Archiv für Juli 20th, 2021

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Überwachungsfan Reichelt verschweigt “Pegasus”-Affäre

Sucht man auf der Internetseite der “Süddeutschen Zeitung” nach “Pegasus”, findet man aus den vergangenen Tagen mehr als 20 Artikel, in denen es um die Spionagesoftware eines israelischen Unternehmens geht. Denn wie ein internationales Journalistenkonsortium am Wochenende enthüllte, sollen mit Hilfe der “Pegasus”-Software – die eigentlich nur bei der Überwachung von Terroristen zum Einsatz kommen sollte – zahlreiche Journalisten, Politiker und Menschenrechtler ausgespäht worden sein. Die “Süddeutsche Zeitung” hat an den Recherchen mitgewirkt, genauso wie die “Zeit”, der WDR und der NDR, die ebenfalls ausführlich über das Thema berichten.

Tatsächlich berichten so gut wie alle Medien darüber, von der “New York Times” bis zum “Sauerlandkurier”, teilweise in langen Artikeln und umfangreichen Dossiers.

Sucht man hingegen bei “Bild” nach “Pegasus”, findet man als aktuellsten Treffer:

Screenshot von BILD.de: "Chaos am Düsseldorfer Flughafen - Pegasus Airlines soll 40 Mitarbeitern gekündigt haben"

Dieser Artikel ist mehr als zwei Wochen alt. Zum aktuellen “Pegasus”-Thema und dem weltweit für Aufsehen sorgenden Skandal um die Spionagesoftware liest man in den “Bild”-Medien: kein einziges Wort.

Wir haben beim “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, warum das so ist. Er hat nicht reagiert.

Uns würden spontan drei mögliche Gründe einfallen, warum die Sache für “Bild” kein Thema ist. Zunächst einmal stammt die Software aus Israel, und Israel steht beim Axel-Springer-Verlag seit jeher ganz weit oben auf der Freundesliste; es ist sogar ausdrücklich Teil der Grundsätze und Werte des Unternehmens (“Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel”). Dass die Nichtberichterstattung etwas damit zu tun hat, ist aber unwahrscheinlich – schließlich berichtet die “Welt”, die ebenfalls zum Axel-Springer-Verlag gehört, recht ausführlich über das Thema.

Der Grund muss also irgendwo bei “Bild” liegen.

Vielleicht ist es einfach so, dass “Bild”-Chef Julian Reichelt den Medien, die das Thema recherchiert haben, diesen Scoop nicht gönnt und das Thema deshalb ignoriert.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Reichelt ein großer Fan von Spionagesoftware ist. Schon 2013, nachdem Edward Snowden die globalen Überwachungsmethoden des amerikanischen Geheimdienstes NSA offengelegt hatte, kommentierte Reichelt:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: Kommentar von Julian Reichelt: "Snowden ist kein Held!"

Denn Snowden ist dafür verantwortlich, dass jeder Terrorist der Welt in den letzten Tagen sein Handy weggeworfen, seine E-Mail-Adresse abgeschaltet hat.

Er ist dafür verantwortlich, dass nun jeder detailliert im Internet und in allen Zeitungen der Welt nachlesen kann, wie die USA und ihre westlichen Verbündeten die gefährlichsten Männer dieses Planeten jagen.

Ja, wir wissen jetzt, wie umfassend die USA das Internet überwachen. Wir können das als Sieg unserer Bürgerrechte feiern.

Aber wahr ist auch: Wir feiern mit den Falschen. Snowden ist auch ein Held für all jene, die in Berlin, Madrid, London Busse in die Luft sprengen wollen.

Zwei Jahre später, nach dem Anschlag auf die französische Zeitschrift “Charlie Hebdo”, insinuierte Reichelt sogar, dass Snowden womöglich Schuld an den Anschlägen sei. Seine Quellen seien sich einig, “dass niemand der Verhinderung von Terroranschlägen so sehr geschadet hat wie Edward Snowden mit all dem, was er über technische Überwachung enthüllt hat”. Und wieder rief er:

Screenshot von BILD.de: "Zwischenruf zum Anschlag in Paris - Warum wir die Überwachung der NSA gegen den Terror brauchen"

Immerhin befänden wir uns im “Krieg gegen den islamistischen Terrorismus”, und in diesem Krieg seien die Methoden “nicht schön, aber notwendig – und geboten”.

Nicht unwahrscheinlich also, dass die “Bild”-Medien ihren Lesern die “Pegasus”-Geschichte verschweigen, weil ihr Chef so sehr auf Überwachung steht. Und ebenfalls nicht unwahrscheinlich, dass Reichelt beim nächsten Terroranschlag nicht den Terroristen die Schuld gibt, sondern den Journalisten, die solche Überwachungsmethoden enthüllen.

Mit Dank an Luca für den Hinweis.

Bildblog unterstuetzen

Nachtrag, 17.35 Uhr: Eineinhalb Stunden nachdem wir bei “Bild” nachgefragt hatten, warum dort nicht über “Pegasus” berichtet wird, erschien plötzlich dieser Artikel:

Screenshot von BILD.de: "Nur für Abonnenten von Bild+ - Nach Pegasus-Skandal - Drei Antiviren, die Stalker-Apss zu 100 Prozent erkennen"

Darin geht es auch um den “Pegasus”-Skandal – ganze drei Sätze lang.

Nachtrag, 17.40 Uhr: Der „Bild“-Sprecher hat sich nun doch noch gemeldet. Er schreibt:

Die Redaktionen bei Axel Springer entscheiden über ihre Berichterstattung unabhängig.

Übrigens ist in der BILD-Gruppe darüber berichtet worden, ausgiebig auch bei WELT.

https://www.computerbild.de/artikel/cb-News-Sicherheit-Pegasus-Journalisten-und-Menschenrechtler-systematisch-ausspioniert-30502495.html

https://www.welt.de/politik/ausland/article232595215/Cyberwaffe-Pegasus-Zahlreiche-Journalisten-und-Aktivisten-wurden-offenbar-ausgespaeht.html

Ansonsten lag der Schwerpunkt der Berichterstattung bei BILD in den letzten Tagen für alle sichtbar auf dem Hochwasser und dessen Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Gebieten.

Politik auf Social Media, Westverlage im Osten, Süßes Geliergeheimnis

1. Das Social Media Dashboard zur Bundestagswahl 2021
(interaktiv.tagesspiegel.de, Madeline Brady & Benedikt Brandhofer & Lena-Maria Böswald & Hendrik Lehmann & Jesse Lehrke & David Meidinger & Helena Wittlich & Nikolas Zöller)
Der “Tagesspiegel” hat sein Social-Media-Dashboard zur Bundestagswahl 2021 auf den neuesten Stand gebracht. In Teil 1 der interaktiven Analyse stehen die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten und deren Aktivitäten auf Facebook, Twitter, Instagram und Youtube im Zentrum. Die Daten liefern interessante Informationen, zudem ist die Analyse grafisch überzeugend umgesetzt.

2. Mehr als 100 Tote bei der #Hochwasserkatastrophe in RLP. Daher will ich nochmal über den SWR sprechen.
(twitter.com, Maximilian Rieger)
In Zusammenhang mit dem Hochwasser hat sich Maximilian Rieger nachträglich noch einmal die TV-Berichterstattung des SWR angeschaut und dazu einen Twitter-Thread verfasst. Sein Fazit: Die Berichte über die sich ankündigende Naturkatastrophe seien “teils verharmlosend, widersprüchlich und ohne konkrete Warn- und Verhaltenshinweise” gewesen.
Weiterer Lesehinweis: Die “taz” hat mit Inge Niedeck gesprochen, die jahrzehntelang als Fernsehmeteorologin beim ZDF beschäftigt war: “Man muss überlegen, wie man die Leute gezielter über mögliche Auswirkungen informiert. Nicht alle können sich unter ‘Starkregen’ etwas vorstellen. Ich muss also unter Umständen den Hinweis geben: Das kann schwerwiegende Folgen haben! Auch dann, wenn man sich noch nicht sicher ist.”

3. Wie Westverlage die ostdeutsche Regionalpresse übernahmen
(katapult-magazin.de)
Das in Greifswald ansässige “Katapult”-Magazin hat auf einer Landkarte die Verbreitungsgebiete größerer ostdeutscher Regionalzeitungen und deren Eigentümer eingetragen. Bis auf eine Ausnahme befänden sich alle im Besitz westdeutscher Verlage. Der Grund sei historisch bedingt: die Privatisierungswelle der Nach-Wende-Zeit Anfang der 90er-Jahre.

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4. Kleiner, konzentrierter, gut
(sueddeutsche.de, Gerhard Matzig)
Das ZDF präsentiert die “heute”-Sendungen aus einem neuen Studio und hat sich bei dieser Gelegenheit von dem riesigen Moderationstisch getrennt. Eine Entscheidung, die von “SZ”-Redakteur Gerhard Matzig mehr als begrüßt wird: “Man wird diesem elf Meter langen Missverständnis aus Tischler-will-ins-Buch-der-Rekorde-Ehrgeiz, Biomorphismus und formverleimter Dielenware (Nussbaum) nicht hinterherweinen. Im Gegensatz vielleicht zu Kleber. Der neue, deutlich kleinere Tisch, auch er hat sich demonstrativ der Tiny-Idee verschrieben, ist also schon mal angenehm proportioniert. L-Förmig, geschwungen (dem Gegenwartsdesign geschuldet), aus Holz (dem Gegenwartsdesign geschuldet) – aber jedenfalls nicht mehr so… so absurd futuristisch und überambitioniert. Man sollte den alten Tisch Putin schenken. Der mag so was.”

5. Zeichner Kurt Westergaard gestorben
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 6:31 Minuten)
Der dänische Karikaturist Kurt Westergaard löste 2005 mit seiner Mohammed-Karikatur eine außenpolitische Krise und eine Debatte über Meinungsfreiheit aus. Für ihn persönlich hatte dies schwerwiegende Konsequenzen: Ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung musste er mit der Angst vor Angriffen und ständigem Personenschutz leben. Nun ist Westergaard im Alter von 86 Jahren gestorben. Der Deutschlandfunk blick auf das Geschehen von damals zurück.

6. Geliergeheimnis gelüftet: Maite Kelly und Roland Kaiser im Marmeladenbad der Gefühle
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer ist nicht nur BILDblog-Autor, sondern auch der offizielle Regenbogenpressebeauftragte des medienkritischen Portals “Übermedien”. Dort ruft er regelmäßig zum “Schlagzeilenbasteln” auf: “Sie wollen lernen, wie man aus einem Pferd einen Grabstein macht, aus einem Hashtag eine bittere Demütigung und aus einem Biergartenfoto eine Sensation über Michael Schumacher? Dann sind Sie hier goldrichtig!”