist am Mittwoch nur wenige Stunden nach einem Flug mit der Kanzlerin beinahe abgestürzt. In rund 1600 Metern Höhe hätten beide Antriebsturbinen der Maschine ausgesetzt, erklärte am Sonntag eine Sprecherin der Bundespolizei, die damit einen Bericht der “Bild am Sonntag” bestätigte.
Auftritt deutsche Online-Medien!
“Spiegel Online” ging zunächst in die Vollen:
Das war den Redakteuren im Nachhinein dann wohl doch ein bisschen peinlich. Sie änderten Überschrift und Vorspann, entfernten das Foto von Merkel und setzen einen Hinweis unter den Artikel:
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels entstand der Eindruck, Merkel habe zum Zeitpunkt des Beinahe-Unglücks noch in dem Helikopter gesessen. Dies war nicht der Fall. Wir entschuldigen uns für die Unklarheit.
sueddeutsche.de hat seine Überschrift inzwischen von “Kanzlerin entgeht knapp Hubschrauber-Absturz” in “Merkels Hubschrauber beinahe abgestürzt” geändert, verkündet im ersten Satz aber immer noch:
Vermutlich haben ganz viele deutsche Journalisten gestern auch “nur knapp” den Lotto-Jackpot nicht geknackt: Tippschein nicht abgegeben oder so.
Mit Dank an Andreas L., Daniel B., Carsten Z., Dennis S., Matthias Sch. und Horst M.
Nachtrag, 21. März: Zahlreiche Leser haben uns auf das Prinzip der Autorotation hingewiesen, die es ermöglicht, einen Hubschrauber auch bei ausgefallenem Antrieb sicher zu landen. Die ganze Situation war also offenbar noch unspektakulärer.
Laut “Bild” ist Ömer Toprak das “Stehaufmännchen des SC Freiburg”, das regelmäßig von schweren Verletzungen heimgesucht wurde.
Doch jetzt ist Toprak wieder zurück – und spricht über…
Toprak spricht über seine Verletzung, Schlafprobleme und die derzeitige Krise des SC. Und es ist schon ein wichtiges Indiz, dass da nicht steht, er “spricht mit BILD” — die Zitate stammen nämlich allesamt aus einem Interview, das der SC Freiburg am Dienstag auf seine Website gestellt hat.
Artikel auf Bild.de
Interview beim SC Freiburg
Seine Verletzung: “Das war eine ganz eklige Verletzung. Vor allem für den Kopf. Man will alles machen, aber sobald man irgendeine Bewegung mit dem Arm macht, hat man sofort Schmerzen. Wenigstens verlief die Heilung schneller als man ursprünglich befürchten musste.”
scfreiburg.com: Bei einer Schulterverletzung denkt man im ersten Moment, dass das doch eigentlich nicht so schlimm sein kann für einen Fußballer. Toprak: Glauben Sie mir, das war eine ganz eklige Verletzung. Vor allem für den Kopf. Man will alles machen, aber sobald man irgendeine Bewegung mit dem Arm macht, hat man sofort Schmerzen. Wenigstens verlief die Heilung schneller als man ursprünglich befürchten musste, ich konnte relativ bald wieder Ausdauer und Beine trainieren. Das ist, wenn man so will, noch das Positive an dieser Verletzung gewesen.
Schlafprobleme: “Das Schlafen war das Schwerste, weil man auf keiner Seite liegen kann. Bauch ging auch nicht, nur Rücken. Und ich bin normalerweise Seitenschläfer. Anfangs habe ich deshalb nur wenig, zum Teil sogar gar nicht schlafen können.”
scfreiburg.com: Wie hat sich Ihre zwischenzeitige Einarmigkeit auf den Alltag ausgewirkt? Toprak: Das Schlafen war das Schwerste, weil man auf keiner Seite liegen kann. Bauch geht auch nicht, nur Rücken.
scfreiburg.com: Und Sie sind? Toprak: Seitenschläfer. Anfangs habe ich deshalb nur wenig, zum Teil sogar gar nicht schlafen können. Aber letztendlich gewöhnt man sich auch daran, und ab und zu schlafe ich sogar jetzt noch auf dem Rücken. (lacht)
Die derzeitige Krise des SC: “Was uns in der Vorrunde gelungen ist, läuft gerade gegen uns. Statt späte Tore zu erzielen, kassieren wir sie. Vor kurzem hätten wir so sein Spiel wie in Kaiserslautern wohl noch irgendwie gewonnen und alle hätten gesagt: ‘Super!’ Obwohl die Leistung an sich die gleiche gewesen wäre. Auch gegen Bremen und in Köln haben wir ja durch späte Gegentore verloren. Drei derartige Niederlagen hintereinander sind schon sehr bitter.”
scfreiburg.com: Das war jetzt die dritte Niederlage in Folge. Lässt sich die Mannschaft im Moment von einer negativen Dynamik aus nachlassenden Leistungen und schlechten Ergebnissen nach unten ziehen? Toprak: Das, was uns in der Vorrunde noch gelungen ist, läuft gerade gegen uns. Statt selbst späte Tore zu erzielen, kassieren wir sie. Vor kurzem hätten wir so sein Spiel wie in Kaiserslautern vermutlich noch irgendwie für uns entschieden und alle hätten gesagt: Super Auswärtsspiel!, obwohl die Leistung an sich die gleiche gewesen wäre. Auch gegen Bremen und Köln haben wir ja durch späte Gegentore verloren, drei derartige Niederlagen hintereinander sind das jetzt schon. Das ist sehr, sehr bitter.
“Bild” hat nach Angaben der Pressestelle des SC Freiburg diese nicht um Erlaubnis gebeten. Im Verein freue man sich zwar, dass das “schöne Interview” so eine Aufmerksamkeit genossen hat, aber: “‘Bild’ hätte die Quelle nennen sollen.”
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1. “Inszenierungen nehmen zu” (tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Für den abtretenden Vorsitzenden der Bundespressekonferenz, Werner Gößling, sind nicht nur die Politiker für für Inszenierungen verantwortlich, sondern auch die Medien, die “sehr schnell” darauf eingehen: “Wenn ein Minister mit dem Fahrrad vorfährt oder sich ein Verteidigungsminister bei den Soldaten in Pose setzt, dann werden diese Bilder sofort gezeigt.”
2. “Stimmt ja gar nicht” (taz.de, Julia Niemann)
Julia Niemann stellt die Website icorrect.com vor. “Dort können Prominente, und solche die sich oder ihr Unternehmen dafür halten, Falschmeldungen korrigieren – gegen Gebühr.”
3. “Sport Bild-Watch (16)” (el-futbol.de, Sidan)
“Sport Bild” weiß ein wunderbares Geschenk für Lothar Matthäus zum 50. Geburtstag: “Trainer bei Bayern München – als Nachfolger von van Gaal”. Außerdem: Das “Beschreiben-einer-Person-per-Einstreuen-einer-völlig-abwegigen-und-unpassenden-Information”. “Über Jupp Heynckes heißt es, nach dem eine Aussage von ihm wiedergegeben wurde, folgendes: ‘Das darf man dem 65-jährigen, den ein künstliches Kniegelenk stützt, ruhig glauben.'”
4. “Bild bei Schlecker – ‘Nicht mit uns!’ sagt der Wettbewerb” (mediatribune.de)
“Nach Informationen von Media Tribune will die Axel Springer AG das Verkaufsstellennetz für ihr Flaggschiff Bild jetzt um 8.000 bis 8.500 Schlecker-Filialen ausbauen.”
Heute Vormittag wurde Gewissheit, was “Bild” schon heute früh als Tatsache verkündet hatte: Der FC Schalke 04 hat sich von seinem Trainer und Manager Felix Magath getrennt.
Bild.de hat die Ereignisse in einem der gerade so populären Liveticker aufbereitet, in dem es unter anderem heißt:
Als Aufsichtsratsmitglied hat Magath das Anrecht, vom Aufsichtsrat gehört zu werden, der nun ohne ihn tagt. Vermutlich wird er nun aus dem Gremium gewählt – damit verliert Magath laut Vertrag auch die Position als Trainer und Manager.
Das ist ziemlicher Quatsch: Magath war nie Mitglied des Aufsichtsrats. Er gehörte bis heute Vormittag dem Vorstand des Vereins an:
Auch war Magaths Vertrag als Vorstand und Trainer von seiner Abberufung als Vorstand nicht berührt und wurde schon gar nicht automatisch gekündigt, wie Bild.de behauptet. Inzwischen hat er ihn allerdings selbst gekündigt, wie uns Magaths Umfeld bestätigte.
“Bild jagt den Maya-Schatz” — so nannte “Bild” die Aktion, die sich über einige Tagen hinzog. Die Zeitung hatte eine Expedition nach Guatemala gesandt, die dort – genauer im Izabal-See – einen Goldschatz lokalisieren und ganz nebenbei auch Atlantis finden sollte. Ich habe diese Berichterstattung für ein englischsprachiges Blog über Mesoamerika verfolgt und unter anderem Gespräche mit dem deutschen Botschafter in Guatemala und zwei deutschen Mayanisten geführt.
Der Mann, der “Bild” auf die Spur des vermeintlichen Schatzes gebracht hat, ist Joachim Rittstieg, ein pensionierter Realschullehrer für Mathematik und Sport, der sich seit 40 Jahren mit den Maya beschäftigt. Nach seiner Theorie liegt im Izabal-See unter einer Schlammschicht nichts anderes als Atlantis, die sagenumwobene Stadt. Rittstieg nennt sie Atlan und behauptet, dies wäre der Name der alten Maya-Hauptstadt gewesen. Inzwischen sei sie untergegangen, aber er sieht in verschiedenen Inschriften Beweise dafür, dass sie existiert hat und dass sie auch mal eine Wikinger-Stadt war. Dies alles will Rittstieg durch die Entschlüsselung des Codex Dresdensis, einer der wenigen erhaltenen Maya-Handschriften; Platons Atlantisbeschreibung, Gesprächen mit drei Maya-Priestern, sowie durch die Neuübersetzung der Edda herausgefunden haben. Mit Hilfe von Satelliten- und Sonaraufnahmen sei sogar die Schatzkiste bis auf 10cm Genauigkeit lokalisierbar.
Rittstieg behauptet, die Maya hätten im Jahre 666 v. Chr. 2.156 goldene Tafeln mit ihren Gesetzen besessen, die ein Gesamtgewicht von acht Tonnen hatten. In der Chronologie Mesoamerikas fällt das Datum in die sogenannte mittlere Präklassik. Archäologische Funde sehen keinen Beweis dafür, dass die Maya zu dieser Zeit mit Gold gearbeitet hätten, auch nicht im kleinen Stil. Der Fund von acht Tonnen Gold in einer im Jahre 666 v. Chr. untergegangenen Stadt wäre für Mesoamerikanisten und Mayanisten – gelinde gesagt – überraschend und unerwartet. In meinem Blog habe ich mich ausführlicher mit Rittstiegs Theorie und ihren Hintergründen beschäftigt.
Atlantis, Wikinger und Maya-Gold — wäre man im Internet auf diese Geschichte gestoßen, hätte man wohl etwas gelächelt, den Kopf geschüttelt und es als esoterisches Geschwurbel nordisch-germanozentrischer Prägung abgetan. “Bild” hielt die Geschichte allerdings für plausibel und wollte ihre Wahrheit auf einer Expedition mit fragwürdigen Methoden beweisen.
Am 28. Februar kündigte “Bild” daher eine Expedition nach Guatemala an. Mit sechs Mann wollte man den Maya-Schatz jagen. Was “Bild” dazu bewogen haben könnte, den Ausführungen von Herrn Rittstieg zu glauben, ist mir bis heute schleierhaft. Aber da waren sie nun in Guatemala und daheim erstellte die Redaktion eine fesche Schatzkarte mit dem ersten Hinweis, dass es hierbei um Atlantis geht:
Im Artikel sagte uns Herr Rittstieg noch einmal, dass er den Schatz auf 10cm genau lokalisieren kann. Also nichts wie ab zum See, könnte man meinen. Doch da gab es ein kleines Problem: “Bild” hatte offenbar keinerlei Genehmigung für irgendwelche Expeditionen, Tauchgänge oder archäologische Ausgrabungen.
Dafür hatte “Bild” eine Idee, wie der Maya-Schatz aussehen könnte, und zeigte noch vor Beginn der Expedition das Aussehen des Schatzes. Und welche Bilder benutzt die Redaktion, um einen Schatz zu illustrieren, der vor 2600 Jahren untergegangen ist? Bilder von Masken, die etwa 700 Jahre alt und definitiv nicht mayanisch sondern mixtekisch sind. Beide Masken sind im Museo Nacional de Oaxaca zu sehen:
Bild 1 der Galerie zeigt Mictlantecuhtli. Diese Maske wurde nicht vor 1300 fertiggestellt, also knapp 2000 Jahre nach dem angeblichen Untergang von Atlantis
Bild 13 zeigt ebenfalls eine Maske, aus dem frühen 14. Jahrhundert. Sie zeigt den Gott Xipe Totec.
Bild 3 zeigt nicht, wie behauptet, den Maya-Kalender — es ist überhaupt kein Kalender! Was dort zu sehen ist, ist der aztekische Sonnenstein mit dem Gott Tonatiuh in der Mitte. Ihn als Maya-Symbol zu benutzen, zeugt davon, wie uninformiert “Bild” tatsächlich ist.
Am 2. März ging “Bild” auf Guatemala los und meldete prompt, dass “im ganzen Land das Schatzfieber ausgebrochen” ist. Als Beweis soll je ein Bericht aus den Zeitungen “Nuestro Diario” und “Prensa Libre” taugen. Es ist allerdings etwas unglücklich, dass Bild.de beide Screenshots zeigt:
So lässt sich nämlich nachvollziehen, dass die Zeitungen berichten, dass “Bild” keine Genehmigung für irgendwelche archäologischen Aktivitäten habe. Offizielle Stimmen werden genannt, so Érick Ponciano von der Dirección General del Patrimonio (etwa das Nationale Kulturamt), der bestätigt, dass die Expedition uneingeladen und ohne Genehmigung für etwaige Ausgrabungen kommt. Ohne Genehmigung würde es aber keine Grabungen geben. Auch Mónica Urquizú vom Institut für Anthropologie und Geschichte von Guatemala kommt zu Wort. Auch sie bestätigt noch einmal: Die Maya nutzten in besagter Epoche kein Gold und der Codex Dresdensis enthält keinen verstecken, entschlüsselbaren Code.
Die “Prensa Libre” meldet außerdem, dass der Schiffsverkehr auf dem Izabal-See, in dem Atlantis liegen soll, nun von der Marine kontrolliert werde. Auch “Bild” berichtet, die Soldaten würden den See “überwachen, damit keine heimlichen Schatzsucher das Gold der Maya stehlen können.” Gemeint ist damit wohl vor allem “Bild” selbst, aber die Zeitung erweckt lieber den Eindruck, das Militär würde das Gebiet sperren, damit “Bild” ungestört fischen kann.
Pflichtgemäß meldet sich am 3. März Erich von Däniken zu Wort, der bei einer Geschichte über die Maya natürlich nicht fehlen darf. Er ist sich sicher, dass im Izabal-See ein phänomenaler Schatz liege. Dabei handele es sich aber nicht nur um Gold, sondern “um in Stein gemeißelte Botschaften aus der tiefen Vergangenheit”. Derart motiviert gibt es für die Expedition natürlich kein Halten mehr und sie bricht umgehend auf.
Weil das Militär auf dem Izabal-See seine Runden dreht, geht es nach Copán, einer alten Maya-Stätte. Als Begründung führt “Bild”-Reporter Claas Weinmann über Twitter aus, dass Joachim Rittstieg in Copán Hinweise auf den Schatz vermute. Weshalb er überhaupt noch Hinweise auf einen Schatz braucht, den er angeblich auf 10 cm genau lokalisieren kann, lässt er offen.
Irgendwann muss “Bild” dann doch einmal zum See, auch trotz des Militärs. So geht die Expedition kurzerhand auf ein Privatgrundstück und taucht dort ein bisschen. Denn es gilt, den Beginn einer 9 km langen Brücke über den See zu finden, die vor 2600 Jahren das Festland und Atlantis miteinander verbunden haben soll.
Dabei scheint es sich um das gleiche Grundstück zu handeln, von dem Rittstieg berichtet, er habe dort 1987 “die Trasse der alten Brückenzufahrt zur versunkenen Hauptstadt” entdeckt. 1990 fand er dort außerdem nach eigenen Angaben “eine antike Wasserleitung, Brückenreste” und 2002 die “‘heiße Quelle’ Platons” und “auch die antiken Wasserleitungen”. Dennoch werden diese ungeborgenen Fundstücke jetzt mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn gezeigt. Es ist von dickem Schlamm die Rede, der allerdings Dinge am Ufer nicht betreffen kann.
Claas Weinmann teilte per Twitter mit, dass es nun auf den See gehen würde. Und dann das:
Am 8. März wissen die Leser jedenfalls, dass der See auch für “Bild” gesperrt ist und in der nächsten Zeit nicht getaucht wird. “Bild” wusste mindestens seit dem Treffen mit dem Botschafter am 2. März, dass das Militär illegale Schatzsucher daran hindern würde, zu tauchen. Der deutsche Botschafter, der bei dem Treffen anwesend war, erklärte mir in einer Mail vom 10. März, dass die Expeditionsgruppe im Gespräch mit einem Abteilungsleiter im Kulturministerium gesagt habe, dass am Izabal-See keine Ausgrabungen geplant seien.
Und weiter:
[Der Abteilungsleiter im Kulturministerium] hat keine Einwände gegen die Fahrt zum Izabal-See erhoben; allerdings solle doch bitte von eingehenderen Untersuchungen vor Ort ohne Erlaubnis abgesehen werden – was zugesichert wurde.
Tatsächlich hat “Bild” aber wirklich etwas gefunden! Also eigentlich nicht “Bild” direkt, sondern ein Fischer. Und es ist auch kein Gold, sondern ein ziemlich unspektakuläres Tongefäß. Aber immerhin: man hat jemanden gefunden, der ein Gefäß aus dem See gefischt hat. Also schreibt man folgerichtig am besten:
Ersten Schätzungen zufolge sei er mehrere hundert Jahre alt. Nicht schlecht, dann fehlen ja nur noch 2000 mehr. “Bild” gibt das zur Überprüfung an Experten und hat seitdem nicht mehr darüber berichtet.
Zwischenzeitlich meldeten sich weitere kritische Stimmen zu Wort. Die deutschen Mesoamerikanisten sprechen in ihrer Stellungnahme vom 7. März von einer “skandalösen Vorgehensweise” und “Effekthascherei”. Allerdings haben die Wissenschaftler sich zunächst etwas von “Bild” anstecken lassen und auch dem Botschafter Dr. Schäfer Vorwürfe gemacht, diese inzwischen aber zurückgenommen.
Schäfer schreibt mir, er habe – anders als “Bild” es erahnen ließ und die Mesoamerikanisten es verstanden – mit dem Besuch im Kulturministerium nicht den Zweck verfolgt, “den Prozess der Genehmigung der ‘Expedition’ abzukürzen”.
Schäfer weiter:
Ich finde es bedauerlich, dass in der Stellungnahme der Eindruck erweckt wird, als hätte ich dazu beigetragen, die guatemaltekischen Behörden in irgendeiner Weise zu hintergehen oder unter Druck zu setzen.
In den folgenden Tagen bemühte sich “Bild” um Genehmigungen, von denen klar war, dass sie nicht zu bekommen sein würden. Denn die Verantwortlichen in Guatemala wissen sehr gut, was eine Theorie ist und was Wunschdenken. So wusste der Botschafter auch zu berichten:
Breit publiziert wurden aber auch die Kommentare guatemaltekischer Fachleute, die die These vom Maya-Gold im Izabal-See rundum verwarfen und auf die grundlegenden Widersprüche zu der gesamten Maya-Forschung hinwiesen.
“Bild” zog also am 10. März die Konsequenzen und reiste wieder ab. Im Abschieds-Artikel übernahm das Team wie gewohnt keine Verantwortung für all die Unhöflichkeiten und Umstände wie z. B. das Militärschiff, das wahrscheinlich auch heute noch seine Runden auf dem Izabal-See dreht.
Rittstieg fasst im Gegenteil die Reise im “Bild”-Artikel so zusammen:
Wir haben alles in unserer Macht Stehende unternommen, drei Taucher eingeflogen und sogar einen Schamanen befragt. Jetzt liegt es an der Regierung von Guatemala, den Schatz zu bergen.
Den Schatz, von dem die Regierung nicht annimmt, dass es ihn gibt.
Die “Bild”-Expedition bindet immer noch wichtige lokale Ressourcen, die man woanders sicher gut gebrauchen könnte. Zwei Drittel der Bevölkerung von Guatemala leben in Armut und wegen “Bild” muss die Marine ein Schiff auf dem See patrouillieren lassen. Fischer werden kontrolliert. Das Expeditionsteam erhielt Polizeischutz, obwohl Drogenbanden ihr Unwesen treiben. Der deutsche Botschafter wurde involviert. Usw. usf.
Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Guatemala. Der Erhalt der Maya-Stätten sichert Einkommen und Besucher. Im schlimmsten Fall werden wegen solch einer Aktion die eigentlichen Maya-Stätten zerstört, um an das versteckte Gold heranzukommen, welches es aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht gibt.
Um es mit den Worten der deutschen Mesoamerikanisten zu sagen:
Archäologen haben bislang in mühevoller Aufklärungsarbeit vor Ort immer wieder darauf hingewiesen, dass die antiken Maya-Stätten keineswegs Goldschätze enthielten, und mussten zudem mit Gerüchten kämpfen, sie würden Schätze illegal außer Landes schaffen. Die BILD-Goldsuche macht diese Arbeit mit einem Schlag zunichte.
“Bild” erklärt hingegen im letzten Artikel: “BILD bleibt dran!”
Bitte nicht!
Daniel Schleusener widmet sich auf seinem Blog “The Complete Mesoamerica (and more)” geschichtlichen, kulturellen, archäologischen und kuriosen Themen rund um Mesoamerika. Unterstützt wird er dabei durch Historiker, Mayanisten und – natürlich – dem Internet.
Es ist immer das Gleiche: Eine Zeitung behauptet, ein Fußballspieler stehe vor einem Vereinswechsel, und der Spieler dementiert. Erst im Nachhinein lässt sich sagen, wer recht hatte — das Verhältnis dürfte etwa bei 50:50 liegen.
Insofern ist es mit Vorsicht zu genießen, wenn Marco Reus von Borussia Mönchengladbach heute auf der Vereins-Website beteuert, er habe keinerlei Wechsel-Ambitionen, die ihm der “Express” für den Fall des Abstiegs aus der ersten Bundesliga unterstellt hatte.
Sein neuer Audi Q 5, mit dem er am Dienstag zum Gladbacher Training erschien, hat bereits ein Dortmunder Kennzeichen…
Der 21-jährige gebürtige Dortmunder hat dafür eine recht einleuchtende Erklärung:
Und zu der Sache mit dem Nummernschild: Meine Eltern leben in Dortmund, deshalb das Dortmunder Kennzeichen, und das nicht neuerdings, sondern schon lange.
Über den Sinn oder Unsinn des Weltfrauentages, der vor 100 Jahren zum ersten Mal begangen wurde, haben im vergangenen Jahr Alice Schwarzer und Caroline Korneliy bereits ausführlich debattiert. Und auch wenn Alice Schwarzer dafür plädiert, den Frauentag abzuschaffen, wäre es interessant zu erfahren, was die Feministin davon hält, wie die Zeitung, in der sie ihre Gerichtsreportagen veröffentlicht, mit diesem besonderen Datum umgeht.
Der Titel klingt ja eigentlich vielversprechend:
Doch abgesehen davon, dass der Weltfrauentag ursprünglich mit dem Ziel der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ins Leben gerufen wurde, dürfte selbst Mario Barth viele der “100 Wahrheiten über Frauen” als abgedroschen und klischeebehaftet empfinden:
Nr. 5:
Schön mit der Hand schreiben.
Nr. 10:
Mehrere Diäten gleichzeitig machen.
Nr. 11:
Schuhe kaufen. Frauen besitzen im Schnitt 14 Paar Schuhe, Männer acht.
Nr. 21:
Den Balkon zum Blühen bringen.
Nr. 38:
Statt sich mit komplizierten Abseits-Regeln aufzuregen, lieber an den schönen Fußballern erfreuen.
Nr. 42:
Beleidigt sein.
Nr. 46:
Im Sitzen pinkeln.
Nr. 50:
Sparen. Sie geben ein Vermögen für Schuhe aus, aber das ist immer noch billiger als ein Sportwagen.
Nr. 57:
Kalorien zählen.
Nr. 60:
Dem Friseur das Herz ausschütten.
Nr. 62:
Sich die Augenbrauen zupfen.
Nr. 72:
Bei völliger Ahnungslosigkeit souverän wirken.
Nr. 83:
Geld ausgeben, das sie nicht verdient haben.
Nr. 86:
Sich systematisch unterschätzen. Immer noch verdienen Frauen rund 25 Prozent weniger als Männer.
Nr. 93:
Diesen schwachsinnigen Frauentag gelassen ertragen.
Passend dazu präsentiert BILDblog heute die einzige Sache, die “Bild” besser kann als andere Zeitungen:
Nr. 1:
Den eigenen Sexismus entlarven.
Nachtrag, 9. März: BILDblog-Leser Michael L. hat uns darauf hingewiesen, dass es sich beim diesjährigen Weltfrauentag nicht um den 100., sondern um den 101. handelt (der erste von 1911 muss natürlich auch mitgezählt werden). Immerhin befindet sich BILDblog mit diesem – inzwischen korrigierten – Fehler inbesterGesellschaft.