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Kurz korrigiert (539)

In einem aktuellen Artikel berichtet Bild.de über den Stromimport Deutschlands. Der Autor schreibt unter anderem:

So wird unser Importstrom produziert:

► 21 Prozent Kernkraft,

► 46 Prozent konventionelle Energiequellen,

► 51 Prozent erneuerbare Energien.

… was zusammen 118 Prozent ergibt und somit nicht stimmen kann.

Der Fehler liegt beim angegebenen Anteil der konventionellen Energiequellen. Einer im Bild.de-Artikel eingebetteten Grafik zufolge ist der deutlich niedriger:

Screenshot Bild.de - Zu sehen ist eine Grafik mit der Überschrift So setzt sich unser Strom-Import zusammen - Deutsche Stromimporte im 1. Halbjahr 2023 - , Wind Onshore 14 Prozent, Wind Offshore sieben Prozent Photovoltaik fünf Prozent, Biomasse fünf Prozent, Wasserkraft 20 Prozent, Erneuerbare Energien zusammengefasst 51 Prozent, Kernkraft 21 Prozent, Erdgas neun Prozent, Steinkohle sieben Prozent, Öl und Sonstige sechs Prozent, Braunkohle drei Prozent, Pumpspeicher drei Prozent

Mit Dank an @avatter für den Hinweis!

Nachtrag/Möglicherweise Korrektur: Da könnten wir jetzt was durcheinandergebracht haben, sicher sind wir uns aber nicht: Mehrere Leser weisen uns darauf hin, dass es sein könnte, dass die “Bild”-Redaktion die drei übereinander geschriebenen Werte gar nicht als Teile meint, die zusammen 100 Prozent ergeben sollen, sondern dass sie einmal den Anteil der Kernkraft angibt und in der Zeile darunter noch Erdgas, Kohle und Öl hinzurechnet für die “konventionellen Energiequellen”. Das ließe die Definition von konventionellen Energiequellen auf jeden Fall zu. Allerdings würden dann die Pumpspeicher fehlen, die die Datenquelle der “Bild”-Grafik, die Agora Energiewende, durchaus zu den konventionellen Energiequellen zählt. Sollten wir tatsächlich danebengelangt haben, bitten wir, den Fehler zu entschuldigen. Aber wie gesagt: So ganz sicher sind wir uns nicht.

Der verlorene Kontext zur verlorenen Ehre der Katharina Blum

“Bild” war kürzlich im bayerischen Ort Rottenburg an der Laaber. Dort hat Helmut Aiwanger, der ältere Bruder von Bayerns stellvertretendem Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, sein Waffengeschäft. Helmut Aiwanger sagte vor wenigen Tagen, er sei der Verfasser eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten, nachdem die Urheberschaft erst seinem Bruder zugeschrieben wurde.

Es fährt also ein “Bild”-Reporter nach Rottenburg an der Laaber:

BILD zu Besuch bei Hubert Aiwangers elf Monate älterem Bruder Helmut!

Wobei “zu Besuch” nun nicht so ganz passt, denn viel kommt von Helmut Aiwanger nicht:

Als der BILD-Reporter ihn anspricht, sagt er nur: “Passt schon” – bayerisch für: “Kein Interesse, Tschüss!”

Dafür entdeckt der “Bild”-Reporter am Fenster des Geschäfts mehrere Zettel “mit eindeutigen Botschaften”:

“Buchempfehlung: Heinrich Böll, 1974: Die verlorene Ehre der Katharina Blum” steht da an seiner Scheibe. Soll heißen: Die Aiwangers seien – wie die Heldin des genannten Romans – ohne eigenes Zutun unschuldige Opfer der Sensationsgier der Presse.

“Opfer der Sensationsgier der Presse”?

Da war doch irgendwas, was Heinrich Böll noch dazu geschrieben hatte.

Mal nachlesen im Buch.

Ah, hier, direkt am Anfang, noch bevor die Erzählung beginnt:

Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der “Bild”-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.

Dieses Detail hat der “Bild”-Reporter offenbar vergessen.

In Bölls Werk erschießt die Titelfigur Katharina Blum übrigens am Ende einen Reporter. Dass seine “Buchempfehlung” also nicht wirklich zur Deeskalation taugt, scheint auch Helmut Aiwanger erkannt zu haben. Auf dem Zettel im Fenster seines Geschäfts steht auch noch: “Keine Sorge, nur Heinrich Bölls Prosa endet dramatisch.”

Mit Dank an Tihomir V. für den Hinweis!

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“Bild” schließt aus falschen Gründen nicht existente Ministeriumskantine

Es klingt ja tatsächlich erstmal ein bisschen irre:

Screenshot Bild.de - Ausgerechnet im Ernährungsministerium - Öko-Koch fehlt! Özdemir schließt Mitarbeiter-Kantine

Ein Ernährungsminister, der seine eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ernähren könne. Dazu mit Cem Özdemir noch ein Grüner, der keinen “Öko-Koch” finde, höhö. Natürlich ist das eine Geschichte für “Bild”. Und wie das bei “Bild”-Geschichten eben häufig ist, bleibt von ihr bei genauerer Betrachtung nicht mehr viel übrig.

Zum Start mal das Sprachliche: Im Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), um den es im “Bild”-Artikel geht, wurde keine Kantine geschlossen. Denn es gibt dort keine. Es gibt eine Cafeteria, deren Betrieb Anfang Juli eingestellt wurde. Das wird auch im ersten Satz des “Bild”-Textes klar:

Monatelang suchte Ernährungsminister Cem Özdemir (57, Grüne) einen Öko-Koch für die Mitarbeiter-Cafeteria in seinem Ministerium – ohne Erfolg!

Das ist auch deutlich mehr als nur Wortklauberei, denn diese Cafeteria verfügte über keine eigene Kochmöglichkeit – es konnten dort lediglich gelieferte Speisen warmgehalten werden. Ein Sprecher des BMEL erklärte uns auf Nachfrage den bisherigen Ablauf bei der Verpflegung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums: Das nahegelegene Bundesministerium für Arbeit und Soziales verfüge über eine richtige Kantine. Der dortige Betreiber habe bislang die BMEL-Cafeteria mitversorgt. Die Vereinbarung über diese Lieferungen an das BMEL sei allerdings kürzlich ausgelaufen, daher war eine neue Ausschreibung notwendig.

In dieser Ausschreibung ging es, anders als von der “Bild”-Redaktion behauptet, nie um einen “Öko-Koch”. Und somit sei der Grund für die derzeitige Schließung der Cafeteria auch nicht ein fehlender “Öko-Koch”, so der BMEL-Sprecher:

In der Tat musste die Ausschreibung für den Weiterbetrieb der Cafeteria erfolglos beendet werden. Grund war die gesunkene Nachfrage der Beschäftigten, die einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb des Angebots nicht mehr zuließ. Seit der Corona-Pandemie wurde die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten ausgebaut und wird seither von den Mitarbeitenden – auch mit Blick auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie – intensiv genutzt.

Dieser Aspekt wird auch am Ende des “Bild”-Artikels einmal erwähnt. Aber vorne im Text vermutet die Redaktion eine ganz andere Ursache für die erfolglose Ausschreibung:

Grund: Die Vorgaben für den Betreiber waren offensichtlich viel zu hoch. U. a. sollte mindestens ein Tagesgericht immer in “ovo-lacto-vegetarischer Form” gekocht und angeboten werden.

Folge: Es fand sich kein geeigneter Öko-Koch.

Jetzt müssen Özdemirs Mitarbeiter ausbaden, dass ihr Chef so hohe Öko-Vorgaben macht.

Es seien also die “hohen Öko-Vorgaben” Özdemirs, um die es geht, mutmaßt “Bild”:

Der Ernährungsminister scheitert an seinen eigenen Ernährungsvorgaben.

Das ist schlicht falsch.

Neben dem Tagesgericht in “ovo-lacto-vegetarischer Form” nennt der “Bild”-Artikel noch weitere Vorgaben für “Özdemirs Kantinen-Koch”:

Laut Ausschreibung sollte Özdemirs Kantinen-Koch u. a.:

► “eine schrittweise Reduzierung des Angebots an Mittagsgerichten mit Fleisch-/Wurstwaren” umsetzen

► mehr Essen mit Hülsenfrüchten, Nüssen und Ölsaaten anbieten

► mindestens 30 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft beziehen.

Diese Punkte finden sich alle in einem 93-seitigen Papier mit dem Titel “Nachhaltigkeit konkret im Verwaltungshandeln umsetzen” (PDF). Es handelt sich dabei um die aktuellste Weiterentwicklung des “Maßnahmenprogramms Nachhaltigkeit” der Bundesregierung, beschlossen am 25. August 2021. Damals, gut einen Monat vor der Bundestagswahl, saßen weder Cem Özdemir noch irgendwelche anderen Grünen in der Bundesregierung. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD war noch im Amt. Und die hat beschlossen:

Vor dem Hintergrund der erheblichen Auswirkungen des Ernährungsverhaltens auf Gesundheit und Umwelt wird die Gemeinschaftsverpflegung in den Kantinen der Bundesverwaltung an dem Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die Betriebsverpflegung vom November 2020 (unter ergänzender Einbeziehung der Empfehlungen der EAT-Lancet-Kommission) insbesondere wie folgt ausgerichtet:

a) Zusammenstellung eines Speiseplans mit steigenden Anteilen an pflanzlichen Lebensmitteln wobei Hülsenfrüchte und Nüsse bzw. Ölsaaten als pflanzliche Proteinquellen genutzt werden können.

b) Tägliches Angebot mindestens eines vollwertigen ovo-lacto-vegetarischen Gerichts zu allen Mahlzeiten […]

c) Schrittweise Reduzierung des Angebots an Mittagsgerichten mit Fleisch-/Wurstwaren […]

Dieses “Maßnahmenprogramm” sieht für die “Kantinen der Bundesverwaltung” auch eine Erhöhung des “Bio-Anteils im Speisenangebot” auf “mindestens 20 Prozent” bis spätestens 2025 vor. Das BMEL soll zusätzlich ein Pilotprojekt angehen, “mit dem auf Basis einer Ausschreibung mit interessierten Behörden/Kantinen ein Bio-Anteil von mindestens 50 Prozent bis spätestens 2025 umgesetzt wird”.

Oder kurz gesagt: Anders als “Bild” behauptet, geht es hier nicht um Cem Özdemirs “hohe Öko-Vorgaben”, sondern um die der damaligen Großen Koalition. Das Papier “Nachhaltigkeit konkret im Verwaltungshandeln umsetzen” hatte CDU-Politiker Helge Braun in seiner damaligen Funktion als Bundesminister vorgestellt.

Und so sind die Reaktionen auf die aktuelle Verpflegungssituation im BMEL, die “Bild” bei CDU-Politikern eingesammelt hat, um sprachlich mal im Bild zu bleiben, völlig Banane:

Entsprechend groß sind Unverständnis und Spott bei der Opposition.

CDU-Fraktionsvize Steffen Bilger (44) zu BILD: “Ein Minister für Ernährung, der seine eigenen Leute nicht ernähren kann – das ist für Cem Özdemir peinlich.” Die Fürsorge für die Mitarbeiter solle wichtiger sein als die “Durchsetzung grüner Ernährungspolitik”.

Der ernährungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Albert Stegemann (47): “Es ist ein politisches Armutszeugnis, dass Bundesernährungsminister Özdemir die Ernährung seiner Beschäftigten im eigenen Ministerium nicht sicherstellen kann.” Cem Özdemir müsse “im eigenen Haus den ernährungspolitischen Offenbarungseid leisten”.

Die konkreten Folgen dieses “ernährungspolitischen Offenbarungseids” sehen übrigens so aus: Statt, wie bisher, das aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gelieferte Essen in der BMEL-Cafeteria zu essen, gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ernährungsministeriums nun die wenigen Meter über den gemeinsamen Innenhof rüber ins BMAS und essen in der dortigen Kantine.

Mit Dank an @lisaklaster für den Hinweis!

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Potzblitz und Donnerwetter: Physik gilt auch für E-Autos

Um bei ihrer eigenen Leserschaft Verunsicherung rund ums Thema Elektromobilität zu stiften, braucht die “Bild”-Redaktion nicht immer einen Handwerkskammer-Chef, der gern behilflich scheint. Sie benötigt mitunter nur eine geschickte Formulierung und eine Paywall:

Screenshot Bild.de - Experte erklärt - So gefährlich sind Blitze für E-Autos

Lesen Sie mit BILDplus, wie Blitze und Überschwemmungen Elektroautos gefährden und wie Sie sich schützen können!

Die Auflösung für den Teaser “So gefährlich sind Blitze für E-Autos” hinter der “Bild-plus”-Bezahlschranke lautet: gar nicht. Blitze sind gar nicht gefährlich für E-Autos. Denn, schau an, auch für E-Autos gilt die Physik:

Sind Blitze gefährlich für mein E-Auto?

Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber etwas Angst fährt bei Gewittern immer mit: Was passiert, wenn mein Fahrzeug vom Blitz getroffen wird?

Hier steht uns glücklicherweise die Physik zur Seite! Die Karosserie des Autos dient als sogenannter “Faradayscher Käfig” und leitet die elektrische Energie um die Insassen herum – das funktioniert sogar bei Cabrios mit geschlossenem Verdeck. Auch für E-Autos droht nach Aussage des ADAC keine besondere Gefahr.

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“Bild” übernahm eine wahrscheinlich erfundene Geschichte eines Neonazis

Liest man den Bild.de-Artikel vom 16. August, findet man darin keine Zweifel:

Brutale Attacke in Chemnitz: Ein Mann wurde von unbekannten Tätern angegriffen. Mit einer Machete hackten sie dem 28-Jährigen dabei mehrere Finger ab!

Die Tat ereignete sich am Dienstag gegen 15 Uhr in einer Parkanlage an der Helbersdorfer Straße. Nach der Attacke flüchteten die schwarz Maskierten in Richtung Stadtpark.

Genauso eindeutig klingt es in der Überschrift:

Screenshot Bild.de - Brutaler Angriff in Chemnitz - Vermummte hacken Neonazi drei Finger mit Machete ab

So ist es gewesen, kein Konjunktiv, kein “soll”.

Heute, knapp zwei Wochen später, ist klar, dass etwas mehr Distanz und deutlich weniger Zueigenmachen dieser Geschichte des angeblichen Opfers besser gewesen wäre:

Screenshot Bild.de - Ermittlungen gegen vermeintliches Opfer - Neonazi soll Macheten-Überfall erfunden haben
(Augenbalken durch Bild.de, weitere Verpixelung durch uns.)

Bild.de schreibt dazu:

Jetzt die überraschende Wende: Am Montag teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit, dass gegen den Mann wegen Vortäuschens einer Straftat und gegen einen weiteren Beschuldigten wegen schwerer Körperverletzung ermittelt wird.

Dem nun Mitbeschuldigten, der sich jetzt wegen schwerer Körperverletzung verantworten muss, waren die Ermittler durch Auswertung von Mobiltelefonen auf die Schliche gekommen. Der Deutsche soll nach BILD-Informationen wie Alexander W. der rechtsextremen Szene angehören.

Laut LKA und Staatsanwaltschaft Chemnitz hat der Überfall so nie stattgefunden. Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart (59) zu BILD: “Nach den Ermittlungen hat sich ein Überfall durch Linke nicht bestätigt.”

Der Fall habe “bundesweit für Aufsehen” gesorgt, schreibt die “Bild”-Redaktion. Zu ihrer eigenen Rolle bei der Verbreitung der wahrscheinlich erfundenen Geschichte eines Neonazis schreibt sie nichts.

Gesehen bei @jan_wiebe.

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Wer liest schon “Bild” in Kenia?

Seit vergangenem Donnerstag berichten die “Bild”-Medien intensiv über den Tod einer 32-jährigen Frau in Stuttgart. Der Fall hat einiges, was ihn für eine Boulevardredaktion interessant macht, beispielsweise einen festgenommenen Tatverdächtigen, mit dem das Opfer laut “Bild” eine Affäre gehabt haben soll. Außerdem, und das ist sicher von zentraler Bedeutung, gibt es Fotos – zwei verschiedene Aufnahmen der Frau hat die “Bild”-Redaktion zusammenklauben können. Und die zeigt sie bei jeder Gelegenheit.

Allein bei Bild.de sind mindestens sieben Artikel seit vergangenem Donnerstag erschienen (überwiegend als “Bild-plus”-Artikel, schließlich versucht die “Bild”-Redaktion immer wieder, mit dem Tod von Menschen Abos zu verkaufen). Dazu mehrere große Artikel in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung beziehungsweise in der “Bild”-Bundesausgabe. Außerdem eine komplette Seite in “Bild am Sonntag”. Und mehrere Push-Nachrichten für alle, die die “Bild”-App auf dem Smartphone haben.

Screenshot Bild.de - Mysteriöser Leichenfund in Schwesternwohnheim - K. wollte nur in die Disco - jetzt ist sie tot
Screenshot Bild.de - Pflegerin (32) vor Disco-Besuch getötet - Mutmaßlicher Killer von K. gefasst
Screenshot Bild.de - Krankenschwester tot in Wohnheim gefunden - Wie kam K.s Killer in Zimmer 1109?
Screenshot Bild.de - Pflege-Schülerin (32) getötet - 39-Jähriger verhaftet - War K.s heimlicher Freund ihr Killer?
Screenshot Bild.de - Pflege-Schülerin (32) in Wohnheim getötet - Entkam K.s Killer durch diese Tür?
Screenshot Bild.de - Pflegeschülerin in Wohnheim getötet - Polizei verhaftet K.s Liebhaber - Wie ihm die Soko Tür auf die Spur kam

Die Verpixelungen oben haben alle wir hinzugefügt – in den “Bild”-Medien sind die Fotos der Frau ohne jegliche Unkenntlichmachung erschienen (lediglich beim letzten Screenshot hat die “Bild”-Redaktion dem Tatverdächtigen einen schmalen Balken über die Augen gelegt). Als Quelle der Aufnahmen ist “Privat” angegeben.

Der Pressekodex des Deutschen Presserats ist bei diesem Thema recht eindeutig. In Richtlinie 8.2 zum “Opferschutz” steht:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Um eine Person des öffentlichen Lebens handelt es sich bei der Frau nicht.

Wir haben bei “Bild” nachgefragt, ob der Redaktion eine Erlaubnis der Familie vorliegt, die Fotos unvepixelt zu zeigen. Und wenn nicht, warum sie es trotzdem tut. Eine Antwort haben wir bislang nicht erhalten.

Sollte keine Erlaubnis der Familie vorliegen, dürfte es auch juristisch gesehen recht klar sein, dass das, was die “Bild”-Redaktion hier macht, nicht in Ordnung ist. Allerdings gilt: wo kein Kläger, da kein Richter. Und so gibt es in diesem Fall noch einen weiteren Umstand, der ihn für die “Bild”-Redaktion besonders interessant machen dürfte: Die getötete Frau stammt aus Kenia. Sie soll allein in Deutschland gewesen sein, ihre Familie befindet sich laut “Bild” in Kenia. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Familienmitglieder mitbekommen, was die “Bild”-Redaktion mit den Fotos alles anstellt.

“Bild” macht, was “Bild” laut “Bild” nicht machen darf

Am Samstagabend meldete die “Bild”-Redaktion per Push-Nachricht die angebliche Schwangerschaft einer prominenten deutschen Frau: “Erstes Kind mit 43!” Im dazugehörigen Bild.de-Artikel findet sich auch diese Passage:

Doch wenn sie wie jetzt das Glück unter ihrem Herzen trägt, können auch sie und ihr Lebensgefährte, ein erfolgreicher Musiker, dessen Namen BILD nicht nennen darf, die Freude wohl nicht für sich behalten.

In der “Bild am Sonntag” fand sich gestern zum selben Thema eine ganz ähnliche Formulierung: “… dessen Namen BamS nicht nennen darf …”.

So viel Zurückhaltung und Selbstreflexion ist bei den “Bild”-Medien überraschend. Und nicht von langer Dauer. Gestern Abend ganz oben auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Schwanger mit 43 - Er ist der Vater
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns)

Im Artikel wird dann tatsächlich der Name des angeblichen Vaters genannt (“so erfährt BILD exklusiv”). Auch die “Bild”-Zeitung nennt in ihrer heutigen Ausgabe den Namen.

Es scheint sich für die Redaktion gelohnt zu haben, das zu machen, was sie laut eigener Aussage gar nicht machen darf. Der Beitrag hinter der “Bild-plus”-Paywall führte gestern Abend die erfolgreichsten Artikel des Bezahlangebots an:

Screenshot Bild.de - Übersicht über die Top Bild-plus-Artikel - ganz oben der Artikel mit der Überschrift Er ist der Vater

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Ohne Profi-Säule, gegen das “E-Auto”

Zusammengefasst geht die Geschichte so: Ein Mann entscheidet sich, warum auch immer, für ein Auto, das überhaupt nicht zu seinen Bedürfnissen, seinem Fahrverhalten und der ihn umgebenden Infrastruktur passt. Und bei “Bild” ist das “E-Auto” schuld.

Leipzigs Handwerkskammer-Chef teilte vergangenen Mittwoch groß in der Leipzig-Ausgabe der “Bild”-Zeitung mit:

Ausriss Bild-Zeitung - Wir werden keine Freunde mehr - Handwerkskammer-Chef verflucht sein E-Auto

Und auch laut Bild.de nur Ärger mit dem “E-Auto”:

Screenshot Bild.de - Nach drei Jahren Ladeärger gibt er auf und fährt wieder Diesel - Handwerkskammer-Chef verflucht sein E-Auto

Der Wille war da und ganz viel Geduld!

Leipzigs Handwerkskammer-Chef Volker Lux (54) gibt nach drei Jahren Elektromobilität auf und fährt wieder einen klassischen Diesel.

Die erste Überraschung kommt in Absatz drei. Denn wer nach dem Lesen der “E-Auto”-Überschriften annahm, es geht um ein rein batterieelektrisches Auto, erfährt dort, dass es sich stattdessen um einen Plug-in-Hybrid handelt:

Lux schaffte sich einen Dienstwagen an, den er auch privat nutzen darf, einen BMW X3 Hybrid.

Bei “Bild” wird daraus in der Überschrift ein “E-Auto”, auch wenn die Autokenner-Kollegen der “Autobild” offenbar klar zwischen E-Auto und Plug-in-Hybrid unterscheiden.

Jedenfalls war dieses Auto für den Handwerkskammer-Chef zum Verfluchen:

Der Wagen kann 30 Kilometer elektrisch fahren und hat zusätzlich einen 40-Liter-Tank. Genau da begann der Alltagsärger. Lux: “Zum Termin nach Berlin und zurückfahren funktionierte nicht, ohne zu tanken. …

Pardon, da müssen wir eben unterbrechen.

Man könnte jetzt sagen: Klar, nachher ist man immer schlauer! Aber bei der Autowahl kann man sich ja ganz gut schon vorher schlau machen und zum Beispiel schauen, ob der Tank (oder beim E-Auto: die Batterie) groß genug ist, um mit einer Füllung eine häufig gefahrene Strecke zu schaffen.

Und zur konkreten Strecke: Von der Leipziger Handwerkskammer bis zum Brandenburger Tor in Berlin sind es 180 Kilometer. Hin und zurück also 360 Kilometer. Lassen wir den elektrischen Fortbewegungsteil des Wagens bei der Rechnung mal außenvor: Um 40 Liter auf 360 Kilometern zu verfeuern, muss man rund 11,1 Liter auf 100 Kilometern verbrauchen. Im Test des ADAC (PDF) liegt der Verbrauch des Wagens deutlich unter diesem Wert:

Fährt man im Hybridmodus weiter, ergibt sich ein Benzinverbrauch von durchschnittlich 8,4 l Super pro 100 km. Dabei liegt der Benzin-Konsum innerorts bei 7,8 l, auf der Landstraße bei 7,6 l und auf der Autobahn bei 10,0 l/100 km.

Bei “Auto Motor Sport” wird der Durchschnittsverbrauch etwas höher angegeben:

Auf der Eco-Runde verbrauchte der BMW 6,7 Liter, während er sich auf der Pendler-Strecke 9,2 Liter genehmigte. Wurde der BMW sportlich bewegt, stieg der Verbrauch auf 11,5 Liter. Der Durchschnittsverbrauch hybridisch beträgt 9,2 Liter.

Mit dem Verbrauch der “sportlichen” Fahrweise läge man etwas über den von uns errechneten 11,1 Litern auf 100 Kilometern, die es bräuchte, um den 40-Liter-Tank auf der Strecke Leipzig-Berlin-Leipzig leer zu fahren. Wenn man unbedingt diese 360 Kilometer fahren und dabei auf keinen Fall tanken möchte, sollte man vielleicht einfach eine Fahrweise wählen, die zur Reichweite des gewählten Autos passt.

Aber letztlich scheint das alles völlig irrelevant zu sein. Denn die Angabe des Handwerkskammer-Chefs in “Bild” zum Tankvolumen dürfte schlicht nicht stimmen. Während er von einem “40-Liter-Tank” spricht, findet man anderswo, zum Beispiel bei “Autobild”, die Angabe, dass der BMW X3 Hybrid einen 50-Liter-Tank hat. Wir haben auch noch mal bei BMW nachgefragt. Der Konzernsprecher, der für die X3-Reihe zuständig ist, antwortete uns, dass ihm “nix anderes bekannt” sei als ein Tankinhalt von 50 Litern.

Und bei einem 50-Liter-Tank müsste man schon 13,9 Liter auf 100 Kilometern verbrauchen, um auf der Tour Leipzig-Berlin-Leipzig den Tank leer zu fahren.

Nun aber wieder zurück zum Zitat des Handwerkskammer-Chefs in “Bild”:

Lux: “Zum Termin nach Berlin und zurückfahren funktionierte nicht, ohne zu tanken. Um für den Stadtverkehr 30 Kilometer in die Batterie zu bekommen, musste ich bei uns in der Tiefgarage der Handwerkskammer mehr als vier Stunden laden.”

Vier Stunden laden für 30 Kilometer? Das klingt nach einer ganzen Menge Zeit für nicht so wahnsinnig viel Reichweite. Und dafür gibt es auch einen Grund. Die ganze Dämlichkeit dieser “Bild”-Geschichte materialisiert sich in diesem Foto:

Ausriss Bild-Zeitung - Zu sehen ist ein Foto der Ladeeinrichtung in der Tiefgarage der Handwerkskammer - Dazu die Bildunterschrift Der Handwerkskammer-Chef in der Tiefgarage. Die Ladesäule ist ungeeignet.

“Die Ladesäule ist ungeeignet”. Dem Mann, der sein “E-Auto” verflucht, steht also gar nicht die adäquate Infrastruktur zur Verfügung. Das schreibt auch “Bild”:

Die Kammer hat die Plätze in der Tiefgarage nur gemietet und hat keine Profi-Säule. “Das funktioniert gut für unsere kleinen E-Flitzer, die über Nacht stehen bleiben können. Aber nicht für mich, der ständig und unplanbar unterwegs ist.”

Die mangelhafte Lade-Infrastruktur ist ein absolut relevantes Thema bei der Debatte um die E-Mobilität in Deutschland. Aber sein “E-Auto” an sich zu “verfluchen”, weil der eigene Laden es nicht schafft, einen ordentlichen Ladepunkt zu installieren, und dadurch das Laden so lange dauert?

Die “Bild”-Redaktion spendiert einem für sowas gern eine große Schlagzeile.

Mit Dank an @stab_mixer für den Hinweis!

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“Bild” erwischt Cathy Hummels schon wieder auf Dating-App

Entweder haben Tanja May, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, und Cathy Hummels, Influencerin und Unternehmerin, beide ein sehr schlechtes Gedächtnis. Oder sie halten die “Bild”-Leserinnen und -Leser für so bescheuert, dass sie kein Problem damit haben, sie ganz offensichtlich zu verarschen.

Vergangenen Mittwoch berichtete May über Hummels bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Cathy Hummels auf Promi-Tinder erwischt! So lief ihr erstes Date - Wer Chancen bei ihr hat - Es handelt sich dabei laut Symbol um einen Bild-plus-Artikel

Einen Tag später schaffte es diese Entdeckung sogar auf die “Bild”-Titelseite …

Ausriss Bild-Titelseite - Cathy Hummels auf Promi-Tinder erwischt - TV-Moderatorin Cathy Hummels (35) sucht im Internet nach einer neuen Liebe

… und groß ins Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - Cathy Hummels bei Promi-Tinder erwischt! Ich habe schon ein paar Männern geschrieben

Was sagt denn Cathy Hummels dazu?

Im exklusiven BILD-Interview gibt die schöne Single-Mama zu, dass sie sich jetzt bei “Raya” tummelt: “Erwischt! Ja, das stimmt. Modernes Dating? Bin ich auch dabei.”

Dass die eine berichtet, jemanden “erwischt” zu haben, und die Erwischte sich “erwischt” fühlt, ist etwas überraschend. Denn vor mehr als acht Monaten, im Dezember 2022, berichtete Bild.de schon einmal über Cathy Hummels und die Dating-App Raya:

“Ich habe die Dating-App Raya ausprobiert”, verrät die Mama eines kleinen Sohnes (Ludwig, 4) jetzt gegenüber BILD.

Die Autorin des Artikels damals: Tanja May.

Es ist schon eine tolle Symbiose: Auf der einen Seite Prominente, die trotz der eigenen Reichweite in den Sozialen Medien offenbar immer noch das Boulevardscheinwerferlicht brauchen. Und auf der anderen eine Klatschredaktion, die mit derartigen Nichtigkeiten Online-Abos und gedruckte Exemplare verkaufen kann – zur Not sogar als aufgewärmtes “Erwischt!”-Märchen.

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Kein Spitzen(steuersatz)-Journalismus

Bei der Ursachenforschung zur Frage, warum namhafte Politiker und Politikerinnen so gern den “Bild”-Medien Interviews geben, wird meist die Reichweite als zentraler Aspekt identifiziert: Mit “Klartext”-Parolen in “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de kann man nach wie vor eine Menge Leute erreichen. Aber vielleicht spielt noch etwas anderes eine wichtige Rolle: Dass man beim Interview Leuten gegenübersitzt, die einen jeden Unsinn ohne Faktencheck erzählen lassen.

In “Bild am Sonntag” erschien gestern ein großes Interview mit CDU-Politiker Jens Spahn:

Ausriss Bild am Sonntag - Spahn fordert Pause bei völlig ungesteuerter Asyl-Migration

Spahn erklärt darin unter anderem seine Idee von einer im Grundgesetz verankerten “Belastungsbremse” für die Sozialabgaben. “Bild am Sonntag” will daraufhin wissen: “Braucht es darüber hinaus auch eine Steuerreform?” Antwort Spahn:

Leistung muss sich wieder mehr lohnen. Überstunden sollten steuerfrei sein. Zudem zahlt ein Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz. Der sollte künftig erst ab 80.000 Euro greifen.

Da könnte man als Redaktion natürlich erstmal nachfragen, nachforschen und die Info nachliefern, wie viele “Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt” es in Deutschland denn so gibt. Sicher, in der richtigen Branche und/oder mit vielen Jahren Berufserfahrung gibt es die bestimmt. Aber Jens Spahn kann beim nächsten Besuch in der Kita oder im Seniorenheim oder in der Kantine des Bundestags ja mal eine Erzieherin, einen Pfleger oder eine Köchin fragen, was die so mit ihren 62.000 Euro Jahresgehalt anstellen. Wenn er Glück hat, wird er von den Fachkräften nur ausgelacht und nicht wütend rausgejagt.

Das aber nur nebenbei. Eigentlich soll es um Spahns Behauptung gehen, dass man “mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz” zahle. Das ist nämlich Unsinn. Und die “Bild”-Medien verbreiten diesen Unsinn unhinterfragt.

Richtig ist, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent für das Jahr 2023 ab 62.810 Euro gilt (2022 lag diese Grenze bei 58.597 Euro). Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem von Spahn genannten Jahresgehalt und dem zu versteuernden Einkommen. Letzteres ist für die Berechnung des Steuersatzes entscheidend. Und auf dem Weg vom Jahresgehalt zum zu versteuernden Einkommen gibt es verschiedene, individuelle Möglichkeiten, Ausgaben geltend zu machen und damit die Summe zu reduzieren: Den wichtigste Posten dürften die Sozialversicherungsbeiträge bilden, beispielsweise die Beiträge zur Krankenversicherung. Dazu kommen noch weitere Vorsorgeaufwendungen, die die Summe drücken können, Freibeträge wie der Kinderfreibetrag oder der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, außergewöhnliche Belastungen wie Krankheitskosten oder Pflegekosten für die eigenen Eltern und Sonderausgaben wie Spenden oder Kinder­betreuungs­kosten.

Nur wer nach all diesen Abzügen ein zu versteuerndes Einkommen von über 62.810 Euro hat, zahlt 2023 den Spitzensteuersatz (aber natürlich nicht auf die gesamte Summe, sondern nur auf den Betrag, der über dieser Grenze liegt; der Durchschnittssteuersatz liegt deutlich darunter: bei einem zu versteuernden Einkommen von exakt 62.810 Euro beträgt er laut Rechner des Bundesfinanzministeriums 26,12 Prozent). Oder anders gesagt: Wer “62.000 Euro Jahresgehalt” bekommt, zahlt nicht den Spitzensteuersatz.

Die Leserschaft von “Bild am Sonntag” und Bild.de erfährt von all dem nichts. Wer sich selbst mit dem Thema nicht so auskennt, wird einfach glauben, was der CDU-Politiker da erzählt.

Jens Spahn war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter anderem zuständig für das Thema Wirtschaft. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass er den Unterschied zwischen Jahresgehalt und zu versteuerndem Einkommen nicht kennt. In den “Bild”-Medien kann Jens Spahn unwidersprochen seine falsche Botschaft verbreiten.

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