Archiv für September 28th, 2006

Für Geld verzichtet Bild.de auf Kritik

Heute spielen wir das beliebte “Sesamstraßen”-Spiel “Eins von diesen Dingen ist nicht wie die anderen”. Und wir spielen es mit der aktuellen Kino-Programmvorschau von Bild.de, in der uns “Bild.T-Online sagt, was top oder flop ist”:

Na? Welcher Anreißer ist anders als die anderen?

Kleiner Tipp: Hinter fünf dieser Ankündigungen sagt uns tatsächlich ein Journalist von “Bild” oder Bild.T-Online, ob der Film top oder flop ist. Hinter einer sagt es uns die Werbeabteilung des Filmverleihs (Überraschung: Sie findet ihn top).

Auflösung: Hinter Nummer 5, “Bierfest”, steckt kein redaktioneller Inhalt, sondern eine Anzeige. Und auf der Seite, auf die man nach einem Klick kommt, steht dann auch mehrmals klein das Wort “Anzeige” (was allerdings nicht ausreicht, um der gesetzlich vorgeschriebenen Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt genüge zu tun, wie Bild.de bereits zweimal von Gerichten nachdrücklich erklärt wurde). Abgesehen davon ist die Seite aber exakt wie eine redaktionelle Bild.de-Kinokritik gestaltet. Sogar der Smiley, der das Urteil zusammenfasst, ist identisch. Zum Vergleich: Redaktioneller Bild.de-Smiley (oben), bezahlter Werbesmiley (unten).

Und jetzt zum Vergleich, der Smiley, den die gedruckte “Bild”-Zeitung dem Film “Bierfest” gegeben hat:

Aha: Auf Bild.de steht in der redaktionellen Übersicht über die Neustarts der Woche anstelle der kritischen Besprechung aus “Bild” also ein teilweise als Artikel getarnter bezahlter Jubel-Text des Filmverleihs.

Und die Startseite von Bild.de sieht übrigens aktuell so aus:

Vielen Dank an Florian M. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild” ist die gefährlichste Zeitung

Wussten Sie, dass es viel gefährlicher ist, einen schwarzen Wagen zu fahren als einen gelb-grün karierten?

Gut, wir haben die genauen Zahlen gerade nicht zur Hand, aber jede Wette: Im vergangenen Jahr waren viel mehr schwarze Autos in Unfälle verwickelt als gelb-grün karierte. Also.

Was sagen Sie? Das sei Quatsch, denn es gebe ja viel mehr schwarze Autos als gelb-grün karierte und da müsste man für eine sinnvolle Angabe mit Prozentwerten arbeiten? Sagen Sie das mal dem Herrn Hoeren, der sich sonst bei “Bild” vor allem um Renten-Statistiken kümmert. Der zitierte gestern nämlich auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung eine Statistik aus dem Jahr 2004, wonach 31.430 Verkäufer bei Arbeitsunfällen verletzt wurden — mehr als in jedem anderen Beruf.

Und was schloss “Bild” daraus?

Neue Statistik: Verkäufer ist der gefährlichste Beruf

Natürlich könnte die Überschrift trotzdem stimmen — aus reinem Zufall. Tut sie aber nicht. Im Jahr 2004 (auf das sich die “neue Statistik” von “Bild” beruft) gab es 1.259.624 Verkäuferinnen und Verkäufer* in Deutschland. Bei 31.430 Arbeitsunfällen ergibt sich daraus eine Unfallrate von 2,5 Prozent.

Maurer zum Beispiel wurden zwar nur 22.772-mal in einen Arbeitsunfall verwickelt. Da es aber auch nur 225.583 Maurer* gibt, liegt ihr Risiko, einen Arbeitsunfall zu haben, bei 10 Prozent — viermal so hoch.

*) nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte

Danke an Dietmar H., Jason M., Wolf Karsten V., Torsten W. und Andre G.!

Und ewig locken die Nazi-Aliens

Gestern schrieben wir an dieser Stelle:

Was da heute in “Bild” über eine “geheime Kraft im All” steht, ist immerhin kein kompletter Unsinn.

Und als wollte man das nicht auf sich sitzen lassen, schreibt “Bild” heute wieder über die Pioneer-Anomalie:

"Das Rätsel um die verschwundenen Nasa-Satelliten: Locken Aliens die Raumsonden auf ihren Planeten?"

Und das ist nun doch kompletter Unsinn:

  1. Pioneer 10 und Pioneer 11 sind keine Satelliten, sondern Raumsonden.
  2. Pioneer 10 und Pioneer 11 sind nicht “verschwunden”. Man weiß recht genau, wo sie sind, nämlich “etwa 400 000 Kilometer von den Positionen entfernt”, an denen sie eigentlich sein sollten, wie “Bild” selbst schreibt.
  3. Die Frage, ob “Aliens die Raumsonden auf ihren Planeten” locken, können wir natürlich nicht beantworten, allerdings sind die Annahmen, die “Bild” offenbar zu dieser Frage inspirieren falsch.
  1. “Bild” schreibt:

    Eine unsichtbare Macht zieht sie ins Sternzeichen Stier — auf einer völlig anderen Route, als die Wissenschaftler berechnet hatten.

    Noch mal: Soo “völlig” anders ist die Route gar nicht. Die Sonden werden lediglich gebremst, und da sie sich auf einer gekrümmten Bahn bewegen, weicht der Kurs vom berechneten ab.

  2. Anders als “Bild” suggeriert, war Pioneer 10 schon immer auf dem Weg ins Sternbild Stier.
  3. Pioneer 11 hingegen war nie und ist nicht auf dem Weg ins Sternbild Stier. Deshalb ist es auch kompletter Unsinn, wenn “Bild” die Frage, “Wohin steuern die Sonden?”, so beantwortet:

    Auf den Riesenstern Aldebaran (auch “Alpha Tauri” genannt) zu.

    Pioneer 11 bewegt sich quasi in entgegen gesetzter Richtung zu Pioneer 10 aus dem Sonnensystem und steuert nicht auf Alpha Tauri zu, sondern auf Lambda Aquilae im Sternbild Adler.

  1. Am Ende des Textes fragt “Bild” bang: “Gibt es noch Kontakt?”, antwortet im Prinzip mit “nein” und fügt hinzu:

    Jedes Signal ist aber elf Jahre unterwegs.

    Dann müssten die Sonden elf Lichtjahre von der Erde entfernt sein. Sind sie aber nicht. Tatsächlich braucht jedes Signal von Pioneer 10 bloß rund elf oder inzwischen wohl eher zwölf Stunden zur Erde.

So. Und hinsichtlich der vermeintlichen Aliens, von denen “Bild” zu berichten weiß, dass sie “Legenden” zufolge 1944/45 schon mal zur Erde gereist seien, um den Nazis “ihre Technik” anzubieten, wollen wir auf ein Referat von Dr. Stefan Meining verweisen, das er im Jahr 2002 beim Symposium des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz gehalten hat. Es trägt den Titel: “Rechte Esoterik in Deutschland. Ideenkonstrukte, Schnittstellen und Gefahrenpotentiale.” (pdf)

Mit Dank an Udo M., Studentkiel, Alexander N. und Peter B. für die sachdienlichen Hinweise.

Allgemein  

Zeitlichkeit ist der Seinssinn der Sorge

Manchmal entdecken die Tester von Bild.de selbst beim Vergleich von Autos derselben Kategorie erschütternde Qualitätsunterschiede.

Der Bentley Continental GTC:

Aber erst muss das Stoffdach runter. Das geht auf Knopfdruck gemächlich innerhalb von 25 Sekunden.

Dagegen der BMW M6 Cabrio:

Das BMW-Dach ist blitzschnell geöffnet: 24 Sekunden

Na, damit ist die Kaufentscheidung quasi gefallen.

Nachtrag, 14.15 Uhr. Ah: Weiter unten im Artikel sind auch die 24 Sekunden des BMW für Bild.de nicht “blitzschnell”, sondern eine “verdammt lange” Zeit. Verwirrend.

Danke an Günther P. — und die vielen anderen Hinweisgeber!

6 vor 9

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