Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Griechenland hat Staatsrundfunk über Nacht abgeschaltet” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Die staatliche Hörfunk- und Fernsehanstalt Griechenlands, ERT, sendet seit gestern, 23 Uhr, nur noch im Netz. Betroffen von der kurzfristig durchgesetzten Abschaltung sind “drei staatliche landesweit ausgestrahlte Fernsehprogramme, sieben landesweit ausgestrahlte Radioprogramme sowie 19 regionale Radiosender”. Als Grund nannte ein Regierungssprecher “unglaubliche Verschwendung” bei der jetzigen ERT sowie einen völlig unverhältnismäßigem Kostenapparat.
4. “The Vain Media Cynics of the NSA Story” (gawker.com, Hamilton Nolan, englisch)
Hamilton Nolan kommentiert die Reaktionen auf das NSA-Programm PRISM: “When the media itself can’t be bothered to get excited about an enormous secret government spying program, we’re all in trouble.”
5. “The real story in the NSA scandal is the collapse of journalism” (zdnet.com, Ed Bott, englisch)
Ed Bott vergleicht die erste Fassung einer Story der “Washington Post” mit ihrer Überarbeitung: “The real story appears to be much less controversial than the original alarming accusations. All of the companies involved have established legal procedures to respond to warrants from a law enforcement agency or a court. None of them appear to be participating with widespread surveillance. (…) The story and its key, now apparently discredited arguments have been spread far and wide.” Siehe dazu auch “How we broke the NSA story” (salon.com, Irin Carmon, englisch).
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
3. “Erstaunliche Nonchalance” (perlentaucher.de, Matthias Küntzel)
Matthias Küntzel kritisiert die Berichterstattung von “Zeit”-Journalist Ulrich Ladurner zu den anstehenden Wahlen im Iran: “Wen der Wächterrat nicht zugelassen hat – darüber findet sich in der Zeit kein Wort. Dabei sind es gerade jene Nicht-Zulassungen, die den Charakter dieser Scheinwahlen prägen. Von vornherein ausgeschlossen ist, wer die Anweisungen des Revolutionsführers Ali Khamenei nicht bedingungslos befolgt. Pluralismus gilt im Iran als Teufelswerk, die Unterwerfung unter die Scharia als sakrosankt. Von den 686 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich dennoch bewarben, wurden 678 ohne Begründung ausgeschlossen, darunter die mit Abstand prominentesten: der Ahmadinejad-Freund Esfandiar Rahim Maschai sowie der ehemalige Präsident Haschemi Rafsandschani.”
4. “You Won’t Finish This Article” (slate.com, Farhad Manjoo, englisch)
Klickstatistiken, ausgewertet: “When people land on a story, they very rarely make it all the way down the page. A lot of people don’t even make it halfway. Even more dispiriting is the relationship between scrolling and sharing. Schwartz’s data suggest that lots of people are tweeting out links to articles they haven’t fully read. If you see someone recommending a story online, you shouldn’t assume that he has read the thing he’s sharing.”
Ein Shitstorm ist für die, die drinstehen, keine angenehme Sache. Doch wenn sie zu Unrecht drinstehen, wird es besonders beschissen.
Die Uni Leipzig muss sich derzeit viele Vorwürfe gefallen lassen. Der Stammtisch ist entsetzt, die Feuilleton-Chefs genauso, die sozialen Netwerke schreien auf. Und das alles wegen einer ziemlich banalen Entscheidung.
Rektorin, Dozentinnen, Wissenschaftlerinnen – da, wo früher in der Grundordnung der Universität Leipzig die sogenannte Schrägstrich-Variante genutzt wurde, also etwa Professor/Professorin, steht künftig ausschließlich die weibliche Personenbezeichnung. Eine Fußnote ergänzt, dass diese feminine Bezeichnung sowohl für Personen männlichen als auch weiblichen Geschlechts gilt.
Bevor es jetzt zu Missverständnissen kommt, wollen wir das mal kurz erklären.
Der erweiterte Senat der Uni Leipzig hat in seiner Sitzung unter anderem über die Grundordnung, also die Verfassung der Hochschule diskutiert. Dabei ging es auch um die Frage, wie man die Personen bezeichnen soll, die in diesem Dokument vorkommen.
Bisher hatte die Uni die Schrägstrich-Variante genutzt. Das sah dann so aus:
Die Vertreter/innen der Gruppe der Hochschullehrer/innen, der Gruppe der akademischen Mitarbeiter/innen und der Gruppe der sonstigen Mitarbeiter/innen im Fakultätsrat, die Dekane/Dekaninnen, Prodekane/Prodekaninnen und Studiendekane/Studiendekaninnen sowie die Gleichstellungsbeauftragten werden für eine dreijährige Amtszeit gewählt.
Statt “Vertreter/innen” könnte die Uni auch “Vertreter_innen” schreiben. Oder “VertreterInnen”. Oder “Vertreter/Vertreterinnen”. Oder “Vertreterinnen und Vertreter”. Sie könnte auch — wie es bisher jahrzehntelang üblich war — einfach nur “Vertreter” schreiben und in einer Fußnote klären, dass damit auch Frauen gemeint sind.
Sie könnte aber auch — und damit kommen wir zur neuen Variante an der Uni Leipzig — einfach nur “Vertreterinnen” schreiben und in einer Fußnote klären, dass Männer damit auch gemeint sind.
In der Grundordnung – und zwar nur in diesem Dokument – sollen künftig also ausschließlich weibliche Personenbezeichnungen benutzt werden. Dies sei eine “spontane Entscheidung ohne politische Ziele” gewesen, sagte der Professor, der die Variante vorgeschlagen hatte.
So viel zum Kern der Geschichte.
Nachzulesen war das alles erstmals in einem Artikel der Universitätszeitung “duz”:
Der Artikel erschien am 31. Mai, danach geschah ein paar Tage lang erst mal gar nichts. Kaum jemand nahm Notiz von den Neuigkeiten aus Leipzig.
Bis der “UniSpiegel” kam. Der übernahm den Text zu Beginn der Woche. Und “Spiegel Online” verpasste ihm gleich mal eine knackigere Überschrift:
Fatalerweise hat sich der Erfinder dieser Schlagzeile den Artikel nicht richtig durchgelesen. Denn sie hat rein gar nichts mehr mit der eigentlichen Nachricht zu tun. Geschweige denn mit der Wahrheit.
Der Teaser macht es nicht gerade besser:
Das ist ein Novum in Deutschland: Nach 600 Jahren Männerdominanz schwenkt die Uni Leipzig radikal um und setzt nur noch auf weibliche Bezeichnungen: Der Titel “Professorin” gilt künftig auch für Männer. “Jetzt läuft das mal andersrum”, freut sich eine Befürworterin im Hochschulmagazin “duz”.
Der “UniSpiegel” erweckt in der Überschrift und im Teaser den Eindruck, als müssten die Studierenden künftig auch die männlichen Professoren als “Professorin” ansprechen.
Doch das größte Problem ist: Einige haben diesen Unfug tatsächlich geglaubt.
Dass die Männer an den Universitäten dominieren, das war einmal. In Leipzig denkt man jetzt völlig neu: An der Uni heißen jetzt auch die Männer “Professorin”.
Es klingt wie ein Kalauer aus der Emanzen-Ecke: Ab sofort heißen männliche Dozenten an der Uni Leipzig nicht mehr “Herr Professor”, sondern “Herr Professorin”.
Mehr noch: Die neue weibliche Personenbezeichnung soll von nun grundsätzlich an der Uni verwendet und sogar im Statut der 600 Jahre alten Alma Mater festgeschrieben werden.
Jörg Junhold übernimmt eine Honorarprofessur an der Uni Leipzig. Eine neue Regel an der Uni legt fest, dass künftig alle Dozenten mit Herr Professorin angesprochen werden – also auch Junhold. […] Die Bezeichnung Professorin ist künftig an der Leipziger Uni vorgeschrieben, unabhängig vom Geschlecht.
Alle männlichen Professoren sind jetzt Professorinnen. Der Rektor wird zur Rektorin – zumindest an der Universität Leipzig. Hier werden die männlichen Kollegen künftig mit weiblichen Titeln angeredet, auch in offiziellen Schreiben.
Mit einer kleinen Begriffsreform will die Universität Leipzig als erste in Deutschland umständliche sprachliche Gleichstellungsversuche beenden. In Texten künftig soll es nur noch eine Form geben: Professorin.
Kein Scherz! Die Universität in Leipzig (D) orderte jetzt an, außschließlich weibliche Bezeichnungen zu verwenden. Mit dem Wort “Professorin” sind künftig auch Männer gemeint.
An der Uni Leipzig werden männliche Dozenten jetzt als “Herr Professorin” bezeichnet. Problematisch ist daran nicht die falsche Grammatik, sondern das Sprach-Opfer im Namen des Feminismus.
All diese Journalisten und Kommentatoren waren also entweder zu faul, den ganzen Artikel zu lesen — oder sie haben ihn einfach nicht verstanden.
Doch selbst solche Medien, die die Entscheidung der Uni korrekt wiedergegeben haben, konnten sich nicht von dieser bescheuerten Formulierung lösen:
Genau. Nicht in Essen, nicht in Leipzig, nicht in Sonstwo. “Herr Professorin” gibt es nicht und wird es auch nicht geben! Ein für allemal: Diese Ansprache ist nichts weiter als eine Erfindung von “Spiegel Online”.
Dennoch entwickelte sich vergangene Woche eine hitzige Debatte, die zu großen Teilen auf diesem Trugschluss basierte. Viele Kommentatoren ereiferten sich über die (nie dagewesenen!) Pläne, “alle Fachkräfte nur noch als Frauen” anzusprechen, in sozialen Netzwerken forderten Tausende den Rücktritt der Uni-Rektorin.
Selbst der Dekan der Juristenfakultät ließ in einer Erklärung (PDF) verkünden:
Wir missbilligen den Beschluss des Senats. Wir werden ihm nicht folgen. Kein männlicher Student der Juristenfakultät Leipzig muss damit rechnen, als “Studentin” angesprochen zu werden.
Ähm, ja.
Natürlich darf man die Entscheidung der Uni kritisieren. Aber dann sollte man doch bitteschön bei den Fakten bleiben.
Die Uni sah sich jedenfalls gezwungen, eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Darin heißt es, bei der “umfangreichen Berichterstattung zur neuen Grundordnung der Universität” sei “ein klares Missverständnis zu Tage getreten”. Die Rektorin schreibt:
“Da wird von vielen ein Missverständnis gesät, als ob die neue Grundordnung so furchtbar viel verändern würde. Zur Klarstellung möchte ich sagen, dass diese Neuerung auf den Alltag an der Universität und auf den universitären Sprachgebrauch keinerlei Auswirkungen haben wird.”
Doch das Märchen vom deutschen “Herrn Professorin” wird inzwischen sogar schon imAuslanderzählt.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Politiker, die auf Katastrophen starren” (einestages.spiegel.de, Danny Kringiel)
Danny Kringiel befragt Andreas Dörner zu Politikern in Katastrophengebieten: “Aus dem Wahlkampferfolg Schröders 2002 hat Merkel auf jeden Fall gelernt, dass man derartige Anlässe nutzen muss, um Symbolpolitik zu machen: Nun zeigt sie sich auch in Wanderstiefeln direkt vor Ort, mit Horst Seehofer an ihrer Seite, der sogar eine Rot-Kreuz-Helferjacke anhat.”
2. “ZEIT WISSEN legt Quellen offen” (zeit-verlagsgruppe.de)
Die Zeitschrift “Zeit Wissen” will von nun an ihre Quellen offen legen: “Am Ende eines Artikels werden die wichtigsten Quellen genannt, mit denen der Autor gearbeitet hat. In einem kurzen Fließtext in der Randspalte wird erläutert, warum er welche Bücher, Studien oder Internetdatenbanken gelesen und bestimmte Orte besucht sowie Experten befragt hat. Da nicht alle Quellen im Heft aufgeführt werden können, gibt die Redaktion einen Link zu ZEIT ONLINE an, unter dem sämtliche Quellen übersichtlich zusammengefasst sind.”
3. “Gysi setzt sich gegen ‘Bild’ und Kubicki durch” (neues-deutschland.de) Gregor Gysi erwirkt vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen “Bild”: “Wie die Linksfraktion jetzt mitteilte, dürfen ‘Bild’ und Kubicki laut dem Hamburger Landgericht ‘nicht einmal den Verdacht erwecken’, dass es sich bei dem Vermögen von Gysis Mandanten um verschwundenes SED-Vermögen handele.”
5. “Unseren Dreck gib uns heute!” (sonntagonline.ch, Luzia Tschirky)
Luzia Tschirky macht aufmerksam auf das Dasein vieler Praktikanten in Redaktionen: “Es beginnt am ersten Arbeitstag: Der Praktikant kommt auf die Redaktion und niemand ist darauf eingestellt. Es fehlt an Betreuung. Redaktionskollegen machen sich nicht einmal mehr die Mühe, den x-ten Praktikanten kennenzulernen. Wozu auch? In drei Monaten kommt der Nächste. Der Arbeitsalltag auf diesen Redaktionen ist für den Nachwuchs von Langeweile und Unterforderung geprägt. Genommen werden für diese Stellen trotzdem nur die mit Berufserfahrung.”
Vor sechs Jahren drehte ein aus Halbwahrheiten, Spekulationen und Großbuchstaben zusammengeschustertes Geschichtenkonstrukt der “Bild”-Zeitung eine große Runde durch die Medienlandschaft. Damals ging es um das Video eines Fallschirmspringers, der “[Jürgen] Möllemanns Todessprung mit einer Kamera” gefilmt hatte.
“Bild” hatte auf der Titelseite groß verkündet:
Dabei war das Video in Wahrheit schon vier Jahre zuvor “aufgetaucht” — die Staatsanwaltschaft hatte es bereits kurz nach Möllemanns Tod im Jahr 2003 ausgewertet.
Doch viele andere Medien verbreiteten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Video und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter, obwohl viele von ihnen schon im Jahr 2003 selbst über das Video berichtet hatten.
Wir haben diesen Fall und sein juristisches Nachspiel (denn das Video war noch dazu geklaut) seinerzeit hier, hier und hier dokumentiert.
Leider haben die Medien seither nichts dazugelernt.
Am Mittwoch verkündete “Bild” groß auf der Titelseite:
Doch viele andere Medien verbreiten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Brief und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter. Mal wieder.
Die dpa veröffentlichte Meldungen über den “jetzt bekanntgewordene[n] Brief”, “Spiegel Online” und Handelsblatt.com erzählen vom “bisher unbekannten Abschiedsbrief “, auch n-tv.de, T-Online.de, “RP Online”, Tagesspiegel.de, Welt.de, das “Hamburger Abendblatt” und viele andere zogen mit — in den meisten Fällen beriefen sie sich dabei allein auf den “Bild”-Artikel.
Nur wenige Medien haben sich die Mühe gemacht, selbst ein bisschen zu recherchieren. So wie (überraschenderweise) stern.de:
Tatsächlich hatte sich FDP-Politiker Kubicki schon vor über zwei Wochen mit der “Bunten” über den Tod seines Freundes, dieses Schreiben und die Übergabe vor zehn Jahren unterhalten. Auch in einer TV-Dokumentation aus dem Jahr 2007 (“Der Tag als Jürgen W. Möllemann in den Tod sprang”) hält Kubicki den Brief in die Kamera.
Es wäre auch für andere Journalisten kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das herauszufinden: Die “Süddeutsche Zeitung” hatte die Szene in einer TV-Kritik von 2007 explizit erwähnt: “Ziemlich am Ende des Films zitiert [Kubicki] aus einem Brief, den Möllemann ihm für den Fall der Fälle geschrieben hatte […]”.
Doch wenn das Leitschafmedium einmal losgetrampelt ist, lässt sich die Herde nicht mehr aufhalten. Inzwischen ist die Geschichte sogar schon in der Wikipedia gelandet:
Nach all den schlimmen Hochwasser-Nachrichten der letzten Tage wollte “Bild” am Donnerstag auch mal eine positive Seite der “Jahrhundertflut” zeigen. Im Grunde ist es also eine ganz schöne Geschichte, die das Blatt da veröffentlicht hat:
Es ist eine Welle der Solidarität, Deutschland krempelt die Ärmel hoch! So schlimm die Jahrhundertflut über den Osten und Süden hereinbrach, so groß ist die Hilfsbereitschaft! Zehntausende Freiwillige schippen, schleppen, schrubben!
Doch die Skandal-Spürnasen von “Bild” haben selbst inmitten all der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe noch etwas gefunden, über das sie sich empören können:
Oder nochmal in der Online-Variante:
“Bild” schwingt also voller Entsetzen die Moralkeule — und haut sie, was der Leser dann allerdings nicht mehr mitbekommt, mit Schmackes ins Leere.
Denn im System des dpa-Bildfunks trägt das Foto folgende Beschreibung:
Sonniges Wetter in Düsseldorf
02.06.2013 16:45:19
Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um die 20 Grad sitzen am 02.06.2013 in Düsseldorf-Wittlaer (Nordrhein-Westfalen) Ausflügler auf Stühlen auf dem Rheindeich in einem Biergarten. Foto: Horst Ossinger/dpa
Das, was die “Gaffer” in den Gartenstühlen “betrachten”, sind also keine Katastrophenszenen – sondern Schiffe.
Mit Dank an Bernd W. und Mo.
Nachtrag, 10. Juni: “Bild” hat heute eine Berichtigung abgedruckt:
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Die Unabhängigkeitstat” (freitag.de, Georg Seeßlen)
Georg Seeßlen analysiert ein Foto, das Kai Diekmann und Philipp Rösler in Umarmung zeigt: “Nach allgemeiner Übereinstimmung meta-demokratischer Event- und Bildkritik ist dieses Bild ein ‘Lapsus’. Eine unfreiwillige Selbstoffenbarung. Oder zumindest eine Inszenierung, die nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Wie aber, wenn dieses Spiel doch offenkundig sein soll und die missmutigen Kommentare der anderen Zeitungen den Effekt in Wahrheit verstärken, der sich um die Bild-Zeitung und ihren Politiker entwickelt?”
3. “Papst Franziskus: Presserat rügt taz-Titelseite” (blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser)
Der Presserat rügt die taz-Titelschlagzeile “Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab”: “Die Nähe Bergoglios zur argentinischen Militärdiktatur sei nicht ausreichend bewiesen, um sie als Tatsache darzustellen.”
4. “Der Jonny K.-Prozess ist geplatzt” (radioeins.de, Lorenz Maroldt, Audio, 4:21 Minuten)
“Tagesspiegel”-Chefredakteur Lorenz Maroldt kritisiert die “B.Z.” für eine Titelgeschichte, die zur Verschiebung des Jonny-K.-Prozesses führt. Siehe dazu auch “Durchgezappt” (ndr.de, Video, ab 1:25 Minuten) und “Tagesspiegel-Chef beleidigt B.Z. Warum?”, eine Entgegnung auf Maroldt von “B.Z.”-Mitarbeiter Gunnar Schupelius.
5. “In eigener Sache: Robert Ménard und Front National” (reporter-ohne-grenzen.de)
“Die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen hat mit Befremden zur Kenntnis genommen, dass der Gründer und langjährige Generalsekretär unserer Dachorganisation Reporters sans Frontières (RSF), Robert Ménard, angekündigt hat, bei den französischen Kommunalwahlen 2014 für die rechtsextreme Partei Front National zu kandidieren.” Siehe dazu auch “Rebell, Reporter, Radikaler” (medienwoche.ch, Adrian Lobe).
6. “‘Das Besondere wird nicht gewollt'” (epd.de)
Ein Interview mit Dokumentarfilmer Klaus Stern: “Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat im vergangenen Jahr beim Filmpreis in einer Brandrede gesagt, dass es nicht angehe, wie der Dokumentarfilm im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behandelt wird. Ich habe aber noch keine Veränderung bei der ARD gesehen. Natürlich gehen mir manche Dokumentarfilmer auch mit ihrer Jammerei auf die Nerven, aber ich finde es schändlich, wie die ARD mit diesem großen Pfund umgeht. Das Besondere wird oft nicht gewollt. Die Redakteure sagen dann immer: Der Zuschauer will das nicht sehen. Die Redaktionen sagen: Unser Zuschauer ist 57 Jahre alt, weiblich und hat einen Hauptschulabschluss. Und so sollen Sie den Film konzipieren.”
Auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Freitod von FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann († 57) gibt ein bisher unbekannter Brief neue Rätsel auf.
Nun ja. “Aufgetaucht” ist der Brief streng genommen schon vor zehn Jahren. Denn Möllemann hatte ihn wenige Wochen vor seinem Tod an Parteifreund Wolfgang Kubicki gegeben.
Und die Zitate aus dem “bisher unbekannten” Brief, die “Bild” als neu verkaufte, sind der Öffentlichkeit größtenteils schon seit 2007 bekannt — Kubicki hatte damals in einer Dokumentation des Hessischen Rundfunks aus dem Brief vorgelesen.
Aber was das Ausschlachten von Möllemanns Tod angeht, sind solche Methoden für “Bild” ja nichts Neues mehr.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Harte Stecher” (taz.de, Philip Meinhold)
Philip Meinhold geht Rollenklischees in Männermagazinen nach: “Ebenso wie sexuelle Machtphantasien in den Texten sprachlich konnotiert sind, ist ihnen das Leistungsprinzip eingeschrieben. Auffällig ist vor allem der Superlativ, der die Magazine durchzieht.”
2. “Vergleiche dich! Erkenne, dass du nichts bist!” (faz.net, Morten Freidel)
“Wir leben längst weniger in einer Konkurrenz- als in einer Evaluierungsgesellschaft”, schreibt Morten Freidel in einem Beitrag über Castingshows. “Wenn jemand irgendwo einen Schritt macht, dann macht er nicht einfach einen Schritt, er macht bei Youtube einen coolen, peinlichen oder auch großen Schritt für die Menschheit.”
3. “‘Unabhängiger’ TV-Moderator im Sold der Basler Kantonalbank” (tageswoche.ch, Matieu Klee)
Matieu Klee fragt nach Interessenskonflikten von SRF-Mitarbeiter Reto Lipp, der als Moderator der Wirtschaftssendung “Eco” auftritt, als Experte in der Polit-Talkshow “Arena” und als Moderator einer Veranstaltung der Basler Kantonalbank.
4. “Sport-PR: Ehrenamtliche One-Man-Show oder akademisches Profiteam?” (fachjournalist.de, Michael Schaffrath)
Der Beruf des Sport-Pressesprechers: “Gemäß dem Aufgaben- und Kompetenzprofil verwundert es kaum, dass vor allem Ex-Sportjournalisten in der Sport-PR tätig sind. 41 Prozent der Befragten arbeiteten früher für Zeitungen oder Zeitschriften. Fast jeder Fünfte war vorher beim Radio oder Fernsehen. Rund 14 Prozent bringen Kenntnisse aus ihrer Zeit bei Presseagenturen oder Online-Medien mit.”
5. “Trainer!” (ardmediathek.de, Video, 89:31 Minuten)
Der Beruf des Fußball-Trainers. Ab Minute 35 sprechen Hans Meyer, Jürgen Klopp, Michael Oenning und andere über ihr Verhältnis zu den Medien.
6. “Düstere Aussicht” (sz-magazin.sueddeutsche.de, Almut Mangold)
Ein halbes Jahr als Pflegehelferin einer Leasingfirma in deutschen Altersheimen.
Die “Süddeutsche Zeitung” widmete ihren Aufmacher im Ressort “Wissen” gestern einer Studie zum Thema Online-Dating:
Der Teaser lautete:
Immer häufiger finden Menschen ihre Lebensgefährten über das Internet. Zugleich mehren sich die Hinweise, dass online angebahnte Ehen mindestens so glücklich verlaufen und so lange halten wie traditionell gebildete Partnerschaften
Selbst auf der Titelseite wurde der Text angerissen:
Auch “Spiegel Online” schreibt:
Wer sich zuerst online begegnet ist, dessen Ehe hält länger – das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie aus den USA. Wer seinen Partner aus dem Netz kennt, ist mit seiner Beziehung demnach auch zufriedener
Und AFP vermeldet in Bezug auf dieselbe Studie (und mit leichten grammatikalischen Schwächen):
Was die Journalisten allerdings nicht erwähnen — und zwar weder in der “Süddeutschen Zeitung” noch bei “Spiegel Online” noch bei AFP: Diese Studie wurde von “eHarmony” in Auftrag gegeben — einer amerikanischen Online-Partnerbörse.
Einige der beteiligten Wissenschaftler arbeiten außerdem schon seit Längerem mit dem Unternehmen zusammen: Der leitende Forscher etwa ist wissenschaftlicher Berater von “eHarmony”, ein anderer Autor der Studie war mal Leiter der “eHarmony Laboratories”.
So etwas muss nicht zwingend Einfluss auf die Studienergebnisse haben. Dass “eHarmony” in der Studie unter den Dating-Seiten am besten abgeschnitten hat, kann natürlich auch Zufall sein.
Aber man sollte diesen Interessenskonflikt doch zumindest erwähnen, wenn man als Journalist über die Studie berichtet. Vor allem, weil man dafür gar nicht lang hätte recherchieren müssen: Im Aufsatz (PDF), auf den sowohl “Spiegel Online” als auch Süddeutsche.de verlinken, weisen die Wissenschaftler in einem “Conflict of interest statement” nämlich selbst darauf hin.