Archiv für Juli 7th, 2015

Mit Pickelhaube auf Griechenland-Feldzug

Zum heutigen Krisentreffen der 19 Euro-Staatschefs in Brüssel haben “Bild” und Bild.de Angela Merkel nicht nur einen “5-Punkte-Plan” als Arbeitsauftrag mit auf den Weg gegeben, sie haben die Kanzlerin auch — der Situation angemessen — preußisch-eisern ausgestattet:


Hehe, verstehen Sie? Merkel müsse “‘preußische Tugenden’ beweisen”, eine “Eiserne Kanzlerin” fordert “Bild”, mit Pickelhaube, wie einst Bismarck. Also: “Hart bleiben, Frau Bundeskanzlerin”, und nicht den gierigen Griechen-Radikalos nachgeben. Oder in eine klare politische Forderung gegossen:

Ein Euro-Land, das keine Reformvorgaben mehr will, darf dafür keine neuen Mlliarden erhalten.

Die Schlagzeile und das Titelbild sorgten den Tag über für reichlich Aufregung. Joachim Huber vermutete in seinem “Tagesspiegel”-Kommentar beispielsweise, dass die “schräge Idee” der “Bild” eine Retourkutsche sei für einen griechischen Cartoon, der “die deutsche Griechenland-Politik mit dem Holocaust der Nazi-Deutschen assoziiert” hatte:

Jetzt die “Bild”-Revanche, eine bildhafte Revanche mit einer Kanzlerin, die den Syriza-Griechen mal zeigen soll, wo der deutsche Hammer hängt. Verfängt das? Will jemand ernsthaft, dass eine Bundeskanzlerin Politik nach Landsknechtmanier macht? Wir haben das Geld, Ihr die Schulden? Wir sind mächtig, Ihr ohnmächtig! Wir haben Milliarden, also kuscht gefälligst!

Die “The European”-Kolumisten Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer veranlasste die Pickelhauben-Merkel auf dem “Bild”-Titel, einen offenen Brief mit grundsätzlicher Kritik an der Griechenland-Berichterstattung an “Bild”-Chef Kai Diekmann und dessen Redaktion zu schreiben:

Liebe Bild Redaktion, wir verlangen nicht von Ihnen, dass Sie die griechische Regierung oder das griechische Volk in höchsten Tönen loben, oder jede Entscheidung und Entwicklung unterstützen. Im Gegenteil, kritischer Journalismus ist gerade hier mehr nötig denn je. Daher: Nehmen Sie Ihre Verantwortung als eines der führenden meinungsbildenden Organe in Europa wahr und gestehen Ihren Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu, selber Abwägungen und Schlüsse zu ziehen, Meinungen zu formulieren und so Demokratie zu leben. Alles andere beschädigt nicht nur die Integrität Europas, sondern vernachlässigt auch Ihre eigenen Standards und journalistischen Grundsätze.

Und Kai Diekmann? Der konnte das ganze Bohei natürlich angeblich gar nicht verstehen. Man habe doch auch schon Mario Draghi, dem Chef der Europäischen Zentralbank, die Bismarck‘sche Pickelhaube aufgesetzt:

Mit seinem Tweet zum Draghi-Artikel wollte Diekmann zeigen, ja, was eigentlich? Dass er und sein Team schon im März 2012 auf diesen Wahnsinns-Einfall gekommen sind?

Nun ist es aber ein Unterschied, ob man einem italienischen Oberbanker eines der großen Symbole des preußischen Militarismus aufsetzt, um zu zeigen: “So deutsch ist der neue EZB-Chef”; oder ob man die deutsche Kanzlerin damit in den Kampf gegen Griechenland schickt.

Die Idee, Angela Merkel digital eine Pickelhaube zu verpassen, ist übrigens alles andere als neu. Die britische “Daily Mail” ist schon vor einem Jahr drauf gekommen:

Damals fand Bild.de die Aktion aber alles andere als lustig:

Mit Dank an @MarvinStr, Mathias R., Pascal W. und Raphael S.

Lassen Sie mich durch, ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin

In Berlin steht zurzeit eine Frau vor Gericht, weil sie verdächtigt wird, ihre Doktorarbeit gefälscht zu haben.

Ihr Name: Dr. rer. oec. Eileen M. (42)

… weiß Bild.de — und:

Eileen M. hat angeblich einen Doktortitel der Technischen Universität Berlin. „Ich habe im Bereich Wirtschaftswissenschaften promoviert“, behauptet sie.

Also gut. Eine angeblich promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin (!) mit dem angeblichen Titel Dr. rer. oec., also einem Doktor in Wirtschaftswissenschaften (!).

Und wie sieht der Artikel bei Bild.de aus? Genau:

Mit Dank an Manuel L.

Nachtrag, 8. Juli: Bild.de hat aus der “falschen Ärztin” unauffällig eine “falsche Doktorin” gemacht.

Leiharbeiter, ZDF-Korrekturen, #NotInMyName

1. “Zweifelhafte Macht“
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Das „Veröffentlichungsmonopol der Schlüsseljournalisten” und ihre Geringschätzung sozialer Themen sieht Thomas Meyer als Gründe, warum Journalisten in Meinungsumfragen immer weniger Vertrauen genießen. Brigitte Baetz findet diese Ansichten zum politischen Journalismus obsolet: „Meyers durchweg lesenswerte Analyse fasst sehr gut den Stand der bisherigen Kritik an der Mediendemokratie in Deutschland zusammen. Er berücksichtigt jedoch zu wenig den Strukturwandel, der sich durch die Digitalisierung vollzieht.“

2. “Die Leiharbeiter des Journalismus”
(taz.de, Anne Fromm, Jürn Kruse, Anja Krüger)
Die „taz“-Redakteure berichten von einem in der Branche bekannten Problem: der Scheinselbstständigkeit von „Pauschis“. Verlage sparen, die Künstlersozialkasse muss für Kosten aufkommen. „Offen zu sprechen, wagt keiner der Betroffenen. Unter der Oberfläche jedoch sind vor allem junge Mitarbeiter wütend und frustriert. (…) Auch bei der taz sind vereinzelt Mitarbeiter als Pauschalisten beschäftigt – meist auf ausdrücklichen Wunsch.“ Zum Thema veröffentlichte Timo Stoppacher gestern seine Blogparade mit Antworten auf die Frage: Warum seid Ihr gerne freie Journalistinnen und Journalisten?

3. “Warum der ZDF-Korrespondent eine Demo in Athen unmöglich richtig beschreiben konnte“
(stefan-niggemeier.de)
Über den aktuellsten Eintrag in der ZDF-Korrekturspalte schreibt Stefan Niggemeier: „Nein, das ZDF hat diese Korrektur-Ecke nicht, um sich zu berichtigen und kritisch mit der eigenen Berichterstattung auseinanderzusetzen. Sondern um auf Podien und in Gastbeiträgen in Zeitungen behaupten zu können, dass man das jetzt täte.”

 4. “Das Netz fasst mehr als jede Straße“
(jetzt.de, Kathrin Hollmer, 20.10.14)
„Und wieder diese Pappschilder. #NotInMyName steht dieses Mal darauf geschrieben“ — Kathrin Hollmer über politische Hashtags und „Feelgood-Activism”.

5. “So zensiert Facebook“
(faz.net, Adrian Lobe)
Die Kriterien, wonach Facebook seine Relevanz für Inhalte auswählt, beschreibt Adrian Lobe als „Black Box”. Er untersucht Beispiele, die zensiert worden sind, wie ein Comic des „New Yorker“, auf dem Brustwarzen einer Frau zu sehen waren.

6. “LeFloid interviewt Bundeskanzlerin Angela Merkel”
(netzfeuilleton.de, Jannis Kucharz)
Wer dem YouTuber LeFloid Fragen für sein Gespräch am Freitag mit Angela Merkel mit auf den Weg geben möchte, kann sie unter #NetzFragtMerkel über Instagram, YouTube oder Twitter einreichen.