Archiv für Dezember 16th, 2008

Allgemein  

“Nur: Sie sind nicht wahr”

Gestern abend berichtete die ARD in ihrer Reihe “Die großen Kriminalfälle” über den Altenpfleger Olaf Däter, der 2001 in Bremerhaven innerhalb von nur zehn Tagen fünf seiner ehemaligen Patientinnen getötet hatte und dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist.

“Bild” über Däter:


“Er feierte Sexorgien und Champagner-Partys mit den teuersten Huren seiner Stadt. (…) Nach dem Mord feierte er Liebesnächte im Bordell (…).”

Däter hatte zur Tatzeit eine Beziehung zu einer Prostituierten, und in der Sendung hieß es dazu: “Als das bekannt wird (…), stehen in einer Zeitung, die besonders gerne besonders große Buchstaben druckt, sensationelle Geschichten über Olaf Däter [siehe Kasten] – nur: Sie sind nicht wahr.” Die im Prozess für den Fall Däter zuständige psychiatrische Gutachterin Nahlah Saimeh (die Däter übrigens laut ARD vor Gericht für voll schuldfähig erklärte) sagte:

Nach allen Informationen, über die ich persönlich verfüge, ist es vollkommen das Gegenteil gewesen: also ein Mann, der eher sich scheut, sexuelle Kontakte mit Frauen einzugehen; man möchte fast wirklich eher sagen: sowenig wie möglich – aus was für Gründen auch immer, auch die waren nicht zu hinterfragen. Aber der Sexbesessene, der alte Frauen deshalb umbringt, um irgendwelche Bordell-Orgien zu feiern, das war vollkommen falsch.

(…) Er hatte diese Prostituierte kennengelernt, hatte sie aber eigentlich nicht als Prostituierte, als Dienstleisterin angesehen, sondern hatte mit ihr sehr viel gesprochen, sich mit ihr sehr viel unterhalten und dafür Geld gezahlt und in gewisser Weise das für sich als Beziehung, als Freundschaft angesehen.

Aber soweit reicht die Fantasie von “Bild” wohl nicht.

Die dicken Jungen von Seite 1

Vermutlich haben sie gestern bei “Bild” den ganzen Tag gegrübelt, wie man mit dem leider bereits am Nachmittag durch die “Bunte” bekannt gewordenen Tod Horst Tapperts in der heutigen Ausgabe noch Schlagzeilen machen kann (Ergebnis: “Derrick tot!”). Und für den Rest der Seite 1 blieb da dann einfach nicht mehr genügend Zeit.

Aus der DSHS-Studie:

“Die Befragungen zu sportlichen Aktivitäten zeigen, dass ein Viertel der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen ‘nie’ beziehungsweise ‘selten’ Sport treibt. In Grafik 4 ist zu sehen, dass der Anteil sportlich inaktiver Personen über die Altersgruppen hinweg zunimmt. (…) Grafik 5 zeigt [zudem], dass nur noch 19 % der 25-jährigen Frauen und 30 % der gleichaltrigen Männer in einem Sportverein aktiv sind. Auf die Frage ‘Glauben Sie, dass Sie sich ausreichend bewegen?’ antworten 32 % der Studienteilnehmer mit ‘nein’. (…) Für alle genannten Aspekte bestehen signifikante Geschlechtsunterschiede: Frauen geben häufiger an, ‘nie’ beziehungsweise ‘selten’ Sport zu treiben (…), kein aktives Sportvereinsmitglied zu sein (…) und sich nicht ausreichend zu bewegen (…).”

So wäre es zu erklären, dass das, was gestern – unter Berufung auf eine Studie der Deutsche Sporthochschule in Köln (DSHS) – in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa gestanden war…

So ist unter den 25 Jahre alten Männern schon jeder zweite zu dick, 60 Prozent rauchen, ein Drittel treibt nie Sport. Rund 25 Prozent der 25-jährigen Frauen haben Übergewicht, nur noch 19 Prozent sind im Sportverein aktiv, ebenfalls rund 60 Prozent rauchen.

… von “Bild” heute wie folgt zusammengefasst wird:

"Fast die Hälfte der jungen Männer und ein Viertel der Frauen hat Übergewicht. 60 Prozent rauchen. Nur ein Drittel (Männer) bzw. ein Fünftel (Frauen) macht regelmäßig Sport."

Der letzte Punkt jedenfalls behauptet immerhin das Gegenteil von dpa (siehe oben) und hat mit den – ohnehin bereits vor einem Monat veröffentlichten – Untersuchtungsergebnissen eigentlich nichts mehr zu tun (siehe Kasten). Aber okay, am Ende der DSHS-Studie [pdf] heißt es ja ohnehin:

Auch wenn querschnittlich mehr als 12 500 Personen (…) untersucht wurden, besteht kein Anspruch auf bundesweite Repräsentativität (…).

Oder um es mit “Bild” zu sagen:

"Immer mehr Junge zu dick für den Job"

Mit Dank an Martin F. für den Hinweis.

Minerva, Gesinnungsterror, Porno

1. “Wenn der Wind über die Türschwelle streicht”
(nzz.ch, Hoo Nam Seelmann)
Ein spannender Bericht aus Südkorea, wo ein anonymer Wirtschaftsblogger die Gesellschaft, die Medien und die Regierung beschäftigt. Lustigerweise ist der anonyme Blogger bereits verlegt, “die gesammelten Beiträge des unbekannten Autors” liegen in “drei kleinen Bänden als Bücher vor”. – “Zur Prominenz gelangte ‘Minerva’, weil er bereits im Juli das Überschwappen der amerikanischen Subprime-Kreditkrise auf die koreanische Wirtschaft verkündet, den Untergang von Lehman Brothers und den tiefen Fall der koreanischen Währung Won vorausgesagt hatte”.

2. “Oh, da protestieren ja Journalisten gegen das BKA-Gesetz”
(jensscholz.com)
Jens Scholz schreibt über den Artikel “Anschlag auf die Pressefreiheit” auf spiegel.de. “Ihr kommt damit doch viel zu spät, ihr Schnarchnasen. Wo waren denn die Leitartikel der aufgebrachten Chefredakteure, wo die Kampagnen, die die Ausmaße des BKA-Gesetzes auseinanderpflückten und die Überwachungswut unseres Innenministers anprangerten als noch was zu reißen war?”

3. “Porno, na und?”
(zeit.de, Martin Gantner)
Martin Gantner beschäftigt sich mit der Porno-Hysterie einiger Medien: “Immer wieder wird der Eindruck vermittelt, Pornografie funktionierte im Netz wie eine Droge. Einmaliger Konsum könne genügen, um in Abhängigkeit zu geraten und um auf eigene perverse Neigungen aufmerksam zu werden, von denen man zuvor nichts wusste. Die Zeitschrift ‘Emma’ hat in einer ihrer Ausgaben gar einen direkten Zusammenhang zwischen Online-Sexsucht und Pädophilie hergestellt. ‘Das Pornoangebot kann ‘normale’ Nutzer zu Pädophilen machen’, heißt es in dem Artikel.”

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