Archiv für November 2nd, 2011

Schöner Einbrechen bei Facebook

Es ist eine beunruhigende Meldung, die Bild.de da verbreitet:

Facebook-Zahlen: Hacker knacken 600.000 Konten pro Tag

Die Meldung, die auch auf anderen Nachrichtenwebsites zu finden ist, stammt von der Nachrichtenagentur Global Press, die schreibt:

“Problemfälle” heißen sie offiziell bei Facebook – jeden Tag werden 600 000 Nutzer Opfer eines Identitätsdiebstahls, weil Hacker ihre Konten bei Facebook übernehmen.

Diese Zahl hat das größte soziale Netzwerk nun in einem Blog-Eintrag öffentlich gemacht und zugleich relativiert. Nur 0,06 Prozent aller täglichen Anmeldungen bei Facebook seien illegale Logins, da man jeden Tag rund eine Milliarde Zugänge zu registrierten Konten verzeichne. Das Netzwerk hat weltweit 800 Millionen Mitglieder.

Gehen wir mal der Reihe nach vor: Das Wort “Problemfälle” taucht in der Mitteilung von Facebook, die sich im wesentlichen um neue Sicherheits-Funktionen dreht, gar nicht auf. Auch die Zahl von 600.000 stammt nicht von Facebook selbst, sondern von verschiedenen Medien, die sie auf Grundlage einer Infografik von Facebook ausgerechnet hatten. Das war übrigens schon vergangenen Freitag, also in Internet-Zeit vor ein paar Monaten.

Das Wichtigste aber: Die Zahl von 600.000 steht nicht für geknackte Konten, sondern für die Versuche, Facebook-Konten zu knacken. Vereitelte Versuche, wohlbemerkt.

msnbc.com führt dazu aus:

Der Facebook-Blogeintrag enthält eine Infografik, die die erfolgreichen Bemühungen des Netzwerks darlegt, Spam, Konto-Entführungen und andere Übel zu bekämpfen. Darin sagt Facebook, dass nur “nur 0,06% der mehr als 1 Milliarde Logins pro Tag kompromittiert” seien. Die Seite sei in der Lage, die Anzahl der gestohlenen oder anderweitig gefährdeten Logins genau zu bestimmen, denn sie fordere die Möchtegern-Hacker mit zusätzlichen Authentifizierungsfragen heraus, indem sie Benutzer etwa bitte, Freunde auf Fotos zu identifizieren, sagte Sprecher Barry Schnitt.

“Das bedeutet, dass wir 600.000 mal am Tag einen Bösewicht davon abhalten, Zugriff auf ein Konto zu erhalten, obwohl er die Login-Daten und das Passwort eines Kontos erraten, ergaunert oder gestohlen hat”, sagt Schnitt. “Darauf sind wir sehr stolz.”

Eine unbekannte weitere Anzahl von Hack-Versuchen sei erfolgreich, sagte Schnitt, um hinzufügen, dass es sich dabei um “einen extrem geringen Prozentsatz” von Konten handle.

(Übersetzung von uns.)

Korrekterweise müsste die Überschrift also nicht “Täglich werden 600 000 Facebook-Konten geknackt” lauten, sondern “Täglich werden 600 000 Facebook-Konten nicht geknackt”. Denn die Anzahl der tatsächlich geknackten Konten kennt nicht mal Facebook. Sagen sie dort.

Mit Dank an Andreas N. und Josef Sch.

Schöner Einbrechen mit Facebook und Twitter

Endlich gibt es neue Zahlen, die beweisen, wie gefährlich Soziale Netzwerke sind.

78 Prozent der Einbrecher nutzen Facebook, Twitter oder Foursquare, um mögliche Ziele zu finden. 74 Prozent kundschaften die Nachbarschaft mit Google Street View aus.

Zumindest steht das auf “Welt Online”, im Online-Auftritt der “Braunschweiger Zeitung”, im Braanchendienst “Meedia” und auf diversen internationalen Nachrichtenseiten.

Niemand der Journalisten scheint sich gedacht zu haben, dass das doch erstaunlich hohe Zahlen sind. Und wenn sie es sich gedacht haben, wird es sie nur angespornt haben, sofort eine Meldung daraus zu machen, statt an der Plausibilität der Angaben zu zweifeln oder sie gar nachzurecherchieren.

Hätten sie es getan, wären sie nicht nur darauf gestoßen, dass die Umfrage unter 50 ehemaligen Einbrechern in Großbritannien keineswegs im Auftrag des “US-amerikanischen Online-Unternehmens ‘Credit Sesame’, das Kredite an Privatpersonen vergibt” (“Welt Online”) bzw. der “Finanz-Webseite Credit Sesame” (“Meedia”) durchgeführt wurde. Sondern von Friedland, einem britischen Hersteller von Alarmanlagen.

Auf dessen Internetseite hätten sie auch entdecken können, was die Umfrage unter den Ex-Einbrechern — anders als von “Credit Sesame” in einer “gelungenen Infografik” (“Meedia”) behauptet — tatsächlich ergeben hat:

78 Prozent sagten, sie hätten den starken Verdacht, dass Diebe heute soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder FourSquare nutzen. 74 Prozent vermuteten, dass Google Street View bei Einbrüchen heute eine Rolle spielt.

Man könnte aus den Zahlen sogar, mit etwas gutem oder bösem Willen, die Meldung machen: Ein Viertel der ehemaligen Diebe bezweifelt, dass Facebook oder Google Street View bei Einbrüchen überhaupt eine Rolle spielt.

Nachtrag, 17:50 Uhr. Der Online-Auftritt der “Braunschweiger Zeitung” hat den Fehler unauffällig ein bisschen verbessert.

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Die Braut, die sich was traut

Meine Damen und Herren, von den Machern von “Sack Reis in China” — die Nicht-Meldung des Jahrhunderts:

Braut schreibt SMS vor dem Traualtar. Los Angeles - Eine Braut aus Kalifornien (USA) war gerade am Arm des Vaters auf dem Weg zum Traualtar. Da zog sie plötzlich ihr Handy hervor, blieb stehen und tippte in aller Ruhe eine SMS ein. Die ganze Hochzeitsgesellschaft sah fassungslos zu. Wem und was sie schrieb, ist nicht bekannt. Die Trauung fand dennoch statt.

Es ist die Sorte bunte Meldung, die sich ein Redakteur zur Not ausgedacht haben könnte, um den noch freien Platz in der Spalte zu füllen — aber dafür ist sie eigentlich zu banal. Und tatsächlich hat sich die Geschichte so zugetragen. Also: so ähnlich.

Es gibt ein Video von dieser Begebenheit, das die “Huffington Post” am Wochenende verlinkt hatte. James Costa, ein Filmemacher aus New York, der das Video gedreht hatte, hat es inzwischen auf “privat” gestellt, doch es wurde bereits neu hochgeladen:

Okay, die Braut ist also nicht stehen geblieben, sondern stand schon, und es sieht auch eher so aus, als würde sie eine Nachricht lesen und keine schreiben.

abc zitiert den Kameramann mit den Worten:

Der Priester war damit beschäftigt, seine Eröffnungsworte vorzulesen und ihr Rücken war allen Anwesenden zugewandt. Ich war der Einzige, der sie sehen konnte.

(Übersetzung von uns.)

Und noch etwas hatte er laut abc bei YouTube geschrieben:

Das ist Teil eines Hochzeitsvideos, das ich im August 2008 am Mission Beach Women’s Club in San Diego, Kalifornien gedreht habe.

(Übersetzung von uns.)

Und das Video ist nicht nur mehr als drei Jahre alt, es stand auch schon seit Oktober 2009 online, wie die “International Business Times” berichtet.

Wir fassen zusammen: Vor mehr als drei Jahren hat eine Braut vor dem Traualtar stehend ihr Handy aus ihrem Dekolletee geholt, was damals kaum jemand mitbekommen hat.

Diese Geschichte geht jetzt um die Welt.

Lobbys, Minilöhne, Fördermittel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “taz geht mit schlechtem Beispiel voran”
(blogs.taz.de/hausblog)
Vier taz-Redakteure schreiben auf, wo sie nach eigener Meinung “zu unbedarft oder unkritisch mit lobbygesteuerten Informationen” umgegangen sind.

2. “Wes Brot ich ess …”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Wolfgang Messer geht auf die taz-Aktion ein. Er glaubt, es wäre, “quer über den gesamten Journalismus”, erheblich weniger zeitaufwendig, “nur über die Fälle zu berichten, bei denen absolut keine Korruption im Spiel war, weil sie nämlich die verschwindend kleine Minderheit darstellen.”

3. “8 Gründe, warum die Macher von ‘Schwiegertochter gesucht’ in die Hölle kommen”
(faz-community.faz.net/blogs, Peer Schader)

4. “Die Lücke, die der Teufel ließ”
(katrinschuster.de)
“Spiegel Online” listet Branchen auf, die Minilöhne zahlen. Katrin Schuster vermisst eine.

5. “Im Sumpf der Subventionen”
(arte.tv, Video, 51:37 Minuten)
Wo kommen die Fördermittel der Europäischen Union an? Ein Film von Pierre-Emmanuel Luneau-Daurignac mit Skipisten auf Bornholm, “Butter” in Frankreich, Autobahnen in Süditalien und Günter Verheugen. Siehe dazu auch “Europe’s Hidden Billions” (thebureauinvestigates.com) und die Suchmaschine ft.com/eufunds.

6. “Post an Wagner: TV-Serie Borgia”
(paramantus.net)
Die “TV-Serie Borgia” antwortet auf einen Brief von Franz Josef Wagner: “Und was haben Sie, lieber Herr Wagner, überhaupt gegen die Sünden der Päpste? Verstört Sie vermutlich die Parallele zu aktuellen Skandalen, die Sie als Papst-Fan nicht wahrhaben wollen?”