Archiv für Dezember, 2007

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Was geschah wirklich mit Gina Wild?

Den regelmäßigen Leser der täglichen “In & Out”-Rubrik von “Bild” beschleicht häufiger einmal der Verdacht, dass die Listen weniger allgemeine Trends widerspiegeln oder Ratschläge geben, sondern eher der Verarbeitung eigener Erfahrungen durch “Bild”-Redakteure dienen.

Nur durch ein konkretes traumatisches Erlebnis lässt sich vermutlich auch dieser heutige Punkt erklären:

OUT: Zufällig gefundene Erotikfilme zertrampeln – erst den Partner fragen, ob’s seine sind

Da unsere Fantasie nicht ausreicht, die mutmaßliche Anekdote zu rekonstruieren, die zu dieser Warnung Anlass gab, haben wir jemanden gefragt, der sich mit sowas auskennt: Sigrid Neudecker, Mitarbeiterin von “Zeit Wissen” und Autorin des Sexblogs von zeit.de “Man muss ja nicht immer reden”. Hier ihr Erklärungsversuch:

Wer zertrampelt Erotikfilme / gefundene Fremdschlüpfer / Bilder von Exfreundinnen? Frauen. Frauen kommen damit noch durch. Wenn ein Mann so einem Verhalten an den Tag legt, sollte man a) ihm die Adresse eines guten Facharztes besorgen und b) die Schlösser austauschen.

Also: Eine Frau hat zertrampelt. Nur was soll der Zusatz “erst den Partner fragen, ob’s seine sind”? Wenn es seine sind, sollte man sie nicht zertrampeln, sonst schon? Ach nein, da hat das Wort “überhaupt” nicht mehr in die Zeile gepasst: “…ob’s überhaupt seine sind.”

Nicht, dass das dem Halbsatz tatsächlich Sinn gäbe. Denn nun steht man wieder vor zwei Varianten: a) Die Pornos gehörten dem Mann. b) Die Pornos gehörten nicht dem Mann. Aber irgendwie muss er ja trotzdem drangekommen sein. Womöglich hat er sie sich von einem Kollegen aus dem Nebenressort ausgeliehen und muss ihm nun beichten, dass seine eifersüchtige Freundin die leider platt gemacht hat.

Die naheliegendste Vermutung wäre, dass der diensthabende “In & Out”-Experte der Verleiher war. Und sein konkretes traumatisches Erlebnis bestünde darin, dass ein Kollege ihn dezent mit dem Geständnis konfrontierte: “Du, meine Alte hat deine Gina-Wild-DVD ruiniert. Hältst du’s noch bis zum Dschungelcamp aus oder soll ich dir gleich eine neue kaufen?”

Ha, nein, das ist es: Es waren privat gedrehte Pornofilmchen, auf denen die rasende Frau die Exfreundin des Gatten zu erkennen geglaubt hat! Und nachdem Männer beim Sex am liebsten die Frau und deren Manipulationen an seinem besten Stück filmen, war er selbst nicht zu sehen! Und der ominöse Zusatz bedeutet: “Erst fragen, ob es seine selbstgedrehten Filme sind!”

OUT: Zufällig gefundene Erotikfilme zertrampeln – erst den Partner fragen, ob’s seine sind. / Unterwäsche schenken, die nicht passt. So gut sollte man seine(n) Liebste(n) schon kennenSo passt alles dann auch noch zum nächsten Punkt auf der “Out”-Liste: Wer das beste Stück seines Freundes nicht gut genug kennt, um es auf einem Video zu identifizieren, kann ihm selbstverständlich auch keine passende Unterwäsche kaufen.

Gut, das wäre dann auch geklärt.

Der Geist der vergangenen Weihnacht


Stimmt. Ein Großteil der von Bild.de angekündigten “TV-Highlights” kommt einem irgendwie bekannt vor: “Moonlight Mile” (Hl. Abend, 20.15 Uhr, Pro7) zum Beispiel. Oder die “TV-Premiere” von “Tatsächlich… Liebe” (1. Weihnachtstag, 20.15 Uhr, RTL). Oder, anderes Beispiel, der erste Teil der “Der Herr der Ringe”-Trilogie…

Der erste Teil der spannenden Trilogie "Der Herr der Ringe - Die Gefährten" (26. Dezember, 20.15 Uhr, RTL) ist wieder im TV
Und, ja, es stimmt: Nicht nur “Moonlight Mile”, “Tatsächlich… Liebe” und “Der Herr der Ringe – die Gefährten”, sondern auch “Cast Away”, “Forrest Gump”, “Stuart Little”, “Muppets: Der Zauberer von Oz”, “Out of Sight” und “Leon, der Profi” — also immerhin die Hälfte der “TV-Highlights” von Bild.de waren bereits vor einem Jahr im Weihnachtsprogramm zu sehen. Sogar zur selben Uhrzeit!* Auf denselben Sendern! Also dort, wo in diesem Jahr, äh… “Ladykillers”, “Pearl Harbor”, “Der Flug des Phönix” “Armageddon”, “Titanic” , “Hogfather”, “Teuflische Engel”, “10.5 Apokalypse” und der Schluss von “Armageddon” laufen.

Anders gesagt: Wenn einem die “TV-Highlights” von Bild.de bekannt vorkommen, liegt das nicht notgedrungen an den “vielen Wiederholungen”, sondern daran, dass es zu einem Großteil die TV-Highlights des vergangenen Jahres sind.

*) außer “Moonlight Mile” (lief 2006 schon um 16 Uhr auf Pro7)

Mit Dank an Michael Q. und c_d_k für den Hinweis.

Nachtrag, 22.12.2007: Sieht ganz so aus, als hätte der Geist der gegenwärtigen Weihnacht bei Bild.de vorbeigeschaut und den kompletten Artikel ersatzlos gestrichen.

Wir sind Franz!


Jens Weinreich, 42, leitet das Sportressort der “Berliner Zeitung” und ist wegen seiner regelmäßigen Enthüllungen über die Schattenseiten des organisierten und kommerzialisierten Sports vielleicht einer der meistgehassten Sportjournalisten in Deutschland. Er kritisiert den “Fanjournalismus” im Stil Waldemar Hartmanns und das Hochjubeln von “Kirmesboxern” durch die jeweils übertragenden Sender und ist Autor mehrerer Bücher und Filme vor allem über Doping und kriminelle Machenschaften im Sport. 2005 gewann er den “Wächterpreis der Tagespresse” für seine Enthüllungen von Unregelmäßigkeiten bei der missglückten Olympia-Bewerbung Leipzigs und gründete das “Sportnetzwerk”, das kritischen Sportjournalismus fördern will.

Von Jens Weinreich

Oft habe ich den Kollegen verflucht, der mich zu diesem Beitrag überredet hat. Denn ich gestehe: Ich blättere gewöhnlich nicht in der “Bild”-Zeitung, und darauf lege ich Wert. Vielleicht ein oder zwei Mal im Monat schaue ich in dieses Blättchen. Es mag schrecklich unprofessionell klingen für einen Sportjournalisten, doch das ist mir egal. “Bild” ist für mich vor allem eines: irrelevant. Über Bundesliga und Nationalmannschaft erfahre ich auch ohne “Bild” genug, ob ich es will oder nicht. Und es ist wahrlich nicht so, dass “Bild” in diesem Unterhaltungssektor allen anderen voraus marschieren würde. Ganz im Gegenteil.

Ich will nur über die Sportseiten reden. Da habe ich in dieser Woche nichts gesehen, was ich nicht auch woanders gelesen hätte. Allerdings hat vieles gefehlt, journalistische Texte beispielsweise, aber das ist ja nichts Neues. Hintergründe zu den Dopingpraktiken im deutschen Sport, ob nun im Team Telekom oder an der Universitätsklinik Freiburg? Korruptionsskandale in zahlreichen Sportarten, etwa im Handball-Weltverband, wo gerade Olympiaqualifikationsspiele neu angesetzt werden mussten? “Bild” hat da nichts Eigenes zu bieten. Der frisch fertig gestellte Bericht des Bundesinnenministeriums (“Projektgruppe Sonderprüfung Doping”) wird in “Bild” nicht einmal erwähnt. (Ich hoffe, ich habe keine dreizeilige Kurzmeldung übersehen.)

Dennoch hat “Bild” heute wieder einen großen Sport-Tag. Man kapriziert sich auf die übliche Mischung: Helden, Sex und Zwistigkeiten. Der FC Bayern läuft immer: “Hitzfeld geht!” Nacktfotos gehen auch: “Sex-Skandal um schöne Olympia-Königin”. Und wenn ausnahmsweise mal fünf deutsche Fußballteams unter den letzten 32 Vereinen im zweitklassigen Uefa-Pokal stehen, titelt “Bild”, wie einfallsreich: “Wir sind Uefa-Cup!” Mit anderen Worten: Es fehlt dem Blatt an exklusiven Sportmeldungen. Selbst den ewig nörgelnden Fußballtorhüter Jens Lehmann (“Er muss da weg!”) schreibt man von anderen ab. Diesmal hat Lehmann mit dem Fußball-Zentralorgan “kicker” geredet. “Bild” zitiert nur, aber wenigstens mit Quellenangabe.

Lustig wird es allerdings in der Berliner “Bild”-Ausgabe auf der letzten Seite, die dem FC Bayern gewidmet ist. Dass Ottmar Hitzfeld den FC Bayern verlassen will, schreibe man “bereits seit Tagen”, plustert sich “Bild” auf. Ich weiß nicht, wer das in diesem Lande noch nicht geschrieben hätte. Egal, “Bild” nennt potenzielle Nachfolger, aber nur die üblichen Verdächtigen. Wenn mehrfach von “Bayern-Bossen” die Rede ist, wird zwar “Killer-Kalle” Karl-Heinz Rummenigge genannt, auch Uli Hoeneß — nur einen anderen, den Bayern-Präsidenten, sucht man vergebens in der Liste der Schuldigen am Hitzfeld-Drama.

Kein Wunder, denn Franz Beckenbauer ist als Lichtgestalt sakrosankt. Kritik an ihm verbietet sich. Franz ist nicht nur Kaiser, er ist Gott, wenn es sein muss, geht er über Wasser — und Bild macht ihn zur Not zum Bundeskanzler. Stolz präsentiert “Bild” auf dieser Bayern-Seite noch eine krude Rangliste des “Manager-Magazins”. Die Frage lautet: Wer regiert in Deutschland das Sport-Business? Die Antwort hätte man sich fast gedacht. “Auf Platz 1: ‘Bild’-Kolumnist Franz Beckenbauer.” Auf Rang 14, zwar hinter dem IOC-Präsidenten Jacques Rogge (7), aber vor Sportminister Wolfgang Schäuble (17), “noch ein Bild-Mann: Vize-Chefredakteur Alfred Draxler”.

Heißa, da ist die Sportwelt doch wieder in Ordnung, zumindest aus Sicht der “Bild”-Strategen. Wir sind Uefa-Pokal, wir sind Franz und wir sind wichtig. Wir sind übrigens auch ein bisschen unterwürfig: Wie erkundigte sich der “Bild”-Reporter Walter M. Straten vergangene Woche beim “Bild”-Kolumnisten Franz Beckenbauer? “Was ist dran an den Gerüchten, dass Sie ein Franz-Beckenbauer-Museum planen?” Der Springer-Lohnschreiber dementierte, vorerst noch. “Ein Museum mit meinem Namen?”, erwiderte der Kaiser, “definitiv nicht. Da müsste ich mich ja selbst reinstellen.”

“Bild” bleibt dran. Bis zur nächsten Kolumne.

 
Unsere Reihe BILDblogger für einen Tag beschließen, wenn alles klappt, Judith Holofernes und Max Goldt.

6 vor 9

Klageflut gegen Schäubles Schnüffel-Gesetz
(Süddeutsche Zeitung, Heribert Prantl)
“Es ist ein Sturm der Entrüstung: 70.000 Deutsche unterstützen eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.” – und man kann sich noch anschließen: Bis zum 24.12. beim AK Vorratsdatenspeicherung.

Die Worte der Verwirrten
(FAZ, Stefan Niggemeier)
“Nun ist nicht auszuschließen, dass Menschen, die dumm genug sind, für teures Geld an dieser Art Sendungen teilzunehmen, auch dumm genug sind, solche Antworten zu geben. Bemerkenswert aber ist, dass diese Menschen in außerordentlich überdurchschnittlicher Zahl ?Money Express? zu gucken scheinen und nicht die Programme der Konkurrenz.”

Warum wir Weihnachten Wiederholungen wollen
(welt.de)
“Sissi, der kleine Lord, die Hoppenstedts, Familie Heinz Becker – manche Sendungen gehören zu Weihnachten wie die Tanne und die Gans. Auch wenn wir längst wissen, wie es ausgeht, schalten wir jedes Jahr ein. Elf Autoren erklären, warum sie ihre Lieblingssendungen immer wieder gucken.”

Recherchieren und erzählen
(NZZ, Thomas Schuler)
” Als Tom Wolfe noch Reporter war, behauptete er, faktische Erzählungen lösten den Roman als vordringliche Literaturform ab. Sein «New Journalism» stand jedoch unter dem Generalverdacht, Fiktion und Fakten zu vermischen. Heute findet das Genre zurück zu seinen Wurzeln und erlebt als «erzählerischer Journalismus» ein Revival.”

Der Raub der Augsburger Puppenkiste
(faz.net, Alex Westhoff)
“Die Helden der Eltern aus der Augsburger Puppenkiste sind auch die Helden ihrer Kinder geworden. Viele der so liebevoll wie klar inszenierten Geschichten zwischen den Kistendeckeln sind zeitlos schön. Seit langer Zeit aber schon gibt es keine neuen Moritaten mit den Marionetten im Fernsehen mehr. Die Frage ist: Warum?”.

Vorratsdatenspeicherung interessiert Journalisten nur mäßig
(newsroom.de)
“Die 80 Teilnehmer einer Veranstaltung in Mannheim zeigten sich erstaunt, daß der Saal mit 300 Sitzplätzen nicht voll belegt sei. Insbesondere wurde kritisiert, daß sich die Journalisten sprichwörtlich an einer Hand abzählen ließen.”

Mindestlohn-Durchwinker: Hände hoch!

Der Bundesrat hat gestern gegen den Willen der “Bild”-Zeitung der Einführung von Mindestlöhnen für Briefzusteller zugestimmt. Das ist natürlich an sich schon eine Ungeheuerlichkeit, insbesondere aber deshalb, weil die Länder damit laut Meinungsumfragen dem Wunsch einer Mehrheit der Bevölkerung nachgekommen sind. Dabei handelt es sich laut “Bild” um eine besonders perfide und selbstzerstörerische Form des Populismus, denn die Entscheidung ist ja falsch, leugnet “Erkenntnisse” und widerspricht den Interessen des Volkes. Die Wähler werden das sicher nicht goutieren, wenn man einfach tut, was sie wollen, obwohl es falsch ist.

Ungefähr so argumentiert Martin Lohmann heute in “Bild”, aber sein Kommentar ist nicht nur logisch gewagt, sondern auch sachlich falsch. Kern seines Vorwurfs der “Scheinheiligkeit” und “Charakterschwäche” ist die Feststellung:

(…) gestern im Bundesrat: Alle, auch die größten Kritiker, winken ein falsches Gesetz durch.

Schon beim Lesen des “Bild”-Berichtes zum Thema hätten Lohmann Zweifel kommen können, denn darin heißt es:

11 Ministerpräsidenten stimmten dafür, darunter Hessens Regierungschef Roland Koch (CDU). Dagegen enthielt sich Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) gemeinsam mit den Kollegen aus Baden-Württemberg Brandenburg, NRW und Thüringen.

Eine Enthaltung ist keine Zustimmung, und speziell im Bundesrat kann man — anders als in anderen Gremien — durch eine Enthaltung kein Gesetz indirekt “durchwinken”. Voraussetzung für einen Beschluss des Bundesrates ist nämlich immer, dass eine absolute Mehrheit mit “Ja” stimmt. Der Bundesrat selbst erklärt deshalb:

Insoweit spielen Enthaltungen bei der Abstimmung keine Rolle und werden als solche auch nicht festgehalten. Eine Enthaltung wirkt prinzipiell wie eine Nein-Stimme.

Von den 69 Mitgliedern des Bundesrates winkten also (laut “Bild”) nur 43 den Mindestlohn durch. 26 stimmten de facto gegen den Beschluss, vermutlich, weil sie ihn, wie “Bild”, für falsch halten. Ob es Kalkül der Zeitung ist, auch ihnen in einer für die Axel Springer AG so entscheidenden Frage Scheinheiligkeit und Charakterschwäche zu unterstellen, oder nur Ahnungslosigkeit, wissen wir natürlich nicht.

Unverblumt

Böll über Blum

“Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der ‘Bild’-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.”
(Heinrich Böll in seiner Vorbemerkung zu “Die verlorene Ehre der Katharina Blum”, 1974)
 
“Übrigens war die Reaktion der Presse, die sich getrost als mit diesem Buch ‘gemeint’ verstehen konnte, (…) streckenweise geradezu albern. Man verzichtete auf die wöchentliche Bestseller-Liste, weil man das Buch hätte nennen müssen.”
(Heinrich Böll in seinem “Nachwort zur Neuausgabe: ‘Die verlorene Ehre der Katharina Blum'”, 1984)

Es begab sich aber zu der Zeit, als der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll gerade einen Bestseller veröffentlicht hatte, welcher sich kritisch mit der “Bild”-Zeitung einer großen deutschen Boulevardzeitung auseinandersetzte (die Böll nur “ZEITUNG” nannte) und von welchem noch heute behauptet wird, er habe an Aktualität nichts eingebüßt, dass die Bestseller-Listen, in denen Bölls Buch auftauchte, in den Zeitungen des Axel-Springer-Verlags plötzlich nicht mehr auftauchten.

Das war im September 1974.

Und warum wir das erzählen? Aus aktuellem Anlass natürlich. Denn auf die Frage, ob es ein Buch gebe, das sein Leben verändert habe, nennt der Komiker “Atze Schröder” heute u.a.:

"Bölls

Verändert hat das Buch sein Leben aber offensichtlich nicht: Denn gefragt wurde “Atze Schröder” von Norbert Körzdörfer — in einer großen deutschen Boulevardzeitung. Wir nennen sie “Bild”.

“weil halt”

Wir geben zu: Wir konnten uns nicht entscheiden. Weshalb es heute gleich drei “BILDblogger für einen Tag” gibt. (Aber dazu später.)

Als wir uns aber gestern Mittag mit einer Stellenanzeige auf die Suche nach einer Vertretung für den krankheitsbedingt kurzfristig ausgefallenen Gast-BILDblogger Harald Martenstein* machten, hatten wir nicht damit gerechnet, dass in den folgenden fünf Stunden über 70 Bewerbungen eingehen würden. Überrascht hat uns aber auch, warum die Bewerber/innen BILDblogger für einen Tag werden wollten. Deshalb mit Dank für die rege Teilnahme hier ein paar überraschende Begründungen:

  • weil Saarländer sonst selten ins bundesdeutsche Bewusstsein vordringen.
  • weil meine Mutter immer gesagt hat, dass “aus dem Jung’ mal was wird”.
  • “weil halt” (wie meine Kinder auf nervige Fragen immer öfter antworten).
  • weil ich es trotz meiner 15 jungen Jahre schon geschafft habe, mindestens 5 überzeugte “Bild”-Leser zu bekehren.
  • weil meine Lebensabschnittspartnerin bei Axel Springer in Hamburg arbeitet und das DIE Liebeserklärung sein wird, da ich nur ihr diesen einmaligen Blogeintrag widmen werde.
  • weil ich nur 15 Jahre alt bin.
  • weil bisher außer Knut kein Teilnehmer der Adventsaktion unter 30 war.
  • weil ich so viele Tage als Vertreter des Weihnachtsmanns immer nett und freundlich sein musste.
  • weil ich viel zu lange Sätze über viel zu viele Dinge schreiben kann, welche mich aufregen oder interessieren.
  • weil ich als kleiner Steppke jeden Morgen die “Bild” auf dem Küchenfußboden aus- und mich davorgelegt habe, die Seiten durchgegangen bin und teils lachend, teils sehr böse die Texte kommentiert habe — bis die Mutti endlich auf die regionale Tageszeitung umstieg.
  • weil mein Kommentar schon fertig ist (siehe anbei, Portrait ebenfalls schon beigefügt)!
  • weil ich als Arbeiterkind mit der “Bild”-Zeitung sozialisiert wurde.
  • weil ich während der Chaostage 1995 von einer “Bild”-Reporterin mit Bier bestochen wurde.
  • weil ein Punkt meiner Top 10-Lebens-To-Do-Liste somit abgehakt werden dürfte.
  • weil sich der Aufstieg vom Hinweisgeber zum BILDblogger für einen Tag sehr gut in meinem Lebenslauf machen würde.
  • weil ich die “Bild” nicht lese!
  • weil ich gerne mal wieder “Bild” lesen möchte.
  • weil der “Bild”-Aufmacher am Freitag lauten muss: “Propanganda-Wahnsinn! Chaos-Student übernimmt Hass-Forum!”
  • weil ich Charlotte Roche schätze und gerne das Kleid für meine Frau ersteigert hätte.
  • weil ich schon ein Praktikum bei “Bild” gemacht habe und dort köstliche Anekdoten sammeln konnte, die ich aber leider nur andeuten kann, weil alle Praktikanten eine entsprechende Unterlassungserklärung unterschreiben müssen, was ja an sich schon eine lustige Geschichte ist.
  • weil am Rhein.

BILDblogger/in für einen Tag sind heute jedoch:

*) Dem Kollegen Martenstein wünschen wir gute Besserung!

6 vor 9

Neuer Bertelsmann-Chef steuert Konzern um
(manager-magazin.de, Klaus Boldt)
“Der designierte Konzernchef Hartmut Ostrowski will nach Informationen von manager magazin den Medienkonzern Bertelsmann umbauen. Geplant sind etwa die Übernahme der Buchverlagsgruppe Harper Collins und der Verkauf der Beteiligung an Sony BMG. Zur Disposition könnte auch der Anteil am Verlagshaus Gruner + Jahr stehen.”

Sat 1 – Beinahe überflüssig
(FR Online, Jan Freitag)
Das ganze Elend von Sat 1 ausgezeichnet zusammengefasst: “So liest sich das Portfolio jenes Senders, der TV-Legenden wie Anke Engelke und Gerichtsshows, Sandra Maischberger und die Late Night, Erich Böhme und investigative Schäferhunde hervorbrachte, wie eine Liste des gediegenen Scheiterns.”

Journalismus und Internet – Online oder gar nichts
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
“In den USA stellen immer mehr Verlage ihre Printausgabe ein und auf Web um. Das Modell der Zukunft?”

When Will Google?s ?Big Project? YouTube Bring in Profits?
(Mediashift, Mark Glaser)
“While the site was sold to search giant Google for an eye-popping $1.6 billion in November 2006 there?s still one thing it hasn?t accomplished, by most people?s reckoning: profits.”

Ökologisch suspekt
(taz.de, Jenni Zylka)
“Internetportale mit Tipps für kritische Konsumenten liegen im Trend. An Werbung mangelt es ihnen nicht – deswegen aber an Glaubwürdigkeit”.

Lokalmedien – Heimatlos im Netz
(Spiegel Online, Jan Philipp Hein/Boris Hellmers)
“Internet-Unternehmen entwickeln unter Hochdruck lokale Dienste, doch die meisten Verleger regionaler Medien missachten die Gefahr: Ihre Webseiten hinken der Zeit chancenlos hinterher. Mit ihrem vermeintlichen Sparprogramm verschärfen sie die Krise ihrer eigenen Branche.”

Konkurrenten im Kampf um den primitiveren Witz


Martin Sonneborn, 42, ist (obwohl “Bild” das noch im November behauptete) schon seit zwei Jahren nicht mehr “Titanic”-Chefredakteur, sondern Mitherausgeber. Und darüber, “wie die TITANIC einmal die Fußball-WM 2006 nach Deutschland holte”, hat er ein Buch geschrieben. Sonneborn ist Bundesvorsitzender der Partei DIE PARTEI, die vor der Bundestagswahl 2005 die Sendezeit für ihre WahlwerbeSpots bei Ebay versteigerte. Heute arbeitet er u.a. für die Satire-Rubrik von “Spiegel Online”, “Spam”, wo er auch in den Kurzfilm-Reihen “Hinterbänkler heute” und “Heimatkunde” zu sehen ist.
Auf Sonneborns Wunsch veröffentlichen wir seinen Gastbeitrag in alter Rechtschreibung.

Von Martin Sonneborn

Eins vorweg: Ich schätze Kai Diekmann und sein Blatt. Und das nicht nur, weil wir vieles gemeinsam haben. Diekmann ist Herausgeber der “Bild”-Zeitung — also nicht der neubebilderten “FAZ”, sondern der anderen –, und ich bin Mitherausgeber von “Titanic”. Auch wenn wir ständig Konkurrenten sind im Kampf um die lustigere Schlagzeile, den primitiveren Witz, so arbeiten wir doch seit Jahren erfolgreich mit “Bild” zusammen. Der Markt in Deutschland ist groß genug für zwei Satiremagazine! Und den “Focus” auch noch!

Bisher ist zum Glück kaum aufgefallen, daß wir uns mit dem Blatt des “9-cm-Mannes”, wie ihn selbst enge Freunde nicht offen nennen, perfekt die Bälle zuspielen. Als wir mit ein paar spaßigen Faxen Einfluß nahmen auf die Vergabe der Fußball-WM 2006, war “Bild” sich am nächsten Tag nicht zu schade, ein Foto von mir auf die Titelseite zu nehmen, meine Telefonnummer und die Aufforderung, doch mal anzurufen und mir die Meinung zu geigen. Von der zufällig mitgeschnittenen CD “Bild-Leser beschimpfen Titanic-Redakteure live am Telefon” wollten die Kollegen nicht mal Tantiemen! Und das, obwohl einige hundert ihrer besten Leser über sich hinaus wuchsen: “Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!”; “Man sollte Sie auswandern!”; “Vaterlandsverräter!”; “Ihnen gehört die Satire-Lizenz entzogen!”

Die Lizenz behielten wir aber und revanchierten uns u.a. mit der Erfindung des schreibenden “Bild”-Lesers (heute als “BILD-Leser-Reporter” bundesweit im Einsatz). Bei der genußintensiven Lektüre der “Bild”-Leserbriefspalte fällt ja schnell auf, daß sich die Zuschriften in ihrer Sprachgewalt nicht wesentlich vom redaktionellen Teil abheben. So riefen wir bei ausfindig gemachten Leserbriefschreibern an und baten — der Einfachheit halber gleich im Namen der “Bild”-Chefredaktion — um einen gepfefferten druckreifen Kommentar zu irgendwas für die nächste Ausgabe. Die Ergebnisse druckten wir dann in “Titanic”, sie haben uns viel Freude bereitet.

Kommentar Karl H., Münster:
Ist die SPD ein Auslaufmodell? Die SED sang die Internationale, ist weg vom Fenster. Die KPDSU sang die Internationale, ist weg vom Fenster. Wie lange singt die SPD noch die Internationale?

Na? Klingt fast wie “Post von Wagner”, was?

Immer im Gleichschritt mit “Bild” (Trittin! Schröder!) prügelten wir (Problembär Beck!) mit “Titanic”-Titeln jahrelang auf die Sozis ein, unterstützen dekadenlang erst Kohl (“Nach Arschbombe halb Asien überflutet: Massenmörder Helmut Kohl!”), dann das Merkel (“Darf das Kanzler werden?”), polemisierten gegen Ausländer (“Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?”; “10 Jahre sind genug: Auf Wiedersehen, Zonis!”) und druckten gleich seitenweise irgendwelchen unseriösen Quatsch.

In schweren Zeiten spendeten die Schlagzeilen der Hamburger Kollegen uns oftmals Trost und Rat: “Amokläufer erschießt vier Kollegen” — “Da dürften die Straßen jetzt wohl für eine Weile sicher sein”, dachten wir beruhigt und revanchierten uns gerade kürzlich mit dem großen, abgeschlossenen Fotoroman “Der Volks-Penis”, in dem ein für allemal in Wort und Bild klargestellt wird, daß Diekmann eben nicht total klein ist, untenrum.

Übrigens: Daß wir mit der “irren Titanic-PARTEI” (“Dresdner Morgenpost”) jetzt in Hamburg zur Landtagswahl antreten und mit unserem Spitzenkandidaten Heinz Strunk “Bild raus aus Hamburg!” fordern, ist nur eine populistische Forderung, die uns Stimmen bringen soll. Man wird das hoffentlich nicht persönlich nehmen — ich habe das Gefühl, was den Umzug anbetrifft, verstehen sie bei Springers einen guten Spaß. Und wenn nicht? Egal, notfalls gewinnen wir — und das unterscheidet uns vom Spitzenkandidaten der SPD, Alfred E. Naumann — die Wahl eben auch ohne Unterstützung der Springer-Presse!

Zum Schluß möchte ich aber auch eine kurze Kritik äußern, schließlich habe ich mir heute extra “Bild” gekauft und unter — ich nehme mir die Freiheit, Kai — Freunden muß das erlaubt sein: Für meinen Geschmack heben sich manchmal die Überschriften zu wenig vom Text der Fickanzeigen hinten ab:

Ich hab mir meinen Hund auf die Brust tätowiert. Sandy (21) — Mein Arsch gehört Dir. Resi (69) ist noch geil

Stünde nicht aus Versehen Resis Telefonnummer dabei, man könnte Anzeigen und redaktionelle Inhalte glatt verwechseln…
 
BILDblogger für einen Tag ist morgen ein BILDblog-Leser.

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