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Ataroids

Es gibt keinen Zweifel: Die Marke Atari ist eine Legende. Und so ist es kein Wunder, dass sich am Montag viele Medien der Nachricht widmeten, dass — mal wieder — ein Unternehmen mit dem Namen Atari in finanzielle Schieflage geraten ist. Doch wie bei vielen Legenden ist es nicht einfach den wahren Kern zu erblicken.

Zum Beispiel bei Welt Online

Der Computerspiele-Pionier Atari hat einen Insolvenzantrag für sein Geschäft in den USA gestellt. Das mehr als 30 Jahre alte Unternehmen, dass mit Spielen wie Pong oder Asteroids einst an den Anfängen der Computerspiele-Industrie stand, will sich unter Schutz vor seinen Gläubigern sanieren.

Und bei Spiegel Online:

Mit “Pong” und “Asteroids” wurde er berühmt, jetzt hat der legendäre Computerspielhersteller Atari für sein US-Geschäft Insolvenz angemeldet. Die Firma soll nun mithilfe neuer Investoren saniert werden und hofft auf eine Zukunft mit mobilen Spielen.

Alleine: Mit dem Hersteller von Pong und Asteroids hat das jetzt in die Insolvenz gegangene Unternehmen wenig zu tun. Wie auch Spiegel Online zum 40. Jubiläum der Marke selbst feststellte: Das eigentliche Unternehmen Atari existiert schon lange nicht mehr.

Markenname und andere Bestandteile der Spielelegende wurden mehrfach weiterverkauft. Was sich heute Atari nennt, stammt von der Firma GT Interactive ab, die nach einer Reinkarnation als Infogrames schließlich die Namensrechte an Atari kaufte und sich umbenannte.

Den Vogel 8-Bit-Gorilla schoss aber mal wieder Bild.de ab. Der Witschaftsticker titelte hier so:

Screenshot: Bild.de

Donkey Kong ist in der Tat ein Spiele-Klassiker — er stammt aber von Nintendo.

Mit Dank an Alexander A., Tobias T. und Matthew L.

Nachtrag, 23. Januar: Bild.de hat die Bildunterschrift geändert in “‘Donkey Kong’ – der Spiele-Klassiker von Nintendo auf der Atari-2600-Konsole.”

The internet is for porn

Wenn Bild.de über die Porno-Plattform YouPorn berichtet, ist immer ein gewisser Elternstolz dabei. Denn es waren die Redakteure des Schmuddelportals, die YouPorn kurz nach Gründung so eindringlich beschrieben, dass die Server der Schmuddelseite für mehrere Tage nicht erreichbar waren.

Und so überrascht es nicht, dass die Bild.de-Redakteure etwas aus dem Häuschen sind, nachdem der Betreiber von YouPorn und zahlreichen weiteren pornografischen Webseiten wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung verhaftet wurde. So schreiben sie:

Seine Seiten generieren monatlich rund 16 Milliarden Klicks – fast dreimal so viel wie Wikipedia!

Es stimmt zwar, dass die “Financial Times Deutschland” vom Betreiber im Oktober diese Zahl erfahren hatte — eine Zahl, die man dem Unternehmer glauben kann oder auch nicht. Der Vergleich mit Wikipedia ist jedoch offensichtlich falsch, wie man ohne weiteres in den öffentlichen Zugriffsstatistiken der Wikipedia nachschlagen kann: Selbst ohne Mobilnutzer kommt die Enzyklopädie auf 16,9 Milliarden Pageviews pro Monat und schlägt damit knapp die angeblichen Abrufszahlen des Porno-Netzwerks.

Doch nicht genug der Superlative. Im Infokasten behauptet Bild.de:

YouPorn.com gilt mit 60 Millionen Klicks am Tag als weltweit populärste Porno-Seite im Internet.

Das mag sich gut anhören, mehr aber auch nicht. YouPorn ist noch nicht einmal die populärste Porno-Webseite im Firmenverbund des YouPorn-Betreibers. Zu dem gehört nämlich zum Beispiel auch die Plattform Pornhub, die beim Statistik-Dienstleister Alexa.com auf Platz 70 geführt wird. YouPorn kommt hier gerade einmal auf Platz 104.

Jetzt wird es für die Bild.de-Redakteure richtig schwer, ihre Statistik-Erektion zu verbergen:

Die Videos, die weltweit über YouPorn abgerufen werden, verbrauchen tagtäglich ca. 1 Billionen Byte und damit mehr Bandbreite als sämtliche sonstige Internetseiten zusammengenommen.

Mehr Bandbreite als alle anderen Internetseiten zusammen? Dies wäre nun wirklich ein enormer Vorsprung. Und es ist enormer Blödsinn. Eine Billion (sic!) Bytes sind gerade einmal ein Terabyte — ein lächerlicher Wert, der YouPorn nicht Mal einen Platz unter den 1.000 trafficreichsten Seiten sichern würde. Laut einer Schätzung der Seite ExtremeTech kam YouPorn bereits im April 2012 auf 950 Terabyte pro Tag — also knapp eine Billiarde Bytes. Und selbst das reichte nicht für Platz 1 auf der Traffic-Rangliste der Porno-Seiten.

Größe ist halt doch nicht alles.

Mit Dank an Karsten H., Nils V., Jörn H. und Alex.

Update 20:23 Uhr: In der ersten Version des Artikels haben wir den vollen Namen des Verhafteten Betreibers von YouPorn genannt. Wir haben ihn nun entfernt.

dpa  etc.

Kein Wunder

Wer professionell mit Informationen umgeht, sollte eigentlich aufhorchen, wenn er das Wort “Wunder” hört. Doch wer einfach nur faul Informationen hin- und herschiebt, für den ist das Wort “Wunder” ein willkommener Anlass zum Weghören, die universelle Erklärung für das Unwahrscheinliche, das Unlogische oder schlichtweg das Falsche.

Am Sonntag meldete die Nachrichtenagentur dpa um 10.16 Uhr:

Jüngste Microsoft-Mitarbeiterin in Pakistan gestorben

Sie galt als Computergenie und wurde mit gerade einmal neun Jahre die weltweit jüngste Mitarbeiterin des Softwaregiganten Microsoft. Nun starb die Pakistanerin Arfa Karim Randhawa mit nur 16 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. (…)

Microsoft hatte das in Pakistan als Wunderkind gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Mädchen 2004 zur offiziell zertifizierten Mitarbeiterin des Unternehmens gemacht. Damit war Arfa Karim die jüngste von hunderten Softwareentwicklern rund um den Globus.

Und prompt macht die Saga vom Wunderkind in Microsoft-Diensten die Runde:

Auf Bild.de:

Sie galt als Computergenie und wurde mit gerade einmal neun Jahre die weltweit jüngste Mitarbeiterin des Softwaregiganten Microsoft. Jetzt ist sie tot!

In der “Welt kompakt“:

Die jüngste Mitarbeiterin von Microsoft ist gestorben

In der “Frankfurter Rundschau“:

Arfa Karim Randhawa war neun, als sie zur jüngsten Mitarbeiterin beim Computer-Giganten Microsoft wurde. In ihrer Heimat Pakistan wurde sie als Computergenie gefeiert und mit Preisen überhäuft. Nun ist Randhawa im Alter von 16 Jahren gestorben.

Und auf Süddeutsche.de:

Sie galt als Genie und gefeierte Computerexpertin in Pakistan, mit neun Jahren wurde sie jüngste Mitarbeiterin von Microsoft. Nun ist sie mit 16 an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben. Die Beileidsbekundungen erreichen die Familie auch aus der politischen Spitze des Landes.

In der “Berliner Morgenpost“:

Ein undatiertes Foto zeigt das pakistanische Mädchen Arfa Karim Randhawa, die jüngste Mitarbeiterin des Microsoft-Konzerns

Alleine: Die verstorbene Jugendliche war nie Mitarbeiterin von Microsoft. Sie hatte im Alter von neun Jahren die Prüfung zum “Microsoft Certified Professional” bestanden. Das Zertifikat wird an Entwickler verliehen, die in bestimmten Bereichen ihre Kenntnisse über Microsoft-Produkte vorweisen können.

Am Montagmorgen hat die dpa die Meldung korrigiert. Doch für viele Medien bleibt das ohne Belang — die 16jährige bleibt für sie die “jüngste Angestellte von Microsoft”.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Bild  

It really does not work

Dass die “Gewinner/Verlierer”-Rubrik in “Bild” nicht sehr faktenorientiert ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen.

Das ist heute nicht anders:

Fiese Attacke auf CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl (67): Internet-Hacker knackten gestern die Homepage des Politikers, legten die Adresse "uhl-csu.​de" für Stunden lahm, löschten alle Daten und verhöhnten ihn noch. Denn wenn man die kaputte Seite anklickte, erschien der böse Spruch "it works" – es funktioniert.  BILD meint: Pechvogel!

Dass “it works” – zu deutsch: “es funktioniert” – ein “böser Spruch” sein soll, hätte die Redakteure eigentlich misstrauisch machen müssen. Hätten sie dann noch auf Bild.de nachrecherchiert – ein Vorgehen, von dem wir sonst ausdrücklich abraten – hätten sie neben einem Screenshot der gehackten Homepage Uhls auch die Erklärung für die merkwürdige Kurzbotschaft gefunden:

Trotzdem ist auf der Webseite momentan nicht mehr zu sehen als der Satz "It Works" (engl. für "Es läuft").  Diesen Satz gibt ein Webserver nach der Neuinstallation aus, wenn alles funktioniert.

Mit Dank an Hanno B. und C.

Alter Wein in alten Schläuchen

In ihrer Samstagsausgabe hat die “Leipziger Volkszeitung” einen Coup gelandet: Sie konnte als erstes Medium von einem neuen Kompromissangebot der Union an die FDP im lange schwelenden Streit um die Vorratsdatenspeicherung berichten.

Vorratsdatenspeicherung: Union kommt Liberalen weit entgegen

Die Redaktion versandte gar einen Vorbericht per Pressemitteilung, so dass alle Welt über die Neuentwicklung berichten konnte. Der Innenexperte der Union im Bundestag, Clemens Binninger, hatte der “LVZ” nämlich verraten, dass er sich bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung “eine von sechs auf drei Monate verkürzte Speicherfrist” vorstellen könne.

Und nicht nur das:

Zugleich erklärte Binninger, statt einer generellen Datenspeicherung könne man sich auch auf einen ganz konkreten begrenzten Straftatenkatalog beschränken. Bisher hatten die Union und das Bundesinnnenministerium eine Mindest-Speicherfrist von sechs Monaten als zwingend notwendig erachtet, um sachlich den Anforderungen der Behörden zu genügen.

Das wäre nicht nur eine politische Sensation, sondern vor allem auch eine technische: Es ist unmöglich, die Datenspeicherung im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung auf bestimmte Straftaten zu beschränken. Da Kriminelle ihre Datentransfers nicht vorher bei der Polizei anmelden, wollen Innenpolitiker und Leute wie BKA-Chef Jörg Ziercke einfach die Daten von allen Kommunikationsvorgängen abspeichern lassen und später die Spuren zu den Kriminellen aussortieren. Ohne “generelle Datenspeicherung” ist keine Vorratsdatenspeicherung möglich. Wie Binninger das eine fordern und das andere ablehnen kann, hat die “Leipziger Volkszeitung” gar nicht erst hinterfragt.

An der Position der Union hat sich also wenig geändert: Weiterhin sollen umfassende Kommunikations- und Positionsdaten aller Menschen in Deutschland gespeichert werden, lediglich der Abruf der Daten kann beschränkt werden. Die Politiker vertrauen darauf, dass die Behörden mit den Daten schon verantwortungsvoll umgehen werden — und sich nicht irgendwelche Sicherheitslücken auftun oder die Daten auf andere Weise in die falschen Hände geraten.

Das vermeintliche Zugeständnis der Union an die FDP, den Datenabruf auf bestimmte Straftaten zu beschränken, ist auch kein neuer Einfall von Clemens Binninger. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht diese Beschränkung bereits vor anderthalb Jahren gefordert. Jeder, der sich auch nur ansatzweise mit dem Thema beschäftigt hat, müsste das wissen.

Nachtrag, 6. September: Auch die in Aussicht gestellte Verkürzung der Speicherdauer war alles andere als neu. Bereit im Mai berichtete Welt.de über entsprechende Äußerungen von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Von einem “Entgegenkommen” kann also aktuell gar nicht nicht gesprochen werden.

Wat dem einen sin Uhl

Was unterscheidet eigentlich “Die Welt” von “Welt kompakt”? Der “axel springer mediapilot” erklärt es so:

DIE WELT ist die nationale Qualitätszeitung für traditionelle Eliten, die sich Herausforderungen stellen. WELT KOMPAKT im modernen Tabloidformat ist die Zeitung für die Entscheidungsträger der modernen Generation.

Doch wie kann die Junior-Ausgabe eine andere Zielgruppe ansprechen, wenn sie die wesentlichen Inhalte doch nur von der älteren Schwester übernimmt? Nun — ganz einfach. Heute zum Beispiel haben beide Blätter die selbe Geschichte über Wikileaks-Gründer Julian Assange auf den Titel gehoben. Mit einem kleinen Unterschied.

“Die Welt” titelt für die “traditionellen Eliten” so:

Ende eines Egomanen

“Welt kompakt” hingegen charakterisiert Assange für die “moderne Generation” ganz anders:

Der Untergang eines Visionärs

Wer hat die dümmsten Redakteure?

Das Sommerloch macht es schwer, journalistische Angebote zu füllen. Die Parlamente machen Ferien, im Fernsehen kommen nur Wiederholungen und falls man doch Mal recherchieren will, hört man am anderen Ende der Leitung all zu oft: “Ihr Ansprechpartner ist leider im Urlaub”.

Also muss man den Bodensatz der Pressemitteilungen durchwühlen. Am Besten sind Geschichten, die sich gut anhören, bei denen es aber egal ist, ob sie nun wahr sind oder nicht. Beispielsweise: “Schwangere mögen Sellerie lieber als Saure Gurken”. Oder: “Im Fernsehen kommen nur Wiederholungen“. Oder zur Abwechslung etwas Neues: Der Web-Browser ist mit der Intelligenz verknüpft. Klingt abwegig, banal, irgendwie doof? Egal, es füllt Platz:

Bei “Welt kompakt”:

Browser-Test: Opera-User sind am schlauesten

Bei Krone.at:

Nutzer des Internet Explorer sind am dümmsten

Bei “20 Minuten”:

Bei Bild.de:

Dass niemand zuvor von der ominösen Marktforschungsfirma gehört hatte — egal. Dass die Abweichungen von über 40 IQ-Punkten enorm hoch sind und Nutzer des Internet Explorer 6 mit knapp über 80 IQ-Punkten im Schnitt nur wenig besser abschneiden als Forrest Gump — kein Problem. Schließlich sind in der Studie bunte Grafiken und gewichtig klingende Fachbegriffe wie “WISC-iV”, “Verbal IQ” und “Full Scale IQ”.

Dumm nur: nichts davon stimmt. Die BBC, die die Story zunächst auch verbreitet hatte, hat doch noch einmal nachgefragt und die Geschichte als “Bogus” entlarvt: Unter der angegebenen Telefonnummer meldet sich niemand, die Webseite der angeblich seit fünf Jahre existierenden Firma ist brandneu und aus anderen Webseiten zusammen gestückelt und ein Statistikforscher an der Universität Cambridge findet die publizierten Zahlen unplausibel.

Kurz gesagt: Studie samt Firma sind offenbar Produkt von Witzbolden, die sich über Nutzer des Internet Explorer lustig machen wollten. Das stellt die hiesigen Medien vor ein Problem: Die Spielverderber von der BBC können schließlich nicht ganz ignoriert werden.

Bild.de gibt sich humorvoll:

Und ergänzt:

Wie Kollegen von Computerbild.de jetzt herausfanden, existierte die Kanadische Beraterfirma AptiQuant nicht einmal.

Doch die Kollegen behaupten nicht einmal selbst, es herausgefunden zu haben: Sie beziehen sich bei ihrer Korrektur ausdrücklich auf die BBC.

Herr Admin und Frau Backup_user

Es gibt Meldungen, die wiederholen sich so oft, dass man versucht ist, sie einfach als Vorlage im Redaktionssystem stehen zu lassen. So haben sich die Einbrüche bei namhaften IT-Unternehmen in den letzten Monaten so gehäuft, dass es sich einfach nicht mehr lohnt neue Nachrichten zu schreiben. Man setzt einfach betroffene Firma, Anzahl der gestohlenen Datensätze und den Namen der anonymen Hacker-Gruppe ein — fertig sind Meldung und Schlagzeile.

So meldete Reuters am Montagabend:

Hacker greifen Apple an - Einige Kundendaten veröffentlicht

Dicht gefolgt von “RP Online”:

Kundendaten veröffentlicht Hacker attackieren Apple

Und schließlich berichtete auch krone.at:
Hacker stellen Daten von Apple-Kunden ins Internet

Doch die Macht der Gewohnheit war hier kein guter Ratgeber. Die vorgeblichen Kundendaten lesen sich nämlich etwas seltsam: Die veröffentlichte Liste von 27 Usernamen umfasst so merkwürdige Namen wie “admin”, “backup_user” und “process_super”.

Tatsächlich waren auf dem Server nach dem aktuellen Informationsstand keine Daten von Apple-Kunden abgespeichert. Die Hacker haben stattdessen eine Liste interner Kennwörter der IT-Abteilung von Apple erbeutet. Das ist zwar peinlich genug für Apple und spricht nicht für die IT-Sicherheit des Unternehmens, aber “Kundendaten”, wie einige Medien schreiben, wurden bisher keine veröffentlicht.

Mit Dank an David D.

Bauer gegen Spiesser, Wired, Katastrophenjournalismus

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die wollen uns fertigmachen”
(journalist.de)
Frank Haring hat die Jugendzeitschrift “Spiesser” von einer Dresdner Schülerzeitung zu einem ernsthaften Konkurrenten der “Bravo” ausgebaut. Die Verlage streiten um Werbung und Auflage. “Haring ist es immer gelungen, den Spiesser als Magazin engagierter Schüler zu positionieren. Dazu trug viele Jahre auch der von ihm mit initiierte Jugendbildungsverein Sachsen bei, der zahlreiche Veranstaltungen mit dem Spiesser organisierte. Redakteure gaben Workshops, Vereinsleute organisierten Anzeigen. Es war für Außenstehende ein ziemliches Durcheinander. Kommerziell? Ehrenamtlich? Schwer zu durchschauen. Inzwischen ist der Verein aufgelöst.”

2. wired
(wirres.net, Felix Schwenzel)
“ich mochte die wired immer sehr. leider konnte ich sie mir wegen des astronomischen kiosk-preises nicht regelmässig kaufen.” Trotz seiner Begeisterung für die amerikanische Zeitschrift “wired” ist Felix Schwenzel vor dem Start einer deutschen Testausgabe als Beilage der “GQ” skeptisch. “leidenschaft sieht anders aus. die lust ein regelmässiges, geiles heft zu machen, mit grossen themen, steilen thesen, grossartigen autoren scheint schon im keim durch das von thomas knüwer sonst immer so leidenschaftlich kritisierte kissenpupser-bürokratie-dickicht von grossverlagen erstickt zu werden.”

3. Ich mach’ mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt
(katrinschuster.de, Katrin Schuster)
Das Bekenntnis einer ZEIT-Autorin, ihre Tochter “Germanys next Top-Model” sehen zu lassen, weil diese als selbstbewusste Mittelstandstochter eh keinen Schaden nehmen werde, stößt auf Widerspruch bei der freien Journalistin Katrin Schuster: “Genau darüber scheint sie sich im Grunde zu freuen. Schließlich sichern einzig solche Aufstiegsblockaden ihrer Tochter auch weiterhin die „besten Chancen“, ebenfalls Mittelschicht zu werden. Die Chance also, auch später zu denjenigen zu gehören, die sich stets so köstlich amüsieren, wenn wieder einmal ein paar „Friseurinnen, Hauptschülerinnen und Töchter von Migranten“ verzweifelt versuchen, sich nach oben casten zu lassen, und daran wieder einmal scheitern, weil: falsche Gene, Pech gehabt.”

4. Falsche Bruchrechnung
(juedische-allgemeine.de, Fabian Wolff)
Der unreflektierte Gebrauch des Wortes “Halbjude” in der “WAZ” stößt Fabian Wolff übel auf: “»Halbjude« gehört für mich in dieselbe Kategorie wie »Sonderbehandlung«, »Arbeit macht frei« oder »Jedem das Seine«. Nur dass diese Begriffe mittlerweile tabu sind. Beim »Halbjuden« ist so viel Sensibilität nicht vorhanden. ” Die WAZ-Redaktion entschuldigt sich.

5. Katastrophenjournalismus
(dradio.de/dkultur, Arno Orzessek)
“Was in den Tagen seit dem 11. März im Nordosten Japans geschah, erfuhr die Welt per Live-Ticker, im Internet, und durch Presse, Radio und Fernsehen. Es sind Medien, die das Publikum informieren. Und es sind die Medien, die damit die politische Willensbildung entscheidend mitprägen.”

6. Eine einfache Wahl
(faz.net, Michael Hanfeld)
Zur anstehenden Wahl des ZDF-Intendanten fasst Michael Hanfeld die Lage zusammen: “Thomas Bellut hat also längst gezeigt, dass er eine gute Wahl ist, er steht für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der keine Grenzen kennt, und genauso will ihn die Mehrheit der Parteipolitiker in diesem Lande, weil sie glaubt, so ihren Einfluss zu wahren. Und da holt die Zurechnung Thomas Bellut wieder ein, wie jeden anderen Intendanten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine Alternative hätten wir nur gerne einmal wenigstens gesehen.”

Lead-Award, Facebook-Party, Promi-Lynchen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Hauptsache, die Verpackung stimmt
(taz.de, René Martens)
René Martens kritisiert, dass die Artdirectorin der “Bild” zu den Preisträgern des Lead-Awards gehört: “Angesichts der aktuellen Entwicklung an der Journalistenpreisfront klingt die Vorstellung, dass Kai Diekmann in absehbarer Zeit für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, leider nicht mehr völlig abwegig.”

2. Thessa – viele Medien, viel Scheinheiligkeit
(ndr.de/zapp, Boris Rosenkranz)
Die Facebook-Einladung, die aus dem Ruder läuft, ist eine beliebte Mediengeschichte. ZAPP zeigt, wie die Medien mit scheinheiliger Empörung intensiv für die Party einer 16jährigen werben, obwohl diese längst abgesagt war. “Die Journalisten befeuern vielleicht nicht, aber sie heizen die Stimmung zusätzlich an. Kameras überall. Statt sich zurückzuhalten, halten sie drauf.”

3. Google will den Autoren eine wichtigere Rolle geben
(frei.djv-online.de, Michael Hirschler)
Google will künftig auch die Autoren von Texten systematisch erfassen. Das Freien-Blog des DJV zeigt, wie Journalisten die Technik zur Selbstvermarktung nutzen können.

4. Der Reporter im Visier des Staates
(faz.net, Jochen Buchsteiner)
“Shahzad war am 29. Mai in einem Fernsehstudio in Islamabad erwartet worden und nicht aufgetaucht. Am nächsten Morgen meldeten ihn Angehörige als vermisst. Zwei Tage später wurde seine Leiche in einem Kanal im Distrikt Mandi Bahuddin gefunden. Der Körper wies Folterspuren auf.” Jochen Buchsteiner berichtet über die Ermordung des pakistanischen Journalisten Saleem Shahzad und die Verbindungen zum Nachrichtendienst ISI.

5. Meine Playstation gehört mir
(freitag.de, Frank Rosengart)
“Geht es nach dem Willen der Elek­tronik-Industrie drohen kritischen Kunden nämlich sonst schnell eine Hausdurchsuchung und ein teures Gerichtsverfahren.” Rosengart erinnert daran, mit welchen Maßnahmen zum Beispiel Apple seine Umsatzbeteiligung gegenüber Verlagen durchsetzt. Das Unternehmen lockert unterdessen die Bedingungen ein wenig.

6. Lachen und Lynchen
(sueddeutsche.de, Marc Felix Serrao)
“Nichts finden die Leute so anziehend, wie einen Prominenten, der öffentlich weint.” Marc Felix Serrao zeigt am Beispiel des US-Abgeordneten Anthony Weiner wie die Empörungsmaschinerie in den US-Medien funktioniert. “Auch in Deutschland gab es schon erste Versuche, mit der amerikanischen Abart des People-Journalismus Geld zu verdienen. Der Münchner Verleger Hubert Burda, der privat sehr auf Familiensinn achten soll, brachte 2010 das Online-Portal Vipdip (“lassen keine Dreckpfütze aus”) und das Klatschheft Chatter (“Angelina Jolie lebt eine einzige Lüge”) auf den Markt. Beide Produkte fielen durch eine quasi recherchefreie, im Ton dafür umso rabiatere Machart auf.”

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