Archiv für November 4th, 2020

“Bild” übernimmt die PR-Arbeit des Wiener Attentäters

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch sagte Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern über den Attentäter:

Speak the names of those who were lost rather than the man who took them. He may seek notoriety, but we in New Zealand will give him nothing, not even his name.

Arderns Idee, dem Täter nicht zu der von ihm gewünschten Bekanntheit zu verhelfen und ihm nicht mal den Gefallen zu tun, seinen Namen zu nennen, passt gut zu den Erkenntnissen vieler Wissenschaftlerinnen und Experten. Diese warnen seit Jahren vor einer ausführlichen, mitunter sogar heroisierenden Berichterstattung, die den Attentäter in den Mittelpunkt stellt. Im schlimmsten Fall könnte daraus eine Inspiration und ein Ansporn für Nachahmer entstehen. Jennifer Johnston und Andrew Joy von der Western New Mexiko University schreiben beispielsweise in einer Studie:

Die Identifikation mit früheren Tätern, die durch die extensive Berichterstattung berühmt geworden sind, einschließlich der Veröffentlichung ihrer Namen, Gesichter, Lebensgeschichten und Hintergründe, löst einen mächtigeren Schub in Richtung Gewalt aus als psychische Erkrankungen oder der Zugang zu Waffen.

Die daraus abzuleitende Empfehlung für alle Medien: Diese “Identifikation mit früheren Tätern” gar nicht erst möglich machen.

Die “Bild”-Redaktion verfolgt einen anderen Ansatz: Sie baut Attentätern regelmäßig Denkmäler. So auch jetzt, nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien am Montagabend, bei dem vier Menschen getötet und 23 weitere verletzt wurden. Etwas kleiner auf der Titelseite und groß im Blatt zeigt die “Bild”-Zeitung heute ein unverpixeltes Foto des Täters:

Ausriss Bild-Titelseite - Das Böse und die Helden von Wien ... und ein Licht für die Opfer - dazu zu sehen ein Foto des Attentäters ohne Unkenntlichmachung
Ausriss Bild-Zeitung - Er trickste die Sicherheitsbehörden aus - Das ist der ISIS-Killer von Wien
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Auf dem Foto posiert der Mann mit den Waffen, mit denen er später in Wien seine Opfer tötete. Es soll aus einem Video stammen, das der sogenannte “Islamische Staat” nach der Tat veröffentlicht hat. “Bild” nutzt dieses Propagandamaterial ungefiltert für die eigene Berichterstattung und zeigt den Mann so, wie er sich selbst und wie die Terrororganisation ihn zeigen wollte. Auch auf der Bild.de-Startseite war das Foto an prominenter Stelle zu sehen:

Screenshot Bild.de - Er trickste die Sicherheitsbehörden aus - Das ist der ISIS-Killer von Wien

“Bild” macht sich zum Handlager der Terroristen. Die Redaktion nennt zusätzlich auch den kompletten Vor- und Nachnamen des Täters. Und sendet mit diesem PR-Gesamtpaket allen potentiellen Nachahmern die Botschaft: Solltet ihr einen Anschlag verüben, sorgen wir auf unseren Titel- und Startseiten dafür, dass ihr berühmt werdet.

Dazu auch:

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Terror-Berichterstattung, Ohne Zeitplan, Tweet-Warnungen

1. Terror-Berichterstattung: Am dunkelsten Tag zeigt oe24, warum man es nicht braucht
(kleinezeitung.at, Daniel Hadler)
Die Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien habe gezeigt, inwieweit sich die österreichischen Medien unterscheiden: Während ORF oder Puls24 seriös berichtet hätten, habe es beim Boulevardmedium oe24.at reinen Voyeurismus gegeben – was für massive Kritik gesorgt habe. Das gehe sogar so weit, dass große Werbekunden unmittelbar ihre Werbeschaltungen kündigten.

2. Regierung hat keinen Zeitplan für Gesetz gegen Hass und Hetze
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Der Bundestag hat im Juni das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität beschlossen. Die neuen Regelungen sollten eigentlich ab dem 1. Januar 2021 wirksam werden. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken verweigerte der Bundespräsident jedoch seine Unterschrift. Für Abhilfe soll ein sogenanntes Reparaturgesetz sorgen, doch die Angelegenheit zieht sich hin. Fraglich sei zudem, wie das Bundeskriminalamt die auf die Behörde zukommende Mehrarbeit ohne personelle Aufstockung bewältigen könne: Man rechne damit, dass Facebook, Youtube und Twitter bis zu 250.000 Beiträge pro Jahr an das BKA melden könnten.

3. Die größte Filmdatenbank der Welt
(golem.de, Peter Osteried)
In der Filmdatenbank Internet Movie Database (kurz: IMDb) finden sich Einträge zu mehr als 550.000 Filmen, fast 200.000 Serien und mehr als 100.000 Fernsehfilmen. Peter Osteried zeichnet die Entwicklung des Cineasten-Lexikons nach – von der Entstehung im Usenet und der Übernahme durch Amazon bis in die Jetzt-Zeit.

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4. Urheberrechtsreform: Altmaier macht gegen Nutzung von Inhalte-Schnipseln mobil
(heise.de, Stefan Krempl)
Bei der geplanten Urheberrechtsreform gibt es anscheinend widerstreitende Interessen der Bundesministerien. So wolle das Wirtschaftsministerium die vom Justizressort vorgesehene Bagatellausnahme für nichtkommerzielle Nutzungen in Sozialen Medien zu Fall bringen. Stefan Krempl ordnet den Zwist ein, bei dem mehr Interessen aufeinandertreffen, als man zunächst vermutet.

5. Twitter versieht Tweets zu Trump-Wahlergebnissen mit Warnung
(rnd.de)
Twitter hat in der US-Wahlnacht mehrere Tweets zu Trump-Wahlergebnissen mit Warnhinweisen versehen. Auch während ich diese Zeilen schreibe, ist dies der Fall und betrifft einen Tweet des Präsidenten höchstpersönlich.

6. Fünf Gründe, warum du Telegram sofort löschen solltest
(vice.com, Sebastian Meineck)
Telegram hat sich vom Chatprogramm und Messenger zu einer, wenn auch mitunter fragwürdigen, Plattform für Informationsaustausch entwickelt. Hier können sich Gruppen von bis zu 200.000 Personen zusammenschließen – weitgehend unkontrolliert. Eine Tatsache, die sich besonders bei Rechtsextremen und Verschwörungsideologen herumgesprochen hat. Doch es gebe noch mehr Gründe, warum man die App vom Handy verbannen sollte, wie Sebastian Meineck erklärt.