Archiv für März 29th, 2006

Lachen mit “Bild”

Beispielsweise im Jahr 2004 wurden laut Kriminalstatisik von der Polizei 8831 Vergewaltigungsfälle erfasst, davon 2551 überfallartig durch Einzeltäter, 224 überfallartig durch Gruppen, 335 durch Gruppen und 10 mit Todesfolge. Hinzu kommen 6792 Fälle sonstiger sexueller Nötigung und 26.224 Fälle sexuellen Missbrauchs. Die Zahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung lag bei 57.306. Die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen wird auf das 10- bis 20-fache der erfassten Fälle geschätzt.

Und das ist ungefähr so lustig wie die Schlagzeile, die heute in Teilen Deutschlands auf Seite 3 der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de zu finden ist:

Im Ernst: Wie lange wird es dauern, bis dieselben “Bild”-Redakteure auf derselben Seite womöglich “Froschmann vergewaltigt und tötet Fischverkäuferin” titeln? Und schreiben sie dann etwa als Erklärung für die Tat auch wieder lapidar: “Der Frühling ist da, die Triebe spielen verrückt (…)”?

Vergewaltigung ist die extremste Form sexualisierter Gewalt. Für “Bild” ist es nur ein Wort.

Mit Dank an die Hinweisgeber und Spirit of Entebbe für den Scan.

“Bild”-Leser in Wirbel geraten

Gestern veröffentlichte “Bild” folgenden Leserbrief:

Zu: Wirbel um den Bundestagspräsidenten. Leider war Parlamentspräsident Norbert Lammert sich anscheinend immer zu fein, Stellung zu seinen Nebeneinkünften zu nehmen. Ich bitte euch: fragt weiter täglich nach!

Natürlich könnte man Manfred König erklären, dass er etwas missverstanden hat. Dass Informationen über Lammerts Nebentätigkeiten seit Jahren für jeden nachzulesen waren. Dass Lammerts Nebeneinkünfte nichts mit der täglichen “Bild”-Nachfrage nach Plänen für die Diäten- und Pensions-Reform zu tun haben. Und noch vieles mehr.

Aber andererseits wissen wir ja, wie es kommen konnte, dass Manfred König all das missverstanden hat.

Es ist also nicht nur so, dass die “Bild”-Zeitung ihre Leser in die Irre zu führen versucht. Sie demonstriert auch noch gerne, wenn es ihr gelungen ist.

Der “Frivoler Prozeß”-Prozess

Am 26. Juli 2005 veröffentlichte “Bild” eine halbseitige Geschichte, die mit dieser recht harmlos klingenden Schlagzeile überschrieben war:

Es ging in dem Artikel um einen Mann, der von seiner Ex-Freundin angezeigt und auf 200.000 Euro Schmerzensgeld verklagt worden war, weil er einen offenbar heimlich gedrehten Film im Internet veröffentlicht hatte. Der Film zeigte ihn mit der Ex-Freundin beim Oralsex. Die Anklage lautete auf Beleidigung, Verletzung der Rechte am eigenen Bild und Verbreitung pornographischer Schriften. “Bild” illustriert die Geschichte u.a. mit einer Sequenz aus dem Film, die mit zwei nicht sehr großen schwarzen Balken versehen ist, und beschreibt das Foto so:

Szene aus dem privaten Sexfilm: Zärtlich verwöhnt Kerstin ihren Freund Dirk N.* (39) mit dem Mund

Man kann das als zynisch bezeichnen, einen Text über diesen Strafprozess quasi mit dem corpus delicti selbst zu bebildern, aber darum soll es hier gar nicht gehen. Sondern um das andere ziemlich große Foto, das “Bild” in diesem Zusammenhang zeigt. Darauf ist eine Frau in Jeans zu sehen. Sie trägt einen auffälligen Gürtel und ein nicht weniger auffälliges Oberteil. Frisur, Ohren, Haaransatz und -farbe sind gut zu erkennen. Lediglich das Gesicht ist verpixelt. Die Bildunterzeile lautet:

Kerstin* (42) verklagt ihren Freund auf 200.000 Euro Schmerzensgeld

Soweit so schlimm. Denn wer “Kerstin” kennt, dürfte keine Probleme gehabt haben, sie anhand des großen Fotos zu identifizieren.

Aber damit ist diese Geschichte noch lange nicht zuende. Im Gegenteil. Denn die Frau auf dem großen Foto – nennen wir sie einfach weiter “Kerstin” – ist überhaupt nicht die 42-jährige Frau aus dem Video, sondern deren 27-jährige Nichte, die mit dem “frivolen Prozeß” aus der “Bild”-Zeitung rein gar nichts zu tun hat. Da wundert es nicht, dass “Kerstin” die “Bild”-Zeitung aufforderte, in Zukunft keine Fotos mehr von ihr zu veröffentlichen und dabei zu behaupten, sie habe die dargestellten sexuellen Handlungen vorgenommen. Sie forderte also die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung von “Bild”. Doch “Bild” lehnte ab.

Deshalb musste sich das Landgericht Frankfurt/Main mit dem Fall beschäftigen. Am 11. August 2005 erließ es eine einstweilige Verfügung, die es “Bild” untersagte, Fotos von “Kerstin” zu veröffentlichen und dabei zu behaupten, sie habe die dargestellten sexuellen Handlungen vorgenommen. Bei Zuwiderhandlung hätte “Bild” 250.000 Euro zahlen müssen. Doch “Bild” legte Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein.

Also musste sich das Gericht wieder mit dem Fall beschäftigen. Am 19. Januar dieses Jahres fand die mündliche Verhandlung statt. Im Urteil [PDF] des Gerichts wird “Kerstins” Aussage so wiedergegeben:

Trotz gepixeltem Gesicht sei sie auf dem Bild erkennbar (…). Sie sei auch tatsächlich bundesweit von Freunden, Bekannten und Verwandten erkannt worden, insbesondere von einer Frau S. D. aus H, sowie von ihrem Bruder und dessen Arbeitskollegen. (…) Die verwandtschaftliche Verbindung zwischen den zwei Frauen hätte dazu geführt, daß der Artikel insbesondere die Aufmerksamkeit von Bekannten und Verwandten (…) auf sich gezogen hätte.

Das klingt plausibel. Außer für “Bild”, bzw. die beklagte Axel Springer AG, deren Aussage im Urteil so wiedergegeben wird:

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass es sich bei der (…) Frau um die Klägerin handele und diese die Nichte von Frau B. sei. Sie bestreitet des Weiteren, dass die Frau, die angeblich die Klägerin sein soll, für Dritte identifizierbar sei. (…) Aufgrund der Unkenntlichkeit sei es daher auch nicht möglich, daß die Beklagte tatsächlich von Freunden, Bekannten und Verwandten erkannt worden sei. Auch spreche die Tatsache, daß der Bruder der Klägerin in L lebe und sie in Westfalen, dagegen, dass die Arbeitskollegen des Bruders die Schwester überhaupt kennen und damit erkennen können.

Um das mal kurz zusammenzufassen: “Bild” weiß nicht, wer auf dem von ihr gezeigten Foto zu sehen ist, bestreitet aber einfach mal, dass es die Frau sei, die behauptet, es zu sein, und bezichtigt sie auch sonst pauschal der Lüge. “Bild” hatte also Kerstins Darstellung von Anfang an rein gar nichts entgegenzusetzen (was übrigens auch die Entscheidungsgründe des Gerichts deutlich machen), weigerte sich aber trotzdem, die simple Erklärung abzugeben, dass sie es künftig unterlassen werde, das Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild der Klägerin zu verletzen.

Ach ja, “Bild” verlor natürlich den Prozeß.

Mit bestem Dank an Martin H. für den sachdienlichen Hinweis.

Mehr dazu hier.

Kurz korrigiert (87)

Ja, Wahnsinn. Die Japaner bauen den “höchsten Fernsehturm der Welt”. “Japanischer Riese” nennt ihn Bild.de. “600 Meter hoch. Und damit den Wolken näher als jeder andere Turm weltweit.”

Da staunen sie bei Bild.de und zeigen gleich noch einen anderen tollen Ausschnitt aus der Illustration:

Noch toller wären die Bilder nur, wenn auf ihnen auch der japanische Fernsehturm zu sehen wäre. Und nicht Burj Dubai, ein ganz anderes Turmprojekt, auch hoch, aber nicht in Japan, sondern in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Und der tolle Turm, über den Bild.de schreibt, sieht so aus.

Nachtrag, 12.30 Uhr. Der Hochhaus-Beauftragte von Bild.de hat sich der Sache nun angenommen, war aber etwas in Eile. Immerhin finden sich im Teaser und in der Bildergalerie nun tatsächlich Illustrationen des geplanten neuen Fernsehturms für Tokio. Bild.de schreibt, es werde der höchste Turm weltweit sein, “doch lange wird der Höhenrekord des Tokio-Towers wohl nicht anhalten. Der nächste Riesenturm ist bereits in Planung … 2008 wird er von einem derzeit im Bau befindlichen 800-Meter-Wolkenkratzer in Dubai deutlich überragt werden”. Dazu müsste es allerdings schon zu einer erstaunlichen Störung im Raum-Zeit-Kontinuum kommen, denn der japanische Turm wird frühestens 2010 fertig. Er wird also nach Bild.de-Logik minus zwei Jahre lang das höchste Gebäude der Welt sein, oder anders gesagt: nie.

Schön, dass Bild.de das ursprünglich als “japanischer Riese” bezeichnete Gebäude jetzt richtig beschriftet: nämlich als geplanter Wolkenkratzer in Dubai. Drei Klicks weiter hat Bild.de aber noch ein Gebäude aus Dubai im Angebot:

Das ist nun wieder Quark. Das abgebildete Gebäude ist (aufmerksame Leser wissen es) keineswegs das Burj Dubai, das gerade gebaut wird, sondern ein früherer, inzwischen verworfener Entwurf für ein Hochhaus an gleicher Stelle, der auf einem ursprünglich für Melbourne geplanten Gebäude beruhte.

Klingt kompliziert? Wäre aber ganz einfach gewesen, wenn man es von Anfang an richtig gemacht hätte.

Nachtrag, 13.55 Uhr. Also, der Hochhaus-Beauftragte von Bild.de ist dann doch noch mal kurz reingekommen und hat immerhin die letzte Illustration aus der Bildergalerie, die mit dem falschen Burj Dubai, ersatzlos entfernt.

Danke an Birger T., Felix G. und Marco W. für die sachdienlichen Hinweise.