Archiv für September 12th, 2024

Neue Rolle für Andreas Türck heute, die alte Rolle von “Bild” damals

TV-Moderator Andreas Türck hat einen neuen Job: Er wird künftig Handball-Übertragungen des Sport-Streaminganbieters Dyn moderieren. Die “Bild”-Medien berichten recht ausführlich über die Personalie, eine “richtig große Fernseh-Überraschung”. Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Als Sportmoderator bei Dyn - TV-Comeback für Andreas Türck

Die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Andreas Türck zurück im TV

Und groß im Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - TV-Comeback von Andreas Türck

Im Artikel steht unter anderem:

Seine Karriere wurde 2004 abrupt gestoppt. Grund: ein Gerichtsverfahren wegen Vergewaltigungs-Vorwürfen. Im September 2005 der Freispruch, den die Staatsanwaltschaft selbst beantragt hatte. Es gab große Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers.

Trotzdem zog sich der Moderator aus der Öffentlichkeit zurück, moderierte erst wieder zwischen 2013 und 2017 auf Kabel Eins “Abenteuer Leben”.

Jetzt ist Türck als Sport-Moderator wieder da!

Aus unserer Sicht ist das eine etwas lückenhafte Darstellung – es gäbe da noch etwas zu ergänzen: die Rolle der “Bild”-Medien damals. Es sei eine “tendenziöse und vernichtende Berichterstattung der Boulevardpresse, allen voran ‘Bild’ und ‘Bild am Sonntag'”, gewesen, schrieb Sabine Sasse 2007 rückblickend. Wochenlang hatte die “Bild”-Redaktion sich an intimsten Details ergötzt und Andreas Türck vorverurteilt. Die Schlagzeilen aus dem August 2005, als der Prozess gegen Türck lief, lauteten beispielsweise “Die Sex-Akte Türck” und “Wird er böse, wenn Frauen nicht wollen?” und “Türck-Prozeß – Neue Sex-Enthüllung” und “Katharina (29) weinte gestern vor Gericht – So hat Türck mich vergewaltigt”. “Bild” habe einen “regelrechten Diffamierungsfeldzug gegen Türck” geführt, so Sasse.

Ein absoluter Tiefpunkt der Berichterstattung war ein Artikel, der unter der Überschrift “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht” in “Bild am Sonntag” erschienen ist. Autor Stefan Hauck schrieb darin über Türcks “erbärmliches Leben”: nur wenige Begabungen, Aktivitäten, die niemanden interessierten, und eigentlich schon längst “auf seinem Rückweg in die vorhersehbare Bedeutungslosigkeit”, der nur unterbrochen wurde, weil Türck “dann doch etwas Unvorhersehbares tat”. Dass Andreas Türck unschuldig war, zeichnete sich damals schon im Prozess deutlich ab.

So kommentierte auch Marion Horn, zu der Zeit Stellvertreterin von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und heute selbst “Bild”-Chefredakteurin, kurz vor Prozessende:

Von Anfang an war klar, daß die Staatsanwältin keinerlei Beweise hat. Von Anfang an war durch Gutachten bekannt, daß die Aussagen von Katharina B. nicht belastend sind.

Angesichts der Schlagzeilen und Artikel, die Horns Redaktion dennoch in den Wochen zuvor veröffentlicht hatte, klingt das wie blanker Hohn. Für Horn aber war alles “ein schmutziges Gerichtsspektakel”, inszeniert von der Justiz (die sicher ihren Anteil an dieser riesigen Schweinerei hatte). Es klingt, als wäre “Bild” regelrecht dazu gezwungen worden, einen Menschen fertigzumachen.

Auch nach dem Freispruch trampelten die “Bild”-Medien weiter auf Andreas Türck herum. Wegen des Prozesses landete er in einer “Bild”-Kolumne mit der Überschrift “Peinliche Promis”. In einem anderen Artikel stellte die Redaktion es so dar, als handele es sich nicht um einen “Freispruch erster Klasse”, weil die Tat bloß nicht mit Sicherheit hätte bewiesen werden können. “Bild” fragte süffisant: “Der schöne Andreas ist 1,93 Meter groß, sportlich, schlank, lächelt gern – aber für was soll er jetzt sein Gesicht ins Fernsehen halten?”

Dass die Antwort darauf nun lautet: Für Dyn, einen Streaminganbieter, der mehrheitlich dem Axel-Springer-Verlag gehört, ist eine späte Wendung, die etwas irre und auch ein bisschen traurig ist.

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Verfassungsbeschwerde, Düstere Prognosen, Die Tücke mit der Lücke

1. Verfassungsbeschwerde gegen Abhören des Pressetelefons
(netzpolitik.org, Martin Schwarzbeck)
In den Jahren 2022 und 2023 hat die bayerische Polizei verschiedene Telefone der “Letzten Generation” belauscht, darunter auch das Pressetelefon. Von der Abhörmaßnahme seien mindestens 171 Journalistinnen und Journalisten betroffen gewesen. Nun haben drei Betroffene Verfassungsbeschwerde eingelegt, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Reporter ohne Grenzen und dem Bayerischen Journalisten-Verband (die Links führen zu den jeweiligen Pressemitteilungen der Organisationen).

2. Was passiert, wenn die Zeitung stirbt? Vier düstere Prognosen – und eine hoffnungsvolle.
(turi2.de, Anne-Nikolin Hagemann)
Anne-Nikolin Hagemann beschreibt in ihrer Prognose eine düstere Zukunft ohne Zeitungen, die sich in vier zentralen Punkten manifestiere: Das politische Interesse sinke, das Gemeinschaftsgefühl schwinde, der Populismus wachse und wichtige Kontrollmechanismen für Politik und Wirtschaft fehlten. Zudem führe der Verlust von Lokalzeitungen zu einer “Zombie-Apokalypse”, in der scheinbar lebendige Zeitungen ihre Unabhängigkeit verlören, und die Demokratie weiter geschwächt werde. Hoffnung mache jedoch das Entstehen innovativer journalistischer Projekte.

3. Hass und Hetze: Ist Social Media noch zu retten?
(ndr.de, Marlon Kumar & Julia von Buddenbrock, Video: 16:26 Minuten)
Das NDR-Medienmagazin “Zapp” hat untersucht, wie Hass und Hetze auf Social-Media-Plattformen das Leben der Betroffenen beeinflussen, sowohl online als auch offline. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Auswirkungen auf Journalistinnen und Journalisten und der Frage, wie diese Angriffe die unabhängige Berichterstattung gefährden. Expertinnen und Experten sind die Aktivistin und Autorin Katja Diehl, die Journalistin Jule Zentek und der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Marc Ziegele.

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4. Die Tücke mit der Erin­ne­rungs­lücke
(lto.de, Max Kolter)
“In der SZ schilderten zwei Frauen ihre sexuellen Erlebnisse mit Till Lindemann. Das OLG Frankfurt untersagte der SZ nun in einem Fall den Verdacht zu verbreiten, der Rammstein-Sänger habe Sex ohne Zustimmung einer der Frauen gehabt.” Bei “Legal Tribune Online” erklärt Max Kolter den juristischen Hintergrund der Gerichtsentscheidung.

5. Ein Drittel weniger Aufträge durch KI
(verdi.de)
Eine eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeige, dass generative KI wie ChatGPT die Nachfrage nach automatisierungsanfälligen digitalen Freelance-Arbeiten um bis zu 30 Prozent reduziert habe, insbesondere bei Schreibtätigkeiten wie Korrekturlesen und Ghostwriting. Gleichzeitig seien die verbleibenden Aufträge komplexer und höher budgetiert.

6. Urheberrecht: Bundesgerichtshof stärkt Besitzern von Fototapeten den Rücken
(heise.de, Malte Kirchner)
Der Bundesgerichtshof habe entschieden, dass die Darstellung von Fototapeten in Fotos und Videos im Internet keine Urheberrechtsverletzung darstelle. Ein Fotograf habe in mehreren Fällen Schadensersatz gefordert, weil Fototapeten mit seinen Aufnahmen im Hintergrund von Online-Bildern zu sehen waren. Das Gericht habe jedoch entschieden, dass die Nutzung der Tapeten vorhersehbar und stillschweigend erlaubt war. Auch eine Namensnennung des Fotografen sei nicht erforderlich.

7. Neue Sendung: “Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?”
(radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:32 Minuten)
In eigener Sache und deshalb als siebter und zusätzlicher Link: Bei radioeins kritisiert der “6-vor-9”-Kurator die Sat.1-Sendung von “Bild”-Vize Paul Ronzheimer: “Was mir fehlt, ist die kritische Selbstreflexion. Wenn es Ronzheimer wirklich ernst wäre mit der Veränderung, dann müsste er auch die Rolle der Boulevardmedien – und damit auch seine eigene – viel intensiver und selbstkritischer hinterfragen. (…) Da Ronzheimer dies in seiner Sendung komplett versäumt, ist sie unvollständig und verfehlt ihr Ziel. Was bleibt, ist ein unangenehmer Nachgeschmack von Selbstinszenierung. Und von, ich muss es leider so sagen, oberflächlicher und scheinheiliger Effekthascherei.”