Archiv für August 24th, 2004

Ein Hartz für Tiere

Mit traurigen Kinder- und Sparschwein-Augen machte “Bild” vor einigen Wochen Stimmung gegen “Hartz IV”. Womit ließe sich das noch steigern? Richtig: Mit traurigen Hunde-Augen. Im Berlin-Teil von “Bild” (nicht online) steht heute die Überschrift:

Wegen Hartz IV — Berliner Tierheim erwartet hunderte arme Hunde

Das Blatt behauptet, viele Menschen glaubten aus Furcht vor Armut, sich ihren Hund nicht mehr leisten zu können.

Alleinstehende Arbeitslose im Westen bekommen ab Januar nur noch 345 Euro, im Osten 331 Euro. Rund 200 Euro weniger als die bisherige durchschnittliche Arbeitslosenhilfe.

Das ist falsch, wie der Autor des Artikels sogar im eigenen Blatt hätte nachlesen können. In seiner Rechnung fehlen die Kosten für Miete und Heizung, die Bezieher von Arbeitslosengeld II in Zukunft zusätzlich bekommen. Rechnet man sie ein, ergibt sich nur eine geringfüge Differenz zwischen jetzigen und zukünftigen Einkünften, manchmal sogar eine Verbesserung.

Weiter im Text:

“Bundesweit rechnen wir in diesem Sommer mit 70.000 ausgesetzten Haustieren”, sagt Wolfgang Apel (52), Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. “Tiere werden heutzutage leider einfach entsorgt, wenn sie zur Last fallen.”

Das Zitat stimmt, der Zusammenhang nicht. In einer Pressemitteilung der Bundesregierung stellt Apel klar,

dass der Tierschutzbund einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl ausgesetzter Tiere und dem Arbeitsmarktreformgesetz Hartz IV nicht herstellt. Die in BILD genannte Zahl von 70.000 ausgesetzten Tieren sei ein Wert, der sich traurigerweise seit einigen Jahren auf diesem hohen Niveau halte.

Aber diese traurigen Hundeaugen auf dem Foto, die können doch nicht lügen, oder? Nein, die nicht.

“Bild” macht stutzig

Enthüllen ist ein schönes Wort und bedeutet laut Duden so viel wie “offenkundig machen”, “entlarven” oder “aufdecken”. Deshalb versteht sich auch von selbst, was damit gemeint ist, wenn beispielsweise bild.de den schönen Satz “US-Pornostar Jenna Jameson enthüllt” ganz oben über eine Meldung schreibt. (Was genau Jameson enthüllt, kann übrigens hier nachgelesen werden. Oder hier. Muss aber nicht, weil bild.de die ganze Sache sowieso bloß anderweitig – O-Ton: “Das berichtet der Online-Dienst ‘freenet’.” – aufgeschnappt hat…)

So richtig überzeugt von dem, “was sexy Jenna da verrät”, scheint allerdings nicht einmal bild.de zu sein: “Jenna hat eine Autobiografie geschrieben, braucht also PR“, heißt es in der dazugehörigen Berichterstattung, was offenbar sogar die bild.de-Berichterstatter stutzig macht:

“Ist es nur ihre blühende Porno-Fantasie, die da mit Jenna durchgeht? Oder ist an den Enthüllungen tatsächlich etwas dran?”

Und dass bild.de die Leser derart an der eigenen Skepsis teilhaben lässt, ist zweifelsohne löblich, zumal wir jetzt auch endlich wissen, was außerdem damit gemeint sein kann, wenn irgendwer irgendwo irgendwas zu enthüllen weiß.

Was die PDS mit der HJ zu tun hat

Der heutige “Bild”-Leitartikel trägt die Überschrift:

Die PDS marschiert.

Marschiert die PDS? Sie demonstriert in vielen Städten gegen “Hartz IV” und “Sozialabbau”. Im Fernsehen sehen die Kundgebungen nicht nach “Marschieren”, geschlossenen Reihen und schweren Stiefeln aus. Warum schreibt “Bild” dann “Die PDS marschiert”? Es gibt einen bekannten Schlachtruf mit “…marschiert”. Im Horst-Wessel-Lied der Nationalsozialisten kommt die Zeile vor: “SA marschiert”. Daran erinnert die Überschrift des Kommentars von Dr. Herbert Kremp. Soll sie daran erinnern?

Er schreibt weiter:

Was für ein schräges Bild, was für eine Blamage vor aller Welt: Die PDS mit an der Spitze der Sozialangst-Demonstrationen in Berlin und Ostdeutschland. “Unsere Fahne flattert uns voran.”

Das Zitat ist keines der PDS und keines von den “Sozialangst-Demonstrationen”. Es ist aus dem Fahnenlied der Hitlerjugend:

Unsre Fahne flattert uns voran.
In die Zukunft ziehen wir Mann für Mann.
Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not
Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.

Für Kremps Formulierung gibt es nur eine Interpretation: Er sieht eine Parallele zwischen der friedlich demonstrierenden PDS einerseits und den Schlägertruppen der SA und Hitlers gleichgeschalteter Jugendorganisation andererseits. Wow.

Die “Nachfolger der SED” sollen aufhören, “Sozialangst” zu schüren und sich als “die größten Anwalte des Volkes” aufzuspielen, fordert der Kommentator. Das kann man verstehen. Auf beides hätte “Bild” natürlich gerne ein Monopol.

Was Herr Kremp uns mit der Nazi-Anspielung eigentlich sagen will, ist vermutlich dies: Wenn möglicherweise nicht zuletzt wegen einer massiven “Bild”-Kampagne gegen “Hartz IV” die Menschen in Scharen der PDS zulaufen, dann ist das nicht die Schuld von “Bild”, sondern der PDS.