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Ein Kinderwunschwunsch für Helene Fischer

Man kann sich vorstellen, dass Schlagersängerin Helene Fischer überrascht war, als sie die Titelseite des “Berliner Kurier” vom 27. Oktober sah:

Sicher, sie hatte mit dem “Kurier”-Menschen irgendwie über ihre Liebe zu Florian Silbereisen gesprochen:

Verfolgen Sie die Trennung von Stefan Mross und Stefanie Hertl mit Sorge? Sie haben mit Florian Silbereisen eine ähnliche Konstellation.

Nein, ich mache mir da keine Sorgen. Florian und ich versuchen, Privates und Geschäftliches strikt zu trennen.

Aber Sie treten gerne in seinen Shows auf, oder?

Natürlich! Es war für mich immer klar, dass ich das neue Album zuerst bei ihm präsentieren möchte.

Und auch der Kinderwunsch kam vor. Auf eine Art:

Sie bezeichnen sich als Familienmensch. Möchten Sie auch selbst Mutter werden?

Auf jeden Fall, das ist mein großer Traum. Ich denke, dafür haben wir noch Zeit. Wenn ich in einigen Jahren ruhiger werde, möchte ich aber unbedingt ein Kind.

Aber irgendwie, fand Helene Fischer, gab die Titelseite ihre Aussage dann doch nicht ganz treffend wieder. Und so erschien der “Berliner Kurier” am vergangenen Dienstag mit der Ankündigung einer “Klarstellung” auf der Titelseite:

Und im Inneren hieß es:

Klarstellung

Wir haben auf dem Titel des KURIER vom 27.10.2011 berichtet: “Helene Fischer spricht im Kurier über ihre Liebe zu Florian — Ich will ein Kind”. Hierzu stellen wir klar, Frau Fischer wünscht sich aktuell kein Kind.

Schöner Einbrechen mit Facebook (3)


Dass Internet-Dienste wie Facebook, Twitter oder Google Street View nicht nur Vorteile, sondern auch Gefahren mit sich bringen, das wissen wir alle. Und trotzdem ist es beängstigend, dass laut einer aktuellen Umfrage in Großbritannien rund 80 Prozent der gefassten Einbrecher ihre Opfer zunächst übers Internet ausgespäht haben. (…) Laut Studie nutzen mehr als 70 Prozent der befragten Diebe zusätzlich Google Street View, um sich bequem vom Sofa aus ein Bild vom Zielobjekt zu machen.

So berichtete am vergangenen Samstag der Fernsehsender ProSieben in seinen Nachrichten, und noch beängstigender als die Zahl ist natürlich, wie viele Journalisten sie glauben und verbreiten.

Um es noch einmal zu sagen: In der Studie wurden ehemalige Einbrecher bloß gefragt, was sie glauben, ob Einbrecher von heute auch Facebook und ähnliche Dienste bei ihrer Arbeit nutzen. Knapp 80 Prozent der Befragten nahmen das an. Ob und in welchem Umfang Einbrecher ihre Opfer tatsächlich mit Hilfe des Internets ausspionieren, verrät die Studie nicht.

Unbeantwortet ist nach wie vor auch die Frage, wie hoch der Anteil der Journalisten ist, die bei der Arbeit auf ihr Gehirn zurückgreifen. Falls sich an dem Thema mal ein seriöser Wissenschaftler versuchen möchte, bieten wir hier weiteres aussagekräftiges Material:

Den “Berliner Kurier”:

Die “Magdeburger Volksstimme”:

(…) Schön ist, dass heutzutage Diebes-Personal eingespart werden kann. Der Kumpel, der früher Schmiere stehen musste, hat ausgedient. Die Gefahr, dass jemand überraschend auftaucht, ist verschwindend gering.

Das glauben Sie nicht? Na, dann nehmen wir 50 Ex-Einbrecher als Kronzeugen. Die haben in einer ungewöhnlichen Studie verraten, dass sie (als sie noch richtig fies und gemein waren) Facebook und Co. genutzt haben, um ihre Beutezüge vorzubereiten. Sozusagen Internet-Shopping für Einbrecher. (…)

Die “B.Z.”:

Internetdienste wie Facebook, Twitter oder Foursquare werden zur Gefahr für Wohnungsbesitzer und Mieter. Bei einer Umfrage unter gefassten Einbrechern in Großbritannien gaben rund 80 Prozent der Kriminellen an, sich mittlerweile bei Facebook & Co. darüber zu informieren, wo sich ein Einbruch lohnt, und wo gerade niemand zu Hause ist.

Die “Tiroler Tageszeitung”:

(…) Eine Befragung früherer Einbrecher in England hat ergeben, dass sich 78 Prozent mithilfe von Internetplattformen über Objekte und ihre Bewohner informieren. (…)

Mit Dank an Peter S. und Christiane P.!

Bild  

Kerkeling-Wette verloren

“Bild”, 20. Juni 2011:

Wetten, dass Kerkeling der neue Gottschalk wird!

Erst im Herbst will das ZDF bekannt geben, wer Nachfolger von Thomas Gottschalk (61) bei “Wetten, dass ..?” wird. Viele Stars sind im Gespräch. Doch nur mit zwei Moderatoren hat das ZDF wirklich verhandelt. BILD sagt: Wetten, dass Hape Kerkeling (46) der neue Gottschalk wird! (…)

Der Plan: Pilawa könnte im Sommer öffentlich seinen Verzicht auf “Wetten, dass ..?” erklären. Im Herbst kann Programmdirektor Thomas Bellut dann Kerkeling als neuen “Wetten, dass ..?”- Moderator ausrufen.

Interessant: Als Thomas Gottschalk vor 19 Jahren zum ersten Mal bei “Wetten, dass ..?” ausstieg, sollte Hape Kerkeling bereits die Show übernehmen. Damals lehnte der Entertainer ab, drehte stattdessen seinen ersten Kinofilm.

Ein zweites Mal wird Hape Kerkeling das Angebot wohl nicht ablehnen.

Wetten, dass ..?

Doch.

Schöner Einbrechen mit Facebook (2)

Und wer ist noch (und trotz BILDblog-Eintrag) hereingefallen auf die Ente, dass sich 78 Prozent der Diebe bei Facebook über gute Einbruchziele informieren?

Die “Welt” von heute — im womöglich ironisch benannten Ressort “Wissen”:

Der “Welt”-Remix “Berliner Morgenpost”:

Der Online-Auftritt des “Handelsblatts”:

Und natürlich, ganz frisch, Bild.de:

Auch der Braanchendienst “Meedia” hält unbeirrt an dem Irrsinn fest; “Welt Online” hat immerhin einen Teil der Fehler unauffällig korrigiert*.

*) so unauffällig, dass wir es zuerst übersehen hatten.

Mit Dank an Frank!

Schöner Einbrechen mit Facebook und Twitter

Endlich gibt es neue Zahlen, die beweisen, wie gefährlich Soziale Netzwerke sind.

78 Prozent der Einbrecher nutzen Facebook, Twitter oder Foursquare, um mögliche Ziele zu finden. 74 Prozent kundschaften die Nachbarschaft mit Google Street View aus.

Zumindest steht das auf “Welt Online”, im Online-Auftritt der “Braunschweiger Zeitung”, im Braanchendienst “Meedia” und auf diversen internationalen Nachrichtenseiten.

Niemand der Journalisten scheint sich gedacht zu haben, dass das doch erstaunlich hohe Zahlen sind. Und wenn sie es sich gedacht haben, wird es sie nur angespornt haben, sofort eine Meldung daraus zu machen, statt an der Plausibilität der Angaben zu zweifeln oder sie gar nachzurecherchieren.

Hätten sie es getan, wären sie nicht nur darauf gestoßen, dass die Umfrage unter 50 ehemaligen Einbrechern in Großbritannien keineswegs im Auftrag des “US-amerikanischen Online-Unternehmens ‘Credit Sesame’, das Kredite an Privatpersonen vergibt” (“Welt Online”) bzw. der “Finanz-Webseite Credit Sesame” (“Meedia”) durchgeführt wurde. Sondern von Friedland, einem britischen Hersteller von Alarmanlagen.

Auf dessen Internetseite hätten sie auch entdecken können, was die Umfrage unter den Ex-Einbrechern — anders als von “Credit Sesame” in einer “gelungenen Infografik” (“Meedia”) behauptet — tatsächlich ergeben hat:

78 Prozent sagten, sie hätten den starken Verdacht, dass Diebe heute soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder FourSquare nutzen. 74 Prozent vermuteten, dass Google Street View bei Einbrüchen heute eine Rolle spielt.

Man könnte aus den Zahlen sogar, mit etwas gutem oder bösem Willen, die Meldung machen: Ein Viertel der ehemaligen Diebe bezweifelt, dass Facebook oder Google Street View bei Einbrüchen überhaupt eine Rolle spielt.

Nachtrag, 17:50 Uhr. Der Online-Auftritt der “Braunschweiger Zeitung” hat den Fehler unauffällig ein bisschen verbessert.

Bild  

Ein Gruppensex-Quickie mit Polanski

Heute lernen wir, wie die Stars unter den Promi-Reportern an ihren spektakulären Stücke kommen.

Unsere Lehrerin ist keine geringere als Dora Varro, eine junge Frau, die sich “Teufelsreporterin” nennen lässt und über die die österreichische Fachzeitschrift “Journalist” schon vor Jahren schrieb: “Sie hat Geschichten, von denen länger im Geschäft befindliche Society-Journalisten nur träumen können.”

Diese erschien vor zwei Wochen in “Bild”:

Mein Treffen mit Roman Polanski war wie schlechter Sex

Man sieht, wie nahe sie dem Regisseur Roman Polanski gekommen ist, man ahnt, dass er sogar ihre Hand hält, während sie ihn auf das “heikle Thema” seiner Verhaftung anspricht, was ihn zu einem kleinen Witz animiert.

Dies ist das Foto der Agentur Getty Images, das “Bild” verwendet hat:

Die Frau, mit der Polanski hier spricht und deren Hand er hält, ist gar nicht “Bild”-Reporterin Dora Varro, sondern eine andere Dame. “Bild” hat sie unfreundlicherweise nicht nur abgeschnitten, sondern auch noch ihre Nase wegretuschiert.

Nun könnte man glauben, dass Frau Varro gar nicht mit Polanski gesprochen hat. Das wäre aber falsch. Sie stand mit anderen Reportern und Schaulustigen am Roten Teppich und hat sich von dem Regisseur schnell ein Autogramm geben lassen.

Das ganze ist sogar in einem Video auf Bild.de zu sehen — allerdings ohne den Hinweis, dass wir hier die Teufelsreporterin bei ihrer Arbeit sehen. Dies sind die entscheidenden Sekunden:

Keine Frage: Als Sex ist das nicht gut.

Mit Dank an Thomas H.!

Hängt ihn, aber gebt ihm keine Tiernamen

“Bild”-Leser Rolf K. aus Leipzig hatte einen Vorschlag, was mit Magnus Gäfgen passieren sollte, einen Kindermörder, der den Staat auch noch auf Schmerzensgeld verklagt hatte:

Meine Meinung: Ab in eine Gemeinschaftszelle und Hofgang mit allen anderen Ganoven!

Man kann sich ausmalen, was mit Gäfgen passieren würde, in einer Gemeinschaftszelle und beim Hofgang mit allen anderen Ganoven. Er würde es nicht überleben.

Man muss in dem Vorschlag von “Bild”-Leser Rolf K. aus Leipzig den Wunsch nach einer Lynchjustiz sehen oder gar den Aufruf dazu. Man kann es deshalb abstoßend finden, dass die “Bild”-Zeitung diese Leserstimme ausgewählt und veröffentlicht hat.

Doch der Presserat hat kein Problem damit. Er lehnte eine Beschwerde von uns schon im “Vorverfahren” ab, ohne überhaupt den Beschwerdeausschuss mit der Sache zu befassen.

Der Inhalt […] spiegelt nach unserer Einschätzung die Meinung eines Teils der Leserschaft wieder. Um allen Lesern zu verdeutlichen, welche Standpunkte in der Bevölkerung zu der Forderung bzw. zu der Person von Magnus Gäfgen existieren, ist es vertretbar, wenn diese Äußerungen dann so veröffentlicht werden. Es sind zwar extreme Meinungen, jedoch verstoßen sie nach unserer Ansicht nicht gegen die Menschenwürde Gäfgens.

Das betrifft auch andere Leserstimmen mit ähnlichem Tenor, die “Bild” und Bild.de im März veröffentlicht hatten, etwa die von Bernd M. Aus Lüdenscheid:

Das gibt es nur in Deutschland. In Amerika wäre diese Bestie kein Thema mehr.

Dass der Presserat das Wort “Bestie” nicht missbilligen würde, hätten wir natürlich vorher wissen können. 2009 urteilte der Beschwerdeausschuss über die “Bild”-Berichterstattung über einen mutmaßlichen Kinderschänder:

Außerdem sieht der Presserat mit der Bezeichnung “Dreckschwein” die Ziffer 1 des Pressekodex verletzt. Die Mehrheit im Beschwerdeausschuss kann der Argumentation der Zeitung nicht folgen, wonach auf diese Weise der vorherrschenden öffentlichen Meinung Ausdruck verliehen werde. Unabhängig von der Schwere der Vorwürfe gilt der Schutz der Menschenwürde. Die Bezeichnung “Sex-Bestie” hingegen hält der Beschwerdeausschuss für zulässig.

Einen Mann lynchen oder hinrichten lassen zu wollen, geht also menschenwürdetechnisch in Ordnung, so lange man ihn nur nicht mit einem Schwein vergleicht.

Urbane Legenden über Political Correctness (3)

Die Zahl deutschsprachiger Medien, die noch nicht auf die Falschmeldung hereingefallen ist, die BBC hätte die Formulierungen “vor Christus” und “nach Christus” abgeschafft, sinkt weiter.

Die “Zeit”-Beilage “Christ & Welt”, das Überbleibsel der Wochenzeitung “Rheinischer Merkur”, ist natürlich schon aufgrund ihres Namens von der Sache betroffen und schreibt in einer Glosse:

Nach mehr als zweitausend Folgen das Aus: Die BBC setzt Christus ab. In allen Sendungen des europäischen Leitmediums soll fortan nach einer Empfehlung der Senderleitung bei Nennung einer Jahreszahl auf den Zusatz „vor“ oder „nach Christus“ (BC für „before Christ“ und AD für Anno Domini) verzichtet werden. Stattdessen sind die Formulierungen „vor“ und „nach unserer Zeitrechnung“ („before common era“ und „common era“ oder kurz: BCE und CE) zu gebrauchen. Der Christusbezug sei, so der Sender, in einer „multiethnischen Gesellschaft“ nicht mehr angemessen, weshalb ...

Also noch einmal in aller Kürze:

  • Es gibt keine solche Empfehlung der Senderleitung.
  • Jede Redaktion kann selbst entscheiden, welche Formulierung sie verwenden will.
  • Die Formulierung “(before) common era” wird schon länger in Schulen gelehrt, in Universitäten verwendet und auf den Religionsseiten der BBC im Internet benutzt.
  • Es gibt keine Erklärung des Senders, wonach der Christusbezug in einer “multiethnischen Gesellschaft” nicht mehr angemessen sei (im Übrigen geht es um Religionen, nicht um Ethnien).

Auch die Österreichische Zeitung “Die Presse” verbreitet die Mär vom Sprachdiktat durch die BBC. Der frühere Chefredakteur und heutige Wiener Bistumssprecher Michael Prüller hat seine aktuelle “Culture Clash”-Kolumne ganz auf die falschen Behauptungen gegründet und schreibt:

Man kann (…) einwenden, dass durch Aktionen wie die der BBC wir immer mehr zu Kultureunuchen werden. Das, was für Irritationen sorgen könnte, schneiden wir besser weg. Es scheint mir aber künftige Konflikte eher heraufzubeschwören als zu verhindern, wenn man uns weismachen will, dass der Preis, den wir für zunehmende Diversität zu zahlen haben, die kulturhistorische Entmannung ist.

Noch einmal: Die “Aktion” der BBC, durch die sich Prüller kulturhistorisch zwangsentmannt fühlt, besteht in Wahrheit darin, ihren Mitarbeitern die freie Wahl zu lassen.

Der “Kölnischen Rundschau” war es unterdessen nicht genug, den Unsinn selbst in einem Artikel zu verbreiten (“Bei der BBC wird Jesu Geburt nicht mehr genannt”); sie lässt es nun auch ihre Leser tun und veröffentlichte folgende Zuschrift:

Ich lese, dass die BBC nicht mehr die Begriffe “vor Christus” und “nach Christus”, sondern mit Rücksicht auf andere Ethnien in England “vor” oder “nach unserer Zeitrechnung” verwenden möchte, die “Nicht-Christen weder beleidigen noch befremden”. Wenn das so stimmt, sollte die BBC auch nicht mehr die britische Fahne zeigen, die gleich drei christliche Kreuze enthält. Außerdem müsste die Queen bei Ihrer Thronrede vor beiden Häusern des Parlaments, wo sie sich mit einer Krone mit christlichem Kreuz präsentiert, ebenfalls tabu sein.

Armes England, das seine Herkunft verleugnet und sich kriecherisch seinen Ethnien anbiedert, die dies außerdem nicht einmal wollen.

Ein “England, das sich kriecherisch seinen Ethnien anbiedert” — man muss der “Kölnischen Rundschau” fast dankbar sein, dass sie dokumentiert, welche Art von Ressentiments sie mit ihrer Falschmeldung bedient.

Urbane Legenden über Political Correctness (2)

Die Falschmeldung, dass die BBC die Bezeichungen “vor Christus” (BC) und “nach Christus” (AD) abgeschafft und durch die religionsneutralen Formulierungen “vor / nach unserer Zeitrechnung” (BCE / CE) ersetzt habe, zieht Kreise.

Die “Neue Osnabrücker Zeitung” (Neue OZ) berichtete groß in ihrer Samstagsausgabe:

LONDON. Die BBC streicht die Geburt Jesu aus dem Programm: Moderatoren sollen bei Zeitangaben nicht mehr die Begriffe “vor Christus” und “nach Christus” verwenden. Damit will der Sender auf die Sensibilitäten anderer Ethnien Rücksicht nehmen. Doch im Jahr 2011 nach der Geburt jenes Mannes, der nicht mehr genannt werden darf, regt sich viel Protest.

Was die Autorin mit “Ethnien” meint, wenn es doch um Religionen geht, ist nicht ganz klar, aber ohnehin ist das alles falsch — wie der aufmerksame Leser des Artikels immerhin erahnen kann, wenn er weiterliest bis zu der Stelle, an der plötzlich nicht mehr von einem Verbot, den Namen Jesu zu nennen, die Rede ist: “(…) jede Redaktion darf selbst entscheiden, welche Variante sie nutzt (…).”

Die BBC überlässt ihren Mitarbeitern also die freie Entscheidung. Die BBC-Religionsseiten im Internet haben sich dafür entschieden, die religionsneutralen Bezeichnungen zu verwenden, die im Schulunterricht in England und Wales ohnehin seit fast zehn Jahren verwendet werden. Die Entscheidung dieses BBC-Ressorts wurde schon vor Jahren getroffen und veröffentlicht, ist aber offenbar erst jetzt von Kritikern der BBC und der angeblichen “Political Correctness” entdeckt worden, die sie für eine sehr wirkungsvolle Desinformationskampagne nutzen.

Auch die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (WAZ) wollte die längst widerlegte Mär glauben und packte eine kurze, falsche Meldung, die offenbar von derselben Autorin stammt wie die “Neue OZ”-Version, sogar auf ihre Titelseite:


Foto: pottblog.de

Sicherheitshalber ordnete die WAZ die Sache gleich noch für ihre Leser in einem Kommentar auf Seite 2 ein, der zu dem Schluss kommt:

Diese epochale Entscheidung beruhigt uns sehr. Zeigt sie uns doch, dass es nicht nur hierzulande politisch überkorrekte Bedenkenträger gibt, die Probleme vor allem dort suchen, wo sie keinen stören.

Er meint mit den beunruhigenden “Bedenkenträgern” selbstverständlich nicht die Leute, die ein Problem damit haben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Großbritannien seinen Redakteuren die Wahl lässt, und die der BBC vorschreiben wollen, wie sie in jedem Fall die Jahrenzahlen angeben muss. Und immerhin war es die WAZ, die das “Problem” der Bezeichnung der Zeitenwende in einem kleinen Teil des BBC-Angebotes im Vergleich zu all den anderen Problemen auf der Welt wichtig genug fand, um es auf die Titelseite zu packen und einen Kommentar dafür zu verwenden.

Der vollständige Kommentar wurde übrigens noch am Freitagabend von der Nachrichtenagentur dapd weiterverbreitet, die offenbar aus irgendwelchen Gründen annahm, die WAZ-Leute kennten sich aus mit dem, was sie kommentieren.

Mit Dank an Benedikt und den Pottblogger!

Nachtrag, 5. Oktober. Die falschen Behauptungen wurden auch vom “Bonner Generalanzeiger” (“Neue Zeiten bei der BBC: Jesu Geburt wird nicht mehr genannt”), der “Kölnischen Rundschau” (“Bei der BBC wird Jesu Geburt nicht mehr genannt”) und dem “Mannheimer Morgen” (“Christus fliegt aus dem Programm”) verbreitet.

Urbane Legenden von der Political Correctness

Sie sind längst eine Art Medienfolklore: Berichte über wild gewordene Verfechter der “Political Correctness”, die uns alles nehmen wollen, was unsere abendländische Kultur einmal ausgemacht hat. Sie kommen häufig aus Großbritannien, wo eine hysterische Lügenpresse mit ihnen reaktionäre Kampagnen macht. Sie werden in Deutschland gern über Internetseiten wie das Polemikerportal “Die Achse des Guten” oder das islamfeindliche Blog “Politically Incorrect” verbreitet. Und landen am Ende zuverlässig in den vermeintlich seriösen deutschen Medien — selbst wenn die Unwahrheiten und Übertreibungen der Originalberichte zu diesem Zeitpunkt längst vollständig öffentlich dokumentiert sind.

Matthias Thibaut verbreitete gestern im Berliner “Tagesspiegel” die Mär, dass die BBC die traditionelle Bennennung der Zeitrechnung nach Christi Geburt abgeschafft habe. In der Online-Version seines Artikels heißt es schlicht und falsch:

Weil der Sender sein multiethnisches Publikum nicht verärgern will, soll künftig nur noch von vor oder nach der “gebräuchlichen Zeitrechnung” die Rede sein, statt von vor oder nach Christi.

Thibaut hat das in der “Daily Mail” gelesen, einer notorisch unzuverlässigen Quelle, insbesondere wenn es um die verhasste BBC geht, und unbesehen geglaubt.

Der kleine faktische Kern dieser Meldung ist, dass das Religions-Ressort der BBC-Internetseite die Bezeichnungen “BCE”/”CE” (“Before Common Era” / “Common Era”) als “religiös-neutrale Alternative” zu “BC”/”AD” (Vor Christus / Im Jahr des Herrn) verwendet, um nicht-christliche Besucher der Seiten nicht abzustoßen.

Ein BBC-Sprecher betonte auf Nachfrage des “Guardian”, dass “BC” und “AD” die Standard-Bezeichnungen im Programm blieben. Es stehe Einzelnen jedoch frei, davon abzuweichen.

Der “Tagesspiegel” hingegen behauptet, die BBC streiche Christus aus der Zeitrechnung, und sieht sich an schlimmste Dystopien erinnert:

George Orwell hatte bekanntlich die BBC im Sinn, als er in seinem Roman “1984” das “Ministerium für Wahrheit” beschrieb. Diesem Erbe scheint die “Auntie” nun alle Ehre zu machen.

Der BBC glaubt der Londoner “Tagesspiegel”-Korrespondent nicht, dafür aber der berüchtigten “Daily Mail”-Kolumnistin Melanie Phillips:

Melanie Phillips, eine jüdische, rechtskonservative Kommentatorin, erinnerte daran, dass in einigen Gemeinden Weihnachten bereits durch das Kunstwort “winterval” (Winterfestival) ersetzt wurde, um Nichtchristen nicht zu verletzen. “In diesem Klima ist es nicht frivol, zu fragen, wie lange es dauert, bis die Bibel verboten wird”.

Aber auch die “Winterval”-Sache ist eine Mär und Teil der Political-Correctness-Folklore. Die Stadt Birmingham führte 1997 das “Winterval” als Marketingidee ein, um zahlreiche Aktivitäten in den Wintermonaten gemeinsam zu bewerben. Zu diesem “Winterval” gehörten diverse Veranstaltungen, im Kern aber auch traditionelle Weihnachtsfeierlichkeiten, die auch genau so genannt wurden. Der “Guardian” zitierte den Stadtrat:

Über dem Rathaus war ein Banner mit den Worten “Merry Christmas”, es gab Weihnachtsbeleuchtung und Weihnachtsbäume auf den öffentlichen Plätzen, die normalen Weihnachtsgesänge von Schulchören, und der Bürgermeister verschickte Weihnachtskarten mit einer traditionellen Weihnachtsszene, in denen er allen Frohe Weihnachten wünschte.

(Übersetzung von uns.)

Obwohl das “Winterval” in keiner Hinsicht das traditionelle Weihnachtsfest ersetzt hat oder ersetzen sollte, wird es seit vielen Jahren und mit zunehmender Übertreibung von den Medien als Beleg für den Angriff der “Political Correctness” auf das Christentum interpretiert. Fanatiker wie Melanie Phillips sind dabei besonders aktiv, denk- und recherchefaule Journalisten wie Matthias Thibaut ihre willigen Handlanger.

Entsprechend endet sein Artikel:

Konservative werfen der BBC vor, sie spiegle mit ihrer Christenfeindlichkeit, ihrem Trend zu linken Labourpositionen und ihrer Europaphilie längst nicht mehr das britische Meinungsspektrum wieder. Kontroversen gab es, als die BBC eine Nachrichtensprecherin abmahnte, die an einer Halskette ein Kreuz trug. Zynische Kritiker halten es nur für eine Frage der Zeit, bis die erste Sprecherin mit Kopftuch auftaucht.

Ganz abgesehen davon, dass die BBC beteuert, die Nachrichtensprecherin nicht abgemahnt und kein Verbot solcher Symbole verhängt zu haben: Weil eine Christin aus Gründen religiöser Neutralität (angeblich) kein christliches Symbol tragen darf, wird demnächst eine Muslima ein muslimisches Symbol tragen?

Logisch ist das nicht. Aber angemessen furchteinflößend für Thibaut. Denn wenn es doch so käme und tatsächlich eine “Sprecherin mit Kopftuch in der BBC auftaucht”, wäre das für ihn zweifelsohne — der Untergang des Abendlandes.

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