Bild.de hat beim INSA-Institut eine Umfrage zum Ausgang der Bundestagswahl in Auftrag gegeben. Das angeblich repräsentative Ergebnis:
Jeder vierte Wahlberechtigte (25 %) denkt, dass es nach der Bundestagswahl zu einer großen Koalition kommt. Mit einer Fortsetzung der jetzigen Regierungskoalition aus Union und FDP rechnet jeder Fünfte (21 %). Deutlich geringere Chancen werden einem rot-grünen Bündnis (15 %), Schwarz-Grün (6 %), Rot-Rot-Grün (5 %). Eine Ampel-Koalition (SPD, FDP, Grüne) oder eine schwarze Ampel (CDU/CSU, FDP, Grüne) erwarten jeweils 2 % der Wahlberechtigten. Und jeder vierte Befragte (24 %) kann oder will dazu keine Angaben machen.
Zusammengefasst “glauben 54 Prozent der Befragten”, dass Angela Merkel “ihre Arbeit als Kanzlerin fortsetzen” wird.
Um den semantischen Unterschied zwischen “glauben” und “wollen” zu verdeutlichen, werfen wir einfach mal einen Blick auf eine andere aktuelle Umfrage:
Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich im aktuellen ARD-DeutschlandTrend, dass Borussia Dortmund das Champions League-Finale gewinnt, glaubt aber, dass Bayern München den Titel holen wird.
Ein Satz, der in der Welt von Bild.de unmöglich wäre.
Allerdings scheint Bild.de nicht ganz von allein auf den Holzweg gekommen zu sein:
INSA-Chef Hermann Binkert erklärte BILD.de: “Die eindeutige Mehrheit der Bundesbürger erwartet, dass Angela Merkel – in welcher Konstellation auch immer – Bundeskanzlerin bleibt. Die Deutschen fühlen sich bei ihr aufgehoben. Die Bürger vertrauen der Kanzlerin und wollen aus diesem Grund, dass sie ihren Job fortführt.”
Wir haben bei Hermann Binkert (bisherige Stationen: “wissenschaftlicher Mitarbeiter der CDU-Bundestagsabgeordneten Claudia Nolte”, “Persönlicher Referent für Herrn Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel”, “Staatssekretär in der Thüringer Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Freistaates Thüringen beim Bund”) nachgefragt, ob Bild.de ihn richtig zitiert hat und wie er gegebenenfalls aus einer “Erwartung” einen “Willen” ableite, haben aber noch keine Antwort erhalten.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Zeitungen: Eine Branche verharrt im Gestern” (cicero.de, Petra Sorge)
Petra Sorge war am “European Newspaper Congress” in Wien: “Man bunkert sich in seiner glanzvollen Welt ein, während draußen die Moderne an die Tür klopft. Statt sie hereinzulassen, verleiht man sich Orden. (…) Ansonsten tauschte man Rezepte aus, die vor zehn Jahren schon als modern galten: lockeres Zeitungsdesign mit mehr Weißraum, freigestellte Fotos, tiefgründige Erzählgeschichten, Infografiken.”
3. “Generalverdacht ‘Meinungs-Mache’: Wie die NachDenkSeiten billige Ressentiments bedienen” (deliberationdaily.de, Jan Falk)
Nachdenken über die NachDenkSeiten von Jan Falk: “Nun gibt es natürlich Gründe, insbesondere bei den in der politisch-medialen Bubble in Berlin entstehenden Leitmedien einen Bias in der Berichterstattung zu vermuten. Aber, was den Medienkritikern von Links schon zu denken geben sollte: Geradezu spiegelbildlich zu ihrer Annahme grundsätzlich konservativer Medien monieren eher konservativ oder libertär Orientierte gerne die ‘linke Systempresse’. Beides zugleich kann wohl kaum stimmen. Wir haben es also vermutlich zuallererst mit einem Wahrnehmungsproblem zu tun.”
4. “Wie ich eine Falschmeldung verbreitete” (bigblog.welt.de, Stefan Anker)
Stefan Anker erklärt, weshalb er eine Falschmeldung weiterverbreitet hatte: “Im konkreten Fall habe ich etwas übernommen, was zuvor Hans-Peter Buschheuer geteilt hatte. Das ist der Chefredakteur des ‘Berliner Kurier’, ich kenne ihn seit gut 20 Jahren persönlich, habe früher mal mit ihm und mal für ihn gearbeitet und würde nicht erwarten, dass er Falsches verbreitet.”
5. “The performing black folks next door” (economist.com/blogs/johnson, R.L.G., englisch)
Ein Interview mit Charles Ramsey, das sofort zum Mem wurde: “Of course many people are forwarding the video eagerly, in part because Mr Ramsey doesn’t speak like the co-workers in their office towers. But they’re also forwarding it because it’s proof that a poor person is not dumb by virtue of the fact that he doesn’t speak the Queen’s (or, as we say in America, Broadcast) English. On the contrary, he’s clearly quick on his feet in addition to being the kind of person who runs to save strangers.” Siehe dazu auch “The Troubling Viral Trend of the ‘Hilarious’ Black Neighbor” (slate.com, Aisha Harris, englisch).
6. “Die Leser der Regenbogenpresse” (topfvollgold.de, Infografik)
Alter, Einkommen, Bildung und Geschlecht der Regenbogenpresse-Leserschaft.
Seit vergangenem August läuft in “Bild” die Serie “50 Jahre Bundesliga”, in der die Sportredaktion jede Woche zurückblickt: Bunte Anekdoten, “legendäre Fotos” und die jeweilige Abschlusstabelle sollen den Leser an längst vergangene Bundesligaspielzeiten erinnern.
Die gestrige Rückschau auf die Saison 2000/2001 fiel ein bisschen ausführlicher aus als sonst, was damit zusammenhängen könnte, dass es eigentlich nur am Rande um Fußball ging — und hauptsächlich um “Bild”:
Detailliert beschreibt Vim Vomland, über viele Jahre der ganz persönliche Christoph-Daum-Beauftragte von “Bild”, wie das damals war, als Christoph Daum das Land verließ, nachdem seine Haarprobe positiv auf Kokain getestet worden war.
Und mit “detailliert” meinen wir so was:
21. Oktober: Ich, der BILD-Reporter, telefoniere gegen 13 Uhr mit Daums Lebensgefährtin Angelika. Sie sagt einen ungeheuerlichen Satz:
“Der Test bei Christoph ist so, als hätte er eine Lkw-Ladung genommen.” Ihre Worte dröhnen in meinen Ohren.
Um 13.45 Uhr fliegt Daum mit dem Lufthansa-Jumbo in der First-Class auf Platz 83 C von Frankfurt nach Miami.
Vomland flog damals hinterher (“Nur mit einem grauen Anzug, ohne Gepäck, aber mit BILD-Fotograf Andreas Pohl”) und versuchte alles, um den frisch entlassenen Trainer von Bayer Leverkusen zu finden.
Doch erst hatte er kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu:
24. Oktober: Daum feiert seinen traurigsten Geburtstag (den 47.). Wir spüren sein Versteck auf. Das Privat-Resort “Windstar”. Ich bekomme Einlass in die Anlage unter dem Vorwand, eine Mitgliedschaft im Golf-Club kaufen zu wollen. Doch in der Villa eines Freundes ist von Daum nichts zu sehen. Wir mieten uns im “Hilton” auf Marco Island, 30 Kilometer südlich von Naples, ein.
Was wir nicht ahnen konnten: Daum wohnt in dem Augenblick nur 100 Meter in einer Strand-Villa entfernt. Als Calmund erfährt, wo die BILD-Reporter absteigen, lässt er Daum durch die Hotel-Tiefgarage vom gemeinsamen Freund Mark Dillon wegbringen. Von Naples ins neue Versteck nach Orlando Altamonte Springs.
Und so beschreibt Vomland, wie tagelang erst nichts und dann wenig passierte:
2. November: Bei mir klingelt um 11.18 Uhr das Handy. “What’s up Maria? – Was gibt es Maria?” Es ist Christoph Daum! Er gehört zu den wenigen, die meinen Taufnamen kennen. Daum: “Mir geht es gut, mich findet keiner.” Auf meinen Vorschlag (“Lass uns treffen!”) antwortet er: “Ich weiß nicht. Mach es gut. Kopf hoch.”
Vomlands hyperaktive Berichterstattung über den “flüchtigen” Daum sorgte schon damals für Erheiterung bei anderen Journalisten, wie zeitgenössische Texte von “Spiegel Online” und der “Berliner Zeitung” zeigen.
Es gab dann aber doch noch ein Happy End:
3. November: [“Daum-Freund” Mark] Dillon ruft an: “Christoph will dich sehen. Aber allein. Halte dich in der Church Street in Downtown Orlando bereit.”
In dem Vergnügungsviertel tippt mir Dillon um 12.47 Uhr auf die Schulter. Durch den Hinterausgang eines Irish Pub geht es über Feuerleiter, Treppen, Hinterhöfe, Parkplätze zu Dillons Auto. Dort werden mir die Augen verbunden. 25 Minuten später halten wir.
Über eine Hintertreppe landen wir in einem Büro im 1. Stock. Da sitzt Daum und lacht: “Mensch, Maria, wo ist dein Problem?”
BILD hat Daum gefunden!
“Gefunden”, so so.
Man kann sich das gut vorstellen, wie Vim Vomland bei einer Treibjagd durch den Wald pflügt, haufenweise unwichtige Details an die Redaktion durchgibt und am Ende dann mit verbundenen Augen von einem Eichhörnchen zum Hirschen geführt wird. Der Hirsch sagt: “Ich habe auf Dich gewartet”, und Vomland ruft: “Ha! Gefunden!”
Alternativ wäre man gerne dabei gewesen, in der Kindheit von Vim Vomland, als er mit den Nachbarskindern Verstecken gespielt hat und immer “Hab dich”, gerufen hat, wenn die anderen Kinder nach Stunden aus ihrem Versteck krochen.
Wirklich ergiebig war das Interview nicht, wie Vomland auch zwölfeinhalb Jahre später noch andeutet:
30 Minuten reden wir über Calmund, seine Kinder, seine US-Zeit, seine nächtliche Hotel-Flucht. Daum: “Vim, sage allen, dass es mir gut geht. Ich hoffe, wir sehen uns unter erfreulicheren Bedingungen wieder.”
Tatsächlich hat Daum damals offenbar so wenig gesagt, dass Vomland seinen Text in “Bild” vom 4. November 2000 mit banalen Details strecken musste. Aber das konnte er damals schon gut:
Der verschollene Daum. Hockt da, hinter einem Holztisch auf einem der sechs grauen Stühle. Füllt irgendwie den ganzen beigefarbenen Neun-Quadratmeter-Raum. Hinter ihm ein Fenster mit Markise. Daum trägt ein hellblaues Hemd (Button down), eine pinkfarbene Krawatte, eine dunkelblaue Sommerhose, graue Slipper. Sein Gesicht ist gebräunt. Und: Sein Haar ist um etwa die Hälfte kürzer als zuletzt in Leverkusen.
Die tatsächlichen Antworten Daums damals lassen sich in etwa so zusammenfassen: “Dazu sage ich nichts”, “Mehr dazu nicht”, “Du kannst mit mir reden, aber dazu kein Kommentar.”
Dafür erklärte “Bild” damals das besondere Verhältnis zwischen Daum und Vomland:
Christoph Daum (47) und Vim Vomland (45) – der Trainer und der BILD-Reporter aus Köln. Sie kennen sich schon seit dem Winter ’76. Damals waren sie beide Studenten der Sporthochschule Köln. In der Mensa kamen sie erstmals ins Gespräch. Als Daum Jugendtrainer beim 1. FC Köln war, berichtete Vomland als junger BILD- Mitarbeiter über diese Spiele. Und später über Daums Aufstieg. Intensiv wurde der Kontakt ab Juli 1996: Daum wechselt zu Bayer Leverkusen. Den Klub, über den Vomland fast täglich berichtet. Der Reporter war dabei, als Daum am Tag vor seinem 45. Geburtstag bekannte: “Vim, ich verlasse meine Familie.” Der Reporter erlebte Daum nach dem Unterhaching-Desaster: “Er fiel in sich zusammen. Er tat mir leid.” Jetzt war Vomland der erste Journalist, der Daum nach seiner überstürzten Abreise nach Florida gesprochen hat.
Sogar die “Welt” bezeichnete Vomland damals als Daums “zu Berühmtheit gelangten Spezi”.
Heute schreibt Vim Vomland noch immer für den Sportteil von “Bild”, nur Christoph Daum scheint er seit 2011 nicht mehr gefunden zu haben.
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1. “Gratis-BILD am Wahlwochenende – ein Schurkenstück in Sachen Manipulation” (nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Jens Berger kommentiert das Vorhaben von “Bild”, 40 Millionen Exemplare der Zeitung an deutsche Haushalte zu verteilen, einen Tag vor der Bundestagswahl am 22. September: “Auch wenn man bei Springer bemüht ist, die ‘Neutralität’ hervorzuheben und die Gratisausgabe damit zu begründen, den Menschen ‘Lust auf Politik’ zu machen, ist dies natürlich vollkommen unglaubwürdig.”
2. “Ein wohlfrisierter Nazi” (zeit.de, Lenz Jacobsen)
Von der im NSU-Prozess angeklagten Beate Zschäpe gab es bisher “nur eine Hand voll Bilder”: “Auf fast allen sah sie mindestens streng aus, wenn nicht böse. Nett und sympathisch jedenfalls nicht. Die Haare hatte sie zum Zopf zurückgebunden oder sie hingen ihr fettig ins blasse Gesicht. (…) Die vorherigen Bilder waren bequem für uns Betrachter, weil sie besser zu ihren schrecklichen Taten passten. Wenn das Äußere dem Inneren, den Handlungen einer Person, nichts entgegensetzt, dann haben wir nichts, woran wir uns stören müssen, worüber wir nachdenken müssen. So konnten wir Zschäpe zum Monster machen.”
3. “Medien am Pranger” (nzz.ch, Stephan Russ-Mohl) Media accountability sei eigentlich gar nicht teuer, findet Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl: “Die freiwillige Berichtigung von Fehlern ist nicht teuer – sie benötigt allenfalls Aufmerksamkeit seitens der Redaktionen. Die Kosten wiederum für den Presserat werden unter den Beteiligten gesplittet und lassen sich aus der Portokasse bezahlen. Und Jobs für Medien-Ombudsleute sind Teilzeitstellen und sind auch ehrenamtlich denkbar. Einzig und allein Medienjournalisten sind teuer.”
4. “Der Charme des Südens” (demografie-blog.de, Björn Schwentker)
Björn Schwentker prüft von der ARD-Tagesschau präsentierte Zuwanderungszahlen: “Der Prozentanteil der Einwanderung aus den EU-15-Staaten (dazu gehören auch Spanien, Italien, Griechenland und Portugal) hat auf längere Sicht bisher keinen ungewöhnlichen Sprung nach oben gemacht. Dauerhaft steigt aber die Kurve für die Beitrittsstaaten von 2007, das sind Rumänien, und Bulgarien.”
5. “Die Leichtigkeit des Neins” (matthias-schumacher.com)
Matthias Schumacher denkt nach über Kinder in Diktaturen: “Ich wurde Pionier. Ich wäre Hitlerjunge geworden. Es hätte kein Entrinnen gegeben. In Nazideutschland gehörten 98 Prozent der Kinder und Jugendlichen dem Jungvolk und der Hitlerjugend an, in der DDR 98 Prozent der Pionierorganisation. Ich weiß noch gut, wer nicht spurte, wer nicht die geforderten Leistungen erbrachte, sich asozial verhielt, dem blieb in der 4. Klasse das rote Halstuch verwehrt. Eine Schande!”
6. “Da können wir keine Ausnahme machen!” (herrmeyer.ch)
“Dieser Spielplatz ist ausschliesslich für die Kinder unserer Mieter vorgesehen. Da können wir keine Ausnahme machen.”
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1. “Was nicht passt, wird passend gemacht. BILD, deutsche Männer und der liebe Haushalt” (sexismus-stinkt.de, youngrapunzel)
Die gestrige “Bild”-Titelschlagzeile “Die Hausarbeits-Lüge!”: “Bild bezieht sich hier nicht auf eine wissenschaftliche Studie. Auch nicht auf eine neue, repräsentative Umfrage. Bild bezieht sich auf ein Experiment in einer RTL-Show, das in einer einzigen (!) Familie durchgeführt wurde!”
2. “Kurze Theorie der Leser, dieser Bastarde” (blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Journalist Constantin Seibt kümmert sich um den Leser: “Der Leser war ein seltsam doppeltes Wesen: Einerseits dumm wie die Nacht – sobald es nur etwas ironisch oder komplex wurde, verstand er angeblich nicht. Andererseits war er findig wie ein Affe: Sobald etwas um drei Ecken möglicherweise ärgern konnte, strich man es. Kein Wunder, hassten wir diesen stumpfen, spitzfindigen Bastard.”
3. “Spiegel, wir müssen reden” (kessel.tv, Thorsten W.)
Thorsten W. reflektiert seine Beziehung zum “Spiegel”: “Es waren schon immer die Kleinigkeiten, die mich an dir gestört haben. Aber es sind ja immer die Kleinigkeiten. Die kleinen, schlechten Angewohnheiten. Die Sache mit Hitler auf dem Cover. Dein Kulturteil, der immer soo hochnäsig war. Diese latente Arroganz. Alles immer kritisch sehen und Scheiße finden müssen, auch wenn das Leben halt nicht immer Scheiße ist. Diese mit Stolz vor dir hergetragene Nicht-Ahnung von Computer- und Internetthemen.”
4. “Tanz auf zwei Hochzeiten – kein Konflikt?” (de.ejo-online.eu, Fabio Baranzini)
Eine Studie zeigt, dass 40 Prozent der freien Journalisten in Deutschland auch im PR-Bereich tätig sind.
5. “Der Monster-Prozess” (journalist.de, Michael Kraske)
Michael Kraske schreibt zum NSU-Prozess: “Es ist absehbar, dass die Medien der Versuchung erliegen werden, den NSU-Komplex auf wenige Hauptdarsteller zu vereinfachen. Dass viele allein das menschliche Drama erzählen werden, weil die ganze Geschichte zu kompliziert ist. Die Medien haben bei der Mordserie versagt, indem auch sie das Offensichtliche nicht erkennen konnten. Am NSU-Prozess könnten sie erneut scheitern.”
6. “Das grosse ‘Weltwoche’-Theater” (nzz.ch, Urs Bühler)
In den “Zürcher Prozessen” im Theater am Neumarkt wurde das Wochenmagazin “Weltwoche” wegen Schreckung der Bevölkerung, Rassendiskriminierung und Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung angeklagt. “6 der 7 Geschworenen folgten dem Antrag der Verteidigung und beschlossen den Freispruch, was ein Grossteil des Publikums konsterniert aufzunehmen schien.” Alle drei Prozesstage zum Nachschauen auf srf.ch.
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1. “Der NSU-Prozess: Offener Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ” (journalismus-handbuch.de, Paul-Josef Raue)
Paul-Josef Raue schreibt an Albert Schäffer von der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”, der sich seinerseits an Manfred Götzl, den Vorsitzenden Richter im NSU-Prozess wendet: “Wie soll Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem die Grundfeste unseres Gemeinwesens verhandelt werden, anders hergestellt werden als durch eine Berichterstattung in überregionalen Tageszeitungen und Wochenzeitungen?”
2. “NSU-Prozess: Brigitte, pack den Reporter aus!” (novo-argumente.com, Matthias Heitmann)
Matthias Heitmann kommentiert die Aufregung einiger Medien zum Losentscheid der Journalisten-Akkreditierungen im NSU-Prozess: “Ginge es nicht um so etwas Ernsthaftes wie einen Mordprozess mit rassistischem Hintergrund, man könnte die Reaktionen auf den Losentscheid zu Kindergarten-Lehrfilmen mit Titeln wie ‘Im Glücksspiel gibt’s auch Pech’ oder ‘Erst nachdenken, dann mitmachen’ zusammenschneiden.”
3. “I read Brigitte and all I got was schlechte Laune” (sanczny.wordpress.com)
Der Zeitschrift “Brigitte” wurde im NSU-Prozess ein Platz zugeteilt, was hämische Reaktionen hervorrief und darauf Gegenstimmen. “Allein von der Menge her wirkt die politische Berichterstattung in der Brigitte doch etwas wie ein Feigenblatt. (…) Die Frage ist darum für mich nicht, ob politische Berichterstattung in der Brigitte von ausreichender Qualität sein wird, sondern: Durch wieviel Hetero-/Sexismus muss ich blättern, um zu den 5-10 vielleicht okayen Seiten vorzudringen?
4. “Hoeneß – Ein Zwischenruf” (kiezneurotiker.blogspot.ch)
Der Kiezneurotiker meint in der “Berichterstattung des Mainstreams über Uli Hoeneß” System erkennen zu können: “Jeder Hartz-IV-Empfänger, der im Stützeformular bescheißt, eine geschenkte Zahnbürste verschweigt oder den alten Sparstrumpf von Omma selig unterschlägt, jede Schlecker-Frau, die nicht schnell mal umgeschult als Erzieherin arbeiten möchte, jede Kassiererin, die einen Pfandbon einsteckt, wird durch den medialen Schlamm gezogen – ohne sich danach reinwaschen zu dürfen.”
5. “Die ‘Generation G’ unterhöhlt die Innere Pressefreiheit” (cicero.de, Wolfgang Bok)
Die Freiheit der Meinungsbildung sei auch in Deutschland bedroht, und zwar durch die “Generation Greenpeace”, die “in den Verlagshäusern und Rundfunkanstalten” “derzeit die Alt- und Jung-68er” ablöst: “Diese Generation, die mittlerweile in vielen Redaktionen das Sagen hat, ist sich ihrer eingeschränkten Wahrnehmung gar nicht mehr bewusst. Sie denkt vornehmlich in Freund-Feind-Kategorien und teilt die Welt am liebsten in Gut und Böse ein.”
6. “Der letzte Unzähmbare” (dasmagazin.ch, Mathias Ninck)
Ein Interview mit Martin Vollenwyder, der als Stadtrat der Stadt Zürich abtritt: “Nehmen Sie den Buben, der in einer städtischen Krippe in Wollishofen mit einem Rutschauto umgefallen ist. Ein völlig normaler Vorgang, der jeden Tag passiert. (…) Man fällt um, hat ein Loch im Kopf. Aber da, in der Krippe, geht die Mutter zur Verwaltung und behauptet, die Leiter hätten ihre Aufsichtspflicht nicht erfüllt, und sie geht dann in die Medien mit der Geschichte. Die Medien greifen das auf. Und es gibt Druck, also braucht es künftig Helme für Rutschautos. Kein Politiker wird den Unsinn je infrage stellen, weil er bei einem nächsten Unfall die Schlagzeile riskiert: ‘XY war gegen Helmpflicht!'”
Am Sonntag veröffentlichte “Spiegel Online” eine Vorab-Meldung aus dem gedruckten “Spiegel”:
Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion und stellvertretende Generalsekretärin der CSU, Dorothee Bär, hat ihren jetzigen Ehemann vor der Heirat nach Informationen des SPIEGEL über Jahre als wissenschaftlichen Mitarbeiter in ihrem Berliner Abgeordnetenbüro beschäftigt. Bärs Ehemann Oliver ist promovierter Jurist.
Damit könnte Bär gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen haben. Dieses verbietet den Parlamentariern, Arbeitskosten für Verwandte, Ehe- oder Lebenspartner abzurechnen. Dasselbe gilt auch für Verlobte.
Der letzte Satz ist der Entscheidende, wie wir gleich noch sehen werden.
Am Dienstag veröffentlichte Dorothee Bär auf ihrer Webseite nämlich ein Schreiben (PDF) von Bundestagspräsident Norbert Lammert, den sie um Prüfung gebeten hatte.
Darin erklärt Lammert, dass Frau Bär nicht gegen die entsprechende Passage im “Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages” verstoßen habe: Ihr späterer Ehemann sei bis zum 31. Januar 2006 beschäftigt gewesen, geheiratet habe sie ihn am 12. Februar 2006.
Die Behauptung “Dasselbe gilt auch für Verlobte” von “Spiegel und “Spiegel Online” wäre demnach unzutreffend.
Der Ersatz von Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit dem Mitglied des Bundestages verwandt, verheiratet oder verschwägert sind oder waren, ist grundsätzlich unzulässig. Entsprechendes gilt für den Ersatz von Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Lebenspartnern oder früheren Lebenspartnern eines Mitglieds des Bundestages.
In seinem Schreiben stellt Lammert auch klar, dass mit “Lebenspartnern oder früheren Lebenspartnern” von Abgeordneten “nur solche gleichen Geschlechts zu verstehen sind”.
Tatsächlich wurde der betreffende Satz im Jahr 2001 in den Gesetzestext eingefügt, um dem zeitgleich in Kraft tretenden Lebenspartnerschaftsgesetz gerecht zu werden. Weil Schwule und Lesben nicht “heiraten” dürfen, brauchte es diese zusätzliche Formulierung.
Auf unsere Frage, ob “Spiegel Online” nach der Veröffentlichung von Lammerts Schreiben den entsprechenden Artikel überarbeiten wird, erklärte uns Chefredakteur Rüdiger Ditz, die Redaktion bleibe bei ihrer Darstellung. Sie habe im Vorfeld der Veröffentlichung eigene Informationen bei der Bundestagsverwaltung eingeholt, die anders ausgefallen seien als die jetzt veröffentlichte Feststellung des Bundestagspräsidenten.
Die BVB-Profis Neven Subotic und Mats Hummels haben der “Bild”-Zeitung ein Exklusiv-Interview gegeben. Darin kommen die Fußballer unter anderem darauf zu sprechen, dass “manche Leute bei Facebook, Twitter und Co. es mittlerweile echt schaffen, aus total wilden Phantasien Gerüchte mit erstaunlicher Haltbarkeit zu machen!” Da muss ein “Bild”-Redakteur natürlich sofort nachhaken:
BILD: Welche [Geschichten] gab’s denn noch?
Hummels (lacht): “Inzwischen erzählt sich ja die halbe Fußball-Republik, dass Neven ein Verhältnis mit meiner Freundin Cathy hat. Aber pssst..!”
Subotic (lacht): “Ich wollt’s dir noch erzählen, Mats. Aber jetzt mal im Ernst: Das ist natürlich totaler Quatsch! Mats und ich sind miteinander befreundet und beide glücklich vergeben.”
Es folgt eine klassische Sportreporter-Frage:
BILD: Wie sehr nervt Sie das Gerede?
Hummels: “Es ist schon befremdlich, wenn man sieht, wie leicht sich so eine Lüge verselbstständigt und die Leute meinen, über dein Privatleben Bescheid zu wissen. Aber wir kennen uns so gut, dass wir alle echt darüber schmunzeln können.”
Subotic (grinst): “Müssen wir ja auch. Inzwischen spricht uns doch jeder Taxifahrer und jeder Friseur drauf an. Na ja, nach diesem Interview vielleicht nicht mehr. (…)”
Da sind wir uns ehrlich gesagt nicht so sicher.
Denn das haben die Leute von “Bild” aus diesem Interview auf der Titelseite gemacht:
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1. “Hoeneß’ großer Coup” (wiwo.de, Ferdinand Knauß)
Das “Zeit”-Interview mit Uli Hoeneß sei ein “Lehrstück der professionellen Krisenkommunikation”, schreibt Ferdinand Knauß: “Hoeneß exerziert meisterhaft vor, was ein skandalisierter, gefallener Held in so einer Situation tun muss: Ein öffentliches Umdeutungsmanöver ist notwendig, um aus dem für seine Taten selbst verantwortlichen Sünder ein Opfer der Umstände zu machen. Die Zeitredakteure geben ihm dafür die perfekte Vorlage: ‘Halten Sie sich eigentlich für süchtig?’.”
2. “Herr Marmor, Sie als alter Rocker …” (journalist.de, Hans Hoff)
Ein Interview. Lutz Marmor: “Ein Intendant ist ein Möglichmacher.” Hans Hoff: “Och, echt?” Marmor: “Doch, genau das ist meine Funktion. Ich muss Freiräume schaffen, rechtliche, kreative und journalistische.” Hoff: “Das Zitat hängen sich jetzt ganz viele Redakteure in ihre Büros und gucken immer wieder drauf, weil sie es nicht glauben können.”
3. “Ha, ha, Haltung” (zeit.de, Tina Hildebrandt)
Ein Besuch bei der ZDF-“Heute-Show”: “In den USA informieren sich viele Zuschauer, vor allem jüngere, längst nicht mehr über die Nachrichten, sondern nur noch durch die Daily Show, eines der Vorbilder der heute-show. In Deutschland ist das inzwischen ähnlich. Auf Partys kann man Dialoge hören wie: ‘Hast du das mit Nordkorea mitbekommen? Ja, ich hab’s in der heute-show gesehen.'”
4. “Wie Internet und US-Serien die Fernsehgewohnheiten ändern” (tagesspiegel.de, Bodo Mrozek)
US-Serien haben “die Sehgewohnheiten des Publikums nachhaltig verändert”, schreibt Bodo Mrozek: “Psychologische Konzeptionen lösen die einfache Zuordnung in ein moralisierendes Gut-Böse-Schema ab.”
5. “Comeback mit Online-Serien: Netflix ist wieder obenauf” (blogs.faz.net, Roland Lindner)
Der Gründer von Netflix, Reed Hastings: “Die Idee für Netflix entstand aus einem Alltagsärgernis. Hastings musste 40 Dollar Säumnisgebühr zahlen, weil er den Film ‘Apollo 13’ zu spät in eine Videothek zurückgebracht hatte. Er fragte sich, ob es kundenfreundlichere Wege des Filmverleihs geben könnte. 1997 rief er Netflix zunächst als Versanddienst ins Leben, der Kunden gegen monatliche Gebühr DVDs per Post nach Hause lieferte, die sie beliebig lange behalten konnten – Porto inklusive, ohne jegliche Strafgebühren.”
Nur die “Bild”-Zeitung setzt einen etwas anderen Schwerpunkt:
Die Zahl links motivierter Straftaten ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr (2011) deutlich gesunken. Aber mehr als jede zweite Straftat richtete sich mittlerweile gegen “Leib und Leben” der Betroffenen. Zugleich hat die politisch rechts motivierte Kriminalität 2012 zugenommen, von 16 873 (2011) auf 17 616 Straftaten (plus 4,4 %). (…)
Die Zahl links motivierter Straftaten ist demnach von 8687 (2011) auf 6191 gesunken (minus 28,7 %).
“Bild” schreibt also, “mehr als jede zweite” von diesen knapp 6.000 linksmotivierten Straftaten habe sich gegen “Leib und Leben” von jemandem gerichtet. Das würde bedeuten: Im vergangenen Jahr haben linke Gewalttäter mehr als 3.000 Mal Menschen attackiert oder umgebracht. Doch damit liegt “Bild” ein ganzes Stück daneben: Es waren nicht 3.000 solcher Taten, sondern “nur” etwa 700.
Der Fehler ist simpel: Das Blatt hat die Straftaten mit den Gewalttaten verwechselt. Von den 6.000 Straftaten der Linken werden nämlich “nur” knapp 1.200 als “Gewalttaten” eingestuft — und davon etwa die Hälfte als Angriffe auf Leib und Leben. Der Rest besteht hauptsächlich aus Propagandadelikten (“d.h. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen”) und Sachbeschädigungen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Leute von “Bild” bei der Analyse einer solchen Studie fast ausschließlich nach links schauen. Aber wenigstens haben sie die Gewalt der Rechten diesmal nicht komplett verschwiegen.