Archiv für September 16th, 2009

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (2)

Am Dienstag griff das Bundeskriminalamt zu einer harten Maßnahme, mit der es aber schon einmal erfolgreich gewesen war: Nachdem es in den Besitz von kinderpornographischen Videos gekommen war, gab das BKA ein Foto des mutmaßlichen Kinderschänders an die Medien heraus und veröffentlichte eine Fahndung nach dem Unbekannten. Dabei stufte die Behörde den Fall nicht nur als “normale” Fahndung ein, sondern bewertete den Mann als eine der “meistgesuchten Personen”.

Einen Tag darauf meldeten die Medien, die durch die Veröffentlichung der Fahndung und des Fotos fleißig an der Fahndung mitgewirkt hatten, stolz einen Erfolg: Der Mann wurde festgenommen. “Die Handschellen klickten”, titelte beispielsweise sueddeutsche.de, während “Welt Online” in der Überschrift auf eine Unschuldsvermutung praktischerweise gleich verzichtete und meldete: “Kinderschänder nach Fahndung gefasst”.

Und zudem im Text berichtete:

Am Mittwoch bat das BKA die Medien, die veröffentlichten Videos, Bilder und Stimmproben nicht weiter zu verwenden und aus allen Internetportalen zu entfernen.

Gelesen hat den Text in der Redaktion allerdings anscheinend wohl niemand, denn auch jetzt noch prangt das Foto bei “Welt Online” unverpixelt in voller Breite im Fahndungsartikel, bei sueddeutsche.de auch im Artikel über die “erfolgreiche Fahndung”. Auf Bild.de kann man den (nicht mehr) Gesuchten sowohl auf einem Foto, als auch im Bewegtbild ansehen — ebenso wie übrigens immer noch einen mutmaßlichen und inzwischen gefassten Kinderschänder auf Videoaufnahmen, um deren Entfernung das BKA schon vor über einem Monat gebeten hatte.

Was allerdings noch viel gravierender ist: Der Mann ist wegen der Videos, wegen derer er nun für einen Tag zu einer der “meistgesuchten Personen” wurde, längst verurteilt worden. 1994 war er zweieinhalb Jahre in einer psychiatrischen Klinik; heute lebt er in einer Einrichtung für betreutes Wohnen — und hat sich seit seiner Verurteilung vor 15 Jahren nichts mehr zuschulden kommen. Das BKA hat inzwischen auch offiziell bestätigt, was (ausgerechnet) Bild.de schon im Laufe des Nachmittags berichtet hatte. Wenn das kein Grund ist, die Fotos des Mannes besonders schnell und gründlich aus dem eigenen Archiv zu entfernen, was dann?

Und das vermeintlich seriöse Internetangebot der “Süddeutschen Zeitung” verlinkt immer noch auf seiner Startseite den Artikel mit dem unverpixelten Foto des Mannes und der Dachzeile “erfolgreiche Fahndung”. Der Hinweis, dass es diese Fahndung des BKA nie und nimmer hätte geben dürfen und es sich vielmehr um einen gravierenden Fehler des BKA gehandelt hat, findet sich nur klein und versteckt im automatisch von Agenturen befüllten “Newsticker”.

Das BKA hingegen müsste allmählich wissen, dass seine Bitte, Fahndungsbilder wieder zu entfernen, von den Medien ignoriert werden. Was sie einmal haben, das behalten sie auch und zeigen es für immer. Das ist nicht neu.

Mit Dank an Martin S., Armin E. und JB!

Nachtrag, 17.9., 10.06 Uhr: Sueddeutsche.de berichtet inzwischen ebenfalls über die Fahndungspanne. Muss man erwähnen, dass das Foto weiterhin zu sehen ist?

Lokal-Terrorismus

Es war eine sehr überraschende neue Entwicklung im Prozess gegen die sogenannte “Sauerland-Gruppe”, von der ddp und Bild.de da gestern zu berichten wussten:

Neue Aussagen im Terror-Prozess: Sauerland-Bomber wollten den Papst in die Luft sprengen

Die Gruppe habe sich in diesem Gespräch bezüglich der angedachten Ziele gegenseitig “hochgesteigert”, berichtete S. vor Gericht. Sogar der Papst sei genannt worden.

Genau genommen war die Entwicklung sogar so überraschend, dass selbst “ARD-Terrorismusexperte” Holger Schmidt, der den Prozess von Beginn an verfolgt, davon nichts mitbekommen hatte.

Inzwischen ist sich Schmidt aber sicher, woran das gelegen hat:

Nach weiteren Diskussionen um das vermeintliche Papstattentat der Sauerlandgruppe ist eine naheliegende Lösung aufgetaucht: Daniel Schneider sprach von Pubs.

(Link von uns)

Kleine Schwächen in Detailfragen

Es würde vielleicht nicht alles, aber zumindest vieles erklären: Bild.de wird offenbar in einem Paralleluniversum mit Inhalten gefüllt. Oder zumindest in einem Paralleldeutschland.

Von gestern Abend bis heute früh rief Bild.de seine Leser auf der Startseite dazu auf, einen Appell an den Bundeskanzler zu unterschreiben:

S-Bahn-Mord: BILD fordert Orden für toten Helden. Unterschreiben Sie hier den Appell an den Bundeskanzler.

(Gemeint war übrigens der Bundespräsident.)

Und aus dem ohnehin spannungsarmen Wahlkampf innerhalb der großen Koalition wurde heute fast fünfzig Minuten lang ein parteiinterner:

Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (SPD) hat auch ihr SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier die Teilnahme an weiteren Fernsehdebatten vor der Bundestagswahl am 27. September abgesagt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:04 Uhr: “Angela Merkel (SPD)” stammte offenbar aus einer dpa-Meldung, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bei Bild.de allerdings schon von der Nachrichtenagentur korrigiert worden war.

Mit Dank an Stefan K.

Schächter, Kuba, Asse

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Markus Schächter
(falter.at, Ingrid Brodnig)
Auf die Frage “Gehört das Internet überhaupt noch zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?” antwortet der ZDF-Intendant Markus Schächter: “Selbstverständlich. Sowohl die EU wie auch das Bundesverfassungsgericht haben eindeutig bestätigt, dass unser Programmauftrag technologieneutral ist. Das schließt den Onlinebereich ein.” Wären bei einem technologieneutralen Programmauftrag nicht auch öffentlich-rechtliche Zeitungen denkbar?

2. “Brauchen Bundesratswahlen Wahlkämpfe?”
(politreport.ch, Andreas Hugi)
Heute wird in der Schweiz einer von sieben Bundesräten (vergleichbar mit Ministern) durch das Parlament gewählt: “Ein Einfluss der Medien auf die Vergabe der Bundesratssitze wächst stetig.”

3. “Sieben Kontroversen zur Zukunft des Journalismus”
(zeit.de, Tina Klopp)
Tina Klopp stellt mehrere Finanzierungsmöglichkeiten von Journalismus im Netz gegeneinander auf.

4. “Kubanische Blogger”
(sueddeutsche.de, Julia Woehrle)
Blogger in Kuba kämpfen gegen staatliche Überwachung und mit schlechten und teuren Internetzugängen: “Die Hoffnung auf Wandel ist klein, aber es gibt sie. Einige Blogger verweisen darauf, dass private Internetanschlüsse in Kuba nicht mehr illegal seien. Auch wenn die monatlichen Kosten von circa 45 Euro – bei einem Monatslohn von knapp 12 Euro – ohne Auslandshilfe unbezahlbar sind.”

5. Interview mit Uwe Kammann
(dradio.de, Petra Ensminger)
Der Direktor des Adolf-Grimme-Instituts zum TV-Duell: “Vier Moderatoren und zwei Kandidaten, das ist viel zu viel und die vier hatten dazu noch das Problem mit sich selber. Es ist eine Art von Markt-Schaulaufen, wer ist denn der beste, der witzigste, der frechste, und das hat den Rhythmus und die Erkenntnis, die man daraus ziehen konnte, bei den Fragen und Antworten dann sehr stark gemindert.”

6. “Das Lügengrab”
(zeit.de, Roland Kirbach)
“Schon bald könnte der niedersächsische Salzstock Asse einstürzen und Atommüll aus 126.000 Fässern freisetzen. Über Jahrzehnte haben alle, die Energiewirtschaft, die Politik und die Wissenschaft, die Öffentlichkeit getäuscht.”