Vor nicht allzu langer Zeit nannte Bild.de den ehemaligen Football-Star O.J. Simpson mal einen…
Heute weiß Bild.de das natürlich besser*:
Mit Dank an Julian P., FKTozz, Sebastian P., gambit, Mark L. und Eric H.
Nachtrag, 6.12.2008: Tatsächlich muss Simpson offenbar mindestens 9 und maximal 33 Jahren ins Gefängnis. Verschiedene Nachrichtenagenturen und Medien hatten gestern jedoch zunächst gemeldet, er sei zu 15 oder 16 Jahren Haft verurteilt worden.
“Ein Heft über die wahren Gründe der Krise” hat die Redaktion des “Süddeutsche Zeitung Magazin” gemacht, “Umdenken!” auf den Titel geschrieben und “Wirtschaft Spezial”. Tolle Texte stehen darin, mit tollen Sätzen, und vier tolle Uhrenanzeigen. Dazu kommen wir noch.
Erst einmal die Texte.
Ein Wirtschaftssystem, “das so viel Wohlstand schafft, aber nur so wenigen zugänglich macht – wird auf Dauer kaum tragen”, darf der Soziologe Richard Sennett in einem Interview sagen. Und vorschlagen, ein neues zu entwickeln, “das auf Kooperation basiert, statt die Menschen nur auszusaugen”.
Christian Nürnberger beschreibt “die Krise als Moment der Selbsterkenntnis” und einen prototypischen Michael M., der Träger eines “Virus” sei, Opfer einer “Geisteskrankheit”: “Regelmäßig fährt er mit seinem Geländewagen zu Aldi und Lidl, und noch nie hat er auch nur einen Gedanken an die Frage verschwendet, wie es eigentlich den Beschäftigten von Aldi und Lidl geht, was sie verdienen, wie sie leben, wie sie ihre Kinder erziehen.”
“Die allgemeine Dummheit, die dieses Land erfasst hat in den letzten Jahren, die hat alles verdeckt. Diese Krise verdanken wir der Ideologie des freien Marktes”, zitiert Georg Diez in seinem Stück über die Wall Street einen Ex-Anwalt, der nun Buchautor ist. Und nennt den Zustand selbst “das Ende der Vernunft”, an dem alle Schuld sind: “Von ganz unten bis ganz oben, eine Kette der Gier.”
Wahre Sätze sind das. Hier noch einer aus dem Interview: “Wer jetzt so weitermachen will wie bisher, hat nicht verstanden, dass die Nachfrage weltweit sinkt.”
Tolles Heft, dieses “Wirtschaft Spezial”. An seinem Ende findet sich die Rubrik “Stil leben”. Dort steht auf fünf Seiten wenig Text, dafür zeigt die Redaktion — passend zu den tollen Uhrenanzeigen — viele Bilder von sehr teuren Uhren. Darüber steht: “Es gibt Uhren, die sind so schön, dass sie alle anderen in den Schatten stellen. Vorausgesetzt, man trägt sie mit Haltung.”
Zum Beispiel die “Ergon von Bulgari aus 18-Karat-Gelbgold, mit braunem Alligatorband”. Die kostet schlappe 11.000 Euro; die Rolex Oyster Perpetual GMT-Master II gibt’s für 19.500 Euro (aber das erwähnt das “SZ-Magazin” nicht). Nichts für einfache Leute, nein, nein, sondern: “Für harte Hunde”.
So viel zur Moral im Angesicht der Rendite.
Der Kernsatz übrigens steht auch bei Diez. Es ist sein letzter, er soll all den Zynismus beschreiben, der sicher bald zu einer neuen Krise führen wird:
Seit einiger Zeit versteckt die “Bild”-Zeitung die Rügen, die der Presserat gegen sie ausspricht, nicht mehr möglichstunauffälligimBlatt, sondern widersprichtlieberlautstark – beweist darin aber deutlich weniger Geschick.
Aktuell sieht sich die “Bild”-Zeitung ja zu Unrecht für ihre drastische Berichterstattung über einen Flugzeugabsturz in Nepal gerügt. Deshalb gab die Axel Springer AG gestern eine Pressemitteilung heraus. “Bild”-Chef Kai Diekmann bezeichnet die Rüge darin als “rätselhaft”, berief sich auf frühere Entscheidungen des Presserats, schien aber gar nicht begriffen zu haben, warum “Bild” eigentlich genau gerügt wurde (wir berichteten).
Der Presserat sah sich daraufhin genötigt, heute seinerseits eine Pressemitteilung herauszugeben, in der er Diekmanns Kritik “entschieden zurück” weist:
Die Rüge für die Abbildung von verkohlten Leichen auf der Titelseite der Zeitung – insbesondere in Verbindung mit Porträtfotos von Absturzopfern im Innenteil – liegt auf einer Linie mit der bisherigen Spruchpraxis des Presserats. Dies zeigen die Entscheidungen des Selbstkontrollgremiums zu Beschwerden über die Veröffentlichung von Fotos vom Concorde-Absturz und der Tsunami-Katastrophe, in denen ebenfalls gerügt bzw. missbilligt wurde.
Damit geht der Presserat explizit auf eine Passage aus der gestrigen Springer-Pressemitteilung ein, in der Diekmann sich so zitieren ließ:
“Nach allen vom Presserat zu vergleichbaren Fällen kommunizierten Kriterien – siehe ‘Stern’ und ‘Spiegel’ zum Concorde-Absturz und Tsunami –, die BILD vorab sorgfältig bedacht hat, hätte diese Veröffentlichung ethisch für unbedenklich gehalten werden müssen.”
Wie sorgfältig “Bild” insbesondere die Begründung des Presserats etwa zur Rüge für die Concorde-Berichterstattung des “Stern” bedacht hat, wird deutlich, wenn man sich anschaut, welche Kriterien der Presserat im Jahr 2000 in seiner Entscheidung kommuniziert hat:
Unter der Überschrift “Die Tragödie – Das Leben geht weiter” zeigt [der “Stern”] die Stelle in Paris, an der am 25. Juli 2000 eine Concorde-Maschine der Air France abgestürzt ist. Das Farbfoto veranschaulicht das Grauen auf dem Trümmerfeld und die Bergungsarbeiten nach der Katastrophe. So sind auf dem doppelseitigen Bild verkohlte Leichen zu sehen. Am rechten Rand der Seite sind die Fotos zweier Ehepaare und eines Mannes eingeblockt, die sich an Bord der Unglücksmaschine befanden. (…)
Der Presserat (…) erteilt der Zeitschrift eine öffentliche Rüge. (…)
Die eingeblockten Fotos der Absturzopfer stellen einen optischen und assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten und den anonymen Leichen her. Das verletzt zumindest die Würde der trauernden Angehörigen.
Zur Erinnerung hier nochmal die Begründung der aktuellen Rüge gegen die “Bild”-Zeitung:
Durch den assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten im Innenteil und den anonymen Leichen auf der Vorderseite wurden die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt.
Was auch immer Kai Diekmann daran nicht verstanden hat – es scheint ein grundsätzliches Problem zu sein.
Was sich am 29. November im Bremer Steintorviertel zutrug, fand die “Bild”-Zeitung offenbar so wichtig, dass sie dem Ereignis am 1. Dezember in ihrem Online-Angebot gleich zwei verschiedene Artikel widmete: einen eher nachrichtlichen und, wie man denken könnte, einen boulevardesken. Doch das wäre untertrieben.
Der eine Text erschien in der Leserreporter-Rubrik. “Leser-Reporter Florian G.” hatte “von oben” beobachtet und fotografiert, wie die Polizei Frankfurter Fußballfans einkesselte. Unter der Überschrift “Hier randalieren Hooligans” heißt es:
Polizisten fesseln Männer mit Kabelbindern, Festgenommene liegen am Boden und ein Block aus Hooligans wird von der Polizei umzingelt. Kunden flüchten verängstigt in die Geschäfte. Und das mitten in Bremen!
Randale beim Werder-Spiel gegen Frankfurt.
Es ging schon früh morgens los. Mit mehreren Bussen kamen die Chaoten in Bremen an. (…)
Plötzlich flogen Fäuste, brüllten Hooligans ihre Parolen. Die Stimmung wurde immer aggressiver. (…)
In den Taschen der Frankfurter Gewalt-Fans fanden die Beamten Sturmhauben, Abschussgeräte und Feuerwerkskörper. (…)
In dem anderen, eher nachrichtlichen Text, der auf der Eintracht-Frankfurt-Seite im Bundesliga-Ressort erschienen ist, steht indes quasi das Gegenteil:
238 Eintracht-Fans wurden vor dem Spiel bei Werder in Gewahrsam genommen, obwohl diesmal nichts vorgefallen war. (…)
Eintrachts ehemaliger Fan-Beauftragter Andreas Hornung empört: “Wir wurden wie Gangster behandelt. Wenn etwas vorgefallen wäre, dann wäre die Sache ja in Ordnung gewesen. So nicht.”
Und welche Version der Geschichte stimmt nun?
Nicht mal die Polizei selbst, die wegen ihres Vorgehens von Eintracht-Fans starkkritisiertwird, spricht von gewalttätigen Ausschreitungen, wie “Bild” sie nahelegt. In einer Pressemitteilung heißt es:
Für die dort formierten Einsatzkräfte war deutlich eine aggressive Stimmung aus dem Aufzug spürbar. (…) Es war offenkundig, dass man es darauf anlegte, Bremer Fans zu finden und sich mit diesen körperlich auseinander zusetzen. (…) Nachdem zunächst ein äußerst lauter Böller an der Sielwallkreuzung zur Explosion gebracht worden war, ging die Gruppierung in breiter Front über die Fahrbahn durch das Steintorviertel. (…) Darüber hinaus hätte es ohne Zweifel beim Aufeinandertreffen mit Bremer Fans eine körperliche Auseinandersetzung gegeben. (…) Im Steintor ließen sie nach den Ingewahrsamnahmen u.a. diverse Böller, Sturmhauben, Mundschutze, Abschussgeräte für Signalmunition inkl. Kartuschen und weitere Pyrotechnik (Selbstlaborate) zurück. (…)
Es bleibt festzustellen, dass es nach dem konsequenten Einschreiten der Polizei für ein Fußballspiel dieser Größenordnung in der Stadt absolut ruhig blieb.
So gesehen meint “Bild”-Chef Kai Diekmann, wenn er sagt, Leserreporter-Einsendungen würden sorgfältig überprüft und nachrecherchiert, offenbar etwas anderes, als das, was man landläufig darunter versteht.
Mit Dank an Mario G. für den sachdienlichen Hinweis.
1. “Hauptproblem Einfallslosigkeit” (freitag.de, Klaus Raab)
Klaus Raab glaubt nicht, dass die Wirtschaftskrise verantwortlich ist für die Medienkrise: “Das Hauptproblem der Branche ist nicht die drohende Anzeigenflaute, sondern die Einfallslosigkeit. In Zeiten, in denen man mit neuen Ideen Geld verdienen und nebenbei auch noch publizistisch gewinnen könnte, entwerten Unternehmen ihre Publikationen, indem sie diese austauschbar machen. Erstaunlich viele Verlagsobere ruhen sich darauf aus, dass die Wirtschaftskrise sie angeblich zu Kürzungen zwingt. Statt aber die Produkte zu verbessern, die sie verkaufen wollen, tragen die Verlagschefs dazu bei, deren Substanz zu zerstören. Die Krise ist für sie eine Möglichkeit, Fehlentscheidungen zu treffen – und damit davonzukommen.”
2. “Wirtschaftskrise spielt keine entscheidende Rolle” (tagesschau.de, Niels Nagel)
“Medienexperte” Horst Röper sieht das gleich: “Es sieht so aus, als ob die großen deutschen Verlage die Wirtschaftskrise zu einem guten Stück für ihre Zwecke instrumentalisieren.” Und: “Es handelt sich hierbei um strukturelle Probleme von Tageszeitungen.”
3. “‘DIE ZEIT’ und Deutschland in der Alpenschule Schweiz” (swissinfo.ch, Gaby Ochsenbein)
“Am 4. Dezember ist DIE ZEIT erstmals mit einer eigenen Schweiz-Ausgabe erschienen. Zum Auftakt publiziert die Hamburger Wochenzeitung ein Dossier zum Thema ‘Was die Deutschen von den Schweizern lernen können’ – in 12 Lektionen.”