Wenn sich ein Lehrer an einer minderjährigen Schülerin vergeht, finden die Leute von “Bild” das bestialisch, widerwärtig, unverzeihlich.
Wenn sich eine Lehrerin an einem minderjährigen Schüler vergeht, finden sie das — megaheiß.
Ein Hammer-Body. Tolle Augen. Ein Bikini, der alle Blicke auf sich zieht! Welcher Schüler würde beim Anblick einer solchen Lehrerin nicht auf verbotene Gedanken kommen?
… schrieben sie etwa 2014, als eine Lehrerin in den USA wegen 30-fachen Missbrauchs eines Schülers vor Gericht stand. Als im vergangenen Jahr eine andere Lehrerin in einem ähnlichen Fall angeklagt wurde, geierten sie:
Diese Kurvendiskussionen waren im Lehrplan sicher nicht vorgesehen: Mathelehrerin Erin [M.] (25) verführte gleich drei ihrer Schüler zum Sex.
Genüsslich breitet die Redaktion dann die „pikanten Details“ aus (“‘Sie taten es irgendwann sogar mit Sex-Spielzeug, Lutschern und trugen Halsbänder’“) und beschreibt detailliert, wo und wie sie es “miteinander trieben”, sie zitiert aus den “heißen SMS”, zeigt Fotos der (gerne mit Attributen wie „schön“ oder „attraktiv“ versehenen) Lehrerinnen und nennt die Taten statt „Missbrauch“ viel lieber:
„Frivole Sex-Spiele an der Schule“. “Flotter Dreier im Klassenzimmer”. “Die Schule als Sündenpfuhl”. So wird aus einem sexuellen Übergriff — schwupps! — ein erotisches Abenteuer zum Mitsabbern.
Diese Pornoisierung — und damit einhergehende Verharmlosung und sogar Aufwertung der Taten — zeigt sich schon an der Wahl der Begriffe. Während zum Beispiel männliche Täter, die ihre Schülerinnen oder Schüler missbrauchen, meist als “Kinderschänder” bezeichnet werden (mehr zu diesem Begriff hier), nennt “Bild” die übergriffigen Frauen immer nur “Sex-Lehrerinnen”. Sie “vergewaltigen” auch nicht, sie “verführen”.
Und bei “Bild” geht ihnen dermaßen einer ab bei solchen Geschichten, dass sie keine einzige davon auslassen.
Keine einzige.
Keine. Einzige.
In den USA (aus denen die meisten dieser Fälle stammen) wird übrigens ein Großteil der sexuellen Übergriffe von Männern begangen — auch an Schulen. Von diesen Fällen liest man bei “Bild” so gut wie nie.
Mit Dank an Moritz D., Christian M., Rudy, Sven, brian und roy für die Hinweise!
Vor vier Monaten, einen Tag nach dem Terroranschlag bei einem Konzert in Manchester, titelte Bild.de:
(Unkenntlichmachungen durch uns.)
Und wenig später:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Zu diesem Zeitpunkt lag die Mutter, ebenfalls ein Opfer des Anschlags, noch auf der Intensivstation.
Mehrere Menschen reichten dazu Beschwerden beim Presserat ein. Sie verwiesen auf Ziffer 8 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern — insbesondere wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt — besonders zu schützen ist. Und auf Ziffer 11, nach der die Berichterstattung in solchen Fällen ihre Grenzen „im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ findet. Kritisiert wurde von den Beschwerdeführern außerdem, dass Fotos eines Opfers veröffentlicht wurden, ohne dass dessen Mutter wisse, dass ihr Kind tot ist.
Presserats-“Maßnahmen”:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
1) einen Hinweis,
2) eine Missbilligung,
3) eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
„Bild“-Oberchef Julian Reichelt aber hat für solche Einwände kein Verständnis. Die Beschwerden seien „nicht nachzuvollziehen“, teilte er dem Presserat in einer Stellungnahme mit. Die Fotos seien weder reißerisch noch moralisch verwerflich — das sei nur der Terroranschlag selbst. Ganz ähnlich sah es auch “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz Ende Mai.
Außerdem hätten ja, so Reichelt, auch viele ausländische Medien die Fotos gezeigt. Dies werfe die Frage auf, ob etwas nach deutschem Verständnis unethisch sein könne, wenn es doch weltweit selbstverständlich sei? Sei Presseethik nicht vielmehr universell?
Reichelts Logik: Wenn Medien im Ausland irgendwas machen, darf man das hierzulande automatisch auch. (Wobei “Bild” natürlich auch unabhängig davon immer das Recht hat, Fotos von Opfern zu zeigen, weil man der Tragödie doch ein Gesicht geben müsse!)
Nach Auffassung des Presserats [bestand] kein öffentliches Interesse an der identifizierbaren Darstellung der Opfer. […] Die verwendeten Fotos stammten aus sozialen Netzwerken. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Verwendung der Bilder in der Presse lag jedoch nicht vor, wäre aber erforderlich gewesen, so der Presserat. Es handelte sich nicht um Personen des öffentlichen Lebens.
In seiner jüngsten Sitzung wertete er die Berichterstattung darum als schweren Verstoß gegen den Pressekodex und sprach zwei öffentliche Rügen gegen Bild.de aus, die härteste “Sanktion”, die ihm zur Verfügung steht.
Gestern erschienen bei Bild.de übrigens diese Artikel:
Wir müssen nochmal auf die Sache mit Christoph Harting zurückkommen.
Als der Diskus-Olympiasieger vor gut zwei Monaten mit seiner Frau spätabends im Auto unterwegs war, hatte er auf dem Weg nach Hause einen Unfall. Dabei kam es, wie er später in einem Interview erzählte, “zu einer leichten seitlichen Berührung von einem anderen Fahrzeug und meinem”:
Hierbei handelt es sich aber lediglich um einen Bagatellschaden. Danach habe ich angehalten und die Polizei gerufen, um den Sachverhalt aufnehmen zu lassen. Anschließend bin ich in mein Auto gestiegen und nach Hause gefahren.
Kein großes Drama also. Blechschaden, Polizei hinzugezogen, nach Hause gefahren, alles gut.
Bis die “Bild”-Zeitung kam.
So stand es eineinhalb Wochen später riesengroß im Blatt. Auch auf der Titelseite verkündete “Bild”:
“Nach BILD-Recherchen”, hieß es im Artikel, “hat der Olympia-Held unter offenbar erheblichem Alkoholeinfluss einen Unfall verursacht”.
“Völlig aufgebracht” sei er danach auf den Fahrer des anderen Autos losgegangen, schrieb “Bild” unter Berufung auf “Zeugenaussagen”. Selbst die hinzugerufenen Polizisten hätten ihn “nur schwer bändigen können”.
Weil Harting — im Hauptberuf Bundespolizist — sich außerdem gegenüber den Polizeibeamten aggressiv verhalten haben soll, brachten ihn seine Kollegen auf die Wache. Dort wurde eine Blutentnahme angeordnet und der Führerschein erst einmal einbehalten.
Verfasst wurde der Artikel von Chefreporter Peter Rossberg und Guido Brandenburg, dem Leiter des “Bild”-Ressorts für Investigative Recherche.
Und obwohl Christoph Harting die Geschichte noch am selben Tag gegenüber einer Nachrichtenagentur als “erlogene Falschdarstellung” zurückwies, wurde sie auch von vielen anderen Medien verbreitet. Zwar meist mit dem Zusatz, dass Harting die Vorwürfe dementiert habe, aber hey, könnte ja auch sein, dass er lügt und die “Bild”-Zeitung doch recht hat.
Hatte sie nicht.
Nachdem Harting juristisch gegen die Berichterstattung vorgegangen war, musste “Bild” eine Gegendarstellung abdrucken und zugeben, dass die Geschichte falsch war.
Da war sie allerdings schon fast zwei Monate in der Welt. Und Christoph Harting permanent unter Rechtfertigungszwang. “Man muss sich das einfach mal vorstellen”, sagte er Ende August in einem Fernsehinterview:
Da veröffentlicht ein Medium (…) erlogene Tatsachen, und das zieht so einen elenden Rattenschwanz mit sich: Man rechtfertigt sich an Stellen, die einen einfach nur unterstützen sollten, das heißt, sei es die Bundespolizei als mein Arbeitgeber, seien es meine Sponsoren oder der Deutsche Leichtathletikverband – man erklärt sich, erklärt die Situation, erklärt, dass an dieser ganzen Story nichts dran ist, dass man rechtliche Schritte ergriffen hat, und trotz allem: Das Vertrauen, das dabei verloren geht, das kann man einfach nicht wieder gutmachen.
Damit aber noch nicht genug, es gibt auch im privaten Bereich — ich bin Familienvater, habe eine zehnjährige Tochter, und das Letzte, was ich machen würde, wäre das, was man mir da vorgehalten hat, das muss man einfach mal ganz klar sagen — und man wird dann auch im privaten Bereich in eine Rechtfertigungsschiene gedrückt, die einfach nur unangenehm ist.
Unklar bleibt, wie es zu der falschen Darstellung kommen konnte. Nach Ansicht von Christoph Harting handelt es sich um eine absichtliche Lüge, eine “bewusste Diffamierung”.
Und was sagt die “Bild”-Zeitung?
Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu redaktionellen Abläufen grundsätzlich nicht äußern.
Die “Tagesschau” von gestern Abend war noch nicht mal zu Ende, da twitterte der Berliner Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG):
Der Tweet machte rasch die Runde, bisher wurde er über 1.000 Mal retweetet und sammelte mehr als 200 Antworten — von denen sehr viele so klingen:
Bloß: In der “Tagesschau” wurde sehr wohl über verletzte Polizisten berichtet:
Neben friedlichen Protesten gab es in verschiedenen Stadtteilen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Vermummte steckten Autos in Brand und zerstörten Fensterscheiben. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und forderte weitere Verstärkung aus dem Bundesgebiet an. Auf beiden Seiten gab es zahlreiche Verletzte.
Danach wurden die gewalttätigen Angriffe auf die Polizei noch mehrfach erwähnt; es seien “Flaschen, Böller, Gegenstände” auf Polizisten geworfen worden. Auch der zugeschaltete Reporter vor Ort sagte:
Wir haben gesehen, wie Flaschen und andere Gegenstände auf die Polizei geflogen sind.
Im anschließenden “Brennpunkt” der ARD wurde das sogar noch deutlicher: Dafür hatte eine Reporterin den ganzen Tag lang eine Einheit der Bereitschaftspolizei begleitet. Im Beitrag unter anderem zu sehen: Wie die Polizisten mit Fahrrädern, Flaschen und Böllern beworfen werden; verletzte Polizisten, die auf dem Boden liegen; Polizisten, die versuchen, ihre verletzten Kollegen aus der Menge herauszubringen.
Heute Morgen legte die Berliner DPolG noch einmal nach:
Begrüßenswert wäre es, wenn auch Polizeigewerkschafter Medienkritik an Fakten festmachen würden und nicht an falschen Unterstellungen.
Wie beruhigend es doch ist, dass deutsche Verlage so engagiert gegen Falschmeldungen vorgehen.
“Gruner + Jahr” zum Beispiel erklärte erst vor zwei Tagen, dass “Recherche und das Verifizieren von Fakten” zu den “Kernkompetenzen eines Verlages” gehören — und dass man sich schon auf Gespräche mit Facebook freue, um “sinnvoll daran mitwirken [zu] können, dass sich Falschmeldungen nicht weiter verbreiten”.
Der Regisseur der Serie, Eyup Dirlik, sagte gegenüber Turkish-Fottball.com: “Wir werden in der ersten Aprilwoche anfangen zu drehen. Die Serie handelt von der Notlage einer Flüchtlingsfamilie und davon, was sie durchmachen muss. Es werden viele Schauspieler und Schauspielerinnen aus der ganzen Welt auftreten, darunter Cristiano Ronaldo, Angelina Jolie und [die libanesische Sängerin] Nancy Ajram.”
(Übersetzung von uns.)
Ronaldos Sprecher allerdings erklärte kurz darauf: stimmtnicht. “La noticia es falsa.”
In deutschen Medien aber, wo hartnäckige Recherche und das Verifizieren von Fakten zu den Kernkompetenzen gehören, haben solche Falschmeldungen natürlich keine Cha…
Allerdings müssen wir die AfD enttäuschen: Die Katze aus dem Sack ist eine Ente.
In den Artikeln heißt es:
Mehr als zehn Prozent der im ersten Quartal in Hamburg ermittelten Straftäter sind Flüchtlinge. Das ergab die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator. “Erschreckend” nennt der CDU-Innenpolitiker die Zahl.
Exakt wurden 2252 der rund 21.000 in den ersten drei Monaten dieses Jahres ermittelten Tatverdächtigen als Flüchtlinge eingestuft. Die meisten durch sie begangenen Straftaten sind demnach Diebstähle, Vermögens- und Fälschungsdelikte sowie Körperverletzungen.
Zwar geht die Zahl 2252 tatsächlich aus der Antwort des Hamburger Senats (PDF) hervor. Doch es geht dabei um Tatverdächtige, nicht um Täter. Es steht also gar nicht fest, wie viele davon wirklich eine Straftat begangen haben. Unklar bleibt auch, wie viele der Taten zum Beispiel bei Massenschlägereien in Unterkünften verübt wurden. Oder woher eigentlich die Gesamtzahl von 21.000 Verdächtigen kommt (aus der Antwort des Senats jedenfalls nicht).
Außerdem sind solche Quartalszahlen ohnehin nur mit sehr, sehr großer Vorsicht zu interpretieren, wie der Senat in seiner Antwort explizit betont:
Die PKS [Polizeiliche Kriminalstatistik] ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten TV [Tatverdächtigen] oder der Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben.
Zur begrenzten Aussagekraft unterjähriger Daten siehe im Übrigen Drs. 16/4616. Die Erfassung erfolgt unabhängig von der Tatzeit nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen eines Vorganges an die Staatsanwaltschaft.
Zur Beantwortung der Frage, wie viele Straftaten durch „Flüchtlinge“ im erfragten Zeitraum begangen worden sind, wäre eine händische Durchsicht sämtlicher Ermittlungs- und Handakten bei der Polizei erforderlich. Die Durchsicht von mehreren Zehntausend Vorgängen ist in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.
Auch in der Drucksache 16/4616 (PDF), auf die der Senat verweist, steht unmissverständlich:
Wegen der begrenzt aussagekräftigen Basis wird nochmals darauf hingewiesen, daß eine solche Betrachtungsweise zu sehr verzerrten Ergebnissen führen kann. Von daher ist insbesondere eine kleinteilige Darstellung (…) aus fachlichen Gesichtspunkten nicht hinreichend aussagekräftig.
Kurz gesagt: Die Zahlen sagen nichts aus. Erst recht nicht das, was “Mopo” & Co. in ihren Überschriften behaupten.
Auch Bild.de berichtet und wirft noch andere Zahlen in den Ring:
Dabei differenziert die Polizei nach Menschen mit laufendem Asylverfahren (1705 Tatverdächtige), Schutzberechtigte und Asylberechtigte (205 Tatverdächtige), Menschen, die trotz abgelehnten Asylantrags geduldet werden (261 Tatverdächtige) und Kontingentflüchtlinge (81 Tatverdächtige).
Nach Angaben des Einwohnerzentralamts leben in Hamburg derzeit 29 209 Menschen, auf die diese Kriterien zutreffen. Von ihnen wären also rund 7,7 Prozent straffällig geworden.
Die Schlussfolgerung ist aber auch falsch. Erstens lässt “Bild” außer Acht, dass bei den Tatverdächtigen durchaus Mehrfachnennungen möglich sind (eine Person wird verschiedener Taten verdächtigt). Und zweitens verweist der Sprecher der Hamburger Polizei im “Abendblatt” darauf, …
dass viele der erfassten Tatverdächtigen unter den Flüchtlingen nicht in Hamburg untergebracht sind. “Hamburg bietet als Metropole viele Tatgelegenheiten und ist deshalb für Straftäter attraktiv.” Das gelte aber auch für alle anderen Tatverdächtigen, die die Hamburger Polizei ermittele.
Aber wie das so ist: Die Zahlen sind in der Welt — und die Fremdenfeinde um ein Scheinargument reicher.
Vor knapp acht Jahren erschütterte ein Skandal die “Junge Union” — und die „Bild“-Zeitung.
Mitten im Machtkampf der CDU platzt jetzt eine weitere Bombe! Mindestens drei CDU-Mitglieder sollen in einen Hakenkreuz-Skandal verwickelt sein. Jetzt tauchte ein geheimes Videoband bei der CDU-Zentrale im Abgeordnetenhaus auf. (…)
Der Film zeigt die CDU-Mitglieder während einer Fahrt vor zwei Jahren: Sie haben ihre Oberkörper mit Hakenkreuzen beschmiert, schreien wüste Nazi-Parolen!
Das mit den beschmierten Oberkörpern ist, wie wir schon damals festgestellt haben, völliger Quatsch. „Bild“ hatte das Video vor der Veröffentlichung des Artikels gar nicht gesehen.
Dummen Nazi-Mist gibt es in dem Video, das 2005 auf einer Reise der “Schüler Union” in Riga entstanden ist, aber tatsächlich: Es zeigt mehrere junge, sichtlich alkoholisierte Männer, die sich zum Zeitvertreib wie in einer Talk-Show Fragen stellen. Irgendwann hält einer der Anwesenden kurz einen Sticker mit Hakenkreuz-Motiv vors Objektiv, den er an einem Rigaer Souvenirstand erworben hat; ein anderer findet es sichtlich lustig, mit rechten Parolen wie der Bekämpfung „des jüdischen Bolschewismus“ zu provozieren.
2008 wurde das Video dann der Berliner CDU zugespielt, kurz darauf berichteten „Bild“ und andere Medien (etwa der „Tagesspiegel“), es gab große Aufregung — und Konsequenzen: Die beteiligten Nachwuchspolitiker legten ihre Ämter nieder, traten aus der Partei aus, einer erstattete Selbstanzeige und bekam eine zweijährige Ämtersperre. Ihre politische Karriere war vorerst hinüber, vom öffentlichen Ansehen ganz zu schweigen.
Damit war das Thema erledigt, die Politiker hatten ihre Strafe bekommen.
Und wenn Sie sich fragen, warum wir heute, elf Jahre nach der Entstehung des Videos und acht Jahre nach der Berichterstattung darüber, plötzlich wieder damit ankommen — nun ja:
Das ist die „B.Z.“ von heute. Der Skandal ist der von damals.
Von mit Hakenkreuzen beschmierten Oberkörpern ist immerhin nichts mehr zu lesen, denn diesmal haben die Springer-Leute sich das Video sogar angeschaut, bevor sie darüber geschrieben haben, was im Grunde auch die einzige Neuigkeit ist.
Aber weil die beteiligten JU-Mitglieder inzwischen wieder in der Partei aktiv sind, haut die „B.Z.“ ihnen den Skandal einfach noch mal um die Ohren.
Das Blatt erwähnt zwar, dass die Sache elf Jahre her ist (die Männer kommen auch alle zu Wort und erklären, dass sie diesen „sehr, sehr dummen Fehler“ immer noch “zutiefst bereuen”), doch es klingt alles so, als käme die Sache erst jetzt an die Öffentlichkeit:
Sie sind in jungen Jahren schon weit gekommen: (…). Jetzt holt die drei Freunde mit CDU-Parteibuch die Vergangenheit des Jahres 2005 ein: ein Video von einer Reise der Schüler-Union nach Riga.
Jetzt ist ein Video aufgetaucht, das drei Unions-Fraktionäre bei einer Partei-Reise 2005 nach Riga zeigt: Hakenkreuze, Nazi-Parolen, Hass.
Das Video, das der B.Z. exklusiv vorliegt, kennen bislang nur führende CDU-Funktionäre.
Dass sie schon vor acht Jahren darüber geschrieben hat und damals noch von beschmierten Oberkörpern die Rede war, erwähnt die Redaktion — Überraschung: nicht.
BILDblog wird analog — für einen Abend, am 3. Mai im Heimathafen Neukölln. Unter anderem mit dabei: das Theaterstück „Seite Eins“. Wir haben dem Autor des Stücks, Johannes Kram, vorab schon mal ein paar Fragen gestellt.
Herr Kram, ein Theaterstück mit Ingolf Lück und einem Smartphone, was erwartet uns?
Das Stück ist lustig, hoffe ich, aber es ist auch böse. Und da wo es lustig ist, ist es auch am meisten böse. Das heißt, es versucht natürlich Dinge zu behandeln, die eigentlich nicht lustig sind. Ingolf schafft es wunderbar, den Wahnsinn und die Abgründe des Themas in einer sehr ambivalenten Figur zu transportieren, bei der man nie genau weiß, woran man ist. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum “Seite Eins” in der Lück-Inszenierung so erfolgreich ist.
Also ein kritisches Stück?
Es geht nicht nur gegen „die bösen Medien“, es versucht nicht, eine simple Medienkritik zu machen, sondern eine Diskussion darüber zu provozieren, wer welchen Anteil woran trägt. Also: Welche Ziele und welche Verantwortung haben Medien und die Menschen, die in ihnen arbeiten? Aber auch: Welche Möglichkeiten und welche Verantwortung haben wir alle als Medienkonsumenten?
(Foto: Volker Zimmermann)
Wie viel BILDblog steckt in dem Stück?
Ich glaube, dass ich das Stück auch ohne BILDblog geschrieben hätte, aber dann wäre es garantiert anders geworden. Und von meinen Begegnungen nach den Aufführungen weiß ich, dass BILDblog-Leser ein besonderes Vergnügen daran haben, weil sie natürlich viele Geschichten kennen, auf die es sich bezieht, und weil sie ganz anders im Thema sind. Insofern wird der 3. Mai auch eine ganz besondere Aufführung für das Stück, weil es auf die trifft, die sich dem gleichen Thema von der ganz anderen Seite nähern. Und noch was: BILDblog wird ja gerne vorgeworfen, dass es sich oft kleinkariert an reinen Form- und Stilsachen abarbeitet. Ich glaube, für ein digitales sich selbst dauernd fortschreibendes Blogformat ist es sehr mühsam, immer wieder von Neuem darzustellen, wie oft hinter diesen vermeintlichen Kleinigkeiten methodische und oft sehr problematische Nachlässigkeiten und Grenzüberschreitungen stehen. Ein Theaterstück kann das bündeln, daraus ein Narrativ formen und so zu einem gemeinsam Erlebbaren machen. Insofern feiert „Seite Eins“ auch die BILDblog-Macher und -Leser dafür, dass sie sich schon so lange und so hartnäckig auch um all das kümmern, was so lästig und doch so wichtig ist.
Und wie viel steckt von der anderen Seite drin? Haben Sie mit „Bild“-Redakteuren gesprochen, eine Redaktion besucht? Oder anders gefragt: Wie nah ist das Stück an der Realität?
Es geht ja nicht nur um „Bild“, auch wenn „Bild“ natürlich der größte Machtfaktor im Boulevard ist. Es geht um Mechanismen und Haltungen, die ich selbst tatsächlich schon so erlebt oder von Betroffenen so erzählt bekommen habe. Es passiert mir jedes Mal nach Premieren, dass Journalisten auf mich zukommen und sagen: „Eigentlich ist es noch viel krasser.“ Das ist den Leuten, die nicht aus der Medienbranche kommen, oft gar nicht so klar. Für die gibt es bei dem Stück also einen großen Aha-Effekt, die sagen: „Echt, so läuft das da ab?“ Und bei Medienleuten gibt es den Effekt, dass manche sagen: „Das wussten wir schon, aber es ist schon krass, das mal so gezeigt zu bekommen“.
Im Stück geht es um den hinterhältigen Journalisten Marco, der eine junge Musikerin ausnutzt. Sie haben selbst lange Zeit als Manager von Musikern gearbeitet — sind aus dieser Zeit auch Erfahrungen eingeflossen?
Ja, auch, aber das ist auch eine dramatische Näherung an den Stoff. Vieles in dem Stück habe ich von Boulevardjournalisten tatsächlich genau so gehört. Es ist auch einiges aus dem Buch von Kai Diekmann drin, auch von Sarrazin, und vieles über den Machtanspruch gerade der Spinger-Leute. Vieles, was ich selbst erlebt oder von anderen erzählt bekommen habe. Aber es ist eben auch eine Geschichte. Kein Vortrag, sondern im besten Fall spannendes Theater, das die Leute auf verschiedene Weise packt und mehrmals in eine andere Richtung führt, als sie es erwartet hätten.
Nach dem Stück werden wir uns mit Johannes Kram und Ingolf Lück auch über das Stück unterhalten und Fragen aus dem Publikum beantworten — Tickets für den BILDblog-Abend gibt es hier.
In zwei Wochen ist es so weit: BILDblog wird analog. Zumindest für einen Abend:
Und es gibt Neuigkeiten: Damit wir uns nicht verquasseln, wird “aspekte”-Moderator Jo Schück vorbeikommen und durch den Abend führen.
Was gibt’s zu sehen?
Zuerst: “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” von Johannes Kram, in dem Ingolf Lück den Boulevardjournalisten Marco spielt. Ein lustiges, realistisches, erschreckendes Stück über die perfiden Methoden einer skrupellosen Zeitung.
(Fotos: Volker Zimmermann)
Anschließend geben mehrere Generationen von BILDblog-Autoren Auskunft über Redaktionsinterna und erzählen vom Beklopptesten und Geheimsten aus zwölf Jahren BILDbloggerei.
Und zum Schluss gibt’s Musik — von wem, geben wir noch bekannt.
Wann?
Am Dienstag, 3. Mai 2016, um 19:30 Uhr (Einlass ab 19:00 Uhr).
Wo?
Im Heimathafen Neukölln. (Karl-Marx-Straße 141, 12049 Berlin, U7-Haltestelle Karl-Marx-Straße)
Wie viel?
Die Karten für den Abend kosten 20 Euro (plus Vorverkaufsgebühr). Mit den Einnahmen wollen wir den künftigen Betrieb des BILDblogs sichern — ein Benefizabend in eigener Sache also.
Tickets gibt es hier …
… oder direkt beim Heimathafen Neukölln oder bei “Koka 36”. (Die Tickets werden auf den Namen des Käufers ausgestellt, können aber auch gerne verschenkt werden.)
Wer uns bei der Gelegenheit noch gleich etwas mehr unterstützen möchte, kann auch eines der limitierten Supporter-Tickets kaufen:
– für 50 Euro bekommen Sie einen weltexklusiven BILDblog-Jutebeutel obendrauf.
– für 200 Euro stehen wir Ihnen bei der Party persönlich Rede und Antwort. Die Getränke gehen natürlich auf uns.
– für 500 Euro laden wir Sie einen Tag nach der Veranstaltung zum Abendessen in unsere liebste Dönerbude in Neukölln ein.
Die deutsche Ausgabe der Huffington Post ist das journalistische Angebot des 21. Jahrhunderts. Auf der innovativen Plattform können Redakteure, Blogger und Kommentatoren Haltung zeigen und schreiben, was sie bewegt. Die Redaktion verfügt über ein weltweites Netzwerk von Redakteuren, die nicht dem Mainstream folgen, sondern Themen aus einer anderen Perspektive beleuchten.
Und das liest sich dann so:
Das [sic] Nelken bei Zahnschmerzen helfen sollen und Kamille bei Bauchweh, gehört schon zum medizinischen Allgemeinwissen. Aber Forscher entdecken immer wieder neue Eigenschaften von Pflanzen, mit erstaunlichen Auswirkungen auf den menschlichen Körper.
In dem Fachmagazin “Journal of Medicial Mushrooms” wird in einem Artikel zum Beispiel ein Pilz beschrieben, dessen Geruch bei Frauen einen spontanen Orgasmus auslösen soll. Der Pilz wird der Gattung Dictyophora zugeordnet.
Bei einem Test mit Freiwilligen sollen mehr als die Hälfte der Probandinnen angegeben haben, spontan einen Orgasmus erlebt zu haben.
Allerdings:
Wie viele Probandinnen an dem Test teilgenommen haben, ist allerdings unklar. Auch ist nicht ersichtlich, ob die Orgasmen auch körperlich nachgewiesen wurden. Zu vermuten ist daher, dass die Studie wissenschaftlichen Qualitätskriterien nicht standhält.
Nun ja. Die Autorin hätte nur kurz googeln müssen, um herauszufinden, dass die Anzahl der Probandinnen sehr wohl bekannt ist, nämlich: 16.
Nicht mal den Namen des Journals hat die Autorin richtig abgeschrieben (es heißt „… Medicinal Mushroom“, nicht „… Medicial Mushrooms“). Von den zwei Forschernamen ist immerhin nur einer falsch (er heißt „Holliday“, nicht „Halliday“).
Fassen wir also zusammen: Der Artikel gibt eine 15 Jahre alte, nichtssagende Scheinstudie falsch wieder. Im Grunde ist man nach der Lektüre also schlechter informiert als vorher. Aber Hauptsache: die „Huffington Post“ um einen Klick reicher.
Man kann nicht mal behaupten, die “Huffington Post” würde schlecht recherchieren, denn dafür müsste sie recherchieren. Je intensiver man sich mit ihr befasst, desto mehr zeigt sich jedoch, dass sie keineswegs ein journalistisches Angebot ist, sondern ein lieblos zusammengeklopptes Fundstück-Sammelsurium mit einem informationellen Mehrwert irgendwo zwischen “Praline” und “Upps! Die Superpannenshow”.
Bleiben wir mal bei der Orgasmuspilz-Autorin. Einen Tag später schrieb sie:
Der Artikel besteht aus diesem eingebetteten Foto …
… und diesem Text:
Zugegeben. Wir können nicht mit Gewissheit sagen, was sich hinter diesem Bild verbirgt. Aber falls wirklich eine unbezahlte Gärtner-Rechnung dahinter steckt, hat der um seinen Lohn betrogene Gartenbauer unseren Respekt verdient.
Zugegeben. Wir können nicht mit Gewissheit sagen, wie viel Zeit die Autorin diesmal in die Recherche investiert hat. Aber wir haben weniger als zwei Minuten gebraucht, um herauszufinden, was sich hinter dem Bild verbirgt: Der Penisbusch steht in England. Der Besitzer des Gartens hat ihn selbst so geschnitten und taucht deshalb seit einigen Monaten in den Medien auf. Zufällig betreibt er auch ein Unternehmen, das auf das Zurechtschneiden von Bäumen und Büschen spezialisiert ist. Das Ganze ist also keine Rache-, sondern eine zwei Monate alte PR-Aktion.
So sieht der “Huffpo”-Alltag aus. Beispiele könnten wir Dutzende auflisten.
Bleiben wir bei der Orgasmuspilzpenisbusch-Autorin. Oft erscheinen mehrere ihrer Artikel täglich, fast immer über Fundstücke aus Sozialen Netzwerken. Meist irgendwas mit Sex oder Promis oder Sex, eingebettet in kurze Texte, Clickbait-Überschrift, fertig. Wahrheitsgehalt? Aktualität? Egal.
Sie entdeckt dieses Foto:
… zack:
Oder dieses:
… zack:
Oder dieses:
… zack:
Sie stößt auf eine sechs Monate alte Studie über postkoitale Depressionen — zack:
Sie stößt auf eine zwei Jahre alte Untersuchung, nach der Pflanzen auf das Kaugeräusch von Raupen reagieren — zack:
Sie stößt auf die seit Ewigkeiten bekannte Tatsache, dass Prosecco Zucker enthält — zack:
So sind in den vergangenen drei Monaten allein von dieser Autorin gut 100 Artikel erschienen:
Wie war das noch?
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