Nachdem ihr Sohn bei einem Attentat vor einigen Jahren mehrere Menschen getötet hat, änderte sich auch für die Eltern des Täters das Leben komplett: Sie bekamen Morddrohungen, mussten ihren Wohnort verlassen, wurden in ein polizeiliches Schutzprogramm aufgenommen und sollen ins Ausland gezogen sein. So steht es bei Bild.de:
Nach der Tat wurde die Familie ins Opferschutzprogramm der Polizei aufgenommen — verließ später sogar Deutschland angeblich in Richtung Österreich. Grund: Massive Drohungen.
Dieser Satz stammt aus einem Artikel, den Bild.de gestern Abend veröffentlichte und der verkündet, dass die Familie nun wieder in ihrem alten Wohnort lebt:
(Verpixelung durch uns.)
Für ein paar Klicks und das eine oder andere verkaufte Abo — es handelt sich um einen “Bild plus”-Artikel — zerren die “Bild”-Medien eine Familie in die Öffentlichkeit, die “massiven Drohungen” ausgesetzt und auf den Schutz der Polizei angewiesen war. Auf ihrer Startseite erzählte die Bild.de-Redaktion einem Millionenpublikum von dem Umzug; die in dem Ort erhältliche gedruckte “Bild”-Regionalausgabe berichtet heute ebenfalls groß darüber. Der Name der Familie wird sowohl online als auch in der Printverstion genannt. Mistgabeln und Fackeln sind hingegen nicht beigelegt und müssen vom Mob selbst besorgt werden.
1. Verlustgeschäft für deutsche Verlage (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz & Sebastian Wellendorf, Audio: 5:31 Minuten)
Es war eine Klatsche mit Ansage: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das deutsche Gesetz zum Leistungsschutzrecht gekippt, und zwar wegen eines lange bekannten Formfehlers. In dem fünfeinhalbminütigen Beitrag werden die Hintergründe erklärt — nämlich die Idee der Verlage, etwas vom Google-Kuchen abzubekommen. Eine Idee, die beim Suchmaschinenriesen verständlicherweise auf wenig Gegenliebe stieß.
Lesetipp für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema: EuGH erklärt deutsches Leistungsschutzrecht für unzulässig (golem.de, Friedhelm Greis).
2. Unzulässiger Parteifunk mit Fraktionsgeld? (lto.de, Alexander Hobusch)
Die CSU hat für ihren Youtube-Clip aus der Reihe “CSYou” einiges an Kritik und Spott kassiert. Nun äußert der Experte für Parteienfinanzierung Alexander Hobusch auf “Legal Tribune Online” auch noch juristische Bedenken zur Rechtmäßigkeit des Formats: “Nach einer Folge steht jedenfalls der Verdacht im Raum, dass (teilweise) Partei-PR mit Fraktionsmitteln betrieben wird: Zu weit entfernt sind die Inhalte vom parlamentarischen Betrieb, zu stark ist ihr Parteibezug. Der Vorfall zeigt anschaulich das Dilemma der Abgrenzung zwischen Partei- und Fraktionsöffentlichkeitsarbeit auf: Wie viel allgemeinpolitische Diskussion und wie viel Zuspitzung kann mit Fraktionsgeldern betrieben werden?”
3. Gewinner aus Saudi-Arabien, Malta und Vietnam (reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat in Berlin die 27. internationalen Press Freedom Awards verliehen. Ausgezeichnet wurden die saudi-arabische Bloggerin und Journalistin Eman al-Nafjan, die Malteserin Caroline Muscat und die Vietnamesin Pham Doan Trang. Leider konnte Eman al-Nafjan den Preis nicht persönlich entgegennehmen: Sie wurde in Saudi-Arabien zwar aus der Haft entlassen, ist aber mit einem Ausreiseverbot belegt.
4. Datenschützer können Abschaltung von Facebook-Fanpages verlangen (horizont.net)
Sind deutsche Facebook-Seitenbetreiber für den Datenschutz verantwortlich, auch wenn die Datenverarbeitung durch Facebook erfolgt? Ein schwieriges juristisches Thema, mit dem sich nun anhand eines konkreten Falls das Bundesverwaltungsgericht beschäftigt hat. Das Urteil bezeichnet die initiierende Datenschutzbeauftragte als “Rückenwind für den Datenschutz”.
5. Haltet ein! (spiegel.de, Thomas Fischer)
Ex-BGH-Richter Thomas Fischer beschäftigt sich mit dem Kinderpornografie-Vorwurf gegen einen ehemaligen Fußballspieler, der medialen Behandlung des Falls und den Aspekten der Unschuldsvermutung. Und er merkt etwas an, was zumindest diskutierenswert erscheint: “Ich vertrete gewiss nicht die generelle Straflosigkeit von Kinderpornografie. Aber man muss sich einer wenig nützlichen, kontraproduktiven Hysterisierung auch hier entgegenstellen. Und man muss sich gelegentlich in Erinnerung rufen, in welch exzessivem Maß unsere Gesellschaft öffentlich sexualisiert und geradezu manisch auf jugendliche Sexualität fixiert ist: in Werbung, Mode, Showgeschäft, Freizeit, Unterhaltungsindustrie.”
6. Vorerst kein Schadenersatz für Haft (taz.de)
Ein türkisches Gericht hat die Entschädigungsklage von Reporter Deniz Yücel für die erlittene einjährige Haft in einem Istanbuler Hochsicherheitsgefängnis ohne Angabe von Gründen abgewiesen. Yücels Anwalt will sich nun an das türkische Verfassungsgericht wenden und nimmt dafür persönliche Risiken in Kauf: Er wurde bereits wegen “öffentlicher Beleidigung der Justiz” zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt und riskiert, ins Gefängnis geworfen zu werden.
Für besondere Geschichten brauchen Redaktionen besondere Quellen. Und bei Bild.de, da haben sie diese Quellen.
Nachdem die künftige Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen ihre 27 26 Kommissarinnen und Kommissare präsentiert hatte (Bild.de: “Von der Leyen stellt ihre kuriose EU-Truppe vor”), schrieb das “Bild”-Team:
Verständlich, dass die Autoren ihren Vorsprung noch einmal erwähnen wollen. Und es ist ja auch wirklich eine bemerkenswerte Quelle, die einem erzählt, dass der frühere Ministerpräsident Lettlands nun Grieche ist.
Inzwischen scheinen sie jedoch auch bei Bild.de nicht mehr überzeugt zu sein von Dombrovskis überraschendem Nationalitätenwechsel. Nun steht in dem Artikel:
Zweite Überraschung: Neben Timmermans und der dänischen Liberale Margrethe Vestager wird der Lette Valdis Dombrovskis (48, Bereiche Wirtschaft und Soziales) eine herausragende Rolle spielen. Als ditter (sic) geschäftsführender Vizepräsident soll der Christdemokrat künftig “die Arbeiten für die Wirtschaft im Dienste der Menschen koordinieren”.
Die weiteren fünf Vize-Präsidenten, die ressortübergreifend koordinierende Aufgaben wahrnehmen: Der Spanier Josep Borrell (Außenbeauftragter), die Tschechin Vera Jourova (Werte und Transparenz), der Slowake Maros Sefcovic (interinstitutionelle Beziehungen), die Kroatin Dubravka Suica (Demokratie und Demografie) und der Grieche Margaritis Schinas (“Schützen, was Europa ausmacht”). Über dessen Berufung hatte BILD vorab berichtet.
Einen Korrekturhinweis sucht man in dem langen Text vergeblich.
Mit Dank an Jan Niklas S. für den Hinweis!
Korrektur, 13. September: Es sind nicht 27 Kommissarinnen und Kommissare, wie wir zuerst geschrieben haben, sondern 26 Kommissarinnen und Kommissare. Mit Ursula von der Leyen als Präsidentin der Kommission sind es dann 27 Personen.
Wenn die Bild.de-Redaktion auf ihrer Startseite sowas hier schreibt …
… dann könnte man ja fast glauben, dass eine “Grünen-Frau” (gemeint ist offenbar eine Politikerin der Grünen) Luftballons verbieten will. So viel schon mal jetzt: Das ist eine kräftig verzerrte Darstellung.
In der “Neuen Osnabrücker Zeitung” wird die Landesvorsitzende der Grünen in Niedersachsen Anne Kura (das ist bei Bild.de die “Grünen-Frau”) heute so zitiert:
Soll das Steigenlassen von Luftballons verboten werden? Die Grünen in Niedersachsen halten einen entsprechenden Beschluss der nordrhein-westfälischen Stadt Gütersloh für nachahmenswert. “Steigen gelassene Luftballons landen in den allermeisten Fällen in der Natur. Vögel und andere Tiere fressen die weichen Ballonreste und verhungern dann mit vollem Magen. Auch Ballons aus Naturlatex sind deswegen keine wirkliche Alternative”, sagte Grünen-Landeschefin Anne Kura unserer Redaktion. Es sei deshalb “begrüßenswert, dass die Stadt Gütersloh mit gutem Beispiel vorangeht und auf das Steigenlassen von Luftballons verzichtet”, ergänzte sie.
Im Artikeleinstieg bei Bild.de klingt das alles dann schon etwas anders:
Luftballons zur Hochzeit steigen lassen, Deko für Kindergeburtstage oder lustige Tierfiguren — das alles könnte schon bald Geschichte sein.
Zumindest wenn es nach den Willen der Grünen aus Niedersachsen geht. Sie sprechen sich für ein Luftballonverbot aus.
Die Bild.de-Redaktion schafft es, drei Beispiele zu nennen — und mit allen drei danebenzuliegen: Die Grünen aus Niedersachsen fordern kein Verbot für “Luftballons zur Hochzeit”, sie fordern kein Verbot für “Deko bei Kindergeburtstagen” und sie fordern auch kein Verbot von “lustigen Tierfiguren”.
Auf Nachfrage sagt uns ein Sprecher der Partei, dass es Anne Kura ausschließlich um gasgefüllte Luftballons geht, die man in die Natur steigen lässt. In Fußgängerzonen könnten gern weiterhin Dackel oder Affen oder andere Tiere aus Luftballons geknotet werden, ganze Hallen sollen weiter mit Luftballons ausgeschmückt werden — alles kein Problem für die Grünen. Und es gibt noch eine Einschränkung zum vermeintlichen allgemeinen Luftballonverbot: Kura bezieht sich auf eine Entscheidung aus Gütersloh. Diese betraf allerdings nicht private Feste wie Hochzeitsfeiern oder Kindergeburtstage, sondern nur städtische Veranstaltungen (was dann natürlich auch für städtische Kindergärten und Schulen gelten würde). Bei privaten Feiern könnte man weiterhin Luftballons aufhängen, sie zum Platzen bringen oder auch gasgefüllte Ballons steigen lassen.
Statt eines generellen Luftballonverbots fordern die Grünen aus Niedersachsen also ein Verbot* fürs Steigenlassen von gasgefüllten Luftballons bei städtischen Veranstaltungen. Für so viel Differenzierung war nicht nur bei Bild.de kein Platz — indenÜberschriftenvielerandererMedien klingt es ganz ähnlich verzerrt.
Nachtrag, 14:17 Uhr: Bei der Entscheidung in Gütersloh geht es neben städtischen Veranstaltungen auch um private Feiern auf städtischem Gelände.
*Nachtrag, 13. September: Genau genommen fordern die Grünen aus Niedersachsen gar kein Verbot. Die Landesvorsitzende Anne Kura hat gegenüber der “Neuen Osnabrücker Zeitung” lediglich gesagt, dass das (von allen Parteien beschlossene) Verbot im nordrhein-westfälischen Gütersloh begrüßenswert sei. Eine konkrete Forderung nach einem Verbot in Niedersachsen stellte sie hingegen nicht auf.
1. “Weltspiegel”-Streit: Brief an die Intendanten im Wortlaut (dwdl.de, Alexander Krei & Thomas Lückerath)
In der ARD wird diskutiert, den “Weltspiegel” auf einen anderen (ungünstigeren) Sendeplatz zu verlegen. “DWDL” veröffentlicht zwei Schreiben, in denen sich die ARD-“Weltspiegel”-Redaktion und Korrespondentinnen sowie Korrespondenten “gegen die Marginalisierung” der Sendung aussprechen.
2. SWR-Doku: Eine Autorin und ihre Nähe zu Waldorfschulen (ndr.de, Sebastian Asmus, Video: 5:55 Minuten)
Zum hundertjährigen Bestehen der Waldorfschulen hat der SWR zur besten Sendezeit eine weitgehend unkritische und als beschönigend empfundene Doku der Autorin Esther Saoub ausgestrahlt, die, so die Kritik, einer Werbesendung gleichkam. Auch in den “Tagesthemen” erschien ein Beitrag von ihr zum Thema, der als “Werbeunterbrechung” kritisiert wurde. Die Unausgewogenheit ist nicht zufällig: Die Autorin des Films ist eng mit der Waldorf-Welt verbunden, tritt auf Waldorf-Podien auf und war als Waldorf-Festrednerin gebucht — was einer neutralen Berichterstattung im Wege steht, wie auch Volker Lilienthal, Professor für “Praxis des Qualitätsjournalismus” an der Uni Hamburg, feststellt: “Die Autorin Saoub ist ja im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sozialisiert, sie kennt die professionellen Standards, da hätte sie selbst verzichten müssen.”
Weiterer Lesetipp: Waldorf-Dokumentation im SWR: Und nun tanze einen „deskriptiven“ Film (uebermedien.de, Boris Rosenkranz).
3. Eine Radtour mit dem Chefredakteur (deutschlandfunk.de, Vera Linß, Audio: 5:27 Minuten)
Der Chefredakteur des “Tagesspiegel” Lorenz Maroldt ist unter anderem für seinen Berlin-Newsletter “Checkpoint” bekannt. Und für seine ungewöhnlichen Aktionen zur Leserbindung und Leserbetreuung. Das aktuellste Projekt: eine gemeinsame Radtour durch Berlin. Vera Linß war für den Deutschlandfunk dabei.
4. Vollehalle, Gala und eine Party! Am Freitag feiern wir Geburtstag (netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Netzpolitik.org feiert am Freitag seinen 15. Geburtstag mit einer Konferenz in der Berliner Volksbühne und einer anschließenden Party. Als ebenfalls 15-Jährige gratuliert das BILDblog-Team und wünscht den Kolleginnen und Kollegen alles Gute für die nächsten 15 Jahre.
Weiterer Lesetipp: Interview mit Markus Beckedahl, dem Gründer der Plattform: “Man darf nicht gleich den Untergang der Demokratie verkünden” (spiegel.de, Judith Horchert).
5. Mit zwölf Schritten in die Verschwörungsgalaxie (spiegel.de, Sascha Lobo)
Warum lassen sich Menschen auf Verschwörungstheorien ein? Sascha Lobo hat die Entwicklung zum Verschwörungstheoretiker in zwölf Phasen unterteilt: Von der Sinnsuche bis zum kompletten Persönlichkeitsumbau, der eine normale Diskussion unmöglich mache: “Wer solche Verschwörungsweltbilder als Teil seiner neuen Persönlichkeit verinnerlicht hat, sieht in jedem Diskussionsversuch über die Verschwörungstheorie zwingend einen Angriff auf die eigene Person.”
6. Das ist eine Grenzüberschreitung. (twitter.com/florianklenk)
Als BILDblog-Kurator hat man schon einiges an Schmutz gesehen und müsste entsprechend abgehärtet sein. Aber hier gerate auch ich an meine Grenzen: Was ein Kolumnist der größten österreichischen Tageszeitung “Krone” über den “Falter”-Chef Florian Klenk schreibt, ist von besonderer Widerwärtigkeit.
Wer die Zeile “Von guten Mächten wunderbar geborgen” googelt, dem wird in den Ergebnissen ganz oben angezeigt: “Von guten Mächten”, Lied von Glashaus, verfügbar bei Spotify, Deezer und Google Play Music. Soso.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig fügte einem Video, in dem sie gestern ankündigte, ihre Parteiämter auf Bundesebene (und nicht alle Ämter, wie Bild.de zwischenzeitlich behauptete) wegen einer Krebserkrankung niederzulegen, eben dieses Zitat bei: “Von guten Mächten wunderbar geborgen…” Darauf vertraue sie.
Die “Bild”-Zeitung vertraut dagegen aufs erste Google-Ergebnis. Der Redaktion zufolge zitiert Schwesig nämlich die Pop-Gruppe Glashaus:
Tatsächlich aber stammt diese Zeile nicht von einer Pop-Band, sondern vom Theologen und Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime Dietrich Bonhoeffer, der das dazugehörige Gedicht in der Vorweihnachtszeit 1944 schrieb, wie man etwa in der Bonhoeffer-Biografie des Theologen Wolfgang Huber nachlesen kann. Bonhoeffer verfasste den Text während seiner Gefangenschaft im Gestapo-Gefängnis in Berlin und fügte ihn einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer an.
Es sollte sein letztes Gedicht sein, das der Nachwelt erhalten blieb. Und wohl auch das berühmteste. In Ermangelung einer Überschrift wurde es erst mit dem Titel “Neujahr 1945” veröffentlicht, später ging es dann mit dem Titel “Von guten Mächten” um die Welt, so Biograf Huber. Wenig später, am 9. April 1945, wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg erhängt — auf direkten Befehl Hitlers, alle Mitverschwörer des Attentats vom 20. Juli 1944 hinzurichten, zu denen die Nazis auch Bonhoeffer zählten.
Heute kennen viele Bonhoeffers letztes Gedicht aus der evangelischen Kirche, wo es sich, unter anderem vertont von Siegfried Fietz, großer Beliebtheit erfreut. Die von “Bild” erwähnte Band Glashaus hat Bonhoeffers Werk 2009 recht schmalzig interpretiert.
Es wäre wahrlich nicht schwer gewesen herauszufinden, wer der wirkliche Urheber der Worte ist, die Manuela Schwesig gestern twitterte. Eine Alternative zum Runterscrollen bei den Google-Ergebnissen hätte übrigens ein kurzer Blick ins “Bild”-Archiv sein können: Erst vor drei Monaten berichtete die Redaktion über einen Tweet des thüringischen CDU-Landeschefs Mike Mohring, in dem dieser dieselben Worte Bonhoeffers zitierte — diesmal aber richtig eingeordnet durch das “Bild”-Team.
1. “Gleich 3 gigantische Asteroiden rasen auf die Erde zu” und anderer Wissenschaftsclickbait bei Futurezone.de (Schlechte Schlagzeilen Folge 25) (scienceblogs.de/astrodicticum-simplex, Florian Freistetter)
Wissenschaftsautor und Astronom Florian Freistetter ärgert sich über die reißerische Berichterstattung des Portals Futurezone.de zu angeblich bevorstehenden Asteroideneinschlägen und anderen angeblichen Bedrohungen aus dem All: “Ich weiß nicht, wie solche Artikel zustande kommen. Vermutlich war irgendwer der Meinung, man bräuchte mal wieder ein paar Klicks und was geht da besser als potentieller Weltuntergang… Mit irgendeiner seriösen Form von Wissenschaftsjournalismus hat das absolut nichts zu tun.”
2. Wikipedia erhält Millionenspende für IT-Sicherheit (spiegel.de)
Vergangenen Freitag kam es zu einem Hackerangriff auf Wikipedia, die deutsche Seite war für mehrere Stunden nicht erreichbar. Der Gründer des Anzeigenportals “Craigs List” und Mäzen Craig Newmark hat dem Online-Lexikon nun 2,5 Millionen Dollar gespendet, die der Sicherheit der Plattform zugutekommen sollen.
3. Kein Thema (kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Der Bahnkritiker und Stuttgart-21-Experte Arno Luik hat ein Buch über die Deutsche Bahn (“Schaden in der Oberleitung”) verfasst, das viel mediale Aufmerksamkeit erfährt. Nur in Stuttgart wolle man sich nicht so recht für das Thema interessieren. Anna Hunger erklärt, warum Luik und dessen Buch in den Stuttgarter Zeitungen nicht stattfänden.
4. Prozess um lebendige Geister (sueddeutsche.de, Wolfgang Janisch)
Der Streit zwischen Ex-Bundesrichter und Kolumnist Thomas Fischer und der “taz”-Journalistin Gaby Mayr über Fischers Kommentierung des Strafrechtsparagraphen 219a (“Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft”) ist mittlerweile beim Landgericht Karlsruhe gelandet. Dort wird man sich unter anderem mit der Grenzziehung zwischen bloßen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen beschäftigen.
Weiterer Lesetipp dazu: Ist der “Schlamperei”-Vorwurf eine Tatsachenbehauptung? (lto.de, Christian Rath).
5. Joko Winterscheidt und G+J verabschieden sich von “JWD”: “Glauben Sie mir, es fällt uns allen nicht leicht” (meedia.de, Gregory Lipinski)
Gruner + Jahr stellt das Magazin “JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis” zum Jahresende ein. “Meedia” hat mit Moderator Winterscheidt und dem G+J-Verantwortlichen Frank Thomsen über die Gründe gesprochen. Das ist insofern interessant, als es gleich zwei Segmente betrifft: das der Männermagazine und das der Personality- und Testimonial-Postillen à la “Barbara”.
6. Gute-Laune-Gesetze (journalist-magazin.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Die Floskel-Spezialisten Sebastian Pertsch und Udo Stiehl beschäftigen sich mit den beschönigenden Umschreibungen, mit denen Politiker und Politikerinnen neuerdings ihre Gesetze versehen: “Sollte es bald zu einem Geile-Soldaten-Gesetz, Super-Schnelles-Internet-Abkommen oder Klima-Nein-Danke-Erlass kommen, wäre etwas mehr Widerstand gegen die politisch motivierten Tarnungen begrüßenswert. Aufgabe des Journalismus ist nicht, PR-Sprüche aus der Politik zu wiederholen.”
1. Darüber spricht der Bundestag (zeit.de, Kai Biermann, Paul Blickle, Ron Drongowski, Elena Erdmann, Flavio Gortana, Alicia Lindhoff, Christopher Möller, Christoph Rauscher, Stephan Scheying, Michael Schlieben, Julian Stahnke, Julius Tröger & Sascha Venohr)
“Zeit Online” hat alle Bundestagsreden seit 1949 grafisch analysierbar gemacht. So lässt sich zu jedem Suchbegriff beziehungsweise Schlüsselwort visualisieren, wann und wie oft er im Parlament erwähnt wurde. Ein tolles Werk- und Spielzeug zugleich.
2. Game of Phones (journalist-magazin.de, Richard Gutjahr)
Richard Gutjahr hat einen lesenswerten Beitrag über die Zukunft des Journalismus verfasst. Man müsse realisieren, dass das Smartphone als Medium gewonnen habe und die Textform auch zukünftig weiter von Bewegtbild verdrängt werde: “In diesem laufenden Game of Phones wird uns daher nichts anderes übrigbleiben, uns selbst ein Stück weit als Smartphone zu begreifen, das alle paar Monate ein Update verlangt. Wir werden uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wir — wie sehr wir uns auch anstrengen — niemals im gelobten Neuland ankommen werden. Dass wir den Prozess der digitalen Transformation nicht gegen, sondern nur mit dem Publikum meistern können. Dass nicht die abstrakte Marke unser Ticket in die Zukunft ist, sondern das Individuum, jeder User, jeder Mitarbeiter. Dass 5G und der damit wachsende Hunger nach Videos letztlich auch nur ein Vehikel sein wird für das eigentliche Produkt, für das es mehr denn je zu kämpfen lohnt: Vertrauen.”
4. Große Halle, kleiner Mut (taz.de, Peter Weissenburger)
Bei Angela Merkels Besuch in Peking wollte die chinesische Regierung anscheinend einigen deutschen Journalisten den Zugang zu einer Pressekonferenz der Kanzlerin verwehren. Die “Irritationen” konnten jedoch geklärt werden. “Alle deutschen Journalisten, die an der Willkommenszeremonie teilgenommen haben, erhielten letztlich auch Zugang zur Pressekonferenz”, so der Regierungssprecher.
5. US-Staaten eröffnen Kartellverfahren gegen Google und Facebook (netzpolitik.org, Alexander Fanta)
US-amerikanische Behörden ermitteln gegen Tech-Unternehmen wie Google und Facebook wegen diverser Wettbewerbsverletzungen. Dabei geht es also nicht um Datenschutzverstöße, die in der Vergangenheit im Fall von Facebook bereits mit einer Strafzahlung von fünf Milliarden Dollar geahndet wurden, sondern ausdrücklich um die Marktdominanz der Unternehmen.
6. An Peinlichkeit kaum zu übertreffen (deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Arno Orzessek hat sich angeschaut, wie die Youtube-Community auf das erste Propagandafilmchen der CSU (“CSYou”) reagiert: “Sie lästern derart ab, und zwar tausendfach, dass schon jetzt feststeht: Begreift man “CSYou” als psychohygienische Müllhalde der Netz-Junkies, ist es ein unübertroffener Erfolg.”
Zur Berichterstattung der “Bild”-Medien über einen ehemaligen Fußballprofi, der per WhatsApp Fotos verschickt haben soll, die den Missbrauch von Kindern zeigen, gab es nichtnurvon unsKritik. Nun hat sich “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt zu dieser Kritik im Deutschlandfunk geäußert. Und er kann — Überraschung! — keinerlei Fehlerverhalten seiner Redaktion erkennen.
An einer Stelle des Interviews fragt Moderatorin Brigitte Baetz den “Bild”-Chef:
Der “Bildblog” schreibt aber quasi, dass Sie die eigene Berichterstattung erst initiiert haben, indem Sie sich an die Hamburger Polizei gewandt haben. Was würden Sie dazu sagen?
Reichelt antwortet:
Dazu müssen Sie den “Bildblog” fragen, wie sie auf diese Interpretation kommen und wie, das würde mich dann interessieren, “Bildblog” verfahren würde, wenn sie, wie gesagt, in einem grundsätzlich gelagerten Fall Kenntnis von möglichen schwersten Straftaten erlangen, ob sie das dann für sich behalten, was ich bei “Bildblog” durchaus für möglich halte, oder ob sie das der Polizei mitteilen würden.
Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie Julian Reichelt darauf kommt, dass wir es für uns behalten würden, wenn wir “Kenntnis von möglichen schwersten Straftaten erlangen” würden. Aber weil es ihn so “interessiert”: Natürlich würden wir das der Polizei melden.
Was wir hingegen nicht machen würden: dem Verdächtigen mit einer Armada aus Reportern, Fotografen und Kameramännern auflauern; den Fall bis ins Letzte ausschlachten; Sätze schreiben wie “Warum sind die Ermittler so sicher, dass [M.] über kinderpornografische Fotos verfügt?”, wenn überhaupt noch nichts sicher zu sein scheint; mehrere Fotos abdrucken, die den Verdächtigen mit Gruppen von Kindern und Jugendlichen zeigen, obwohl diese Aufnahmen nichts mit dem Fall zu tun haben; riesengroß und in einer Art und Weise berichten, dass der Verdächtige — wenn sich später seine Unschuld herausstellen sollte — künftig keine Chance mehr auf ein normales Leben haben dürfte; oder den Anfangsverdacht und die Ermittlungen, zu denen die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, so in Szene setzen, dass bei der Leserschaft letztlich kein anderer Gedanken entstehen kann als: “Der hat doch Dreck am Stecken”. Denn auch der Bundesgerichtshof warnt:
Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende (…) Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf “etwas hängenbleibt”
1. Killt BILD? (diekolumnisten.de, Heinrich Schmitz)
Der Jurist Heinrich Schmitz hat sich die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über ein Ermittlungsverfahren gegen einen früheren Fußballnationalspieler angeschaut. Seine rechtliche wie moralische Bewertung: “An Unverfrorenheit ist die Berichterstattung der BILD in diesem Verfahren kaum zu überbieten. Nicht nur, dass sie selbst ein Ermittlungsverfahren initiiert und dann zunächst exklusiv darüber berichtet, nein, irgendjemand innerhalb der Ermittlungsbehörden gibt der BILD auch noch Informationen, die dazu führen, dass der Verdächtige nicht nur von Kriminalbeamten, sondern auch gleich von ein paar BILD-Reportern aufgesucht und fotografiert wird. Das hat mit seriöser Berichterstattung nichts mehr zu tun, das ist ein medialer Pranger.”
Weitere Lesetipps: Der Fall [M.] zeigt, wie sehr die “Bild” auf den Rechtsstaat scheißt (vice.com, Juri Sternburg) sowie Sorgfalt bei Verdacht (taz.de, Christian Rath).
2. “profil”: Kurz-Biografin mit geschönten Referenzen (profil.at)
Diese Woche erscheint das Buch “Sebastian Kurz: Die offizielle Biografie”. Geschrieben hat es Judith Grohmann, die in ihrem Lebenslauf behaupte, “die jüngste Investigativ-Journalistin und Schlussredakteurin Österreichs” gewesen zu sein: “Mit 17 ging sie zum Herausgeber des bekanntesten österreichischen Enthüllungs- und Nachrichtenmagazins profil und bot ihm an, für ihn als Investigativ-Journalistin zu arbeiten. Zwei Monate später bot ihr der selbe (sic!) Herausgeber an, neben ihrer Tätigkeit als Journalistin auch als Chefin vom Dienst für profil zu arbeiten.” Das Nachrichtenmagazin sieht das jedoch etwas anders: “Judith Grohmann dürfte 1985 zwar vorübergehend bei profil tätig gewesen sein, mit Sicherheit aber nicht als Redakteurin, geschweige denn als Chefin vom Dienst. Ihr Name scheint in keinem Impressum auf.”
3. Fünf Gründe warum Podcasts kein Geld verdienen (jedenfalls nicht einfach so) (dirkvongehlen.de)
Seth Godin ist ein US-amerikanischer Autor und Unternehmer, der vor allem zu Internet- und Marketing-Themen schreibt. Aktuell beschäftigt er sich mit dem Thema Podcasting. Dirk von Gehlen hat einige von Godins Kernaussagen zusammengefasst — interessante Denkanstöße für Podcast-Hörende, Podcast-Machende und Podcast-Vermarktende.
4. Mit dem Zweiten wirbt man besser (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Jan Böhmermann bewirbt sich, bislang erfolglos, um den SPD-Vorsitz und nutzt dafür auch die mediale Kraft seiner ZDF-Sendung “Neo Magazin Royale”. “Das ist nicht in Ordnung”, findet Joachim Huber im “Tagesspiegel”: “Schon im Mitarbeiterkodex des ZDF heißt es: “Der Status eines ZDF-Mitarbeiters darf nicht dazu genutzt werden, sich individuelle private Vorteile zu verschaffen.” Genau das tut Böhmermann, noch dazu großzügig bezahlt mit Rundfunkbeiträgen.”
5. Das ausbeuterische Geschäftsmodell der großen Wissenschaftsverlage (krautreporter.de, Bent Freiwald)
Die drei größten wissenschaftlichen Verlage der Welt Elsevier, Springer (hat nichts mit dem hier häufiger thematisierten Axel-Springer-Verlag zu tun) und Wiley haben ein lukratives Geschäftsmodell zur Vermarktung von wissenschaftlichen Publikationen entwickelt, das ihnen traumhafte Renditen beschert. Mittlerweile wehren sich Bibliotheken, Unis und Institute gegen die hohen Preise der Monopolisten. Bent Freiwald erklärt das zu Lasten der Allgemeinheit gehende Geschäftsmodell. Er vergleicht es mit der fiktiven Vermarktung von Straßen, die sich wohl keiner gefallen lassen würde: “Das Bauunternehmen bezahlt seine Mitarbeiter:innen nicht, sondern berechnet ihnen eine Gebühr dafür, dass sie die Straße bauen dürfen. Die Bauaufsicht, die dafür verantwortlich ist, dass die Straße den Standards entspricht, wird auch nicht bezahlt. Und wenn du über die fertige Straße fahren willst, musst du ein teures Jahresabonnement abschließen oder 30 Euro Gebühren für eine einmalige Fahrt zahlen — obwohl die Straße von deinem Geld gebaut wurde.”
6. Ein Kreuzfahrt-Werbefilmchen im Nachmittagsprogramm (dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff ist ein begeisterter Zuschauer der Nachmittags-Kreuzfahrt-Serie “Verrückt nach Meer” im Ersten: “Weil es so komplett unterfordernd ist, so einfältig, so billig, so seicht.” Hoff hat einen wunderbaren Rant auf das Format verfasst: “Wäre ich Kreuzfahrtveranstalter, ich würde mir umgehend die Rechte an dieser Reihe sichern. Besseres Werbematerial gibt es nicht. So kritikloses, so blutleeres, so profilloses Fernsehen mit einem derartigen Werbepotenzial muss man sonst lange suchen.”