Archiv für September 3rd, 2012

Schrödingers Terrorfürst

Vergangene Woche verkündete Bild.de unter vermeintlicher Berufung auf ein Enthüllungsbuch, dass Osama bin Laden sich “vermutlich” bzw. “offenbar” selbst erschossen hätte. Einige deutschsprachige Medien, vor allem online, schlossen sich dieser These an (BILDblog berichtete) und ruderten anschließend mehr oder weniger gelungen zurück (BILDblog berichtete auch hier).

Heute unternahm die gedruckte “Bild” einen neuen Versuch, die bisher durchgesickerten Informationen aus dem Buch nachzuerzählen:

Das hat alles soweit auch ganz gut geklappt — doch bei Bild.de steht jetzt sowohl die Online-Fassung des richtigen Artikels als auch immer noch die Behauptung, der Ex-Navy-Seal “enthülle”, bin Laden habe Selbstmord begangen.

Ein bisschen verirrt

Wichtig im Journalismus ist ja auch, dass man dramatische Überschriften nicht gerade mit völlig albernen Artikelanfängen konterkariert.

Praktisch heißt das, dass auf so eine Schlagzeile …

Auf hoher See verirrt: Küstenwache rettet Schauspieler Russell Crowe

… vielleicht besser nicht so ein Text folgt:

“Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön” heißt es in einem beliebten Volkslied …

Das dachte sich wohl auch Schauspieler Russell Crowe (48), als er mit einem Begleiter und einem Kajak in See stach. Weniger lustig war da allerdings, dass die beiden von der Küstenwache gerettet werden mussten.

Andererseits ist bei dem Text, der dann noch folgt, eigentlich sowieso alles egal.

Bild.de schreibt, der Schauspieler und ein Bekannter (das Wort “Bekannter” ist mit dem Werbelink einer Partnervermittlung unterlegt) seien am Samstag mit einem Kajak von der Ortschaft Cold Spring Harbor bei New York aufgebrochen:

Bei Sonnenuntergang hatten sie sich verirrt und einem Boot, das sich auf Patrouille befand, ihre Not signalisiert. Zu viel geträllert und den Kurs aus den Augen verloren, lieber Russell?

Die Kajakfahrer seien zum Schiff der Küstenwache gepaddelt, an Bord geklettert und zurück nach Huntington Harbor gefahren, sagte Robert Swieciki, ein Sprecher der US-Küstenwache.

Darüber hinaus hatte Swieciki gegenüber der Press Association noch etwas gesagt, was die ganze Geschichte (“Auf hoher See verirrt”!) schon ein bisschen unspektakulär erscheinen ließ:

“Er brauchte nur ein bisschen Hilfe, er hatte sich nur ein bisschen verirrt”, sagte Swieciki. “Es war eigentlich keine richtige Rettung, eher eine Mitfahrgelegenheit.”

(Übersetzung von uns.)

Außerdem waren die beiden mit ihrem Kajak nicht auf hoher See (mehr als 200 Seemeilen von der Küste entfernt) unterwegs, sondern im Long Island Sound, einer Förde, wo sie offenbar immer in Küstennähe blieben.

Aber gut, man muss es natürlich nur in die richtige Relation setzen:

Puh, noch mal Glück gehabt! Schauspiel-Kollege Tom Hanks (56) zeigte in “Verschollen” wie ein Ausflug auf hoher See auch ausgehen kann und man NICHT gefunden wird. Doch in dieser Hauptrolle hätte sich der Australier sicherlich ungern im echten Leben gesehen.

Mal davon ab, dass Schauspiel-Kollege Tom Hanks das natürlich nur gespielt hat, ist der “Ausflug auf hoher See” in “Verschollen” der Absturz eines Transportflugzeugs, den Hanks’ Charakter als einziger überlebt. Er rettet sich auf eine einsame Insel, auf der er mehrere Jahre lebt. Also irgendwie was ganz anderes.

Crowe, der sich zu Dreharbeiten auf Long Island aufhält, bedankte sich über Twitter bei seinen Helfern.

Das gleiche Twitter übrigens, auf dem Crowe kurz darauf auch noch mal geschrieben hatte, er habe sich nicht verirrt:

Mit Dank an Matthias M.

Clint Eastwood, Behindertenwitze, IVW

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Warum ich mir eine (vermutlich) einmalige Gelegenheit entgehen lasse”
(qlod.org, Nilzenburger)
Nilzenburger erklärt, warum er eine Einladung in die Sendung “Achtung, Computer! Macht uns das Internet dumm?” von “Günther Jauch” zurückgewiesen hat: “Spitzer geht es zu keinem Zeitpunkt um eine Diskussion, genausowenig wie es ihm um eine Lösung geht. Spitzer geht es wahrscheinlich nicht mal so sehr um unsere Kinder. Spitzer geht es nur um eins: Sein Buch zu verkaufen.” Siehe dazu auch “Omg, lol!” (spiegel.de, Ole Reißmann).

2. “Der neue Dämonisierungsjournalismus”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig geht auf drei Berichte von deutschen Journalisten über den Auftritt von Clint Eastwood (youtube.com, Video, 11:49 Minuten) an der Republican National Convention ein: “Die Unterstellung von Senilität und/oder Rassismus ist nichts als abstoßender Gesinnungsjournalismus. Man mag sich nicht ausdenken, wozu diese Journalisten zu anderen Zeiten fähig gewesen wären (ihre Indoktrinierung hätte nur anders verlaufen müssen). Sie sind zu nüchternen Analysen nicht in der Lage, weil sie hoffnungslos parteiisch sind. Daher muss jeder Andersdenkende, der nicht ihr Weltbild vertritt, dämonisiert werden.”

3. “Von Handicap-Helden, Judo-Zwillingen und dem Stelzenmann “
(absolutobsolet.blogspot.de)
Anlässlich der Paralympics in London macht Bild.de eine Klickstrecke mit Behindertenwitzen.

4. “Qualität versus Tricks”
(ploechinger.tumblr.com, Stefan Plöchinger)
Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de, schreibt über die Tricks von Zeitungsportalen, um IVW- und AGOF-Rankings zu optimieren. “Wir wollen nachhaltig Reichweite aufbauen, wie Spiegel Online und auch bild.de das über die Jahre geschafft haben. Mit Tricks allein wären sie nicht Marktführer geworden, sie sind es dank einer publizistischen Idee, die man im Fall von bild.de freilich nicht teilen muss.”

5. “PR-Firma zahlt Journalisten: Im Couvert steckten 500 Franken”
(sonntagonline.ch, Hanspeter Bürgin)
Schweizer Journalisten lassen sich von einer PR-Firma mit rund 400 Euro bezahlen: “PR-Mann Fässler verteidigt sein Geschäftsmodell: ‘Ich verstosse gegen keine Gesetze und Richtlinien.’ Er bestätigt ohne Umschweife, Journalisten von Tamedia, NZZ und az entschädigt zu haben. Ob diese die 500 Franken behalten, in eine Redaktionskasse einbringen oder an eine gemeinnützige Organisation spenden, sei nicht seine Sache.”

6. “BILD versteht Jan Böhmermanns Humor nicht”
(alexkordsblog.wordpress.com)