Archiv für September 20th, 2016

Mit dem Frühstücksei in die Schlagzeilen

Neulich gab es in der Sportredaktion der “dpa” eine kleine Diskussion. Irgendeiner der Kollegen wollte gehört haben, dass es im Fußball nur noch ums Geld geht. Hatte der ehemalige Bundesliga-Torhüter Frank Rost so erzählt. In der Redaktion hatten sie dieses Gefühl ja schon länger. Aber hatte das nicht irgendjemand so ähnlich schon mal ausgesprochen? Man war sich nicht ganz sicher. Vorsichtshalber schrieb man eine Meldung:

Frank Rost hätte natürlich auch sagen können: “Das Wetter ist auch nicht mehr das, was es mal war.” Oder: “Die da oben — immer auf den kleinen Mann.” Es hätte ungefähr den gleichen Informationsgehalt gehabt, aber in den Politik-Teil kommt man leider nicht ganz so leicht. Da braucht man schon ein Mandat, eine Funktion oder die allseitige Vermutung, dass man auf einem bestimmten Gebiet über sehr viel Fachwissen verfügt, in anderen Worten: einen akademischen Titel.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In anderen Metiers ist es dann wieder so leicht. Da genügt es schon, irgendwann einmal in einem Spielfilm durchs Bild gelaufen zu sein, schon wird man mit den banalsten Trivialitäten auf der Panorama-Seite zitiert.
 
Würde Matthias Schweighöfer morgens am Frühstückstisch eine Prise Salz über sein Ei geben, dazu den Gedanken äußern, dass er Eier genau so am liebsten mag, und zufällig stünde draußen unter dem Fenstersims ein Reporter, ginge vielleicht noch am selben Tag eine Meldung für das Ressort Vermischtes raus, die ungefähr so aussehen würde:

Matthias Schweighöfer (35), isst sein Frühstücksei am liebsten mit Salz. “Früher mochte ich überhaupt keine Eier”, sagte der Schauspieler (“Vaterfreuden”) der “Gala”. Aber dann sei er irgendwann auf den Geschmack gekommen. Heute könne er sich ein Leben ohne Frühstücksei nicht mehr vorstellen.

Dem Schauspieler Daniel Brühl ist neulich etwas Ähnliches passiert. Im Dezember wird er Vater. Da hat er “Gala” gesteckt, dass er in Zukunft etwas weniger arbeiten will, um mehr Zeit fürs Kind zu haben. Und dann ist ihm noch rausgerutscht, dass er in Berlin eine zweite Bar eröffnen will.

Man kann sich ungefähr vorstellen, wie die Geschichte weiterging: Seine Frau schlug morgens die Zeitung auf, wusste überhaupt nichts von der Idee mit der Bar. In den beiden Nächten darauf schlief Brühl auf dem Sofa, und jetzt will er erst mal überhaupt nicht mehr mit der Presse reden.

Dabei hätte er natürlich auch einfach irgendwas anderes sagen können. Es ist ja im Grunde egal, was. Für eine Meldung reicht es immer:

Der Schauspieler Daniel Brühl möchte seinen Gartentisch gelb streichen.

Der Schauspieler Daniel Brühl kratzt sich manchmal am Rücken, während er über die Straße geht.

Der Schauspieler Daniel Brühl trinkt Rotwein nicht gerne aus Plastik-Bechern.

Der Schauspieler Daniel Brühl schläft am liebsten mit den Füßen am Kopfende.

Der Schauspieler Daniel Brühl mag gutes Wetter.

Der Schauspieler Daniel Brühl ist nicht gerne krank.

Und hätte Daniel Brühl im Interview mit “Gala” einfach nur gefragt, wie spät es ist, wäre die Meldung eben gewesen:

Daniel Brühl trägt keine Armband-Uhr.

Mit zunehmender Prominenz wird ausnahmslos alles interessant, was Menschen machen, sagen, glauben und meinen:

Daniel Brühl trägt Hausschuhe, wenn er abends nicht mehr vor die Tür muss.

Der Basketballer Chandler Parsons hat neulich einfach nur gesagt, dass er Hamburg mag, die Heimatstadt seiner Freundin, dem Model Toni Garrn. Auch das ging natürlich raus über die Ticker:

Vielleicht werden wir von Parsons demnächst noch weitere Meldungen lesen:

Der Basketballer Chandler Parsons reist aus den USA am liebsten mit dem Flugzeug nach Europa.

Der Basketballer Chandler Parsons spricht mit der Familie seiner Freundin auch über Privates.

Der Basketballer Chandler Parsons findet seine Freundin sehr sympathisch.

Wenn man nicht genug davon kriegen kann, Meldungen über seine eigenen Vorlieben auf Newsportalen zu lesen, ist so was natürlich eine tolle Sache. Andernfalls kann es auch lästig werden.

Der Schauspieler Miroslav Nemec zum Beispiel sieht seine Prominenz mittlerweile kritisch. Halb Deutschland kennt ihn aus dem Münchner “Tatort” als den Kommissar Ivo Batic. Dummerweise kennen ihn in München noch mehr Menschen als nur die Hälfte, und da wohnt er, was nicht immer ganz unproblematisch ist, denn manchmal muss er auch zum Einkaufen aus dem Haus, wenn er schlechte Laune hat. Dann besteht die Gefahr, dass irgendwann in den Klatschspalten steht:

Miroslav Nemec verprügelt im Supermarkt gerne Passanten.

Das ist ein Nachteil, aber was will man machen, wenn man seinen Beruf sonntagabends im Fernsehen ausübt? Man kann sich zurückziehen, wenn man nicht im Dienst ist, und vielleicht dann schlecht gelaunt einkaufen gehen, wenn an der Kasse nicht so viel los ist. Miroslav Nemec hat sich für einen anderen Weg entschieden, und der — das wäre unsere vorsichtige Prognose — wird das Problem nicht verbessern: Nemec hat einen Krimi geschrieben. Nicht unter Pseudonym, sondern unter seinem echten Namen. Nicht mal für den Ermittler hat er sich eine neue Figur ausgedacht. Auch das ist er selbst:

Und falls irgendwer bei “Gala” zu morgen noch unbedingt eine Meldung braucht, warum dann nicht einfach diese hier?

Der Schauspieler Miroslav Nemec macht gerne alles noch schlimmer, als es eh schon ist.

“Pixel-Irrsinn”-Irrsinn bei Bild.de

Am vergangenen Freitagabend müssen sich die Mitarbeiter von Bild.de vor Lachen auf dem Boden gekringelt haben:

“Wie doof sind die Leute bei ‘Google’ denn bitte? Verpixeln eine Kuh! Und sowieso: Die Privatsphäre von irgendwas oder irgendwem schützen? Pah!”

Und so sah dann das Umfeld des “Pixel-Irrsinns” auf der Bild.de-Startseite aus:

Nur der Vollständigkeit halber: Die Verpixelungen der beiden Personen der oberen Geschichte stammen von uns, genauso die Verpixelung des Opfers der unteren Geschichte. Alle drei waren ohne jegliche Unkenntlichmachung bestens zu identifizieren. Der schwarze Augenbalken beim mutmaßlichen Täter der unteren Geschichte stammt von Bild.de.

Mit Dank an Ben für den Hinweis!

Nachtrag, 21. September: Bild.de gibt zu “diesem Millionär” übrigens so viele Details preis, dass er ohne großen Aufwand für jedermann innerhalb von zweieinhalb Minuten zu identifizieren ist.

Mit Dank an pwco für den Hinweis!

Hassrede-Kulturgeschichte, IOC-Auszeichnung, Berlin-Wahl

1. Noch so ein Sieg, und wir sind verloren
(zeit.de, Julia Reda)
“Noch so ein Sieg, und wir sind verloren.” Mit diesem Zitat macht Julia Reda ihren Beitrag über die Pläne für ein europäisches Leistungsschutzrecht auf. Die EU-Kommission tue der Kreativwirtschaft und Journalismus mit ihren Plänen keinen Gefallen, so die EU-Abgeordnete (Fraktion Grüne/EFA). Im Gegenteil, es könnte laut Reda die Lage sogar verschlimmern. Die Erfahrungen in Deutschland und Spanien hätten gezeigt, dass das Leistungsschutzrecht nicht zuletzt kleinen Verlagen und damit der Medienvielfalt schade. “Was die Kommission vernachlässigt, sind mutige Schritte zur Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes, der seinen Namen verdient und der mithelfen könnte, eine Zukunfts- und Wachstumsperspektive für Journalismus zu schaffen. Europaweit einheitliche Regeln im Urheberrecht für Zitate, Parodien oder Panoramafreiheit könnten Redaktionen vor Abmahnungen schützen. Ein europäischer Whistleblower-Schutz wäre eine willkommene Stärkung des investigativen Journalismus, damit in Fällen wie LuxLeaks nicht wieder die Aufdecker des Skandals vor Gericht stehen.”

2. Hass-Rede: zur Kulturgeschichte eines sprachlichen Phänomens
(carta.info, Paul Sailer-Wlasits)
Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits hat sich mit der Kulturgeschichte der Hass-Rede beschäftigt. Die gegenwärtige Hasssprache sei kein neues Phänomen, sondern nur ein neues Symptom. Mit welcher Konstanz sie die Jahrtausende durchschreiten konnte, sei erstaunlich und angesichts aufbrechender Konfliktlinien, Xenophobie und Populismus bestürzend. Sailer-Wlasits schließt seinen Aufsatz mit den Worten: “Im Europa der Gegenwart beginnt die Symmetrie der Anerkennungsverhältnisse in sich zusammenzubrechen. Die verbale Passage vom Unterscheiden zum Diskriminieren wird kürzer, Ressentiments werden rascher ethnisiert. Der Zivilisationsprozess der Sprache ist noch längst nicht an sein Ende gelangt, nur weil er Zeit zur Reife hatte.”

3. Es drohen amerikanische Zustände
(medienwoche.ch, Gabriel Gasser)
Am 25.9. wird in der Schweiz über das neue Nachrichtendienstgesetz “NDG” abgestimmt. Eine Entscheidung, die laut Gabriel Gasser mit der Entscheidung des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush vergleichbar sei, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Kompetenzen der National Security Agency NSA drastisch zu erweitern. Gasser benennt die kritischen Punkte des Gesetzes und wundert sich, warum das geplante Vorhaben bei Redaktionen und Verlagen so wenig Widerspruch hervorrufe.

4. Negativpreis für Internationales Olympisches Komitee wegen Umgang mit Social Media
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In Wien wurde der “#WOLO Award 2016 für ausgezeichneten Kulturpessimismus” verliehen. Der Negativpreis ging diesmal an das Internationale Olympische Komitee wegen seines Umgangs mit Social Media. Aus der Begründung der Jury: “Seit der Gründung der Olympischen Spiele im Jahre 776 v. Chr. kümmert sich das IOC in vorbildlicher Weise um den Schutz seiner Marken- und Verwertungsrechte, mittlerweile auch – und vor allem – im Internet. Spieler, Sponsoren, Trainer und Zuschauer – alle werden angehalten, sich um die Einhaltung umfangreicher Regularien zu kümmern. Es sind Regularien, deren hauptsächlicher Sinn darin besteht, die Kontrolle zu bewahren und die Interessen der wenigen „Olympischen Partner“ zu schützen. Eine wertvolle Regelung besteht zum Beispiel darin, dass Sponsoren einzelner Teilnehmer oder deren Heimatstädte ihren erfolgreichen Athleten nicht öffentlich gratulieren dürfen.”

5. Keine Haft mehr für Verweigerer der Rundfunkgebühr
(golem.de, Achim Sawall)
Totalverweigerer des Rundfunkbeitrags müssen mit allerlei Sanktionen rechnen, ein Knaststrafeaufenthalt ist aber unwahrscheinlicher geworden: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wollen auf die Drohung mit Erzwingungshaft verzichten. Immerhin 4,5 Millionen Beitragskonten sollen am Stichtag 31. Dezember 2014 im Mahnverfahren oder in Vollstreckung gewesen sein.

6. Wahlkarte zur Abgeordnetenhauswahl 2016 in Berlin
(morgenpost.de, Julius Tröger & Moritz Klack & Andre Pätzold & David Wendler & Christoph Möller)
Anlässlich der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus beweist die “Berliner Morgenpost” mal wieder, warum sie zu den mehrfach prämierten Vorreitern des Datenjournalismus in Deutschland zählt: Über eine interaktive Karte kann man in jedes der 1779 Wahllokale zoomen und die Abstimmungsergebnisse abrufen. Über das Menüband am unteren Bildschirmrand können weitere Analysen durchgeführt werden, z.B. wie die Berliner rund um Flüchtlingsheime wählen, wo die AfD punktet, in welchen Kiezen die Nichtwähler die stärkste Partei sind etc.