Archiv für Juli, 2008

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Hooligans zünden Fussballgoal an – eine Mediengeschichte
(klartext.ch, Bettina Büsser)
Fans des FC Basel und von Borussia Dortmund geraten am Uhren-Cup in Grenchen (Fussball) aneinander. Die Wahrnehmung der Ereignisse ist unterschiedlich. Liest man die Sicht von Zeitungen und Agenturen, so muss es sich um eine wilde Schlacht gehandelt haben. Liest man die Sicht des Veranstalters, so war alles recht harmlos.

Die BLM und das bayrische Internet
(off-the-record.de)
Die Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) versucht das Internet zu kontrollieren. Sollte das nicht gelingen: “Wohin dann mit all den beruhigenden Nachrichtenfilmen, die Köhler bei Abschreiten von Ehrenformationen mit Phantasieuniformen zeigen? Stattdessen plötzlich womöglich überall im Web Menschen, die die Welt zeigen, wie sie ist und über Inhalte reden.”

Das ? muss ? ich ? sofort ? bloggen!
(blog.kooptech.de, Christiane Schulzki-Haddouti)
Eine Journalistin holt Statements bei Bloggern ein und muss zusehen, wie ihre Exklusiv-Informationen gleich verbloggt werden. Unser Tipp: Erst veröffentlichen, dann Statements einholen.

“Natürlich ist das auch eine PR-Nummer”
(sueddeutsche.de, Ruth Schneeberger)
Dummy-Chefredakteur Oliver Gehrs macht erste negative Erfahrungen mit Bloggern: “Ich hätte nicht gedacht, dass wir als links orientiertes Magazin einmal in den Verdacht geraten könnten, rassistisch zu sein. Wir dachten, dass jedem klar ist, dass wir eine politische Diskussion darüber anstoßen wollen, ob man ‘Neger’ sagen darf. Im Blog haben wir es aber offenbar auch mit manchen recht soziopathischen Persönlichkeiten zu tun. Wer setzt sich denn von 16 bis 24 Uhr an den Computer und kommentiert wie wild? Teilweise ist das auch Verschwendung von Intellekt, denn das sind manchmal ganz luzide Kommentare.”

“Ich bin überhaupt kein Opfer”
(jetzt.sueddeutsche.de, Uli Karg)
Carla Bruni-Sarkozy im Interview: “Ich hatte nie ein Problem mit der Presse. Ich respektiere die Medien. Was auch immer geschrieben wird, es stört mich nicht. Es gibt keine Möglichkeit die Medien zu kontrollieren, also gibt es auch keinen Grund, es zu versuchen. Die Aufgabe der Medien ist es, zu informieren. Und das machen sie, sogar wenn sie kritisieren oder negativ berichten. Und das ist wichtig. Die Medien sind wie ein Fenster zur Welt.”

Der König der Fremdschämer
(faz.net, Marie Katharina Wagner)
“Singen kann er nicht, seltsam ausschauen tut er auch: Alexander Marcus hat trotzdem seine Nische gefunden. Er nennt sich selbst den ‘King of Electrolore’ und hat eine neue Etappe in der Musikgeschichte angebrochen: ‘Schlager 2.0’.”

Allgemein  

Die “miese Schlägerin” und der falsche Polizist

Die folgende Geschichte beginnt mit einer ungewöhnlichen Pressemitteilung der Berliner Polizei und endet damit, dass der Axel Springer Verlag 5.000 Euro an die 30-jährige Petra B. [Name von uns geändert] zahlt. Es ist eine Geschichte über die beunruhigenden Arbeitsmethoden der “Bild”-Zeitung.

Aber beginnen wir mit der Polizeimeldung vom 13. Mai:

Ein kleines Mädchen ist am Abend des 12.5. von einer 30-jährigen Frau in Hohenschönhausen geschlagen worden. Gegen 19 Uhr 30 kam es auf einem Spielplatz zu einem Streit unter Kindern. Die 30-Jährige schlug in dessen Verlauf zweimal mit der Faust gegen den Kopf des zehnjährigen Mädchens. Außerdem beleidigte sie das Kind auf Grund seiner Hautfarbe. Polizeibeamte nahmen eine Anzeige auf, der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.

Deutliche Worte für eine polizeiliche Pressemitteilung. Kein “wird verdächtigt”, kein “soll”, kein Konjunktiv weit und breit. Man könnte also sagen: eine gute Vorlage für die “Bild”-Zeitung.

"Schäm dich, du miese Schlägerin"Die berichtete am 14. Mai unter der Überschrift “Schäm dich, du miese Schlägerin” über den Vorfall (siehe Ausriss). Sie druckte einen Ausriss der Pressemitteilung ab und zitierte einen “Polizeisprecher” mit den Worten: “Die Frau schlug zweimal mit der Faust gegen den Kopf des Mädchens. Außerdem beleidigte sie das Kind aufgrund seiner Hautfarbe”. Über ein notdürftig anonymisiertes Foto von Petra B. schrieb “Bild”: “Die Täterin”. Kurzum: “Bild” machte aus der vorverurteilenden Polizeimeldung einen eigenen vorverurteilenden Bericht. Außerdem wies “Bild” auf ein Bild.de-Video hin, das Petra B. zeigte, wie sie einen Mann beschimpft und ihm Schläge androht, falls er sie nicht in Ruhe lässt.

Petra B. jedoch schildert den Vorfall anders:

Am Abend des 12. Mai sitzt sie mit ihrer türkischen Freundin auf dem Balkon und sieht, wie ein größeres Mädchen ihre Tochter auf dem nahegelegenen Spielplatz gegen einen Zaun drückt. Petra B. läuft zum Spielplatz, stellt dort aber fest, dass der Streit schon beendet ist. Dennoch greift sie das afghanische Mädchen am Handgelenk und sagt ihm, es soll ihre Tochter, die vor einiger Zeit eine schwere Wirbelsäulenverletzung hatte, in Ruhe lassen. Kurze Zeit später trifft die Polizei ein, die von der Familie des afghanischen Mädchens gerufen wurde. Die Polizei nimmt die Zeugenaussagen auf – auch die von Petra B.s Freundin, die aussagt, dass B. das Mädchen weder geschlagen noch rassistisch beleidigt hat.

Am nächsten Tag steht ein Mann vor dem Haus, in dem Petra B. wohnt, und sagt, er sei von der Polizei. Petra B. wundert sich, da sie doch schon am Abend vorher mit der Polizei gesprochen hatte. Als sie jedoch sieht, dass sich in einem Gebüsch im Hintergrund ein weiterer Mann mit Kamera versteckt hält, ahnt sie, dass der Mann kein Polizist, sondern ein Reporter ist. Aufgebracht beschimpft Petra B. die beiden – und muss tags drauf feststellen, dass ihre Beschimpfungen mitgefilmt worden und (eingebaut in den “Schäm dich”-Artikel und ohne Hinweis auf den Anlass ihrer Empörung) auf Bild.de als Video zu sehen waren.

Soweit also Petra B.s Version, wie sie weder in der Pressemitteilung der Polizei noch in “Bild” vorkommt.

Aufgebracht über den einseitigen “Bild”-Artikel und das irreführende Video nahm sich Petra B. einen Anwalt, der von “Bild” eine Gegendarstellung verlangte. Am 3. Juli kam es deswegen zur Verhandlung vor dem Landgericht Berlin, an deren Ende der Axel Springer Verlag und Petra B. sich jedoch darauf einigten, dass der Verlag der Frau 5.000 Euro Entschädigung zahlt und das Video aus dem Netz nimmt. Im Gegenzug verzichtete Petra B. nicht nur auf den Abdruck einer Gegendarstellung, sondern auch auf eine Anzeige gegen den Reporter, der sich als Polizist ausgegeben habe – was eine Nachbarin bestätigen könne.

Zumindest für “Bild” und den falschen Polizisten ist die Geschichte damit erledigt.

Und weil Bild.de nicht ausdrücklich verpflichtet wurde, den Artikel zu löschen, ist er dort (ohne das Video) nach wie vor online.

Ein rudimentäres Protokoll der Gerichtsverhandlung gibt es auf buskeismus.de.

Bloß früher VI

Okay, als die “Bild”-Zeitung damals, im Januar 2007, ein Hochzeitsfoto des “im Irak verstümmelten US-Soldaten” Ty Ziegel und seiner Ehefrau Renée zeigte, war sie auch schon ein Vierteljahr zu spät dran. Aber immerhin schrieb “Bild” damals selbst, dass die Hochzeit bereits im Oktober 2006 stattgefunden hatte.

Am vergangenen Samstag schrieb “Bild” zwar wieder, dass Ziegel Renée “im Oktober 2006” geheiratet hatte, zeigte das Hochzeitsfoto von damals noch einmal, verkündete aber (unter Berufung auf das “Sunday Times Magazine”):

Ehe-Aus nach 15 Monaten

Dass allerdings der Artikel im “Sunday Times Magazine” bereits im Mai erschienen war, enthielt die “Bild”-Zeitung ihren Lesern ebenso vor, wie sie die Tatsache verschleierte, dass Ty und Renée (Oktober ’06 + 15 Monate) bereits seit Januar dieses Jahres geschieden sind. Soviel dazu.

Doch wer sich jetzt fragt, wieso “Bild” überhaupt erst sechs Monate nach der Scheidung und zwei Monate nach Erscheinen des “Sunday Times Magazine”-Artikels berichtete, hat vermutlich das aktuelle Magazin der “Süddeutschen Zeitung” noch nicht gesehen. Erschienen zwei Tage vor dem “Bild”-Artikel, findet sich darin als Titelgeschichte (siehe Abb.) eine Übersetzung des Originals vom Mai. Und auch dort heißt es natürlich unumwunden, dass sich die beiden bereits “im Januar 2008” hatten scheiden lassen.

Offenbar hat das “SZ-Magazin” aber ohnehin keiner bei “Bild” wenigstens halbwegs aufmerksam gelesen. Denn der “Bild”-Artikel endet mit den Worten:

Geweint hat Ty um Renée nicht. Er hat keine Tränenkanäle mehr.

Klingt krass, ist aber Quatsch.*

*) In “Sunday Times Magazine” und “SZ-Magazin” heißt es: “(…) Tyler neigt den Kopf nach links und schüttelt sich eine Träne aus dem Auge. ‘Mir fehlte der Tränenkanal, der die Flüssigkeit ablaufen lässt, also haben sie mir einen aus Glas eingesetzt’, erzählt er. ‘Aber mit dem bin ich nicht zurechtgekommen, da hab ich ihn wieder rausgezogen.’ Wenn ihm wie jetzt in der Kälte die Augen tränen, muss er den Kopf neigen, um die salzige Flüssigkeit ablaufen zu lassen. (…)” Ob Ty Ziegel um Renée geweint hat oder nicht, weiß erstaunlicherweise nur “Bild”.

6 vor 9

Blogger – Machtergreifung der Machtlosen
(ejo.ch, Marcello Foa)
Ein bemerkenswerter, von Oliver Heinemann übersetzter Text, der zuerst im Il Giornale vom 15.06.2008 erschien: “Es gab eine Zeit, da führten New York Times, Washington Post und Wall Street Journal die Politiker dieser Welt quasi am Gängelband, derart gross waren Macht und Einfluss dieser Blätter. Heute ist das definitiv nicht mehr so. Oder besser: nicht mehr ganz so.”

Kasperletheater auf der Oberahornalm
(welt.de, Antje Hildebrandt)
Politische Sommerinterviews im ZDF: “Tatsächlich muss man sich diese Treffen wie ein Kasperletheater vorstellen. Quer durch alle Fraktionen versuchen die Strippenzieher der Politik den Anschein zu erwecken, als würden sie sogar noch in der Sommerpause die Nähe zum Bürger suchen: ‘Seid Ihr alle da?'”

Journalisten vs. Teams
(racingblog.de, Don Dahlmann)
“Die meisten bekannteren Journalisten im Automobilbereich sind ziemlich fest mit der Industrie verwoben. Manche machen es geschickt, andere kokettieren offen mit ihren Verbindungen zu wem auch immer. Andere wiederum geben offen zu, dass die Weihnachtsfeier irgendeines Rennsportzulieferes moderieren oder auch mal bei der Präsentation eines neuen Autos zum Mikrofon greifen.”

Endemol vermisst mutige Sender
(ftd.de, Lutz Knappmann und Andrew Edgecliffe-Johnson)
“Der Deutschlandchef der TV-Produktionsgesellschaft Endemol warnt vor einer übertriebenen Renditeorientierung im Fernsehgeschäft. Man könne ‘die Zitrone nicht ewig quetschen’, sagte Borris Brandt im FTD-Interview. Vielen TV-Sendern fehle der Mut.”

Ich bin das Sommerloch
(moritzleuenberger.blueblog.ch, Moritz Leuenberger)
Der schweizer Medienminister füllt unfreiwillig das Sommerloch gewisser Medien. Dabei hat er doch nur abgenommen.

Endlich!
(achtmilliarden.wordpress.com, Oskar Piegsa)
“Der endgültige Kanon der allerallerbesten Zeitschriften der Welt.”

“Bild” verliert gegen Ex-Terroristin

Nach Informationen aus Justizkreisen plant eine ehemalige RAF-Terroristin, sich einen neuen Namen zuzulegen. Darüber berichtete eine große deutsche Tageszeitung – rein sachlich, ohne Nennung des neuen Namens. Schon das verstieß nach Ansicht des Landgerichts Hamburg gegen ihr Recht auf Privatsphäre. (…) Genau deshalb darf auch in diesem Artikel der Name der Terroristin nicht genannt werden – da eine Nennung klar machen würde, um wen es sich handelt.

O-Ton Nicolaus Fest:

“(…) Gesetzt den Fall, daß auch Hitler oder Himmler den Krieg überlebt hätten und vor deutsche Strafgerichte gestellt worden wären – hätten auch sie eine „zweite Chance“ erhalten, sich bei guter Führung erneut in die Gemeinschaft der deutschen Volksgenossen einzufinden?

(…) Möchte man wirklich mit den Mördern seines Vaters oder seines Ehemannes ein paar freundliche Worte an der Kasse wechseln? Möchte man sich von ihnen die Haare schneiden, anfassen, bequatschen lassen? (…) Nicht wenigen ekelt es bei dieser Vorstellung.

Abhilfe könnte eine Regelung schaffen, die zumindest die vorzeitige Aussetzung der Strafverbüßung an die Zustimmung der Hinterbliebenen knüpft. (…) Zudem sollte die Möglichkeit der Namensänderung aus Gründen der Resozialisierung deutlich eingeschränkt oder abgeschafft werden. (…)”

Wenn man sich anschaut, was für Gedanken Nicolaus Fest in seiner aktuellen “Hieb- und stichfest”-Kolumne sonst noch so verbreitet (siehe Kasten), ist es geradezu erstaunlich, wie sachlich* er den Anlass dafür zusammenfasst.

Wir wüssten allerdings nicht, dass das Gericht auch untersagt hätte, den Namen der “großen deutschen Tageszeitung” zu nennen, die am 10. August 2007 über die Ex-Terroristin berichtet hatte. Und dass Nicolaus Fest nicht wüsste, um welche Zeitung es sich handelt, halten wir für ausgeschlossen. Er könnte den Zeitungsnamen nicht nur in den Meldungen verschiedener Nachrichtenagenturen und anderen Medien nachlesen (deren Berichte über den angeblichen Namenswechsel der Ex-Terroristin mit Quellenangabe bis heute leicht zu finden sind); der Zeitungsname steht, weiß auf Rot, auch unmittelbar über der Kolumne, die ihn verschweigt.

Was aber ist dann die Argumentation eines leitenden “Bild”-Mitarbeiters wert, wenn er sich in eigener Sache über einen verlorenen Gerichtsprozess empört, aber die eigene Involviertheit verleugnet?

*) “Bild” berichtete übrigens nicht nur über die angebliche Namensänderung, sondern nannte u.a. auch den Namen der Bewährungshilfeorganisation und machte Andeutungen über den mutmaßlichen Arbeitsplatz der Ex-Terroristin.

Wochenrückblick Nr. 28

Der medienlese.com-Rückblick auf die 28. Kalenderwoche: Langstreckenraketen, Medienfreiheit, nackte Bloggerinnen.

Am Mittag ist mit verstärkten Raketenschauern zu rechnen (Montage, Bild Keystone/Sepah News)

Das Bild der Woche: Iranische Langstreckenraketen rasen gen Himmel. Bilder des Waffentests von vergangener Woche, die von der iranischen Regierung verbreitet wurde, zeigten vier Raketen. Medien in aller Welt verbreiteten und druckten das Bild – ohne den Fake zu bemerken: Eigentlich starten auf dem Bild nur drei Raketen, eine vierte ist bloß digital kopiert. Damit ist das Foto gleich 33 Prozent weniger bedrohlich!

Ein Stelleninserat klärte die Frage, wo sich in der Blick-Redaktion die Arbeit versteckt. Überraschende Erkenntnis: Sie befindet sich auf den Schultern. “Bei unseren Praktika wird Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gross geschrieben. Sie sehen nicht nur über die Schulter des Betreuers, sondern können ihm Arbeit von den Schultern nehmen.”
Read On…

Kurz korrigiert (472)

Ja, ja, “Borussia ist schon ganz Klopp”, und ein Tor ist niemals nur ein Tor, meint man in der “Bild”-Sportredaktion:

Jörg Weiler jedoch, Autor dieses Textes über das Fußballspiel Dortmund gegen den FC Luzern, kennt offenbar die beiden am 1:1 beteiligten Spieler wesentlich schlechter als sie einander.

Und Tamás Hajnal und Giovanni Frederico kennen sich “aus Karlsruher Zeiten” nur insofern “gut”, als Federico in der Saison 2006/2007 für den Karlsruher SC insgesamt drei Tore gegen den 1. FC Kaiserlautern schoss – für den Hajnal damals spielte. Erst zur Saison 2007/2008 wechselte Hajnal zu Karlsruhe – just als Federico den Verein Richtung Dortmund verließ.

Mit Dank an Bene F., Matthias B., Thomaas D., Tobias R., Sven G., Carsten K., Christian H., Dirk H., Jens, Michael K., Simon W., Lothar S., derOssi, Tim R., Marcus S. und viele andere für den Hinweis.

6 vor 9

Für dumm verkauft
(zeit.de, Jochen Paulus)
“Ein Stuttgarter Institut macht seit Jahrzehnten Schlagzeilen mit pseudowissenschaftlichen Studien. Den Auftraggebern ist das egal.”

MDR-Online: für immer offline?
(mamiblog.de/presseclubblog)
Seit Tagen schon ist das Internetangebot des MDR nicht mehr erreichbar: “Eine vertrauliche hausinterne Mitteilung zeigt, wie dramatisch die Situation tatsächlich ist. Es habe sich ein Bauteil der Datenbank für immer verabschiedet, heißt es da – das konnte inzwischen ersetzt werden. Aber: Es sei sehr schwierig gewesen, einen Techniker zu finden, der sich mit der uralten Technik auskenne, so die interne Mitteilung sinngemäß.”

“Beschiss ist an der Tagesordnung”
(taz.de, Klaus Raab)
Sandra Müller von Fair Radio im Interview: “Es wird viel vorgegaukelt. Geräusche werden unter einen Beitrag gelegt, damit es wirkt, als sei er vor Ort entstanden. Oder eine Live-Situation wird gefakt: Eine Hörerin ruft an und wird vorgeblich vom “Morning-Show”-Moderator interviewt. Dabei hat sie nie mit ihm gesprochen. Sie hat das Interview hinter den Kulissen mit jemand anderem geführt, der Moderator stellt nur noch die Fragen, wie ein Schauspieler.”

Der Journalismus in Deutschland steht vor einem gewaltigen Umbruch
(don.antville.org, Don Dahlmann)
“Je weniger Journalisten in einer Redaktion arbeiten, desto weniger Zeit haben sie, sich um Dinge wie Recherche zu kümmern. Schon jetzt werden viele dpa Meldungen einfach ungeprüft mit reingenommen, merkt ja eh keiner, und PR-Firmen fällt es immer leichter komplette Texte in Zeitungen zu hieven. Es redet keiner offen darüber, aber hier und da werden Anzeigen auch mal gerne als Druckmittel für eine etwas freundlichere Berichterstattung genutzt.”

Ein gutes Zeichen
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Johannes Waechter)
“Schlecht, dass es niemand mehr benutzt. Eine Ehrenrettung für den Strichpunkt.”

Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat
(medien-news.blog.de, Ernst Probst)
Leseprobe aus einem neuen Taschenbuch mit offenbar vielen Zitaten, zum Beispiel diesem: “Das Problem sind nicht die kritischen Journalisten, sondern die netten.”

Abschiedsbrief

Lieber Claus Strunz,

wenn ich ehrlich bin, würde meine Mutter Sie vermutlich einen Sonnyboy nennen (also eigentlich “Sanniboi”), wenn sie Sie mal wieder in einer dieser Polit-Talkshows gesehen hätte, in denen besser Ihr Kollege Kai Diekmann von der “Bild”-Zeitung hätte gesessen haben sollen. Aber dann saßen doch immer Sie da – mit der zweifellos telegeneren Frisur und… diesem Lächeln. Das immer so aussieht, als wären die Zeitungen, die man jeden Sonntag kaufen kann, “informativ, enthüllend und hintergründig”, ein “Anwalt des Bürgers und kritischer Beobachter” und “Service-Dienstleister für alle Lebenslagen” bzw. so wie Ihr Lächeln: vertrauenswürdig, wohlwollend, selbstkritisch, zugänglich, selbstgewiss (naja, Sie kennen das ja aus dem Badezimmerspiegel) – so, als wären Sie eben nur Chef der “Bild am Sonntag“, der sonntagslächelnd Leserfragen beantwortet (siehe Kasten).

Worauf der Chefredakteur antwortet:

“Warum hat BamS einen so breiten Rand, Herr Strunz?”

“Gibt es zur EM wieder eine DVD-Reihe, Herr Strunz?”

“Muss es denn immer Hitler sein, Herr Strunz?”

“Wie komme ich noch an ein BamS-Panini-Abo, Herr Strunz?”

“Kann ich aus BamS ein T-Shirt machen, Herr Strunz?”

“Wo gibt es meine Geburtstags-BamS, Herr Strunz?”

“Wo ist unser Grill, Herr Strunz?”

“Haben Sie uns im TV gesehen, Herr Strunz?”

“Wo sind meine Togo-Fotos, Herr Strunz?”

“Wo sind die Panini-Bilder, Herr Strunz?”

“Wo kriege ich Ihr Sudoku-Heft, Herr Strunz?”

“Warum sind Sie so feige, Herr Strunz?”

“Warum hetzen Sie das Volk auf, Herr Sonntag Strunz?”

“Schenken Sie auch mir nächsten Sonntag eine DVD, Herr Strunz?”

“Wo war denn mein Panini-Album, Herr Strunz?”

“Wie kriege ich diesen Vogel los, Herr Strunz?”

“Wollten Sie Ihre Leser verar…, Herr Strunz?”

“Was ist des Rätsels Lösung, Herr Strunz?”

(halbwillkürliche Auswahl)

Jetzt hab’ ich aber irgendwo gelesen, dass Sie’s bald nicht mehr sind, “BamS”-Chef — und anderswo was von “unüberbrückbaren Differenzen” zwischen Ihnen und dem Diekmann.

Ganz ehrlich, Claus? Ich glaub’ das nicht. Immerhin ähnelt Ihre “BamS” Diekmanns “Bild” schon seit geraumer Zeit nicht nur im Auflagentrend, den Sie und Diekmann Ihren Blättern seit Amtsantritt verpasst haben, sondern jede Woche auch sonst so. Und vielleicht hält man sich ja wirklich für was besseres, bloß weil man besser aussieht. Was weiß denn ich.

Aber das mit den unüberbrückbaren Differenzen passt natürlich prima. Weil’s sowieso schon immer alle denken: dass Sie so’n stiller Querkopf sind. “Seine Unterschrift fehlt regelmäßig unter den rührenden Manifestationen konzerninterner Geschlossenheit, die alle Springer-Titel treu und diensteifrig abdrucken”, schrieb mal einer, der Ihnen offenbar derart auf den Leim gegangen war, dass er sogar öffentlich behauptete, Sie gölten “bei Springer als der vermutlich wichtigste Chefredakteur des Hauses”. Und wenn ich sehe, dass es Ihnen schon als Errungenschaft ausgelegt wird, wenn sich in Ihrer Zeitung auch mal ein kritisches Wort über Dieter Bohlen oder ein Argument für die Rechtschreibreform fand, dann klappt(e) der Trick mit dem “Good Guy der ‘Bild-Zeitung'” offenbar ganz gut. So gut, dass Leute wie Anke Engelke, die “Bild” vermutlich nicht mal mit dem A**** angucken, der “Bild am Sonntag” 2-seitige Interviews geben und ein Trittin bei Ihnen einfach mal den Gastautor macht. Claus Strunz, das unbeugsame Feigenblatt – da hatten irgendwie alle was davon.

Dooferweise hab’ ich Sie schon ganz anders erlebt. Als einen, der lügt. Oder als einen, der lügt. Oder die Unwahrheit sagt. Oder zulässt. Oder oder oder oder. Oder als einen, den meine Mutter ‘ne fiese Möpp nennen würde. Wollte ich nur mal sagen.

Viel Spaß in Hamburg,
Ihre Clarissa

P.S.: Ihr Nachfolger kommt ja, wie man hört, von der “B.Z.”, dem schmuddeligen kleinen Schwesterblatt der “Bild”. Womit nach acht Jahren wenigstens die Heuchelei ein Ende haben dürfte – und ich mich frage, wer wohl demnächst an Diekmanns Stelle in den Talkshows sitzt.

Kurz korrigiert (470-471)

Der neunte Punkt der dieswöchigen persönlichen “Top10” von “Bild”-Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß (oder “Nayhaus”, wie Bild.de ihn nennt) lautet:

Im schönsten Glanz ... soll der Reichstag ab 23. Mai 2009, dem 50. Gründungstag der Bundesrepublik, mittels einer "dauerhaften Gesamtillumination" (offizielle Mitteilung) erstrahlen. Für Vorschläge wird ein Wettbewerb ausgeschrieben.

Und jetzt können Sie sich aussuchen, welcher Fehler in diesem Satz Ihre persönliche Top-1 ist: Dass die Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 2009 selbstverständlich schon ihren 60. Geburtstag feiert. Oder dass die Einsendefrist für den Wettbewerb Mitte Juni abgelaufen ist und der Bundestag den Gewinner (Michael Batz) bereits am Dienstag vergangener Woche bekanntgegeben hat.

Mit Dank an Jason M.!

Nachtrag, 14. Juli. Die “Bild”-Zeitung hat beide Fehler am Samstag in ihrer Korrekturspalte berichtigt; bei Bild.de hat man sich immerhin zu einer Teilkorrektur durchringen können (und schreibt den Namen des Kolumnisten jetzt anders).

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