Da Bundespräsident Christian Wulff in den letzten Monaten herbe Imageverluste erleiden musste, dürfte Günther Jauch endgültig der unangefochtene Lieblingsschwiegersohn der Deutschen sein.
Insofern passt es gut, dass Bild.de die besorgte Schwiegermutter gibt und heute entsetzt meldet:
Das ist ja (k)ein dickes Ding!
Am Montagabend trat Günther Jauch (55) bei “Wer wird Millionär” den ultimativen Gewichtstest an, nachdem ein Kandidat in der letzten Sendung Jauchs Aussage angezweifelt hatte er wiege 78 Kilo. Vor einem Millionenpublikum krabbelte Jauch auf die Waage und überraschte mit deutlich weniger Gewicht auf den Rippen!
(…) der Moderator (…) zog die schnieken Schuhe aus, stakste auf die mitgebrachte Waage und überraschte mit einem mageren Ergebnis. Nix da 78 Kilo – sein Gewicht pendelte sich nicht ein und schwankte um magere 75,8 Kilogramm – inklusive Anzug und Wäsche! Das entspricht bei einer Größe von über 1,90 nur einem Bodymaß-Index von über 20 – Medizinisch bedenklich!
“Medizinisch bedenklich” ist nicht Jauchs Gewicht, sondern allenfalls der geistige Zustand der Redaktion von Bild.de. Zwar liegt Jauch tatsächlich bei einem Body-Mass-Index um die 20, doch das ist absolutes Normalgewicht für einen Mann seiner Größe. Immerhin liegen “normalgewichtige” Menschen bei Werten zwischen 18,5 und 25. Jauch dürfte bei seinem Gewicht sogar um die zwei Meter groß sein, ohne auch nur als “leicht untergewichtig” zu gelten — oder er dürfte mit seinen über 1,90 Meter Körpergröße ohne weiteres fünf Kilogramm weniger wiegen.
Aber wie schrieb schon die Entertainmentlegende Bild.de?
The show must go on, auch wenn man sich mal irrt
Mit Dank an Dennis M. und Jens.
Nachtrag, 1. Februar: In der gedruckten “Bild” ist die weltbewegende Nachricht über Günther Jauchs Gewicht heute schon etwas vorsichtiger als Frage formuliert. Außerdem hat der Moderator ein zusätzliches Kilogramm spendiert bekommen:
Und anstatt einfach zu behaupten, Jauchs Gewicht sei “medizinisch bedenklich”, hat “Bild” sogar einen richtigen Mediziner zu Wort kommen lassen:
Zu wenig für sein Alter? Sportarzt Dr. Roland Kretsch (Bochum): “Nein. Herr Jauch scheint mir gut trainiert. Wer viel schwimmt, Rad fährt und joggt, hält den Stoffwechsel unter Dampf. Körperlich ist er locker zehn Jahre jünger.”
Auch der Artikel auf Bild.de wurde ohne jeden Hinweis angepasst, die Worte “medizinisch bedenklich” entfernt.
Das Leben von Klatschreportern ist offenbar härter als bisher angenommen. Über manche Themen wollen diese … äh: “Journalisten” nämlich gar nicht schreiben, sie werden von unbekannten Mächten quasi dazu gezwungen. Und damit meinen wir noch nicht mal jene B- bis F-Prominenten, die dem Vernehmen nach immer wieder in den Redaktionen anrufen und fragen, ob man da nicht gemeinsam mal wieder “was machen” könnte.
Aber sprechen wir erst mal über diesen Brief an die “lieben Leser”:
Da hat also ein heute 88-jähriger Mann seine Memoiren geschrieben, in denen er behauptet, als Callboy mit Hollywood-Größen und anderer Prominenz geschlafen zu haben. Die angeblichen Kunden sind mittlerweile alle tot, weswegen sie sich, wie Yvonne Beister richtig bemerkt, vermutlich im Grabe umdrehen und sich nicht mehr gegen die Behauptungen wehren können.
Insofern muss es die um Diskretion und das Wohlergehen der VIPs besorgte Yvonne Beister schwer gewurmt haben, auf ihrer “letzten Seite” berichten zu müssen, wie “JETZT” “das dunkelste Geheimnis der Traumfabrik” gelüftet wird:
Aber wahrscheinlich ging es ihr und ihrem “Letzte-Seite-Team” da wie den Toten: Sie konnten sich nicht wehren.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “Das Handelsblatt – der Boulevard-Troll” (indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer reagiert auf einen Gastkommentar des Politikers Ansgar Heveling, der derzeit “die Netzgemeinde” anregt. “Der Abdruck des unfassbar dummen Textes von Heveling ist nichts anderes als der Versuch des Handelsblattes, die Klick-Zahlen nach oben zu treiben und einen leider absehbaren Shitstorm zu erschaffen.” Siehe dazu auch Lukas Heinser in “Es ist das Bildblog. Jemand muss es machen”: “Ich möchte mich nicht mehr über Dinge aufregen, die fünftklassige Politiker gesagt haben und die eh nie Gesetz werden. Diese ganze Empörungsmaschinerie, die dann aber trotzdem bei Twitter und den ganzen Blogs durchläuft, fand ich einfach zu anstrengend.”
3. “Kleiner Faktencheck” (absolutobsolet.blogspot.com)
Fünf Fehler in einer Bildunterschrift eines Bild.de-Artikels über Achterbahnen entdeckt das Blog “absolut obsolet”.
Im vergangenen November wurde Dortmund von etwas erschüttert, das die Lokalpresse als “handfesten Pädagogik-Skandal” und “Psychoterror” bezeichnete — oder schlicht als “Hamster-Affäre”.
Die “Westfälische Rundschau” fasste die Ereignisse damals so zusammen:
Auslöser für den Vorgang, der auch die Bezirksregierung in Arnsberg beschäftigt, war die Bitte einer Lehrerin an der […]-Realschule im Ortsteil […] am ersten Tag nach den Sommerferien, die Kinder sollten doch am nächsten Tag etwas mitbringen, was ihnen besonders am Herzen liegt.
Carina, neu in der Stadt und und neu an der Schule, fragte, ob sie auch ihren Goldhamster Attila mitbringen könne, wie sie es an der Grundschule auch schon getan habe. Die Antwort der Lehrerin “Das halte ich für keine gute Idee” verstand das Kind nicht als Absage. Als die Zehnjährige am nächsten Tag das Tier in einem so genannten Race-Ball, einem handelsüblichen runden Laufball für Hamster mitbrachte, nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Für das “Verhängnis” hatte die “WR” einen Kronzeugen, den Patenonkel der kleinen Carina. Die sei “sofort von der Lehrerin als Tierquälerin beschimpft worden”, erzählte der Mann der Zeitung.
Und weiter:
Die irritierte Nachfrage des Kindes, sie habe doch den Hamster tags zuvor angekündigt, habe die Lehrerin mit den Worten quittiert: “Du bist genauso verlogen wie dein Bruder.”
Die Zehnjährige sollte daraufhin ihre Sachen packen und den Unterricht verlassen. “Carina hatte noch kein Schokoticket und kannte nicht mal den Fußweg nach Hause”, erläutert [D.] die prekäre Situation des Kindes, das eigentlich nach Schulschluss mit dem großen Bruder heimfahren sollte. Ein Weg, der über 6,5 Kilometer zu Fuß zunächst an verkehrsreichen Straßen, später durch einsamen, dichten Wald führt. Einmal versicherte sich das Mädchen bei einem Taxifahrer, dass es noch auf dem richtigen Kurs sei. “Absolut unverantwortlich”, kommentiert der Patenonkel den Rausschmiss der Lehrerin.
Es waren schwere Vorwürfe, die der Mann gegen die Lehrerin erhoben hat und die sich die “WR” zueigen machte. Doch damit nicht genug:
Doch damit nicht genug. Am nächsten Tag wurde es erst richtig perfide. Die Mitschüler sollten Aufsätze über die vermeintliche Tierquälerei Carinas schreiben. Nach dem Wochenende musste die Zehnjährige sich neben die Lehrerin setzen und das Tribunal öffentlicher Denunzierung ertragen. Pädagogik wie im Mittelalter. Nein, nach diesen seelischen Grausamkeiten wollte das Kind nicht länger zu dieser Schule gehen. Inzwischen erhielt Carina an einer Realschule in einem anderen Stadtteil einen Platz.
“Die Kleine war fertig”, schüttelt der Patenonkel nur den Kopf. “Das war Psychoterror!” Er half den polnischen Eltern beim Abfassen einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die nach Arnsberg ging.
Für die Position der Gegenseite fand die “WR” genau einen Satz:
Schulleiter […], den die WR in den Ferien erreichte, hält die ganze Sache für “aufgebauscht” und möchte auch unter Hinweis auf das schwebende Verfahren “nichts dazu sagen”.
Die Kommentare unter dem Artikel im Online-Portal “Der Westen” der WAZ-Regionalzeitung deckten ein breites Spektrum von Meinungen ab: Mal war die Lehrerin eindeutig die Böse, mal die Eltern des Kindes. In jedem Fall waren sie, wie “Der Westen”-Kommentare immer sind: Laut, wild und ungestüm, manche mussten gar von der Redaktion entfernt werden.
Einen halben Tag später hatte die “Hamster-Affäre” die Aufmerksamkeit, die sich die “WR” gewünscht hatte: Der zuständige Regierungspräsident in Arnsberg schaltete sich ein und “Der Westen” titelte, der Lehrerin drohten Konsequenzen.
Regierungspräsident Gerd Bollermann hat schnell auf die “Hamster-Affäre” reagiert. Nach unserem Bericht über den extremen Fall von Mobbing an einer Realschule in Dortmund-[…] kümmert er sich persönlich um die Aufklärung der skandalösen Vorgänge. […]
“Kinder dürfen nicht gemobbt werden”, erklärt jetzt Regierungspräsident Dr. Gerd Bollermann. “Ein respektvoller Umgang mit Schülerinnen und Schülern ist eine Selbstverständlichkeit. Kinder dürfen an unseren Schulen nicht bloßgestellt oder gemobbt werden”.
Im letzten Moment muss dem zuständigen Lokalreporter Gerald Nill dann aber wieder eingefallen sein, dass die Unschuldsvermutung auch in diesem Fall gelten könnte, weswegen er die Vorwürfe ein wenig relativierte. Oder genauer: den Regierungspräsidenten die Vorwürfe ein wenig relativieren ließ.
“Falls sich die Vorwürfe bestätigen sollten, sind disziplinarische Konsequenzen nicht ausgeschlossen”, stellt Arnsberg klar. Jetzt erhalte die Lehrerin aber die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen.
“Sollte sich das Verhalten der Lehrerin bestätigen, wäre dies pädagogisch nicht akzeptabel und bedarf einer intensiven Nachbereitung”, macht RP Dr. Bollermann nachdrücklich deutlich. “Für mich steht der sensible Umgang mit den Kindern an erster Stelle.”
In einem dritten Artikel verkündete der Reporter:
Die “Klärung” sah in seinen Augen so aus:
Die sogenannte “Hamster-Affäre” an der […]-Realschule ist weitgehend geklärt. Nach einem mehrstündigen Gespräch mit dem Regierungspräsidenten Dr. Gerd Bollermann sind die Angehörigen, die eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine Lehrerin wegen Mobbings gestellt hatten, zufrieden.
“Wir haben mehr erreicht, als wir geglaubt hatten”, erklärte Mittwoch der Patenonkel der zehnjährigen Carina, Christian [D.]. Er hatte die Westfälische Rundschau eingeschaltet, nachdem Carina wegen eines in die Schule gebrachten Hamsters schwer von einer Lehrerin gemobbt worden sein soll. Sie soll die Zehnjährige auf einen 6,5 Kilometer langen, noch unbekannten Heimweg geschickt haben, sie der Lüge “wie Dein Bruder” bezichtigt haben sowie Mitschüler Schmähaufsätze über die vermeintliche Tierquälerin schreiben und verlesen lassen.
Das Kind war danach zusammen gebrochen und musste an einer anderen Schule angemeldet werden. Als die Schulaufsicht dann noch nahe gelegt hatten, die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Lehrerin fallen zu lassen, hatte der Patenonkel die WR eingeschaltet.
Das war schon ein Hauch Distanz mehr als in den vorigen Artikeln, aber an den Fakten konnte eigentlich immer noch kein Zweifel bestehen: Durchgeknallte Lehrerin misshandelt armes Mädchen. Die Lehrerin oder ihre Schulleitung kam gar nicht erst zu Wort.
Dann passierte etwas, was Nill und der “WR” so gar nicht in den Kram passte: Die Lehrergewerkschaft “lehrernrw” forderte den Rücktritt des Regierungspräsidenten:
“Wie im Zusammenhang mit der so genannten ‘Hamster-Affäre‘ eine Lehrkraft an den Pranger gestellt wird, ist ungeheuerlich”, kommentiert Brigitte Balbach, Vorsitzende von “lehrer nrw”, die Vorgänge an der […] Realschule.
“Der Arnsberger Regierungspräsident Dr. Gerd Bollermann lässt zu, dass eine Lehrerin öffentlich gebrandmarkt wird. Er inszeniert sich als Kindesbeschützer, trifft sich höchstpersönlich mit den Eltern – aber mit der beteiligten Lehrerin haben bis jetzt weder er noch der zuständige Abteilungsleiter der Bezirksregierung gesprochen.”
Gerald Nill, der den Fall bis hierhin für die “WR” begleitet hatte, fand die Forderungen der Lehrergewerkschaft “absurd”, wie er in einem Kommentar anmerkte:
Worum ging’s? Eine Lehrerin, die eine Zehnjährige in Sippenhaft nimmt, ihre Aufsichtspflicht verletzt und Psychoterror im Namen des Tierschutzes anwendet. Am Ende muss gar das Ordnungsamt die artgerechte Haltung des Nagers begutachten. Wenn auch nur ein einziger Vorwurf davon stimmt, ist die Aufsichtsbeschwerde berechtigt.
Das ist sprachlich schon mal beeindruckend: Die Lehrerin “nimmt” das Kind “in Sippenhaft”, “verletzt” ihre Aufsichtspflicht und “wendet” “Psychoterror” “an” — alles im Indikativ. “Wenn” nur einer dieser Vorwürfe nicht stimmt, hat die “WR” geschlampt.
Hat sie aber sicher nicht, denn:
Die WR ist sorgfältig vorgegangen. Sie hat vor der Veröffentlichung mit dem Schulleiter gesprochen. Sie hatte vor der Veröffentlichung die Stellungnahme der Aufsichtsbehörde in Händen. Und sie hat kein Tribunal veranstaltet und den Namen der Lehrerin bewusst aus der Geschichte herausgelassen.
Na dann.
Aber lassen wir den Mann grad noch ausreden:
Doch jetzt macht eine Lehrergewerkschaft ein neues Fass auf und fordert den Rücktritt von Dr. Gerd Bollermann. Die Lehrerin habe sich richtig verhalten. Es handele sich nämlich um einen Fall von Tierquälerei. Und jetzt wird’s absurd: Selbst eine Lehrergewerkschaft stellt das Wohl eines Nagers über das Wohl einer Zehnjährigen!
Die finale Schlussfolgerung ist perfide, denn auch hier setzt Nill es wieder als völlig gegeben voraus, dass die Vorwürfe stimmen und das Wohl des Kindes in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Dann wurde es auch bei der “WAZ”-Gruppe absurd: Nachdem auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW das einseitige Verhalten des Regierungspräsidenten kritisiert hatte, wechselte die Zuständigkeit der Berichterstattung plötzlich von der “WR” zur “WAZ” selbst. Und der neue Autor hatte plötzlich auch neue Fakten zur Hand:
Nach WAZ-Informationen stellen inzwischen neue Hinweise den […] Schulstreit möglicherweise in ein anderes Licht. So soll das Mädchen von der Lehrerin keineswegs alleine auf den Heimweg geschickt worden sein. Auch sollen Mitschüler mit dem so genannten Raceball, in dem die Zehnjährige den Hamster transportiert hatte, auf dem Schulhof Fußball gespielt haben – bis eine Lehrkraft einschritt.
Am vergangenen Freitag nun vermeldete “Der Westen”, dass die Bezirksregierung Arnsberg die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Lehrerin “sorgfältig geprüft und als unbegründet zurückgewiesen” habe.
“Der Lehrerin, gegen die sich die Beschwerde der Eltern gerichtet hat, kann in dienstrechtlicher Hinsicht kein Fehlverhalten vorgeworfen werden. Gleichwohl werden wir den gesamten Geschehensablauf aber noch einmal mit der Lehrkraft und der Schulleitung reflektieren und in pädagogischer Hinsicht bewerten”, betont Regierungspräsident Dr. Gerd Bollermann. Zu diesem Zweck werde die Schulabteilung der Bezirksregierung den Dialog mit der Schulleitung fortsetzen.
Das ist diese typische trockene Behördensprache. Klarer sind diese Ausführungen am Ende des Artikels:
Auch hatten sich im Nachhinein die Schilderungen des Patenonkels nicht belegen lassen. Die Eltern von Mitschülern hatten sich zu Wort gemeldet und den Sachverhalt anders dargestellt.
Der Text schließt mit folgenden Worten:
Ob die Lehrerin nun nach der für sie positiven Ermittlung eine öffentliche Entschuldigung bekommt, steht unterdessen auf einem anderen Blatt.
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Zu den “aktuellen redaktionellen Inhalten” gehört wohl auch die Rubrik “Deine Woche” der aktuellen Ausgabe. Auf einer Doppelseite bekommen die 6- bis 13-jährigen Leser wunderbare Tipps, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben können. Oder, wahrscheinlicher: Das Geld von Eltern und Großeltern.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Die Bescheidwisser” (peter-schumacher.net)
Peter Schumacher liest “Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus” von Wolf Schneider und Paul-Josef Raue. “Der Bescheidwisser-Ton der beiden ist im neuen Kapitel Online-Journalismus noch mal eine Spur nerviger als in den alten Auflagen zu den alten Themen. In Anbetracht des Wandels im Journalismus sind vermeintliche Wahrheiten dieser Art ähnlich wie Bauernregeln: Man weiß zwar nicht, warum es um einen herum stürmt, zimmert sich aber ein paar Glaubensätze, die nicht immer eine innere Logik haben müssen. Und der Jungbauer staunt.” Siehe dazu auch “Schneider&Raue: Wenn Blinde über Farbe schreiben” (blog-cj.de, Christian Jakubetz) und “Steinzeitansichten über Zukunfts-Journalismus” (medialdigital.de, Ulrike Langer).
2. “ZDF-Mitarbeiter fordern: ‘Freiheit für das Zweite!'” (carta.info)
“Carta” dokumentiert einen Brief von ZDF-Mitarbeitern: “Die Verhältnisse, die beim ORF den Protest auslösten, lassen sich ‘eins zu eins’ auf das ZDF übertragen. Auch hier gibt es politische Einflussnahme und eine übergroße Nähe mancher Journalisten zur Politik (allein zwei ZDFler wurden als Kandidaten für Sprecher-Posten in der Bundesregierung genannt – einer ist es ja dann geworden).”
4. “In dubio pro Video” (dradio.de, Nikolaus Steiner)
Michael Wegener erklärt, wie bei der “Tagesschau” die Echtheit von Videos geprüft wird: 1. Redaktionelle Verifikation, 2. Quellenverifikation, 3. Abgleich mit Experten, 4. Technische Verifikation.
5. “‘Stuttgarter Zeitung’ meldet Merkel-Rücktritt” (spiegel.de)
In der Onlineausgabe der “Stuttgarter Zeitung” war am Freitagmittag während einiger Minuten ein fiktiver Text mit der Überschrift “Merkel tritt zurück” zu lesen. Die Redaktion bittet, “dieses Versehen zu entschuldigen”.
6. “Die Offenbarung des Schokokeksriegels” (taz.de, Daniela Zinser)
Daniela Zinser schreibt über die Gewinnerin der 6. Staffel von “Ich bin ein Star – holt mich hier raus!”, “die erste wahre Dschungelkönigin”. “Brigitte Nielsen stand da, groß, braungebrannt, blond und durchtrainiert, eine Kämpferin, und sie strahlte Würde aus, unbedingten Willen und wirkte stets so, als sei es das, worauf sie die 49 Jahre ihres Lebens gewartet hat.”
Aus der Sicht von Bild.de werden verurteilte Verbrecher ja häufig noch viel zu gut behandelt. Insofern sticht diese Geschichte von Freitag schon einmal hervor:
Justiz-Skandal in den USA: Ein Häftling wurde zwei Jahre in seiner Einzelzelle im Dona Ana County-Gefängnis vergessen. Jetzt wird der Knacki für die beiden verlorenen Jahre entlohnt: 22 Mio. Dollar (16,75 Mio. Euro) Schadensersatz.
Illustriert ist der Artikel mit einem Foto des völlig verwahrlosten Häftlings, der sich während der Haft sogar selbst schmerzende Zähne ziehen musste, weil ihm die Gefängnisleitung einen Arzt verweigerte.
Bild.de schließt den ausführlichen Bericht über das Martyrium des Mannes mit diesen denkwürdigen Worten:
Wobei die 22 Mio. Dollar auch ein nettes Trostpflaster sein dürften. Die Friseurbesuche wird er bis ans Lebensende davon locker bezahlen können.
Dieser Schlusssatz ist noch zynischer, als er auf den ersten Blick sowieso schon aussieht. Wie aus dem Originalvideo des US-Fernsehsenders KOB hervorgeht, den Bild.de auch verlinkt hat, wird der Mann wohl nie etwas von dem Geld sehen. Er kämpft nämlich gerade gegen Lungenkrebs.
Nachdem die meisten Journalisten inzwischen einigermaßen begriffen haben, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kein “EU-Gericht” ist, können wir uns dem nächsten Thema der Medienerziehung widmen: Hollywood.
Der “Walk of Fame” besteht aus mehr als 2.400 Terrazzo-Sternen, mit denen verdiente Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie ausgezeichnet werden. Hand- und Fußabdrücke werden traditionell in der Umgebung des Kinos “Grauman’s Chinese Theatre” hinterlassen und haben – neben der vergleichbaren Ehre und der räumlichen Nähe – nichts mit dem “Walk of Fame” zu tun.
Das muss man nicht wissen, aber es ist vielleicht hilfreich, wenn man als Reporter über eines von beiden berichten soll.
Die Agentur AFP hat es trotzdem probiert:
Rund zweieinhalb Jahre nach seinem Tod hat US-Popstar Michael Jackson einen Stern auf dem berühmten Walk of Fame erhalten. Jacksons Kinder Paris, Prince und Blanket verewigten am Donnerstag bei der Zeremonie mit Schuhen und den berühmten perlenbesetzten Handschuhen ihres Vaters dessen Fuß- und Handabdrücke im Zement auf dem Hollywood Boulevard im kalifornischen Los Angeles.
Ja, die zwei Sätze mit “Stern” und “Fuß- und Handabdrücke im Zement” stehen da direkt hintereinander. Nein, das scheint bei AFP niemand gewundert zu haben.
Schon am 6. Januar hatte die Agentur verkündet:
PARIS, PRINCE und BLANKET, Michael Jacksons Kinder, wollen dafür sorgen, dass ihr Vater rund zweieinhalb Jahre nach seinem Tod einen Stern auf dem berühmten Walk of Fame erhält. Mit Hilfe von Schuhen und der berühmten Handschuhe des King of Pop werden sie bei der Zeremonie am 26. Januar dessen Fuß- und Handabdrücke im Zement auf dem Hollywood Boulevard verewigen, teilten die Organisatoren mit.
Jetzt schafft AFP es sogar, in einem Video noch einen Schritt weiter zu gehen:
Während Jacksons Kinder mit betonverschmierten Händen zu sehen sind, sagt der Off-Sprecher “ein Stern für Michael Jackson”.
Und zu den Bildern des noch feuchten Betons mit den frischen Abdrücken darin erklärt er ungerührt: “Der Stern von Michael Jackson liegt in der Nähe der Sterne von Hollywoodlegenden wie Marilyn Monroe, Humphrey Bogart und Bette Davis.” Man muss schon sehr ahnungslos sein, um so einen Clip zu veröffentlichen.
Bei “Welt Online” haben sie immerhin irgendwann gemerkt, dass das mit dem Stern ziemlicher Unsinn ist, faseln aber immer noch vom “Walk of Fame”. Einen klaren Schnitt hat “Spiegel Online” vollzogen und den AFP-Text durch eine treffende dpa-Meldung ersetzt.
Den Stern auf dem tatsächlichen “Walk of Fame” hat Michael Jackson übrigens schon 1984 bekommen.
Mit Dank an Basti, Simon P., Dennis M. und AW.
Nachtrag, 19.55 Uhr: So “klar” wie von uns behauptet war der Schnitt bei “Spiegel Online” leider doch nicht: Zwar ist die dort verwendete dpa-Meldung richtig, aber “Spiegel Online” hat auch einen fehlerhaften AFP-Absatz stehen lassen:
Der Stern des King of Pop befindet sich in Nachbarschaft zu den Sternen von Filmlegenden wie Marilyn Monroe, Humphrey Bogart und Bette Davis. (…)
AFP selbst hat unterdessen um 19.17 Uhr eine Berichtigung verschickt:
+++ Berichtigung: Durchgehend heißt es nun richtig, dass Jackson nicht mit einem Stern auf dem Walk of Fame, sondern mit Hand- und Fußabdrücken auf dem Hollywood Boulevard geehrt wurde. +++
2. Nachtrag, 28. Januar: AFP hat das Video bei YouTube entfernt. Dafür hat sich “Bild” heute auf den “Walk of Fame” verlaufen:
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1. “Dschungelcamp und das ‘Leben danach'” (sueddeutsche.de, Andreas Bernard)
Andreas Bernard beleuchtet das Leben der Kandidaten nach “Ich bin ein Star – holt mich hier raus!”. “Die eigentliche Krise droht, wenn ein Kandidat nach seiner Abwahl ins mondäne Hotel Palazzo Versace zurückkehrt, gut hundert Kilometer vom Drehort entfernt, und erfahren muss, wie weit seine eigene Wahrnehmung der vergangenen Tage von der kunstvoll zusammengeschnittenen Fernsehrealität abweicht.”
2. “Ab-Turner” (kessel.tv, Thorsten W.)
Thorsten W. macht auf einen sich durch viele Medien ziehenden Fehler aufmerksam, der den Kandidaten für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters betrifft: “Schuld ist wahrscheinlich wie so oft eine ungeprüft übernommene Agenturmeldung.”
3. “Ein trautes Paar” (zeit.de, Peer Teuwsen und Ralph Pöhner)
Zwei ehemalige Mitarbeiter schreiben über die Schweizer “Weltwoche”: “Parteipolitisch engagiert ist die Weltwoche, und ihre Gesinnung teilt sie mit der Volkspartei. Aber ein schlichtes SVP-Blatt ist sie schon deshalb nicht, weil ihre Loyalität eher Christoph Blocher gilt – nicht der Organisation.”
4. “Stark durch Widerspruch” (freitag.de, Michael Angele)
Michael Angele spricht mit Christian Demand und Ekkehard Knörer von der Zeitschrift “Merkur”. “Schirrmacher marschiert mit dem FAZ-Feuilleton moraltrompetend nach links – und morgen vermutlich wieder in die andere Richtung. Eine solche Kurzatmigkeit ist nichts für den Merkur, obwohl wir natürlich immer auch auf die Diskurslagen in den Feuilletons reagieren werden.”
5. “Von den Vorzügen, ein Feinschmecker zu sein” (magda.de, Philipp Maußhardt)
Gastrokritiker Philipp Maußhardt wird von seinen Freunden nicht mehr zum Essen eingeladen. “Und wenn es dann doch einmal gelingt, jemanden zu überreden, dann werde ich meist schon an der Haustüre abgepasst, und der Gastgeber macht ein zerknirschtes Gesicht. Die Kartoffeln seien leider zu weich gekocht oder der Schmorbraten angebrannt. Ich rede dann beruhigend auf ihn ein und sage Sätze wie ‘Passiert mir auch ständig’ oder ‘Hauptsache, der Wein ist gut’.”
6. “Wie Apple zukünftige Journalisten kauft” (deutsche-mittelstands-nachrichten.de)
Ein Foto, das Studenten in einem Hörsaal mit Apple-Laptops zeigt, stammt ursprünglich aus dem Jahr 2007. “Kein anderes Unternehmen versteht es so gut, sich in den Köpfen von Verlagen und Journalisten so festzusetzen wie Apple.”
Vom früheren Nationalspieler Andreas Möller ist der Ausspruch überliefert, es sei ihm ein Stückweit egal, bei welchem Verein er als nächstes spiele: “Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!”
Wenn Real Madrid gegen den FC Barcelona im sogenannten Clásico spielt, dann natürlich immer noch in Spanien.
Mit Dank an Klaus B.
Nachtrag, 13.35 Uhr: Auch bei 11freunde.de und bei handelsblatt.com fand der Clásico in Italien statt. Sie haben (wie auch “Focus Online”) die dazugehörige Meldung über den Sportinformationsdienst sid bezogen, der allerdings überall “Spanien” geschrieben hatte.
2. Nachtrag, 18.05 Uhr: handelsblatt.com hat die Dachzeile in “Spanischer Pokal” geändert. Bei “Focus Online” steht immer noch “Italien”.
Und 11freunde.de hat sich für diese kreative Lösung entschieden:
3. Nachtrag, 27. Januar: “Focus Online” hat die Dachzeile in “Barcelona reicht Remis im Clásico” geändert. Dafür steht beim “Handelsblatt” jetzt wieder “Fußball Italien” über dem Artikel. Wir brechen unsere Beobachtung an dieser Stelle ab.