Archiv für Dezember 2nd, 2008

Grisselgeschichten aus Mumbai

Michelangelo Antonioni hat schon vor mehr als vierzig Jahren einen großartigen Film darüber gedreht, dass beim Vergrößern von Vergrößerungen von ohnehin unscharfen Fotodetails (engl.: blowup) am Ende kaum mehr übrig bleibt als ein grobkörniges Nichts.

Und wenn beispielsweise die Nachrichtenagentur AFP anlässlich der Terroranschläge in Mumbai ein vom Fernsehbildschirm reproduziertes Bild verbreitet, das zeigt, wie der britische Sender Sky News ein vom indischen Sender NDTV gezeigtes Foto eines Terroristen zeigt (siehe rechts) – dann hat man am Ende mit Glück noch einen vagen Eindruck (junger Mann mit T-Shirt, Rucksack und Gewehr).

Außer natürlich bei Journalismusattrappen wie RP-Online oder Bild.de. Dort erkennt die Redaktion nämlich, dass die Augen des jungen Mannes “weit geöffnet” sind (RP-Online, Bild Nr. 2) bzw.: “Aufgerissene Augen” und “geweitete Pupillen” sowie ein “diabolisches Grinsen” (Bild.de). Und das mag dann zwar geradezu perfekt zur Nachrichtenlage passen (“Vollgepumpt mit LSD und Kokain – Terroristen töteten im Drogenrausch”), ist aber ganz offensichtlich keine Beobachtung, sondern Boulevardprosa.

Auf einer anderen, von der Nachrichtenagentur AP verbreiteten (und womöglich von AFP nur – via Sky News – via NDTV – übernommenen) etwas weniger grisseligen Version desselben Fotos kann man nach irgendwelchen “geweiteten Pupillen” jedenfalls lange suchen:

Mit Dank an Jan D. für den Hinweis.

Geht immer schief: “Bild” und Aids

Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Irgendwann wird auch der Letzte, also die “Bild”-Zeitung, verstanden haben, dass es einen Unterschied zwischen einer HIV-Infektion und einer Aids-Erkrankung gibt. Aber noch ist es nicht so weit.

Heute schafft es “Bild” in einem Artikel zum gestrigen Welt-Aids-Tag, beide Begriffe wieder munter so zu verwenden, als wären sie synonym, und sie in der Schlagzeile gleich ganz zu verschmelzen:

Grundlage für den Bericht ist eine Pressemitteilung des Robert-Koch-Institutes (RKI) vom 24. November, die die “Bild”-Zeitung auch eine Woche später noch nicht verstanden hat. Dass nach wie vor rund jeder siebte HIV-Infizierte in Deutschland in Berlin lebt, nennt sie eine “Schock-Zahl” und schreibt weiter:

2008 steckten sich vermutlich 500 Menschen in Berlin neu mit dem HI-Virus an — 88 mehr als im Jahr zuvor.

Die Warnung des RKI:

Die vom RKI zusammengestellten Eckdaten zur Abschätzung der Zahl der HIV-Neuinfektionen (…) erfolgt in jedem Jahr neu auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden Daten und Informationen und stellen keine automatische Fortschreibung früher publizierter Daten dar. Durch zusätzliche Daten und Informationen sowie durch Anpassung der Methodik können sich die Ergebnisse der Berechnungen von Jahr zu Jahr verändern und liefern jedes Jahr eine aktualisierte Einschätzung des gesamten bisherigen Verlaufs der HIV-Epidemie. Die jeweils angegebenen Zahlenwerte können daher nicht direkt mit früher publizierten Schätzungen verglichen werden.

Es hat also nichts genützt, dass das Robert-Koch-Institut den Hinweis, dass diese Zahlen nicht mit denen des Vorjahres vergleichbar sind (siehe Kasten rechts), in seinen Veröffentlichungen [pdf] gleichzeitig fett, kursiv und unterstrichen hervorgehoben hat. “Bild” vergleicht sie trotzdem.

Und das auch noch falsch: Das Institut unterscheidet zwischen den Neudiagnosen eines Jahres (nach dem Zeitpunkt, zu dem jemand positiv auf HIV getestet wird) und den Neuinfektionen eines Jahres (nach dem geschätzten, oft viel früher liegenden Zeitpunkt, zu dem er sich infiziert hat). Wie uns eine Sprecherin des RKI auf Anfrage bestätigt, vergleicht “Bild” offenbar die gemeldeten Neudiagnosen 2007 mit den geschätzten Neuinfektionen 2008.

Vielleicht ist die “Bild”-Rechnung selbst in der Tendenz falsch. Zwar gibt das Robert-Koch-Institut für einzelne Bundesländer keine Vergleichszahlen über Neuinfektionen aus den Vorjahren an. Für die gesamte Bundesrepublik aber schätzt es, dass die Zahl 2008 erstmals seit längerer Zeit gegenüber dem Vorjahr nicht zugenommen hat, sondern stagniert.

Mit Dank an Holger W.!

Nicolaus Fest verzockt sich

“Zockerschutz auf Staatskosten” lautet die Überschrift der aktuellen Bild.de-Kolumne von Dr. Nicolaus Fest. Scharf kritisiert er darin, dass die Bundesregierung “die Anlagen deutscher Sparer bei der isländischen Kaupthing-Bank mit einem Millionenkredit sichern” wolle.

Und scharf kritisiert Fest in seiner Kolumne auch die Sparer, die Geld bei der isländischen Kaupthing-Bank angelegt haben. Für ihn sind das “Zocker”, die sich “von hohen Zinsversprechen anlocken ließen”. Auf “Spekulationsgeschäfte” hätten sie sich eingelassen. Die Kreditsicherung durch die Bundesregierung sei eine “Abwälzung des Zockerrisikos von Privatleuten auf den Steuerzahler”. Der Staat würde damit “300 Millionen Euro für den Schutz von spekulativen Anlagen locker (…) machen”.

Über all das könnte man diskutieren – aber nicht mit Fest.

Denn abgesehen davon, dass Tages- und Festgeld-Anlagen (und um solche geht es in erster Linie bei Kaupthing), anders als Fest behauptet, grundsätzlich nicht als spekulativ gelten, hatte die Stiftung Warentest zwar bereits im Mai dieses Jahres speziell bei Kaupthing Edge eindringlich “zur Vorsicht” geraten (und auch “Welt”, “Frankfurter Neue Presse” und boerse.ard.de hatten etwas später deutlich auf die Risiken hingewiesen).

Die Zeitung jedoch, für die Fest arbeitet, war damals weniger hilfreich: Noch Mitte September dieses Jahres hatte “Bild” unter der Überschrift “Wo lege ich mein Geld gut und sicher an?” die Angebote der Kaupthing Bank besonders hervorgehoben. Unter den “besten” Tages- und Festgeld-Angeboten belegte Kaupthing in einer “Bild”-Liste Platz eins und Platz zwei (wir berichteten).

Fragt sich also, warum der Bild.de-Kolumnist Nicolaus Fest – im Hauptberuf immerhin Mitglied der “Bild”-Chefredaktion – die damaligen “Bild”-Artikel, die “Spekulationsgeschäfte” (Fest) und Geldanlagen für “Zocker” (Fest) als “gut und sicher” (“Bild”) verkauften, nicht einfach verhindert hat.

Luther, Vogt-Köppel, Bund

Die Presseschau heute mit diesen Fragen: Was würde Luther heute tun? Wohin treibt es den Bund? Was bringen Quoten? Was ist zwischen Roger Köppel und Rachel Vogt?

Luther-Ausstellung: Wo ist die virtuelle Kirchentür? (Keystone)
1. “Auf zu neuen Höhen”
(fr-online.de, Daland Segler)
Daland Segler schreibt über die veränderte Medienlandschaft: “Da kommt so ein junger Radikaler daher, findet das ganz System korrupt und beschließt, seinen Protest öffentlich zu machen. Greift sich ein Blatt Papier, schreibt das alles auf, nimmt sich Hammer und Nagel und haut seine Thesen an den öffentlichsten Ort der Welt: die Kirchentür. Was würde Luther heute tun?”

2. “Der ‘Bund’ lebt”
(bundblog.derbund.ch, Artur Vogel)
Eine weitere sogeannte Qualitätszeitung scheint zu sterben. Doch die (Chef)redaktion stemmt sich dagegen und hofft auf “eine neue, hoffentlich bessere und mit mehr Mitteln ausgestattete Zeitung”. Für eine gute Zeitung habe man nämlich immer gekämpft: “Die Redaktion, eigentlich zu klein für eine Zeitung, die in den oberen Ligen mitspielen will, hat gelegentlich dem Prinzip der Selbstausbeutung gehuldigt; Kolleginnen und Kollegen haben sich weit über das übliche Mass hinaus engagiert; viele agieren am Rand ihrer Leistungsfähigkeit.”

3. “Schock für Liebhaber von Qualitätszeitungen: Den Bund gibts nicht mehr lange”
(blog.jacomet.ch, Andi Jacomet)
Tatsächlich würde der Bund vermisst: “Als Medienjunkie gehört die Lieblingszeitung zu den Hauptpfeilern des Tagesablaufs. Ich habe die letzten 15 Jahre fast jeden ‘Bund’ gelesen – wenn er stressbedingt liegen blieb oder ich in den Ferien war, habe ich halt 30-40 Ausgaben auf langen Zugfahrten nachgelesen. Ein Leben ohne ‘Bund’ kann ich mir momentan schlicht nicht vorstellen.”

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