Archiv für Mai 8th, 2013

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Vim Vomlands Finderwahnsinn

Seit vergangenem August läuft in “Bild” die Serie “50 Jahre Bundesliga”, in der die Sportredaktion jede Woche zurückblickt: Bunte Anekdoten, “legendäre Fotos” und die jeweilige Abschlusstabelle sollen den Leser an längst vergangene Bundesligaspielzeiten erinnern.

Die gestrige Rückschau auf die Saison 2000/2001 fiel ein bisschen ausführlicher aus als sonst, was damit zusammenhängen könnte, dass es eigentlich nur am Rande um Fußball ging — und hauptsächlich um “Bild”:

BILD-Reporter Vim Vomland: So jagte ich Daum durch Amerika

Detailliert beschreibt Vim Vomland, über viele Jahre der ganz persönliche Christoph-Daum-Beauftragte von “Bild”, wie das damals war, als Christoph Daum das Land verließ, nachdem seine Haarprobe positiv auf Kokain getestet worden war.

Und mit “detailliert” meinen wir so was:

21. Oktober: Ich, der BILD-Reporter, telefoniere gegen 13 Uhr mit Daums Lebensgefährtin Angelika. Sie sagt einen ungeheuerlichen Satz:

“Der Test bei Christoph ist so, als hätte er eine Lkw-Ladung genommen.” Ihre Worte dröhnen in meinen Ohren.

Um 13.45 Uhr fliegt Daum mit dem Lufthansa-Jumbo in der First-Class auf Platz 83 C von Frankfurt nach Miami.

Vomland flog damals hinterher (“Nur mit einem grauen Anzug, ohne Gepäck, aber mit BILD-Fotograf Andreas Pohl”) und versuchte alles, um den frisch entlassenen Trainer von Bayer Leverkusen zu finden.

Doch erst hatte er kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu:

24. Oktober: Daum feiert seinen traurigsten Geburtstag (den 47.). Wir spüren sein Versteck auf. Das Privat-Resort “Windstar”. Ich bekomme Einlass in die Anlage unter dem Vorwand, eine Mitgliedschaft im Golf-Club kaufen zu wollen. Doch in der Villa eines Freundes ist von Daum nichts zu sehen. Wir mieten uns im “Hilton” auf Marco Island, 30 Kilometer südlich von Naples, ein.

Was wir nicht ahnen konnten: Daum wohnt in dem Augenblick nur 100 Meter in einer Strand-Villa entfernt. Als Calmund erfährt, wo die BILD-Reporter absteigen, lässt er Daum durch die Hotel-Tiefgarage vom gemeinsamen Freund Mark Dillon wegbringen. Von Naples ins neue Versteck nach Orlando Altamonte Springs.

Und so beschreibt Vomland, wie tagelang erst nichts und dann wenig passierte:

2. November: Bei mir klingelt um 11.18 Uhr das Handy. “What’s up Maria? – Was gibt es Maria?” Es ist Christoph Daum! Er gehört zu den wenigen, die meinen Taufnamen kennen. Daum: “Mir geht es gut, mich findet keiner.” Auf meinen Vorschlag (“Lass uns treffen!”) antwortet er: “Ich weiß nicht. Mach es gut. Kopf hoch.”

Vomlands hyperaktive Berichterstattung über den “flüchtigen” Daum sorgte schon damals für Erheiterung bei anderen Journalisten, wie zeitgenössische Texte von “Spiegel Online” und der “Berliner Zeitung” zeigen.

Es gab dann aber doch noch ein Happy End:

3. November: [“Daum-Freund” Mark] Dillon ruft an: “Christoph will dich sehen. Aber allein. Halte dich in der Church Street in Downtown Orlando bereit.”

In dem Vergnügungsviertel tippt mir Dillon um 12.47 Uhr auf die Schulter. Durch den Hinterausgang eines Irish Pub geht es über Feuerleiter, Treppen, Hinterhöfe, Parkplätze zu Dillons Auto. Dort werden mir die Augen verbunden. 25 Minuten später halten wir.
Über eine Hintertreppe landen wir in einem Büro im 1. Stock. Da sitzt Daum und lacht: “Mensch, Maria, wo ist dein Problem?”
BILD hat Daum gefunden!

“Gefunden”, so so.

Man kann sich das gut vorstellen, wie Vim Vomland bei einer Treibjagd durch den Wald pflügt, haufenweise unwichtige Details an die Redaktion durchgibt und am Ende dann mit verbundenen Augen von einem Eichhörnchen zum Hirschen geführt wird. Der Hirsch sagt: “Ich habe auf Dich gewartet”, und Vomland ruft: “Ha! Gefunden!”

Alternativ wäre man gerne dabei gewesen, in der Kindheit von Vim Vomland, als er mit den Nachbarskindern Verstecken gespielt hat und immer “Hab dich”, gerufen hat, wenn die anderen Kinder nach Stunden aus ihrem Versteck krochen.

Wirklich ergiebig war das Interview nicht, wie Vomland auch zwölfeinhalb Jahre später noch andeutet:

30 Minuten reden wir über Calmund, seine Kinder, seine US-Zeit, seine nächtliche Hotel-Flucht. Daum: “Vim, sage allen, dass es mir gut geht. Ich hoffe, wir sehen uns unter erfreulicheren Bedingungen wieder.”

Tatsächlich hat Daum damals offenbar so wenig gesagt, dass Vomland seinen Text in “Bild” vom 4. November 2000 mit banalen Details strecken musste. Aber das konnte er damals schon gut:

Der verschollene Daum. Hockt da, hinter einem Holztisch auf einem der sechs grauen Stühle. Füllt irgendwie den ganzen beigefarbenen Neun-Quadratmeter-Raum. Hinter ihm ein Fenster mit Markise. Daum trägt ein hellblaues Hemd (Button down), eine pinkfarbene Krawatte, eine dunkelblaue Sommerhose, graue Slipper. Sein Gesicht ist gebräunt. Und: Sein Haar ist um etwa die Hälfte kürzer als zuletzt in Leverkusen.

Die tatsächlichen Antworten Daums damals lassen sich in etwa so zusammenfassen: “Dazu sage ich nichts”, “Mehr dazu nicht”, “Du kannst mit mir reden, aber dazu kein Kommentar.”

Dafür erklärte “Bild” damals das besondere Verhältnis zwischen Daum und Vomland:

Christoph Daum (47) und Vim Vomland (45) – der Trainer und der BILD-Reporter aus Köln. Sie kennen sich schon seit dem Winter ’76. Damals waren sie beide Studenten der Sporthochschule Köln. In der Mensa kamen sie erstmals ins Gespräch. Als Daum Jugendtrainer beim 1. FC Köln war, berichtete Vomland als junger BILD- Mitarbeiter über diese Spiele. Und später über Daums Aufstieg. Intensiv wurde der Kontakt ab Juli 1996: Daum wechselt zu Bayer Leverkusen. Den Klub, über den Vomland fast täglich berichtet. Der Reporter war dabei, als Daum am Tag vor seinem 45. Geburtstag bekannte: “Vim, ich verlasse meine Familie.” Der Reporter erlebte Daum nach dem Unterhaching-Desaster: “Er fiel in sich zusammen. Er tat mir leid.” Jetzt war Vomland der erste Journalist, der Daum nach seiner überstürzten Abreise nach Florida gesprochen hat.

Sogar die “Welt” bezeichnete Vomland damals als Daums “zu Berühmtheit gelangten Spezi”.

Heute schreibt Vim Vomland noch immer für den Sportteil von “Bild”, nur Christoph Daum scheint er seit 2011 nicht mehr gefunden zu haben.

Mit Dank auch an Matthias M.

Beate Zschäpe, Hitlerjugend, Spielplatz

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Gratis-BILD am Wahlwochenende – ein Schurkenstück in Sachen Manipulation”
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Jens Berger kommentiert das Vorhaben von “Bild”, 40 Millionen Exemplare der Zeitung an deutsche Haushalte zu verteilen, einen Tag vor der Bundestagswahl am 22. September: “Auch wenn man bei Springer bemüht ist, die ‘Neutralität’ hervorzuheben und die Gratisausgabe damit zu begründen, den Menschen ‘Lust auf Politik’ zu machen, ist dies natürlich vollkommen unglaubwürdig.”

2. “Ein wohlfrisierter Nazi”
(zeit.de, Lenz Jacobsen)
Von der im NSU-Prozess angeklagten Beate Zschäpe gab es bisher “nur eine Hand voll Bilder”: “Auf fast allen sah sie mindestens streng aus, wenn nicht böse. Nett und sympathisch jedenfalls nicht. Die Haare hatte sie zum Zopf zurückgebunden oder sie hingen ihr fettig ins blasse Gesicht. (…) Die vorherigen Bilder waren bequem für uns Betrachter, weil sie besser zu ihren schrecklichen Taten passten. Wenn das Äußere dem Inneren, den Handlungen einer Person, nichts entgegensetzt, dann haben wir nichts, woran wir uns stören müssen, worüber wir nachdenken müssen. So konnten wir Zschäpe zum Monster machen.”

3. “Medien am Pranger”
(nzz.ch, Stephan Russ-Mohl)
Media accountability sei eigentlich gar nicht teuer, findet Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl: “Die freiwillige Berichtigung von Fehlern ist nicht teuer – sie benötigt allenfalls Aufmerksamkeit seitens der Redaktionen. Die Kosten wiederum für den Presserat werden unter den Beteiligten gesplittet und lassen sich aus der Portokasse bezahlen. Und Jobs für Medien-Ombudsleute sind Teilzeitstellen und sind auch ehrenamtlich denkbar. Einzig und allein Medienjournalisten sind teuer.”

4. “Der Charme des Südens”
(demografie-blog.de, Björn Schwentker)
Björn Schwentker prüft von der ARD-Tagesschau präsentierte Zuwanderungszahlen: “Der Prozentanteil der Einwanderung aus den EU-15-Staaten (dazu gehören auch Spanien, Italien, Griechenland und Portugal) hat auf längere Sicht bisher keinen ungewöhnlichen Sprung nach oben gemacht. Dauerhaft steigt aber die Kurve für die Beitrittsstaaten von 2007, das sind Rumänien, und Bulgarien.”

5. “Die Leichtigkeit des Neins”
(matthias-schumacher.com)
Matthias Schumacher denkt nach über Kinder in Diktaturen: “Ich wurde Pionier. Ich wäre Hitlerjunge geworden. Es hätte kein Entrinnen gegeben. In Nazideutschland gehörten 98 Prozent der Kinder und Jugendlichen dem Jungvolk und der Hitlerjugend an, in der DDR 98 Prozent der Pionierorganisation. Ich weiß noch gut, wer nicht spurte, wer nicht die geforderten Leistungen erbrachte, sich asozial verhielt, dem blieb in der 4. Klasse das rote Halstuch verwehrt. Eine Schande!”

6. “Da können wir keine Ausnahme machen!”
(herrmeyer.ch)
“Dieser Spielplatz ist ausschliesslich für die Kinder unserer Mieter vorgesehen. Da können wir keine Ausnahme machen.”