Archiv für Oktober 18th, 2012

Man muss auch mal Opfer bringen

In Rostock ist eine 17-jährige Schülerin entführt und über mehrere Tage mehrfach missbraucht worden. “Bild” berichtet über den Fall, indem die Zeitung ein unverfremdetes “privates” Foto des Tatverdächtigen zeigt, seinen Vornamen, den abgekürzten Nachnamen und seinen Spitznamen sowie sein Alter nennt, Angaben über seine kriminelle Vergangenheit und seine Arbeit macht und ein Foto des Hauses druckt, in dem der Mann wohnt.

So weit, so normal.

Aber auch mit dem Opfer geht “Bild” nicht gerade sensibel um: Die Zeitung nennt offenbar den richtigen Vornamen der jungen Frau, druckt ein “privates” Foto von ihr, auf dem ihr Gesicht zwar verpixelt ist, durch das sie aber aufgrund ihrer außergewöhnlichen Frisur für ihr Umfeld ohne weiteres zu identifizieren sein sollte.

Bild.de geht sogar noch weiter und zeigt ein Foto von dem Flugblatt, mit dem nach der vermissten Frau gesucht worden war. Ihr Gesicht ist auch hier verpixelt, dafür sind dort diverse besondere Merkmale genannt, durch die die Frau identifizierbar wird — und falls das noch nicht reicht, zeigt Bild.de auf diesem Flugblatt auch noch ihren vollen Namen.

Ebenfalls auf Bild.de gibt es ein Video mit dem Titel “Hier wird die 17-Jährige ärztlich versorgt”. In wackligen Bildern sieht man durch einen Zaun hindurch Rettungssanitäter, die mehrere Tücher hochhalten, um die offenbar dahinter befindliche Frau vor neugierigen Blicken zu schützen.

Der Offsprecher salbadert:

Die seit Samstagmorgen vermisste […] lebt. Hinter diesen hochgehaltenen Tüchern wird die Jugendliche ärztlich versorgt. […]

Die 17-Jährige wurde unweit einer viel befahrenen Straße, rund drei Kilometer von ihrem Elternhaus im Rostocker Stadtteil […] entfernt, gefunden. Polizisten riegelten ein Wohnhaus in rund einhundert Metern Entfernung ab. Offenbar war […] in diesem Haus festgehalten worden.

Er beschreibt damit recht anschaulich, was in dem Video auch zu sehen ist.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

HBO, GIF, E-Mails

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Was Günther Jauch alles egal ist”
(stefan-niggemeier.de)
Der Sendung “Günther Jauch” sei es letzten Sonntag “in spektakulärer Weise” nicht gelungen, ihre Zuschauer ein bisschen klüger machen: “Man hätte sonst zum Beispiel darauf verzichtet, einen Heini wie Hans-Hermann Tiedje einzuladen, der nichts mit dem Fall zu tun hat, der Wenigerwissen durch Lautermeinen kompensiert und der die bequeme Position hat, stellvertretend für seine Kumpel von ‘Bild’ Kachelmann angreifen zu können, ohne sich für das Handeln von ‘Bild’ rechtfertigen zu müssen.”

2. “Wolgast, das Opfer der Medien – Eine Replik”
(vierzudrei.de.ms)
Eine Replik auf den FAZ-Artikel “Das eingeübte Ritual”: “Mein Eindruck ist, dass der Autor diesen Text schnell zusammengeschustert hat, ohne selbst vor Ort gewesen zu sein. Oder, ohne die Region wirklich zu kennen.”

3. “HBO-Bosse: Deutschland ist wie USA vor 20 Jahren”
(newsroom.de, Britta Schultejans)
Richard Plepler, künftig CEO des US-Bezahlsenders HBO, über das Fernsehen in Deutschland: “Ich denke, Ihr seid wie wir vor 20 Jahren. Alles war vorhersehbar und es gab eine vorgegebene Richtung. Als wir damals unsere Vorstellung geäußert haben, wurde das als wahnwitzige Idee abgetan. Man kann sich kaum vorstellen, wie viel Zynismus uns und unseren Ideen entgegen gebracht wurde. Und heute macht das jeder.”

4. “Lacht um euer Leben”
(tagesspiegel.de, Sidney Gennies)
Satire im Ägypten und Syrien: “Seit die staatlichen Repressionen wegfallen, haben sich auch die Grenzen der Pressefreiheit verschoben. ‘Ich kann und werde über alles sprechen’, sagt Satiriker Bassem Youssef. ‘Aber Religion und Sex sind tabu.’ Niemand verbiete es ihm, aber die Zuschauer würden es nicht akzeptieren.”

5. “Animierte GIF-Bildchen erobern das Internet”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert versucht, den Erfolg des Grafikformats GIF zu erklären.

6. “‘Nur Sklaven sind ständig erreichbar'”
(spiegel.de, Anne Haeming)
Anitra Eggler liest ihre E-Mails um 10 und um 16 Uhr. “Man sollte das Postfach wie einen echten Briefkasten behandeln: aufmachen, dann die Post durcharbeiten. Und nicht dauernd schauen, ob gerade die Welt untergegangen ist.”