Archiv für März 4th, 2008

Auch bei den Moslems hat die Wurst zwei II

Es ist doch merkwürdig. Gestern noch berichtete “Bild” groß in ihrer Hannover-Ausgabe, dass diverse Experten “empört” seien ob der Tatsache, dass eine Schulleiterin einen Neunjährigen Schüler zu einer Stunde Müllsammeln verdonnert hatte (wir berichteten).

Und heute heißt es in “Bild”-Hannover plötzlich:

"Strafe für Würstchen-Geschenk an Moslem-Mitschüler: Warum hilft keiner dem kleinen Philipp?"
Von Politikern und Experten kommt keine Hilfe für Philipp.

Die Zitate in “Bild”

Honey Dehimi: “Man sollte abwarten, bis der Fall geklärt ist, um sich eine abschließende Meinung zu bilden.”
Landesschulbehörde: “Wir gehen der Sache nach. In Zusammenarbeit mit dem zuständigen Kultusministerium überlegen wir, wie wir reagieren werden.”
Maria Böhmer: “Der Fall zeigt, wir stehen vor einer neuen Situation, auf die die Schulen besser vorbereitet werden müssen.”
Heister-Neumanns Sprecherin: “Unsere Recherchen sind noch nicht abgeschlossen, deshalb äußern wir uns nicht dazu.”

“Bild” hat versucht, noch mal von der Landesschulbehörde eine Stellungnahme zu bekommen, von der Landesbeauftragten für Integration Honey Deihimi, von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer und sogar vom Niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Wulff “äußert sich zu dem Vorfall nicht”, stellt die “Bild”-Zeitung enttäuscht fest. Ähnlich konsterniert reagiert sie auf die Äußerungen der anderen Befragten:

Nichts sagen will zum jetzigen Zeitpunkt eben so Honey Dehimi: (…). Auch bei der Landesschulbehörde gibt man sich wortkarg. (…) Wenig hilfreich ist auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Dr. Maria Böhmer (57): (…)

"Ministerin schaltet sich ein!"Und heute ist “Bild” sogar von Schulministerin Elisabeth Heister-Neumann enttäuscht. Dabei gehörte die doch gestern noch quasi zu den empörten Experten und “Bild” hatte groß vermeldet “Ministerin schaltet sich ein!” (siehe Ausriss) Heute dagegen:

Elisabeth Heister-Neumann (52, CDU) schweigt.

Man könnte also sagen, die “Politiker und Experten” tun heute genau das, was alle von Anfang an hätten tun sollen: Sie bilden sich kein Urteil über etwas, dessen Hintergründe sie nicht, oder nur aus oder von der “Bild”-Zeitung kennen.

Dennoch steht der “kleine Philipp” nicht ganz alleine da. Unterstützung findet er vor allem auf islamfeindlichen Internetseiten wie beispielsweise “politically incorrect”. Außerdem meldet sich die rechtspopulistische Bürgerbewegung Pro Hannover zu Wort. Unter Bezugnahme auf die “Bild”-Zeitung fordert sie in einer Pressemitteilung “Gerechtigkeit für den kleinen Philipp”.

Übrigens: Das Foto des “kleinen Philipp”, das “Bild” heute wieder abdruckt und das ihn beim vermeintlichen Müllsammeln mit Eimer und Grillzange (!) auf dem Schulgelände zeigt, wurde nach unseren Informationen ohne Genehmigung der Schulleitung gemacht – ebenso das von “Bild” abfotografierte Foto der Schulleiterin, das immerhin verpixelt ist.

Mit bestem Dank für die kollegiale Unterstützung an die “Leine-Zeitung”.

Von Räubern und Räuberpistolen

“Der Bund der Steuerzahler lügt.” Auf diesen einfachen Satz bringt Florian Pronold, der stellvertretende finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Berechnungen, aus denen “Bild” heute eine großen Skandal-Aufmacher gestrickt hat.

Zumindest ist die Berichterstattung grob irreführend — und soll es offenkundig auch sein. Der zentrale Trick (neben einer plumpen optischen Täuschung) ist der, dass “Bild” mit den aufgeteilten Euros und Formulierungen wie “Millionen Arbeitnehmer werden Monat für Monat beim Blick auf den Lohnzettel blass” den Eindruck erweckt, hier gehe es um die Differenz von Brutto- zu Netto-Lohn. “Bild” und der Steuerzahlerverein nehmen als Ausgangspunkt aber eine Zahl, die gar nicht auf den Lohnzetteln auftaucht: die Beträge, die ein Arbeitgeber insgesamt für einen Arbeitnehmer zahlen muss, also der Brutto-Lohn plus die Sozialbeiträge, die der Arbeitgeber abführen muss.

Den Netto-Lohn hat “Bild” dafür künstlich verkleinert und von dem Geld, das der Arbeitnehmer ausgezahlt bekommt, noch Verbrauchssteuern abgezogen (z.B. für 300 Zigaretten im Monat, Lebensmittel, Sprit, Kinobesuche).

Mit anderen Worten: “Bild” hantiert mit “Brutto”-Angaben, die mehr sind, als man landläufig unter “Brutto” versteht, und mit “Netto”-Werten, die kleiner sind, als man üblicherweise als “Netto” bezeichnet. Kein Wunder, dass die Differenz so riesig ausfällt.

Damit hört das Tricksen aber offenbar nicht auf: Laut Pronold haben “Bild” und der Steuerzahlerverein in ihrer Modellrechnung (Durchschnittsfamilie, 1 Kind) vergessen, das Kindergeld zu berücksichtigen. Rechne man es mit, sei die Steuerlast für die Familie dramatisch niedriger als von “Bild” angegeben.

Ganz und gar ignoriert die Rechnung natürlich, dass das Geld, um das der Staat “uns” “beraubt”, wie SPD-Mann Pronold fomuliert, “nicht im Hinterhof des Finanzministers verbrannt” wird, sondern für Leistungen u.a. bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter oder für Schulen, Universitäten und den Straßenbau aufgewandt wird.

Sicherheitshalber verlässt sich “Bild”-Wirtschaftschef Oliver Santen für seinen heutigen Kommentar aber nicht auf diesen Unsinn, den seine Kollegen Dirk Hoeren und Jan W. Schäfer zusammengetragen haben, sondern fügt ihm eigenen Unsinn hinzu. Er behauptet:

Steuer-Gier immer größer

Jetzt haben wir es erneut schwarz auf weiß: Steuern und Abgaben fressen uns auf!

Ob Soli, Öko-, Mehrwert- und bald Abgeltungsteuer — die Gier des Staates wird immer größer. (…)

Deshalb wird es höchste Zeit, dass die Politik Abgaben und Steuern senkt.

Dafür, dass die “Steuer-Gier” des Staates “immer größer” wird, gibt Santen keinen Beleg. Eine Möglichkeit, diese “Gier” zu messen, wäre die Staatsquote: das Verhältnis der Staatsausgaben zur gesamten Wirtschaftsleistung. Sie hat sich nach Angaben des Finanzministeriums in den vergangenen Jahren fast konsequent nach unten entwickelt. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat Mitte 2007 sogar eine Schätzung veröffentlicht, wonach die Staatsquote 2008 mit 42,9 Prozent das niedrigste Niveau seit über 30 Jahren erreichen soll.

Alternativ lässt sich die “Gier” des Staates mithilfe der Gesamtbelastung mit Steuern und Sozialabgaben beziffern. Die Quote ist nach einer Untersuchung der OECD in Deutschland geringer als in allen großen europäischen Volkswirtschaften. Die Deutschen zahlen danach zwar überdurchschnittlich hohe Sozialabgaben, aber sehr geringe Steuern. Und die Gesamtbelastung typischer Arbeitnehmerhaushalte ist nach einer OECD-Studie [pdf] zwischen 2000 und 2005 in Deutschland zurück gegangen.

Die “Bild”-Zeitung. Wenn man die ganzen Fehlinformationen und Manipulationen abzieht, bleiben gerade mal 48 Prozent übrig (siehe Grafik).

Mit Dank an Heiko S., Adrian C., Steffen B. und die anderen!

Bei “Bild” hakt’s noch

Es ist ja nichts dagegen zu sagen, dass “Bild” sich angesichts eines Beinahe-Absturzes auf dem Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel heute noch einmal damit beschäftigt: “BILD hakt nach – Wie gefährlich ist Fuhlsbüttel bei Sturm?” Und dass die “Bild”-Zeitung versucht, ihren Lesern anhand einer Grafik zu erklären, wie der Landeanflug vonstatten ging, ist grundsätzlich lobenswert.

Dummerweise ist die Grafik (siehe Ausriss) jedoch falsch.

Zwar stimmt es, dass das Flugzeug auf der Bahn 33 gelandet wurde, wie “Bild” im Text schreibt. In der Grafik verwechselt “Bild” jedoch die 33 mit der 15 (dieselbe Bahn, allerdings in entgegengesetzter Richtung).

Aber wer sich ein bisschen mit dem Fliegen auskennt*, dürfte sich ohnehin schon gewundert haben. Laut Grafik hätte die Crew nämlich nach dem ersten, fehlgeschlagenen Landeanflug versucht, die Maschine mit seitlichem Rückenwind zu landen. Das wäre jedoch überaus ungünstig gewesen. Ab einer bestimmten Stärke wird Rückenwind nämlich “zum Sicherheitsrisiko”.

Wir haben die Grafik mal flugs um die echte Route ergänzt:

*) Wer sich ein bisschen mehr mit dem Fliegen auskennt, kann auch an der Ausrichtung erkennen, dass die auf der “Bild”-Grafik als “Landebahn 33” bezeichnete Landebahn gar nicht die 33 sein kann. Die 33 steht nämlich für die Flugrichtung 330 Grad, also Nordwest und nicht Südost (im Uhrzeigersinn von Norden ausgehend gemessen), wie auf der “Bild”-Grafik. Und wer sich richtig gut auskennt, der wüsste sogar, dass, anders als “Bild” schreibt, nicht der auf der Bahn 23 vorhandene “Landekurssender” den Piloten veranlasst haben dürfte, statt der 33 zunächst die 23 zu wählen. Einen Landekurssender hat die 33 nämlich auch. Die 23 verfügt jedoch über ein sogenanntes ILS (wovon der Landekurssender nur ein Teil ist). Informationen über alle Landebahnen und ihre Ausstattung gibt es hier.

Mit Dank an Lars H., Carsten W., Michael R. und Peter K. für den Hinweis.

Nachtrag, 5.3.2008: Na also, “Bild” bessert heute zumindest in der Bundesausgabe noch einmal nach und zeigt eine korrekte Grafik des Landeanflugs.

Auch sonst unterscheidet sich die Berichterstattung über den “Fast-Absturz von LH 044” zum Teil gravierend von der gestrigen. Während “Bild” den Piloten Oliver A. gestern noch als Helden feierte (“So rettete der Pilot 137 Menschen”), heißt es heute, da inzwischen bekannt ist, dass die junge Co-Pilotin geflogen ist: “Warum durfte sie im Sturm das Flugzeug steuern?” (ähnlich online). Als Reaktion auf die ursprüngliche Berichterstattung hatten “Bild”-Leser gefordert: “Gebt dem Helden-Piloten das Bundesverdienstkreuz”. Heute schreibt “Bild”: “Nach BILD-Informationen habe es Lufthansa-intern jedoch heftige Kritik an der Entscheidung des Piloten gegeben, den Anflug durch die Co-Pilotin durchführen zu lassen.”

Back dir deine Meinung

Nur 48 Cent, hat der Bund der Steuerzahler angeblich errechnet, bleiben einer Durchschnittsfamilie mit einem Kind nach dem Abzug von Steuern und Abgaben von jedem Euro, den der Arbeitgeber zahlt. Und damit man mal eine Vorstellung davon bekommt, wieviel das ist, hat man bei Bild.de entsprechend große Stücke von einem Kuchen abgeschnitten:

Bloß: Die Größe der Stücke steht in keinem Verhältnis zu den Anteilen, die sie darstellen sollen. Ob aus Sorge, dass die Leser das 48-Cent-Stück nicht klein genug finden könnten, um sich genügend zu empören (“So raubt der Staat die Steuerzahler aus”) oder aus Unvermögen – wer weiß. Das 48-Cent-Stück ist jedenfalls in Wahrheit nur ungefähr 39 Cent groß. Dafür wächst das Steuer-Stück von tatsächlich 33,2 Cent auf scheinbare knapp 40 Cent.

In der gedruckten “Bild” findet sich heute indes eine andere Version der Grafik. Stückgrößen und Cent-Angaben stimmen dort überein. Und dass der 48-Cent-Anteil dennoch irgendwie kleiner wirkt, als er ist, ist bestimmt nur der geschickten unbeholfenen perspektivischen Verzerrung geschuldet:

(Dass man es ohnehin als gezielte politische Irreführung werten kann, die Abgaben für Renten-, Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung dem “Räuber” Staat zuzuschlagen, haben die “Nachdenkseiten” schon beim letzten Mal erläutert, als “Bild” und der “Bund der Steuerzahler” sich ähnlich empörten.)

Mit Dank an Eric H. und Marc B. und die vielen anderen Hinweisgeber!

Nachtrag, 13.30 Uhr. Bild.de hat noch einmal neue Kuchenförmchen gefüllt. Diesmal stimmen die Größenverhältnisse, aber der Bäcker hat nicht gemerkt, dass auch eine Beschriftung falsch war: Als Arbeitslosenbeitrag sind nur 2,5 Cent statt 2,8 Cent angegeben, so dass das Eurostück nur 99,7 Cent wiegt.

Nachtrag, 13.45 Uhr. Na sowas. Nun stimmt plötzlich auch der Arbeitslosenbeitrag.

6 vor 9

The Charms of Wikipedia
(nybooks.com, Nicholson Baker)
In einem sehr langen, aber sehr lesenswerten Artikel beklagt Wikipedia-User Wageless zuviel (und nicht etwa zuwenig) Kontrolle bei Wikipedia. Das aktuelle Problem des gemeinschaftlich erarbeiteten Lexikons sei nicht die ausufernde Anzahl an Artikeln, sondern dass sich auch lesenswerte Artikel oft nicht halten können. Ein Löschantrag (“irrelevant”) und eine Zustimmung (“stimmt”) reichen aus, damit es der Artikel gar nicht erst auf Wikipedia schafft.

Die SPD holt die absolute Mehrheit in Bayern (Quelle: SPON)
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Es gibt Tage, da mag man sich über die Akzeptanzprobleme, die Journalismus hat, nicht mehr wundern. Beispielsweise wenn Spiegel Online so wie heute ein Lehrstück abgibt, wie Journalismus nicht sein sollte: wenig fundiert, voreingenommen, vorurteilsbehaftet, ideologisch, vermessen, handwerklich unsauber. Und ahnungslos. Völlig ahnungslos.

Wir wollen unseren geistigen Reichtum teilen
(faz.net, Jordan Mejias)
Die Bibliothek der Harvard University will ihre Bücher und Zeitschriften fast unbegrenzt im Internet zugänglich machen. Ihr Direktor Robert Darnton ist einer der angesehensten Buchhistoriker. Im Gespräch mit der F.A.Z. spricht er von einem der tiefsten Einschnitte in der Geschichte der Wissensverbreitung.

Web 2.0-Studie: “Community-Anbieter wissen zu wenig über Communitys”
(portel.de)
Portel.de-Interview mit Prof. Dr. Jens Böcker, FH Bonn-Rhein-Sieg: “Um überhaupt dauerhaft eine Chance zu haben, müssen die Portale möglichst schnell die kritische Masse von etwa 20.000 bis 50.000 angemeldeten Usern überschreiten. Dann ist eine Community nach Ansicht der meisten befragten Anbieter überhaupt erst lebensfähig.”

CRM: «It’s all coming 2.0gether»
(infoweek.ch, Clint Oram)
Dank Web 2.0 bekommt der Kunde die Macht zurück. Neu entstehende CRM-Strategien und -technologien greifen diesen wachsenden Trend auf.

Der Brockhaus im Internet – Fünf Fragen an Klaus Holoch
(upload-magazin.de, Christian Noe)
“Mit Brockhaus online starten wir mit einer hochwertigen Substanz, die wir für das Medium ?Internet? entwickelt und aufbereitet haben. Zum Start wird das Portal bereits rund 300.000 Stichworteinträge enthalten. Neben der hervorragenden Textsubstanz bietet Brockhaus online multimediale Elemente, die Sie in dieser Menge und Qualität noch nicht kennen.”