Archiv für Juni 12th, 2014

Journalismus? Am Arsch

Falls Sie sich die Zeit bis zum WM-Anpfiff noch damit vertreiben wollen, Ihren Mitmenschen mit belanglosem Fußballhalbwissen auf den Keks zu gehen, bietet die “Bild”-Zeitung von heute eine hervorragende Grundlage.

“Auf dieser Seite werden Sie garantiert klüger”, vespricht das Blatt und kann neben jenen Fakten, die von “Bild”-Lesern vermutlich eher mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen werden (Fakt 40: “Busenblitzer sind im Stadion nicht gerne gesehen”), vor allem mit Kuriösitäten aufwarten, zum Beispiel:

Andere deutsche Journalisten haben diese “Namenspanne” auch schon entdeckt, und weil sie sie nicht nur “kurios” finden, sondern auch “peinlich” und “dumm”, können sie gar nicht mehr aufhören, sich in selbstgefälligen Hihi- und Höhö-Passagen darüber auszulassen:

Uncool ist aber die Tatsache, dass Fuleco in der brasilianischen Umgangssprache Arsch bedeutet. Daran hat die FIFA bei der Namensgebung nicht gedacht. Ganz schön blöd.

(Kurier.at)

Dumm nur, dass „Fuleco“ in der Umgangssprache „Arsch“ heißt.

(Express.de)

Was bei der Namenswahl allerdings nicht bedacht wurde, ist die Tatsache, dass „Fuleco“ in der brasilianischen Umgangssprache „Arsch“ bedeutet.

(Orf.at)

In Brasilien klingt Fuleco umgangssprachlich allerdings ähnlich wie „Anus“ und wird angewendet wie das deutsche „Arsch“.

(Donaukurier.de)

Vielmehr sorgte die Tatsache für bleibende Schlagzeilen, dass Fuleco in Brasilien umgangssprachlich nichts anderes bedeutet als – man mag es kaum aussprechen – Arsch.

(Mainpost.de)

“Fuleco” gibt es als brasilianisches Slangwort längst, nachzulesen auch in Wörterbüchern, wenn man danach sucht, was man als Biologe natürlich nicht tut – es heißt jedenfalls: Anus oder, ja, genau, schlicht und einfach Arsch.

(“Darmstädter Echo”)

In Brasilien klingt Fuleco umgangssprachlich allerdings ähnlich wie “Anus” und wird angewendet wie das deutsche “Arsch”.

(“Neue Westfälische”)

Das erste Eigentor ist schon gefallen, da ist die Weltmeisterschaft in Brasilien noch gar nicht angepfiffen: Denn Anstoß nimmt die Fußballwelt am offiziellen Maskottchen des Turniers, dem eigentlich recht putzigen Gürteltierchen Fuleco. Dessen Name – dieses leicht holprige Zusammenspiel der portugiesischen Vokabeln “futebol” und “ecologica”, ein Kopfball der Kreativen, der mit Wucht auf die tolle Umweltverträglichkeit der WM abzielen soll – ist ja gut gemeint. Aber schlecht gemacht.

Denn leider haben die Kreativen während ihres monatelangen Brain-storming-Exzesses in diversen Arbeitsgruppen eine klitzekleine Kleinigkeit übersehen: Fuleco heißt “Arsch”. Im Slang der Jugend. Man kann also durchaus sagen, dass dieser erste Auftritt des Gastgeberlandes nach hinten losgegangen ist.

(Abendblatt.de)

Doch leider haben die Journalisten während ihres monatelangen Wir-befüllen-unsere-Seiten-mit-irgendeinem-WM-Quark-Exzesses eine klitzekleine Kleinigkeit übersehen: “Fuleco” heißt nicht Arsch.

Wenn Sie also “noch einen interessanten Fakt zum Angeben beim Eröffnungsspiel brauchen” (Bild.de) — nehmen Sie doch den.

Mit Dank auch an Holger A.

Hackfleischbrötchen, Hillsborough, Christian Wulff

1. “Wulff bleibt Wulff – wie’s singt und lacht”
(ndr.de, Video, 5:09 Minuten)
Boris Rosenkranz besucht die Pressekonferenz (youtube.com, Video, 53 Minuten) zum Buch “Ganz oben, ganz unten” von Christian Wulff und stellt Fragen, unter anderem an “Bild”-Mitarbeiter Peter Thiede.

2. “Itzkovitchs Kanone”
(blog.tagesanzeiger.ch/deadline, Constantin Seibt)
Im Journalismus treffe die “Meritokratie des Handwerks” (Journalisten) auf die “Meritokratie der Effizienz” (Verlage): “Das heisst, dass einige der ehrgeizigsten Werke der Teppichetage – Synergien, Einsparungen, Kooperationen – von den Journalisten als Sabotage begriffen werden. Während die zentrale Schwäche der Journalisten ist, dass sie kein Geschäft machen wollen, sondern diesen Job.”

3. “Journalisten in der DDR: Der willige Propagandist?”
(freiepressevolontaere.wordpress.com, Jürgen Freitag)
Redakteure der “Freien Presse” erinnern sich an ihre Zeit in der DDR. Viola Martin: “Ich musste mal jede Menge Stellungnahmen abgeben, nur weil ich geschrieben hatte, dass es abends in Limbach-Oberfrohna kein Brot mehr gab. Und das stimmte.”

4. “Uberflieger des Journalismus”
(gestern-nacht-im-taxi.de, Sash)
Sascha Bors liest Zeitungsberichte zu Taxi-Apps: “Als Fazit bleibt bei mir hängen, dass die Zeitungen wie immer schon die beiden Apps durcheinanderbringen und sich irgendwie auf ‘das Internet’ als Gegner eingeschossen haben. Ein bisschen komisch, wo die Fahrtvermittlung per App – sei es mit taxi.eu durch die traditionellen Zentralen oder mit z.B. MyTaxi als neuem Anbieter – längst einen großen Raum einnimmt. Aber ‘das Internet’ ist ja auch im Journalismus Schuld an allem Übel, wie sollte es beim Taxigewerbe anders sein?” Siehe dazu auch “Was Taxifahrer und Journalisten verbindet” (carta.info, Wolfgang Michal).

5. “Mit dem Zweiten wirbt man besser”
(kontextwochenzeitung.de, Jürgen Lessat)
Das ZDF zeigt “industrielle Hackfleischbrötchen” im besten Licht: “Die Kamera wechselte zwischen saftigen Fleischfladen und hübschen Testerinnen, schnelle Schnitte führten von blitzenden Grillküchen auf grüne Kuhweiden, alles untermalt mit flotter Chart-Mucke, die nur abebbte, wenn Experte Müller oder eine verführerische Stimme aus dem Off die Ergebnisse in den sieben Testdisziplinen verkündete. Und damit auch der dümmste Zuschauer kapierte, um wessen Buletten es sich zur besten Sendezeit im Zweiten drehte, wurden die größten in Deutschland tätigen Fast-Food-Ketten der Fernsehnation heiß serviert. Während des 45-minütigen Burger-Duells tauchten die beiden Firmenlogos der Grillkonzerne Dutzende Male auf.”

6. “Hillsborough: Postal staff refuse to deliver free Sun copies”
(bbc.com,englisch)
Mitarbeiter der britischen Post weigern sich, eine Sonderbeilage der “Sun” zur Fußball-Weltmeisterschaft auszuliefern, in Erinnerung an die Berichterstattung der Zeitung zur Hillsborough-Katastrophe 1989. “One Royal Mail worker in Skelmersdale said: ‘If they try to make us deliver The Sun on Thursday we will refuse and will be suspended and lose a day’s pay, but we think principles are more important than money.'”