Archiv für September 6th, 2006

Der Vater des Gedankens?

Der australische Tierfilmer Steve Irwin wurde jüngst bei Dreharbeiten von einem Rochen tödlich verletzt. Und Bild.de schreibt:

Es gibt ein Video der tödlichen Attacke. Die Polizei untersucht es gerade. Gut möglich aber, dass die Familie es irgendwann freigibt. Irwins bester Freund John Stainton (44): ‘Steve wäre sehr traurig gewesen, wenn es von seinem Tod keine Aufnahme gäbe.’

“Gut möglich”, soso… Und soweit “Bild”. Seltsamerweise ist diese (oder eine auch nur annährend ähnliche) Aussage Staintons — außer bei Bild.de — schwer zu finden. Es ist zwar so, dass Irwin selbst vor ein paar Jahren mal scherzte: “Wenn ich sterbe, möchte ich wenigstens, dass das gefilmt wird.” Doch der Eindruck, den Bild.de jetzt erweckt, trifft die Sache nicht so ganz. “Irwins bester Freund John Stainton (44)” sagte nämlich bereits der Zeitung “The Australian” (aus dem auch Bild.de zitiert), die Aufnahmen seien “schrecklich”, “furchtbar” und, wie die Nachrichtenagentur AP aus einem CNN-Interview zitiert, so grauenvoll, dass das Videoband am besten “zerstört werden” solle, damit es niemand jemals zu Gesicht bekommen, geschweige denn ausstrahlen könne. (“It will never see the light of day. Ever. Ever.”) Stainton weiter:

“Ich habe es angeschaut, aber ich möchte es nicht noch einmal sehen.”

Auch der Chef des US-Senders Discovery, der die Rechte an Irwins Filmen besitzt, geht laut “The Australian” davon aus, dass Irwins Tod “niemals öffentlich gezeigt werde”.

“Gut möglich” also? AP jedenfalls zitiert einen Experten für Medienethik zur Frage einer möglichen Ausstrahlung des Videos mit dem Fazit:

“Sollte es irgendwer zeigen, wäre das reine Sensationslust und Nekrophilie.”

Mit Dank an Christoph. W. für den Hinweis.
 
Nachtrag, 7.9.2006: Die eingangs zitierte Passage auf Bild.de würde inzwischen umgeschrieben. Nun heißt es dort:

Es gibt ein Video der tödlichen Attacke. Die Polizei untersucht es gerade. Irwins bester Freund John Stainton (44): “Steve wäre sehr traurig gewesen, wenn es von seinem Tod keine Aufnahme gäbe.” Allerdings: Stainton deutete vielsagend an, das Video werde sehr bald nach der Freigabe verschwinden.

Peinlich irgendwie, aber besser als vorher.

Blöde Frage

Heute zeigt “Bild” im Raum Berlin-Brandenburg mal wieder große Fotos zweier Angeklagter “auf dem Weg ins Gericht”. “Bild” hatte über die beiden bereits im April berichtet und sich damals vorverurteilende Sätze ausgedacht wie “Baby von den Eltern halbtot gefoltert!” oder “(…) ein so junges Leben, geprägt von "Was haben diese Eltern zu verbergen?"
Schlägen, Tritten, Folter!”
— obwohl inzwischen (nicht nur, aber) auch “Bild” weiß: “Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden keine Quälerei vor.” Dennoch fragt “Bild” heute scheinheilig naiv:

“Was haben diese Eltern zu verbergen?”

Denn: “Sie verstecken ihre Gesichter (…). Was haben sie jetzt zu verbergen?” Ja, was nur? Ihr Gesicht etwa? “Mutter Janine E. (17) versteckt sich hinter einer Zeitung”, schreibt “Bild”, “Vater Thomas P. (19) zieht sich voller Scham seinen Pullover über den Kopf.”

Voller Scham? Vielleicht. Auf die Idee, dass E. und P. andernfalls ihr Gesicht womöglich ohne jede Unkenntlichmachung in der Zeitung wiedergefunden hätten, ist “Bild” offensichtlich nicht gekommen. Wieso auch? Schließlich wäre das ja wohl laut Pressekodex mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen “nicht gerechtfertigt”, oder?

6 vor 9

Ungehemmt im Oberhemd (faz.net)
Vor kurzem waren sie der Schrecken der Lehrer, jetzt stehen sie vor der Kamera: Der Fotograf Philip Wente hat fünf Schüler der Berliner Rütli-Schule aus dem Klassenzimmer geholt und Modeaufnahmen mit ihnen gemacht.

Bakschisch und Bio-Bombe (fr-aktuell.de)
Das “Zentrum für investigativen Journalismus” in Sarajevo deckt Skandale auf.

Was sagte Beatrix? (jungle-world.com)
Das niederländische Königshaus hatte schon immer ein schwieriges Verhältnis zur Presse – aber die Medien sind nicht mehr zu kontrollieren.

Post an Wagner (persoenlich.com)
Der ehemalige Bunte-Chefredaktor Franz Josef Wagner hat “persönlich rot” ein vierstündiges, offenes Interview gewährt. Überraschend hat er dies nun zurückgezogen. Interviewer Matthias Ackeret schreibt an den Interviewten zurück.

Jagd auf Zeitungen (taz.de)
Mit “Kommersant” ist die letzte unabhängige Tageszeitung in Russland an einen Kreml-Vertrauten verkauft worden. Folgt jetzt die Gleichschaltung?

Der jüngste Tag (zeit.de)
Beruf und Kinder – geht das zusammen? Wir haben es ausprobiert. Henning Sußebach berichtet über den Tag, an dem 19 Kinder ihre Eltern in die Berliner ZEIT-Redaktion begleiteten.