Archiv für Januar, 2018

“Kika”-Doku, AfD-Medienverhalten, Polit-Psychiatrisierung

1. Malvina, Diaa und der Hass
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Im öffentlich-rechtlichen Kinderkanal “Kika” lief Ende November eine Dokumentation über eine junge Liebe, bei der zwei Weltsichten aufeinanderprallen: Malvina ist Deutsche und Christin; ihr Freund Diaa kommt aus Syrien und ist Moslem. Darüber ist nun mediale Aufregung entstanden, die sich vordergründig am Alter der Protagonisten festmacht. Boris Rosenkranz berichtet über den aus dem Ruder gelaufenen Fall, bei dem auch der “Kika” nicht immer gut aussieht. Weitere Lesetipps: “Kika ändert Alter eines Flüchtlings in einer Doku — na und?” (Björn Vahle, “Neue Westfälische”) und “Sinnliche Aufklärung” (Martin Kaul, “taz”).

2. Wer ist der echte Steve Bannon?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Lange Zeit spielte der rechtsnationalistische Vordenker und Meinungsmacher Steve Bannon eine wichtige Rolle als Trumps Einflüsterer und Chef der rechten Nachrichtenseite “Breitbart”. Doch in letzter Zeit läuft es nicht gut für den Mann. Zunächst verlor er seinen Job im Weißen Haus, nun auch den bei “Breitbart”. Auf Twitter gibt es immer wieder Verwirrung um echte und vermeintliche Bannon-Zitate, was an einigen Satire-Accounts und einem Namensvetter liegt. Und an Medien, die nicht genau hinschauen, wen und was sie da zitieren.

3. Mit den Medien und gegen die Medien
(de.ejo-online.eu, Linards Udris, Daniel Vogler & Jens Lucht)
In einer Studie wurden die Inhalte der und die Resonanz auf die Facebook-Kommunikation der wichtigsten deutschen Parteien vor der Bundestagswahl 2017 untersucht. Auffällig sei die Kommunikation der AfD, die sich in fast der Hälfte ihrer Beiträge auf die Medien bezogen habe. Was den Umgang mit Medien angeht, sei sie ein Sonderfall: Nur sie bewirtschafte Themen zusammen “mit den Medien” und stelle sich gleichzeitig auch “gegen die Medien”.

4. Presserat verzeichnet rekordhohe Zahl an Beschwerden
(nzz.ch)
Beim Schweizer Presserat sind 2017 insgesamt 127 Beschwerden eingegangen, deutlich mehr als in den Vorjahren, in denen die Zahl bei durchschnittlich 80 Beschwerden lag. Das Verfahren vor dem Presserat ist für Privatpersonen kostenlos. Neuerdings will man jedoch Beschwerdeführern, die sich anwaltlich vertreten lassen, sowie Organisationen, Unternehmen und Institutionen eine Gebühr von 1000 Franken auferlegen.

5. Die Debatte um das NetzDG ist unsachlich
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Rechtsanwalt Thomas Stadler verteidigt das NetzDG trotz bestehender Schwächen in der Gesetzesumsetzung. Den vielfach gehörten Vorwurf der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung lässt er nicht gelten: “Die Strafjustiz wird außerdem niemals in der Lage sein, Millionen strafbarer Einzelinhalte zu verfolgen und schon gar nicht zeitnah. Wer also rechtswidrige Inhalte aus dem Netz bekommen will, muss den Plattformbetreibern entsprechende Pflichten auferlegen. Hierzu gibt es keine praktikable Alternative.” Der Gesetzgeber dürfe jedoch nicht allzu leichtfertig die fälschliche Löschung von rechtmäßigen Inhalten durch sogenanntes “Overblocking” in Kauf nehmen, weil dies die Meinungs- und Informationsfreiheit beeinträchtige.

6. “Hoffnung nach kollektiver Entlastung”
(detektor.fm, Christian Erll, Audio, 7:27 Min.)
Schon lange wird über die Zurechnungsfähigkeit des US-amerikanischen Präsidenten debattiert. Das Trump-Enthüllungsbuch “Fire & Fury” von Michael Wolff sorgt nun dafür, dass die Frage immer lauter gestellt wird. Detektor.fm hat mit “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm über die “Psychiatrisierung der Politik” gesprochen und mit ihr diskutiert, warum eine derartige Diskussion auch Gefahren birgt.

Das Heimtückische am Rassismus ist nicht Absicht, sondern Ignoranz

Ist das wirklich wahr? Ist das wirklich das Niveau, auf dem wir in Deutschland über Rassismus diskutieren? Können wir da bitte irgendwann mal einen Schritt weiter gehen, oder es zumindest versuchen?

Das eigentliche Problem, das wir in Deutschland mit Rassismus haben, sind die Rassismusvorwürfe — das zumindest ist der Eindruck, wenn man sich weite Teile der medialen Diskussion über die schwedische Modekette H&M anschaut, die einen schwarzen Jungen fotografiert hat mit einem Kapuzenpulli, auf dem steht: “Coolest Monkey in the Jungle”.

Kolumne Politically Correct

Auf die Spitze treibt es Oliver Rasche, der in der “Welt” und bei Welt.de kundtut:

Screenshot Welt.de - Das Empörende ist der Rassismus-Aufschrei

Dem Kommentar des Autors liegt ein Verständnis von Rassismus zugrunde, nach dem es in Deutschland quasi keinen Rassismus gibt.

Da in der “Welt” Leute über Rassismus schreiben dürfen, die sich offenbar noch nie damit beschäftigt haben, hier ein kleiner kostenloser Einsteigerkurs:

Regel 1: NEIN, Rassismus ist nicht nur da, wo er beabsichtigt ist.

Rasche schreibt:

Wem ist eigentlich damit geholfen, wenn überall immer sofort Rassismus, Sexismus, Angriff vermutet wird?

All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den sogenannten “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.

Niemand vermutet in dem Pullover-Foto einen “Angriff”. Es geht darum, dass ein rassistischer Zusammenhang übersehen wurde. Das Heimtückische an Rassismus ist nicht die Absicht, sondern die Unabsicht, die Ignoranz. Die Frage ist nicht: Warum hat H&M das gemacht? Sondern: Warum ist es ihnen nicht aufgefallen?

Regel 2: NEIN, das Problem sind nicht die, die sensibel sind.

Wieso wird bei vielen Menschen überhaupt ganz offenbar sofort diese Assoziation hervorgerufen? Und diejenigen, die zunächst kein Problem in dem Bild erkennen konnten; sind die völlig unsensibel — oder einfach unvoreingenommen und damit viel weiter im Bestreben, rassistischen Vorurteilen entgegenzuwirken?

Weiß der Autor das wirklich nicht? Hat er wirklich gar keine Ahnung, warum bei manchen Menschen “sofort diese Assoziation hervorgerufen” wird? Rasche tut hier so, als sei “diese Assoziation” völlig aus der Luft gegriffen, ja er deutet sogar an, dass die, denen sie kommt, das eigentliche unreflektierte Rassismusproblem haben. Ernsthaft? Nie gehört etwa von der Tradition der Menschenzoos, in denen ab Ende des 19. Jahrhunderts in Europa schwarze Menschen wie wilde Tiere zur Schau gestellt wurden? Nie mitbekommen, dass alles rund um das Bild des Affen auch heute noch eine der gängigsten Beleidigungen ist? Nie was davon gelesen, dass schwarze Fußballer mit Affengeräuschen im Stadion konfrontiert werden, ja manche von ihnen sogar mit Bananen beworfen wurden? Ist die Frage wirklich, wie man auf “diese Assoziation” kommen kann? Oder nicht vielleicht doch, wie man nicht darauf kommen kann, wie man auf die Idee kommen kann, einen schwarzen Jungen mit einem solchen Pulli für eine Werbung zu fotografieren?

Regel 3: NEIN, nicht die Problematisierer sind das Problem.

Rasche schreibt weiter:

Sagt die Problematisierung nicht auch eine Menge über die Problematisierer aus?

Rasche tut so, als werde das “Problem” erst durch die erzeugt, die darauf hinweisen. Damit macht er jene, die aus der Perspektive der Opfer argumentieren, zu Tätern — und die Täter zu deren Opfern. Wie auch bei dieser Schussfolgerung:

Vorwerfen kann man den Schweden allerdings weniger, dass sie offenbar kein Problem darin gesehen haben, ein Kind in einen flapsig bedruckten Pullover gesteckt zu haben — nein, vorwerfen kann man dem Modehaus höchstens, dass es das Erregungspotenzial in einem komplett digitalisierten und von sozialen Medien dominierten 2018 völlig unterschätzt hat.

Hier: das Erregungspotenzial eines entfesselten Onlinemobs. Dort: Flapsigkeit.

Regel 4: NEIN, Rassismus ist nicht nur das Problem der anderen.

Rasche schreibt:

Hilft man schwarzen Menschen, wenn man sie in solchen Fällen zwangsweise zu Opfern macht? (…)

Dabei findet Rassismus statt, zieht seine ekligen, braunen Kreise inzwischen bis in das höchste deutsche Parlament. Das gilt es zu ächten und zurückzudrängen, da ist leider mehr als genug zu tun.

Das Gefährliche am Rassismus ist, dass er im Alltag stattfindet. Dass Gefährliche am Rassismus ist, dass er nicht laut “Rassismus” schreit, wenn er um die Ecke kommt. Nach der Definition von Rasche gibt es entweder keinen Alltagsrassismus, oder er ist weiter kein Problem: Jeder, der nicht “in ekligen, braunen Kreisen” verkehrt, ist fein raus. Das ist ein Freibrief für den täglichen Rassismus, weil er die, die sich gegen ihn wehren, zu Simulanten erklärt.

NetzDG-Bumerang, Seitenwechsel, Schmutziger Türkei-Deal?

1. Das #NetzDG: Ein Bumerang für Heiko Maas
(wolfgangmichal.de)
Als einen Bumerang für Heiko Maas bezeichnet Wolfgang Michal das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das NetzDG stehe in der Tradition der Republikschutzgesetze von Weimar und richte sich eindeutig gegen rechts. Doch eine der vielen Lehren aus Weimar sei: “Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht.” Dem NetzDG könne eine ähnliche Entwicklung blühen wie dem Republikschutzgesetz: “Denn nicht immer wird der verantwortliche Minister Heiko Maas heißen und “eine Strategie gegen rechts” im Sinn haben. Irgendwann könnte “der Schutz der Republik” auch in den Händen eines AfD-Ministers liegen.”
Weiterer Lesetipp: Der Beitrag “Das überschätzte Recht” von “FAZ”-Redakteur und Jurist Hendrik Wieduwilt.

2. Europas öffentlicher Rundfunk unter Beschuss
(ndr.de, Kathrin Drehkopf, Caroline Schmidt & Jonas Schreijäg)
Mit dem Anwachsen populistischer Bewegungen in Europa wächst auch der Druck auf öffentlich-rechtliche Medien. Kathrin Drehkopf, Caroline Schmidt und Jonas Schreijäg haben in ganz Europa Rundfunkanstalten und deren Gegner besucht und ergründet, wie die verschiedenen Sender mit der Kritik umgehen. Im verlinkten Beitrag gibt es eine Übersicht ihrer ersten Eindrücke. Mehr davon dann bei “Zapp” am heutigen Mittwoch um 23:15 Uhr im NDR und später in der NDR-Mediathek.

3. In eigener Sache
(silkeburmester.de)
“Widerstand gebrochen, ich arbeite jetzt für @axelspringer”, twittert die Journalistin und frühere “taz”-Kolumnistin (“Die Kriegsreporterin”) Silke Burmester, die den Springer-Verlag stets als “Druckwerkstatt des Teufels” verdammt hatte. In einer Stellungnahme erklärt sie die Gründe für den Wechsel. Gründe, von denen sie ahnt, dass sie nicht jeder akzeptieren wird: “Deswegen steht es jedem frei, von mir enttäuscht zu sein oder mich nun richtig blöd zu finden. Das ist okay, das ist Euer, das ist Ihr Recht. Es ginge mir im umgekehrten Fall sicherlich kaum anders.”

4. Gibt es einen schmutzigen Deal?
(faktenfinder.tagesschau.de, Arnd Henze)
Ist die Freilassung des “Welt”-Journalisten Deniz Yücel an Rüstungsexporte in die Türkei gebunden, wie man Äußerungen von Außenminister Sigmar Gabriel entnehmen kann? Was hat der Minister tatsächlich gesagt? Wie ist es interpretiert worden? Wie überzeugend sind seine späteren Dementis und Erklärungen? Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio sortiert und kommentiert den Vorgang.

5. „Keine Sau beschwert sich“
(taz.de, Svenja Bergt)
Max Schrems erlangte Berühmtheit, als er von Facebook die Herausgabe seiner Daten erzwang und das EU-US-Abkommen “Safe Harbor” vor dem Europäischen Gerichtshof kippte. Im Gespräch mit der “taz” spricht der Datenschutzaktivist über seine crowdgefundete NGO, mit der er ab Mai allzu datensüchtige Unternehmen verklagen will. Zu diesem Zeitpunkt startet nämlich die “europäische Datenschutz-Grundverordnung”.

6. Michael Wolff: You Should Believe All Of “Fire And Fury”
(youtube.com, Stephen Colbert, Video, 9:19 Minuten)
Der US-amerikanische Satiriker Stephen Colbert hat mit Michael Wolff gesprochen, dem Autor des Donald-Trump-Enthüllungsbuchs “Fire and Fury”. Auf die Frage angesprochen, wie viel Dichtung und wie viel Wahrheit das Buch enthalte, entgegnet der hinsichtlich seiner Arbeitsmethoden nicht unumstrittene Wolff: “You should believe all of it.”

Weiterer Lesetipp: “Fakten oder Fiktion”, ein Fünf-Punkte-Faktencheck von “Spiegel Online”.

“Wer stoppt die verdammten Gaffer?” Bild.de auf jeden Fall nicht!

So sieht Heuchelei aus:

Screenshot Bild.de - Dreiste Schaulustige - Wer stoppt die verdammten Gaffer?

Gaffer seien “einfach die Pest”, heißt es in dem Artikel, den die Bild.de-Redaktion in ihrem überzeugten aufklärerischen Kampf gegen fotografierende und filmende Schaulustige blöderweise hinter der Paywall versteckt hat:

Sie glotzen, sie machen Selfies, sie behindern Rettungskräfte: Gaffer sind einfach die Pest! Doch was tun? BILD sucht Antworten (…)

Sie fotografieren und filmen Unfälle, statt Platz für die Helfer zu machen. Sie demütigen Opfer und Angehörige. Was hilft gegen sie?

Auf die Fragen, was gegen die schrecklichen Gaffer hilft und wer sie stoppen kann, haben auch wir keine endgültigen Antworten. Wir wissen aber, wer sie ganz sicher nicht stoppen wird: Redaktionen, die genau diese Gaffer durch das Versprechen von “bis zu 250 Euro” dazu verleiten, bei Unfällen stehenzubleiben, das Smartphone draufzuhalten und ein bisschen abzukassieren. Allen voran: Bild.de.

Screenshot Bild.de - Werden auch Sie zum Leser-Reporter! Haben Sie etwas fotografiert, das Bild drucken oder Bild.de veröffentlichen soll? Egal ob lustig, spektakulär, spannend oder kurios, die 1414-Redaktion will Ihr exklusives Foto und zahlt bis zu 250 Euro. Zum Upload-Formular - Verdienen Sie mit Ihrem Foto bis zu 250 Euro

Hier nur eine kleine Auswahl von dem, was da so reinkommt und bei Bild.de veröffentlicht wird:

Collage mit Screenshots von Bild.de-Artikeln, die auf Leserreporter-Aufnahmen von Unfällen beruhen

Wirklich ernsthaft haben die Freiwillige Feuerwehr Osnabrück, der “Bürgerverein Wüste” sowie die Filmemacher der “Blickfänger GbR” etwas gegen Gaffer unternommen. Sie haben ein Video zum Thema produziert, das in den vergangenen Tagen häufig angeschaut wurde:

Auch Bild.de hat über “dieses Schock-Video” aus Osnabrück berichtet, das “Gaffer abschrecken” solle. Es tauchte sogar auf der Startseite des Portals auf. Direkt darüber und deutlich größer ein anderes Video: “Augenzeuge filmt Mega-Karambolage mit 40 Autos”:

Screenshot von der Bild.de-Startseite, der die zwei Video übereinander zeigt

Dazu auch:

Mit Dank an Martin G., Patrick B. und @igwigg für die Hinweise!

YouTube-Löschwelle, Werben gegen Asyl, Fehlergeständnisse

1. Neues aus dem Fernsehrat (20): Drohende Löschwelle öffentlich-rechtlicher Inhalte bei YouTube
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Leonhard Dobusch vertritt seit Mitte 2016 den Bereich “Internet” im ZDF-Fernsehrat. In einer Serie bei netzpolitik.org berichtet er fortlaufend von den Sitzungen des Rats. Im jüngsten Plenum ging es um das Thema Depublizierung und die damit verbundenen Fristen. Vor allem das Löschen von öffentlich-rechtlichen Inhalten auf YouTube reiße Löcher ins digitalkulturelle Erbe: “Gerade durch den Umstand, dass YouTube eben auch ein soziales Netzwerk und eine Suchmaschine ist, sind Löschungen dort noch folgenreicher als es die Depublizierung von Inhalten in den Videosilos öffentlich-rechtlicher Mediatheken ist.”

2. Was Social-Media-Experten von 2018 erwarten
(joca.me, Jörgen Camrath)
Was erwartet uns 2018 im Bereich der Sozialen Medien? Jörgen Camrath hat einige Social-Media-Experten befragt, darunter Verantwortliche von t3n.de, derStandard.at, Bild.de, „Bento“, codastory.com, dem “Media Lab Bayern” und weitere Journalisten. Wichtige Stichpunkte sind das Verhältnis von Publishern und Facebook, der Kampf um Reichweite, das Thema Netzneutralität, die Regulierung der großen Plattformen und das Verschwinden des Journalismus hinter Bezahlschranken.

3. Werben gegen Asyl
(fluechtlingsforschung.net, Nerges Azizi & Dana Schmalz)
Das “Netzwerk Flüchtlingsforschung” hat sich die Kampagne “Rumours about Germany” angeschaut, mit der das Auswärtige Amt über die Möglichkeiten informieren will, in Deutschland Schutz zu erhalten. Aus Sicht der Autorinnen geschieht dies auf eine kritikwürdige, da unausgewogene Weise: “Eine ausgewogene Information würde Migranten und Asylsuchende nicht nur über Gefahren und mögliche Widrigkeiten, sondern auch über ihre Rechte aufklären. Doch solche Fakten kommen in der Aufklärungskampagne des Auswärtigen Amts praktisch nicht vor.”

4. Wie Internetsperre und Zensur funktionieren
(br.de, Patrizia Kramliczek)
Der Iran und andere Staaten zensieren immer wieder die Online-Kommunikation und blockieren den Zugang zu bestimmten Internetseiten. Wie funktioniert das und wie kann man dem entgehen? Patrizia Kramliczek erklärt Vorgehensweise und Ausweichmöglichkeiten. Dabei geht es auch um hochentwickelte Technologie, deren Export die EU in Zukunft besser regulieren will.

5. Was hat die #metoo-Debatte in den Redaktionen ausgelöst?
(journalist-magazin.de)
Was hat #MeToo in den Redaktionen ausgelöst? Das Medienmagazin “journalist” hat vier leitende Journalistinnen gefragt, wie sie und ihre Redaktionen mit der #MeToo-Debatte umgehen: Ines Pohl (“Deutsche Welle”), Katja Hertin (“Focus Online”), Katrin Gottschalk (“taz”) und Hannah Suppa (“Märkische Allgemeine”).

6. #MeinGroessterFail: Journalisten gestehen ihre Fehler
(jetzt.de, Felix Schröder)
Unter #MeinGroessterFail berichten seit ein paar Tagen Journalisten über ihre größten Fehler. Der Hashtag sei nicht nur lustig, sondern auch ein Aufruf zu mehr Transparenz, findet Felix Schröder und stellt einige der Selbstoffenbarungen vor.

“Bild”-Medien lassen Flüchtlinge durch Deutsch-Tests fallen

Schaut man sich diese Überschrift aus der “Bild am Sonntag” von gestern an …

Ausriss Bild am Sonntag - Nach 1300 Unterrichtsstunden - vier von fünf Flüchtlingen fallen bei Deutsch-Test durch

… könnte man ja meinen, dass “4 von 5 Flüchtlingen” bei ihren Deutsch-Tests durchfallen.

So ist es aber nicht. Es sind nicht 80 Prozent, sondern deutlich weniger. Für “Bild”-Chefchef Julian Reichelt ist die falsche “BamS”-Zeile einfach nur “schlecht formuliert”. Für rechte und rechtsextreme Kräfte ist sie eine tolle Vorlage für ihre Stimmungsmache.

Doch der Reihe nach. Gestern schrieben “Bild am Sonntag” und Bild.de über die “Integrationskursgeschäftsstatistik” des “Bundesamts für Migration und Flüchtlinge” (“BAMF”), in der es auch um Zahlen zu Deutsch-Kursen für Geflohene geht. Online lautete die Titelzeile ganz ähnlich:

Screenshot Bild.de - Nach 1300 Unterrichtsstunden - vier von fünf Flüchtlingen fallen bei Deutsch-Test durch

Bei Bild.de befindet sich der Artikel hinter der Paywall, was schade ist, weil dadurch viele Bild.de-Besucher nur die falsche Überschrift lesen konnten und nicht den Text, in dem unter anderem steht:

Laut aktueller Bamf-Zahlen besuchten allein im ersten Halbjahr 2017 rund 43 000 Menschen einen speziellen Integrationskurs für Analphabeten (…).

Brisant: Trotz extra kleiner Lerngruppen und bis zu 1300 Unterrichtsstunden sprechen vier von fünf Flüchtlingen danach immer noch so schlecht Deutsch, dass sie nicht einmal einen Helfer-Job bekommen oder eine Ausbildung machen können. Das Sprachniveau B1 (…) erreichen in den Analphabeten-Kursen gerade mal 17 Prozent der Teilnehmer, wie das Bamf auf Anfrage bestätigt. (…)

Nicht besser sieht es bei den normalen Integrationskursen aus, also ohne Analphabeten. Insgesamt schafft bloß jeder zweite Teilnehmer den B1-Test.

Nur mit einem “Bild plus”-Abo erfährt man also, dass gar nicht “4 von 5 Flüchtlingen” bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die Analphabeten sind, nicht das Sprachniveau B1 erreichen. Das ist gleich ein doppelter Unterschied: Es geht weder um alle Flüchtlinge noch um die Frage “bestehen oder nicht bestehen?”, sondern darum, ein gewisses Niveau beim Bestehen zu erreichen.

Tatsächlich haben laut “BAMF”-Statistik (PDF) im ersten Halbjahr 2017 126.868 von insgesamt 165.997 erstmaligen Integrationskurs-Teilnehmern den “Deutsch-Test für Zuwanderer” bestanden, allerdings mit unterschiedlichen Sprachniveaus (53,9 Prozent mit B1-Niveau, 37,6 Prozent mit A2-Niveau, 8,5 Prozent unter A2-Niveau — zu den verschiedenen Sprachniveaus gleich mehr). Rund 76 Prozent der Teilnehmer haben also einen Abschluss hinbekommen und nicht — wie in der “BamS”-Schlagzeile behauptet — nur 20 Prozent.

Doch mal abgesehen von der falschen Zahl, die die Redaktionen von “Bild am Sonntag” und Bild.de prominent platziert haben: Sind die 17 Prozent der Alphabetisierungskurs-Teilnehmer, die das Sprachniveau B1 erreicht haben sollen, wirklich “ernüchternd”, wie “BamS” schreibt?

Der “Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen” gibt verschiedene “Kompetenzniveaus” beim Erlernen von Sprachen vor. Es gibt sechs verschiedene Stufen: A1 (Einstieg), A2 (Grundlagen), B1 (Mittelstufe), B2 (gute Mittelstufe), C1 (fortgeschrittene Kenntnisse), C2 (exzellente Kenntnisse). In den deutschen “Integrationskursen mit Alphabetisierung”, auf die sich “BamS” und Bild.de beziehen, sitzen einerseits Menschen, die in ihrer Muttersprache nicht lesen und schreiben können, und andererseits Menschen, die zwar lesen und schreiben können, aber nicht in lateinischen Buchstaben. Das Ziel dieser Kurse ist daher keineswegs, das “Mittelstufe”-Niveau B1 zu erreichen. In seinem “Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs” (PDF) hat das “BAMF” die Ziele wie folgt beschrieben:

Für einen großen Teil der Lernenden wird das Sprachniveau A2.2 als realistisches Ziel erachtet. (…)

Für Teilnehmende in der Gruppe der primären Analphabeten ohne “Stifterfahrung” wird das Erreichen des Sprachniveaus A2.1 als realistisches Ziel erachtet. (…)

Für einzelne Teilnehmende (…) ist ein sprachliches Ziel oberhalb des Niveaus A2.2 möglich.

“Einzelne Teilnehmende” könnten laut “BAMF” also B1 erreichen. Im ersten Halbjahr 2017 waren es laut “BamS” und Bild.de immerhin 17 Prozent.

Aber zurück zur falschen Schlagzeile. Der “Bild plus”-Artikel, über dem sie stand, war gestern “meistgeklickt”:

Screenshot Bild.de - Meistgeklickt Bild plus - 4 von 5 Flüchtlingen bestehen Deutsch-Test nicht

Und die falschen “4 von 5 Flüchtlingen” verbreiteten sich wie wild. FAZ.net hat sie abgeschrieben:

Screenshot FAZ.net - BAMF - Vier von fünf Flüchtlingen schaffen Deutsch-Test nicht

Genauso die “B.Z.”:

Screenshot bz-berlin.de - Bundesamt: 4 von 5 Flüchtlingen schaffen den Deutsch-Test nicht

prosieben.de:

Screenshot prosieben.de - Hindernis für erfolgreiche Integration - Vier von fünf Flüchtlingen schaffen den Deutsch-Test nicht

sat1.de:

Screenshot sat1.de - Hindernis für erfolgreiche Integration - Vier von fünf Flüchtlingen schaffen den Deutsch-Test nicht

“Epoch Times”:

Screenshot Epoch Times - Vier von fünf Zuwanderern schaffen Deutschtest nicht – keine Jobaussichten

Auch bei “Focus Online” tauchte die Zeile auf, bei nordbayern.de, wobei die zwei Portale sie inzwischen korrigiert haben. Bei Welt.de schafft “nur einer von fünf Analphabeten” den Deutsch-Test, was ebenfalls falsch ist, denn rund einer von fünf Teilnehmern der Alphabetisierungskurse erreicht das Niveau B1. Es gibt aber weitere Teilnehmer, die den Test mit einem anderen Niveau bestehen.

Dem Publizisten Hugo Müller-Vogg fiel in seiner Ahnungslosigkeit auch was ein:

Und natürlich sprangen die AfD und ihre Fans auf den in die falsche Richtung fahrenden Zug der “Bild”-Medien, der “FAZ”, der “Welt” auf:

Bei Bild.de haben sie die Überschrift inzwischen in “Flüchtlinge haben Probleme bei Deutsch-Test” geändert. Die erste Version war laut “Bild”-Oberchef Julian Reichelt einfach nur “schlecht formuliert”.

Mit Dank an Sandra M. und Kai L. für die Hinwiese!

“Bild” fällt auf Satire-Nahles rein

Rolf Kleine ist bei “Bild” der Experte für die SPD. Und was für einer! Er wusste vor allen anderen falsch, dass Frank-Walter Steinmeier nicht als Bundespräsident kandidieren wird (was dieser dann tat). Kleine wusste ebenfalls vor allen anderen falsch, dass Sigmar Gabriel als SPD-Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl antritt (was dieser dann nicht tat).

Gut, man kann ja mal danebenliegen, es ist schon ziemlich peinlich gleich zweimal derart danebenzuliegen. Aber Rolf Kleine, immerhin leitender “Bild”-Politik-Redakteur und einst Sprecher von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf 2013, wird es doch wenigstens hinbekommen, einen Twitter-Account einer SPD-Politikerin von einem Satire-Twitter-Account über eine SPD-Politikerin unterscheiden zu können? Wird er doch, oder? Oder?

Nein.

Kleine heute in “Bild”:

Ausriss Bild-Zeitung Überschrift - In der SPD-Zentrale - Groko-Gespräche bei Kartoffelsalat, Würstchen und saulahmem Internet
Ausriss Bild-Zeitung - Erstaunlich: Die vereinbarte Vertraulichkeit hielt den ganzen Tag, auch an das Twitter-Verbot hielten sich die Sondierer. SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles beklagte sich nur einmal über saulahmes Internet

Und auch bei Bild.de schrieb Rolf Kleine über die vermeintliche Nahles-Aussage:

Screenshot Bild.de - Erstaunlich: Die vereinbarte Vertraulichkeit hielt den ganzen Tag, auch an das Twitter-Verbot hielten sich die Sondierer. SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles beklagte sich nur einmal über saulahmes Internet

Tatsächlich gab es gestern einen Tweet, der das angeblich “saulahme Internet” bei den Sondierungsgesprächen thematisierte:

Screenshot Twitter - Saulahmes Internet hier! Danke, Dobrindt! Hashtag Sondierungen

In der sogenannten Twitter-Bio des Accounts @FraktionsNahles steht:

Hier twittert die Chefin der SPD-Bundestagsfraktion. Zukünftige Kanzlerin und Twitterkönigin. ACHTUNG: Satire.

Immerhin: Das mit der Kartoffelsuppe und den Würstchen hat Rolf Kleine korrekt hinbekommen.

Nachtrag, 13:26 Uhr: “Bild”-Oberchef Julian Reichelt findet den Fehler “wirklich ärgerlich” (übrigens auch schon, bevor wir hier darüber geschrieben haben), hat den Bild.de-Artikel korrigieren lassen und verspricht auch eine Korrektur in der morgigen “Bild”-Ausgabe.

Branchenkrankheit Übergriffigkeit, Ausblick, Trödelshow-Dauerschleife

1. “Das ist nicht die Schuld von den Frauen, die Branche funktioniert so”
(deutschlandfunkkultur.de, Eckhard Roelcke)
Zehn überaus lehrreiche Minuten: Die Schauspielerin Maren Kroymann erklärt bei “Deutschlandfunk Kultur”, warum Theaterszene und Filmwirtschaft so anfällig für sexuelle Übergriffe sind (im Artikel auf die Schaltfläche “Hören” klicken).

2. Schlank in drei Tagen?
(sueddeutsche.de, Werner Bartens)
Einem Ritus folgend, überschlagen sich die Frauen- und People-Magazine zu Beginn des Jahres mit Diät-Titeln und Abnehmtipps. Werner Bartens kommentiert die publizistische Schlankmachmanie: “Nur in Spurenelementen findet sich in den Diät-Heften die Erkenntnis, dass es tatsächlich gesund sein kann, so zu bleiben, wie man ist. Denn bei den Wenigen, die tatsächlich abnehmen, schlägt fast immer der Jojo-Effekt zu. Nach spätestens einem Jahr sind zwei Drittel der verlorenen Kilos wieder drauf, dann folgt der Rest. Aber da gibt es dann schon die neuen Diäthefte.”

3. Da kommt was auf uns zu
(taz.de, Anne Fromm)
Die “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm wagt einen Blick in die Medienzukunft. 2018 werde ein wichtiges Jahr für die Branche: Für Verlage und Sender werde es darum gehen, die eigene Blase zu durchstechen, Journalismus besser zu verpacken, die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen zu regeln und dafür zu sorgen, dass Redaktionen bunter und weiblicher werden.

4. „Vermutung der freien Rede zugunsten der Löschung unterlaufen“
(welt.de, Christian Meier)
Seit dem 1. Januar gilt das Gesetz gegen Hassrede in Sozialen Netzwerken, das “Netzwerkdurchsetzungsgesetz” (NetzDG). Im Gespräch mit der “Welt” erklärt Medienrechtler Tobias Gostomzyk, warum es so fehleranfällig ist und wovon die Strafbarkeit eines Postings abhängt. Mit seiner Kritik an dem Gesetz sei er nicht allein: “Inzwischen sind nach meiner Zählung über 20 Aufsätze zum NetzDG erschienen. Die allermeisten Autorinnen und Autoren halten das NetzDG ausdrücklich für verfassungswidrig und beziehungsweise oder europarechtswidrig. Soviel Eintracht unter Juristen ist selten.”

5. Strafe für Produzenten wegen Tod von Stuntman
(faz.net)
In letzter Zeit gab es bei amerikanischen Kino- und Fernsehproduktionen einige, teilweise tödliche Unfälle. Nun hat die amerikanische Behörde für Arbeitssicherheit (OSHA) eine Produktionsfirma nach dem Tod eines Stuntmans mit der maximal dafür vorgesehenen Höchststrafe belegt. Als “Weckruf” für die gesamte Filmbranche. Ein Weckruf, der jedoch mit etwa 10.000 US-Dollar vergleichsweise leise ausfällt.

6. Wie das ZDF seine Programme mit altem Trödel vollrümpelt
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Es sind unglaubliche Zahlen, von denen Stefan Niggemeier berichtet: Das ZDF hat im vergangenen Jahr 1211 Folgen der Show “Bares für Rares” ausgestrahlt. Das entspricht einer Sendezeit von fünf Wochen, vier Tagen und 15 Stunden. Damit sei die Trödelshow fast schon in der Liga der Sendungen, die Privatsender wie ProSieben in Dauerschleife zeige: “Big Bang Theory” sei dort im vergangenen Jahr 2500-mal gelaufen, “Two and a Half Men” knapp 2400-mal.

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