Archiv für Juli, 2006

In eigener Sache: Wie “Bild” den Presserat sieht

“Jeder ist berechtigt, sich beim Deutschen Presserat allgemein über Veröffentlichungen oder Vorgänge in der deutschen Presse zu beschweren.” (Deutscher Presserat: Beschwerdeordnung, §1.)

Die “Bild”-Zeitung ist der Ansicht, BILDblog hätte kein Recht, vom Presserat überprüfen zu lassen, ob ihre Berichterstattung ethisch vertretbar ist. Das geht aus den Stellungnahmen der “Bild”-Chefredaktion hervor, die sie gegenüber dem Presserat zu zwei Beschwerden abgegeben hat. Er fasst die Position der “Bild”-Chefredaktion in seiner Entscheidung so zusammen:

B-Blog GbR [also BILDblog] sei ein auf BILD spezialisierter Internet-Anbieter, dessen Aktivitäten inzwischen beachtliche Ausmaße annähmen. Der Deutsche Presserat entwickle sich “auf diese Weise zum Kontent-Lieferanten für das Internet-Angebot Bildblog.de.” [BILD] regt eine grundsätzliche Überlegung des Presserats an, “ob er sich auf Dauer als Dienstleister für die — inzwischen kommerziellen — Aktivitäten dieses Beschwerdeführers benutzen lassen wolle”.

Noch deutlicher wird die “Bild”-Chefredaktion in ihrer Stellungnahme zum Fall Kekilli (wir sind der Meinung, dass die Zeitung ihrer Pflicht zum Abdruck öffentlicher Rügen nicht nachgekommen ist). Die “Bild”-Chefredaktion hält unsere Beschwerde laut Presserat nicht nur für unbegründet, sondern sogar für “unzulässig”:

Der Verlag [die Axel-Springer-AG] habe sich ausschließlich dem Presserat gegenüber zum Rügenabdruck verpflichtet, nicht sonstigen “Bürgern, die sich nachträglich als Trittbrettfahrer an ein bereits erledigtes Verfahren anhängen möchten”. […] Die vorliegende Beschwerde diene dem einzigen Zweck, Stoff zu liefern, mit dem das inzwischen kommerzielle Internetangebot der Beschwerdeführer inhaltlich gefüllt und attraktiv gemacht werden soll. Die BILD-Blogger inszenierten mit dieser Beschwerde ihren künftigen Webinhalt. Dies sei ein Verhalten, welches nicht mit dem Pressekodex übereinstimme.

Dieser Auffassung der “Bild”-Chefredaktion wollte sich der Presserat nicht anschließen.

Und wir fragen uns:

  • Glaubt die “Bild”-Zeitung, dass die kontinuierliche Überprüfung ihrer Arbeit durch den Presserat und die Berichterstattung darüber einem Missbrauch des Presserates gleichkommt und gegen den Pressekodex verstößt?
  • Glaubt die “Bild”-Zeitung, dass sie “ausschließlich” dem Presserat Rechenschaft schuldig ist, ob ihre Berichterstattung ethischen Ansprüchen genügt, und nicht auch ihren Lesern und vor allem ihren Opfern?
  • Glaubt die “Bild”-Zeitung, dass es legitim ist, von der Verletzung von Persönlichkeitsrechten wirtschaftlich zu profitieren, nicht aber von der Aufklärung über diese Persönlichkeitsrechtsverletzungen?

Die Entscheidungen des Presserates im Original: BK1-76/06, BK1-71/06.

“Bild”-Warnsystem noch nicht in Betrieb

“Bild” hat heute mal wieder eine Frage:

Warum versagte das neue Tsunami-Warnsystem?

Gegenfrage: Welches “neue Tsunami-Warnsystem” meint “Bild” eigentlich? Etwa jenes, von dem im Text die Rede ist, und über das “Bild” schreibt:

Obwohl das Pazifik-Warnzentrum auf Hawaii rechtzeitig Tsunami-Alarm geschlagen hatte, kamen die Warnungen nicht an den Stränden von Java an. Grund: Indonesien fehlt es an Geld, um die Strände mit Sirenen auszustatten.

Das kann “Bild” aber nicht gemeint haben. Das Pacific Tsunami Warning Center (PTWC) ist nämlich gar nicht neu, sondern wurde bereits 1949 in Betrieb genommen. Und versagt hat es, wie man dem “Bild”-Text entnehmen kann, auch nicht, sondern eher die indonesischen Behörden.

Vielleicht also doch eher das Warnsystem vom Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ)? Davon ist ja gerade viel die Rede, allerdings nicht in “Bild”. Und im Interview mit der “Berliner Zeitung” sagt Jörn Lauterjung vom GFZ auf die Frage “Hat Ihr System versagt?”:

“Es hat nicht versagt, denn es ist noch gar nicht in Betrieb. Wir bauen es ja erst auf, und das dauert nach unserer Planung bis Ende des Jahres 2008.”

So gesehen ziehen wir unsere Gegenfrage besser zurück. Offenbar weiß “Bild” selbst am allerwenigsten, welches “neue Tsunami-Warnsystem” sie meint.

Mit Dank an Tobias J. für den sachdienlichen Hinweis.

Mein Gott, diese Hitze

“Puh, war das gestern wieder heiß.” – “Ja, ey. Und heute soll’s ja noch heißer werden.” – “Voll der Rekordsommer.” – “Echt mal. In Augsburg soll’s heute ja heißer werden als in Adelaide.” – “Stimmt. Und in Regensburg heißer als in Rio. Magdeburg wird sogar heißer als Mombasa.” – “Echt?” – “Ja, Mann. Wir sind voll der Hitze-Weltmeister.”

Und man mag das ja für eine ganz nette Idee von “Bild” halten, so eine Deutschlandkarte abzubilden, auf der die Temperaturen in deutschen Städten mit denen in anderen Orten auf der Welt verglichen werden. So kann sich der “Bild”-Leser immerhin einen Satz länger über das Wetter unterhalten – oder sogar zwei, wenn einer noch weiß, dass der Vergleich in sieben von 25 Fällen (online in acht von 26) mächtig hinkt, weil “Bild” Orte herangezogen hat, die auf der Südhalbkugel liegen. Und da ist ja bekanntlich gerade Winter.

Mit Dank an Uwe R., Patrick S. und Thomas D. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag , 13.21 Uhr: Okay, Bali liegt zwar auf der Südhalbkugel, allerdings ist es dort das ganze Jahr über ungefähr gleich heiß.

Mit Dank an Mario R. für den Hinweis.

Magermilchmädchen von morgen

Huch:

Was “Bild” uns heute mit dieser Seite-2-Überschrift sagen will, ist: In Zukunft werden ganze Generationen weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenkasse herausbekommen, als sie eingezahlt haben.

Und wie kommt “Bild” zu dieser Prognose?

Aufhänger des Artikels ist ein “Welt”-Artikel. Darin sagt Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, es könne verfassungswidrig sein, “wenn das eingezahlte Kapital regelhaft bei weitem das übersteigt, was der einzelne später an Leistungen erhält”. Wohlgemerkt: Papier sagt — anders als der flüchtige “Bild”-Leser glauben könnte — nicht, dass dies so kommen wird. Er spricht von den Konsequenzen, falls es so kommt.

Aber die “Bild”-Zeitung weiß ja schon, was kommt. Sie druckt eine Tabelle, über der es heißt: “Soviel Rente gibt es pro 100 Euro Rentenbeitrag”. Daneben steht: “Hier sehen Sie, ob Sie ein Gewinner oder Verlierer sind”. Männer und Frauen sollen anhand ihres Jahrgangs erfahren können, mit wieviel Auszahlungen sie je 100 Euro Einzahlungen rechnen können.

Und für eine grobe Abschätzung, wie seriös die “Bild”-Tabelle ist, genügt es vielleicht schon, sich vor Augen zu halten, dass sie sich Vorhersagen zutraut für Menschen, die die nächsten 34 Jahre noch nicht einmal geboren sind und voraussichtlich im Jahr 2107 in Rente gehen werden.

Und bevor man dann noch in Panik gerät, weil ja auch die Kinder und Kindeskinder irgendwann im Alter von irgendwas leben müssen, lohnt es sich, auf die Quelle für “die BILD-Tabelle” zu schauen: Errechnet wurden die Zahlen laut “Bild” vom “Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn” von Meinhard Miegel, der auch das “Deutsches Institut für Altersvorsorge” berät, eine Lobbyorganisation von Banken und Versicherungen zur Förderung der privaten Altersvorsorge.

Andere Quellen kommen zu Prognosen, die von denen, die “Bild” distanzlos übernimmt, massiv abweichen. Die Zeitschrift “Finanztest” hat in ihrer Mai-Ausgabe ebenfalls nachgerechnet und kam zu dem Ergebnis, dass von einer “Minus-Rente” keineswegs die Rede sein könne:

Die nominalen Renditen werden drastisch sinken, doch bleiben nach derzeitigem Rentenrecht voraussichtlich immer positiv für alle, die bis 2070 in Rente gehen.

“Finanztest” weist aber auch darauf hin, dass so weit in die Zukunft reichende Prognosen grundsätzlich “sehr problematisch” seien. “Bild” weist nicht einmal darauf hin, dass es sich überhaupt um Prognosen handelt.

Danke an Holger R. für den Hinweis!

Nicht meinereiner

Das ist ja heutigentags mal wieder eine Verlustigung erster Kajüte auf Bild.de:

Seid zur Heiterkeit bereit: Mein Name ist Hase — ich weiß Bescheid.

Mit Dank an Georg S. für Hinweis und Idee.

Keine Post für Streiter

Na, da freut sich aber die “Bild”-Redaktion. In der gestrigen Ausgabe hat sie gar “keinen Fehler gefunden”, weshalb sie in der Korrektur-Spalte von heute “den eigentlich unfehlbaren Kollegen von der ‘Frankfurter Allgemeinen Zeitung'” einen Hinweis schenkt:

Jaha, auch seriöse Zeitungen machen nämlich Fehler, nicht immer nur “Bild”.

Zur Feier des Tages wollen wir natürlich auch nicht zurückstehen und schenken “Bild” unsererseits noch einen Hinweis: Liebe “Bild”-Mitarbeiter, anders als gestern in “Bild” zu lesen war, ist Mainz-05-Trainer Jürgen Klopp NICHT 34, sondern am 16.6.1967 geboren. Folglich, liebe “Bild”, ist er tatsächlich schon 39 Jahre alt.

Mit Dank an Falk H. und Leif S. für den sachdienlichen Hinweis.
 
Nachtrag aus der “Bild”-Korrekturspalte vom Mittwoch, dem 19.7.2006:

Die Montag-Ausgabe von BILD war doch nicht fehlerfrei, wie wir gehofft hatten.

In dem Artikel „Wir sagen ja zum Duzen“ war das Alter des Trainers des Fußball-Bundesligisten FSV Mainz 05, Jürgen Klopp, mit 34 angegeben.

Das ist falsch: Klopp ist schon 39 Jahre alt.

Post für Streiter!

Georg Streiter, bisher nur Leiter des Politik-Ressorts, ist nun auch für die neue Korrekturspalte bei “Bild” zuständig. Er hat eine zusätzliche, entsprechend lautende E-Mail-Adresse bekommen und seine Redaktionskollegen in einer internen E-Mail aufgefordert, ihm “künftig alles, was in BILD falsch und deshalb korrekturbedürftig ist, ausschließlich an diese Adresse zuzumailen”:

Und noch mal: Es ist dabei völlig egal, wo der Fehler steht, Hauptsache in BILD (und nicht bild.de!). Also bitte auch übers eigene Ressort hinausschauen. Falsches Alter, falscher Name, falscher Ort, falsch gerechnet, falsches Foto — alles gilt.

Symbolfoto XLI

“Bild” hat sie getroffen: Ibrahim, Fakhiri und Hassan, drei “mutmaßliche Mitglieder der ‘Neuköllner Killer-Boyz'”. Für einen “BILD-Report über die dramatisch steigende Brutalität unter Jugendlichen in Berlin”. Und “Bild” hat sogar Zahlen, Fakten — und ein Foto, auf dem man sieht, was die brutalen Jugendlichen so anstellen:

Nur den Hinweis, dass es sich dabei um ein Szenenfoto aus einem Spielfilm handelt, den hat “Bild” vergessen.

Das Demonstrationsrecht in Theorie und Praxis

Georg Streiter, der Politikchef der “Bild”-Zeitung, findet es falsch, dass es Politiker in Mecklenburg-Vorpommern gibt, die den amerikanischen Präsidenten Bush nicht treffen wollten oder sogar gegen ihn demonstrierten. In einem “Bild”-Kommentar kritisierte er “diese Herrschaften” gestern dafür, und das ist soweit noch nicht bemerkenswert.

Bemerkenswert ist seine Argumentation. Streiter schreibt:

Diese Leute durften noch vor 16 Jahren ihren Mund nur aufmachen, wenn sie für das SED-Regime waren.

Demonstrationen gab es nur, wenn die Regierung ihre eigenen Fahnen schwenkte.

Das können diese Herrschaften nicht vergessen haben. Sie können auch nicht vergessen haben, daß sie ihre Freiheit nicht zuletzt den Amerikanern zu verdanken haben.

Aber sie haben einfach nichts dazugelernt!

Es ist nicht leicht, aber vielleicht lohnt sich der Versuch, die Logik dieses Kommentars nachzuvollziehen. Was wirft Streiter den Politikern vor: Dass sie von dem Demonstrationsrecht, das sie früher nicht hatten, heute einfach Gebrauch machen? Dass sie die Freiheit, die sie früher nicht hatten, heute einfach ausleben?

Und was genau meint Streiter, wenn er schreibt, die ostdeutschen Politiker hätten “nichts dazugelernt”? Meint er, dass die DDR-Bürger dumm waren? Und warum sind sie seiner Meinung nach immer noch dumm? Weil sie demonstrieren? Weil sie den amerikanischen Präsidenten nicht treffen wollen? Weil sie glauben, dass zu ihrer neu gewonnenen Freiheit, selbst wenn sie sie von den Amerikanern bekommen haben sollten, auch das Recht gehört, sie gegenüber genau diesen Amerikanern anzuwenden? Weil sie ein anderes Demokratieverständnis haben als die “Bild”-Zeitung, die am Freitag offenbar glaubte, es sei als Zeichen der Verbundenheit mit den USA angemessen, über die Proteste gegen Bush gar nicht zu berichten und wider besseres Wissen zu behaupten: “Deutschland fliegt auf die Bushs”?

Streiters Argumentation steht in einer langen Tradition. Interessant ist es, in diesem Zusammenhang die Arbeit von Gudrun Kruip über das Weltbild des Axel-Springer-Verlages zu lesen. Darin schreibt sie über die Studentenproteste Ende der 60er Jahre:

Nur dank des Schutzes der USA könnten die Studenten [nach Ansicht des Springer-Verlages] überhaupt für ihre Ansichten demonstrieren, denn in sozialistischen Staaten würden derartige Meinungsäußerungen mit brutaler Gewalt unterdrückt. Es sei daher geradezu unhöflich, diese Rechte ausgerechnet gegen den Garanten dieser Rechte auszuspielen. (…) Demonstrationen wurden [von Springer] zwar pro forma als demokratisches Recht anerkannt, sollten jedoch keinesfalls den reibungslosen Ablauf des Verkehrs stören und darüber hinaus auch die richtige Kritik artikulieren, sich also vor allem gegen den Ostblock wenden. (…)

Die Einstellung [der “Bild”-Zeitung] zu Demonstrationen entsprach damit in weiten Teilen derjenigen zu Streiks: Theoretisch waren sie zwar ein demokratisches Recht, praktisch aber durften sie die gesellschaftliche und politische Harmonie nicht beeinträchtigen. Innerhalb des Konzerns gab es kaum Verständnis dafür, daß es keine allgemeingültige Wahrheit geben kann und zur Demokratie folglich ein Recht auf unterschiedliche Meinungen gehört (…).

(Hervorhebung von uns.)

Auch Georg Streiter schreibt nicht, dass er anderer Meinung sei als die Repräsentanten Mecklenburg-Vorpommerns, sondern wirft ihnen “Dummheit” und “Unbelehrbarkeit” vor, weil sie gegen den Präsidenten demonstrierten oder nicht mit ihm grillen wollten.

“Nichts dazugelernt” ist insofern eine ganz gute Überschrift.

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