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Das große “Bild”-Drama-ABC

Am vergangenen Dienstag war die Titelseite der “Bild”-Zeitung gleich doppelt dramatisch:

Schlagzeilen auf der BILD-Titelseite: FEUER-DRAMA auf Klitschko-Jacht sowie ABSTURZ-DRAMA um deutsche Kampfjet-Piloten

Was bei uns die Frage aufwarf, welche “Dramen” es bei “Bild” in letzter Zeit eigentlich noch so alles gab – et voilà:

Absturz-Drama
Abseits-Drama
Alpin-Drama
Bade-Drama
Ballermann-Drama
Beziehungs-Drama
Boßel-Drama
Brunnen-Drama
Brücken-Drama
Bus-Drama
Busen-Drama

Diesel-Drama
Dreßen-Drama
Ehe-Drama
Eis-Drama
Elefanten-Drama
Elfer-Drama
Endpsiel-Drama
Familien-Drama
Feuer-Drama
Flixbus-Drama
Friseur-Drama
Gassi-Drama
Gift-Drama
Griechen-Drama
Höhlen-Drama
Internet-Drama
Kerber-Drama
Krebs-Drama
Kreuzfahrt-Drama
Kuh-Drama
Lauda-Drama
Laster-Drama
Liebes-Drama
Masern-Drama
Medaillen-Drama
Mord-Drama
Opern-Drama
Penalty-Drama
Regierungsflieger-Drama
Reise-Drama
Relegations-Drama
Sanierungs-Drama
S-Bahn-Drama
Schlauchboot-Drama
Schnee-Drama
Schulden-Drama
Sekunden-Drama
Selbstmord-Drama
Silvester-Drama
Sorgerechts-Drama
SPD-Drama
Spenderherz-Drama
Strom-Drama
Syrien-Drama
Todes-Drama
U-Bahn-Drama
Ullrich-Drama
Unfall-Drama
Wackelzahn-Drama
Wasser-Drama
Zug-Drama

(Aus: “Bild” und “Bild am Sonntag”, 2018 & 2019)

Qualität der Recherche? Fucking miserable.

Ende Mai ging eine Nachricht um die Welt. Angefangen beim “Guardian”, drehte sie schnell auch in deutschsprachigen Medien ihre Runde: Sie erschien unter anderem bei Stern.de, der “Berliner Zeitung”, dem “Kölner Stadtanzeiger”, dem “Berliner Kurier”, dem “Express”, der “Mopo”, bei “Focus Online”, Woman.at, Heute.at, Kurier.at, Kosmo.at, Wienerin.at, Diepresse.com, Bunte.de, Watson.de, Web.de, Businessinsider.de, Gmx.de, Yahoo.de, Infranken.de, Elle.de, Freundin.de, RTL.de — nämlich:

Collage aus Schlagzeilen: Frauen sind ohne Ehepartner und Kinder glücklicher; Unverheiratete und kinderlose Frauen sind die glücklichsten Menschen, sagt ein Verhaltensforscher; Unverheiratete, kinderlose Frauen sind am glücklichsten; Kinderlos glücklich: Frauen leben ohne Ehepartner und Kinder glücklicher; Frauen sind ohne Mann und Kind glücklicher; Experte erklärt: Frauen ohne Mann und Kind sind am glücklichsten, Singles aufgepasst: Ohne Mann und Kind sind Frauen am glücklichsten; Laut Studie: Frauen sind glücklicher ohne Ehemann oder Kinder; Von wegen Heirat und Kinder: Experte berichtet, warum Single-Frauen am glücklichsten sind; Frau, Single, kinderlos, glücklich!; Studie: Deshalb sind unverheiratete, kinderlos Frauen so glücklich; Laut Experte: Frauen sind ohne Kinder und Ehepartner glücklicher; Verhaltensforscher: Unverheiratete und kinderlose Frauen sind am glücklichsten; verhaltensforscher: Unverheiratete Frauen ohne Kinder sind am glücklichsten; Studie: Sind Single-Frauen ohne Kinder am glücklichsten?; Studienauswertung zeigt: Kinderlos und unverheiratet? Gut - denn dann bist du glücklicher als andere Frauen!; Verhaltensforschung enthüllt: Diese Frauen sind am glücklichsten; Verhaltensforscher: Frauen sind ohne Kinder oder Ehepartner glücklicher

In den Artikeln geht es um Aussagen des Verhaltensforschers Paul Dolan. Der bewirbt gerade sein neues Buch und wirft deshalb bei jeder Gelegenheit mit knackigen Thesen um sich. Vor allem mit jener, dass unverheiratete, kinderlose Frauen am gesündesten und glücklichsten seien. Verheiratete Frauen hingegen seien weniger glücklich und würden sogar früher sterben. Außerdem:

Verheiratete Menschen sind glücklicher als andere Bevölkerungsuntergruppen, aber nur dann, wenn ihr Ehepartner im Zimmer ist, wenn sie gefragt werden, wie glücklich sie sind. Wenn der Ehepartner nicht anwesend ist: verdammt elend.

Oder im Original:

Married people are happier than other population subgroups, but only when their spouse is in the room when they’re asked how happy they are. When the spouse is not present: fucking miserable.

Spätestens an dieser Stelle wurde ein anderer Forscher, Gray Kimbrough von der American University’s School of Public Affairs, stutzig.

Kimbrough hat in seiner Arbeit oft mit den Daten des “American Time Use Survey” (ATUS) zu tun — den gleichen Daten, aus denen Dolan auch seine knackigen Thesen abgeleitet hat. Und so fiel Kimbrough sofort auf, dass Dolan einen peinlichen Fehler gemacht hatte: In der ATUS-Umfrage gibt es eine Kategorie, die “spouse absent” (“Ehepartner abwesend”) heißt. Daraus wurde dann bei Dolan (und schließlich in den Medien), dass verheiratete Menschen nur dann glücklich seien, wenn ihr Ehepartner während der Befragung “im Zimmer ist”, und dass es ihnen “fucking miserable” gehe, wenn er nicht im Zimmer ist. Das ist aber völliger Blödsinn. “Spouse absent” ist einfach die Kategorie für Befragte, die zwar noch verheiratet sind, aber nicht mehr im selben Haushalt leben.

Dolan selbst hat den Fehler inzwischen eingeräumt, der “Guardian” hat ihn nun auch korrigiert. Die deutschsprachigen Medien nicht.

Diese Stelle war jedoch nicht das einzige Problem. Auch die anderen Thesen Dolans “fallen schon nach einem flüchtigen Blick auf die Daten auseinander”, kritisiert Kimbrough. So ergibt sich aus den ATUS-Daten beispielsweise diese Tabelle:

Tabelle: Mean happiness rating on a scale of 0 to 6 - Men Never Married No Kids: 4.1, Men Never Married Kids: 4.2, Men Married No Kids: 4.3, Men Married Kids: 4.3, Women Never Married No Kids: 4.2, Women Never Married Kids: 4.4, Women Never Married Kids: 4.4, Women Married No Kids: 4.4, Women Married Kids: 4.4

Und wie man sieht, sind nicht die unverheirateten, kinderlosen Frauen am glücklichsten. Auch nach ihrem Alter betrachtet liegen Verheiratete auf der Happiness-Skala nahezu durchgehend über den Nie-Verheirateten:

Das ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Dolan und mit ihm etliche Medien behaupten. Dolan selbst ist immerhin ein kleines bisschen zurückgerudert. Von den Journalisten aber, die, statt selber zu recherchieren, einfach voneinander abgeschrieben haben, hat vermutlich nicht mal jemand gemerkt, was für einen Quatsch sie da verbreiten.

Mit Dank an Benjamin für den Hinweis!

Siehe auch:

Nachtrag, 20. Juni: Stern.de hat den Artikel nun komplett überarbeitet.

“Sex-Mobbing, Nazi-Sprüche, Sauf-Exzesse, Ekel-Attacken”: Axel Springer muss 110.000 Euro zahlen

Die Zerstörung kam in vier Akten. Im September 2016 veröffentlichte die Frankfurt-Ausgabe der „Bild“-Zeitung eine Artikelserie über einen Mann, der in der Stadtverwaltung einer hessischen Gemeinde arbeitet. Innerhalb weniger Tage entlud die Zeitung dabei ihre geballte, existenzzerschmetternde Kraft und machte aus dem Fachbereichsleiter ein alkoholsüchtiges, perverses, menschenverachtendes Scheusal.

In vier aufeinanderfolgenden Ausgaben präsentierte „Bild“ den Mann groß auf der Aufmacherseite des Regionalteils – zusammen mit den unfassbaren Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden: Dinge, die er gesagt und getan haben soll, die, so „Bild“, „an Menschenverachtung kaum noch zu überbieten sind“. Seine Untergebenen soll er „bis zum Zusammenbruch gequält haben“, schrieb „Bild“, es gehe um „SEX-MOBBING, NAZI-SPRÜCHE, SAUF-EXZESSE, EKEL-ATTACKEN!“ Womöglich sei der Mann „der schlimmste Vorgesetzte Deutschlands“. Was aber noch schlimmer ist: Inzwischen wurde gerichtlich festgestellt, dass nichts davon stimmte.

Den ersten Teil der Anschuldigungen veröffentlichten „Bild Frankfurt“ und Bild.de am 16. September. Der Vorwurf: Sex-Mobbing.

Große Schlagzeile auf der Aufmacherseite des Frankfurter Regionalteils: SEX-MOBBING-VORWÜRFE gegen [von uns unkenntlich gemacht]
(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Unter anderem, heißt es dort, soll der Mann durch die Büroräume gebrüllt haben, die Mitarbeiterinnen seien „blöde Fotzen und Schlampen“ bzw. „dreckige Nutten“, die ihm „mal einen blasen“ sollen oder „eine Drecksau im Bett“ seien. Über fremde Frauen habe er gesagt, sie seien „schwarze, fette Schlampen, die beim Vögeln stinken“.

Am Tag darauf der nächste Teil: „Erschreckende Alkohol-Exzesse“.

Große Schlagzeile auf der Aufmacherseite des Frankfurter Regionalteils: Schlimme Vorwürfe gegen [...] - SUFF-EXZESSE im [...] Rathaus

Der Mann habe im Büro bereits vormittags Portwein getrunken und sei gegen 15 Uhr „nur noch schwankend über den Flur“ getreten. Offenbar habe er sich „alkoholbedingt nicht mehr unter Kontrolle“, bisweilen sei er so betrunken gewesen, „dass er gestützt und sogar mindestens einmal getragen werden musste“.

In der nächsten Ausgabe: „Nazi-Vorwürfe“.

Große Schlagzeile auf der Aufmacherseite des Frankfurter Regionalteils: Schlimme NAZI-VORWÜRFE gegen [...]

Der Mann habe unter anderem gesagt, dass es ihn „ankotzt, dass er sich um die Scheiß-Integrationskinder in den Kitas kümmern muss, früher wären die alle ins KZ gekommen, da hätte sich das alles von alleine erledigt.“ Eine kleinwüchsige Mitarbeiterin soll er als „Mongo“ bezeichnet und gesagt haben, dass „diese Krüppel im KZ vergast werden sollen“. Er habe der Frau geraten, sie solle ihr Kind doch „in ein Heim geben oder noch besser an die Zigeuner verkaufen, die suchten Kinder“. Mindestens dreimal wöchentlich habe er durch den Flur gebrüllt: „Hätte der Alte beim Ficken mal auf den Herd gespritzt, dann würde es diesen Krüppel nicht geben“.

In der nächsten Ausgabe: „Ekel-Vorwürfe“.

Große Schlagzeile im Frankfurter Regionalteil: EKEL-VORWÜRFE gegen [...]

Der Mann habe „immer wieder von ‘Blasen’ und ‘Lecken’“ erzählt und gesagt, „ihm gehe gleich einer ab“. Am Tisch einer Mitarbeiterin habe er eine Salami gegessen, und weil er mit vollem Mund sprach, sei sie herausgefallen, da habe er sie wieder aufgehoben und erneut gegessen. Er habe eine Mitarbeiterin angerülpst und gefragt, was er gegessen hätte. Er habe von „Sauffreunden“ erzählt, die sich „in die Hose geschissen“ oder „über den Tresen gekotzt“ hätten. Er habe von einem anstehenden Swinger-Wochenende erzählt, „bei dem er das ganze Wochenende ‘vögeln’ würde“. Immer wieder habe er sich „Grind von seinem Hinterkopf“ gekratzt und sich „diesen in seinen Mund“ gesteckt.

Wahnsinn.

Nun müsste man angesichts der Schwere dieser Vorwürfe eigentlich erwarten, dass Journalisten, die sie verbreiten, die Sache gründlichst recherchieren. Dass sie verschiedene Zeugen befragen, dass sie Beweise sammeln, dass sie wenigstens den Beschuldigten zu Wort kommen lassen. Doch „Bild“ tat nichts davon.

Für alle vier Artikel, für all die furchtbaren Vorwürfe gab es nur eine einzige Quelle: das „Mobbingtagebuch“ einer ehemaligen Mitarbeiterin des Mannes. Die hatte die Stadt wenige Wochen zuvor auf Schmerzensgeld verklagt und behauptet, der Fachbereichsleiter habe sie gedemütigt und gemobbt. Die angeblichen Übergriffe des Mannes hatte sie in jenem „Mobbingtagebuch“ festgehalten. Die “Bild”-Redaktion bekam Wind davon und machte daraus kurzerhand eine vierteilige Artikelserie, in der sie weite Teile des Tagebuchs ungeprüft abschrieb. Das „Sex-Mobbing“, die „Suff-Exzesse“, die „Nazi-Sprüche“, die „Ekel-Attacken“ – sie alle beruhten allein auf den Behauptungen der ehemaligen Mitarbeiterin. Der beschuldigte Mann selbst sei „nicht zu erreichen“ gewesen, schrieb „Bild“ damals.

Fast drei Jahre ist das nun her.

Vor Kurzem hat das Landgericht Frankfurt den Axel-Springer-Verlag wegen der Berichterstattung in vier separaten Verfahren verurteilt: Insgesamt muss der Verlag dem Mann bemerkenswerte 110.000 Euro Geldentschädigung zahlen. Die „Bild“-Medien hätten mit ihren Artikeln „in schwerwiegender Art und Weise gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung“ und die ihnen „obliegenden journalistischen Sorgfaltspflichten verstoßen“, stellte das Gericht fest.

Während der Prozesse hatten die Richter noch viele weitere Zeugen befragt und kamen zu dem Schluss, dass die Behauptungen der ehemaligen Mitarbeiterin unwahr seien: Ihre Vorwürfe seien „durch eine Vielzahl von Zeugen glaubhaft widerlegt worden“. Die Kammer sei von der „Unglaubwürdigkeit“ der Mitarbeiterin und der „Unglaubhaftigkeit ihrer gesamten Aussage“ überzeugt.

Die Beweislast lag in diesen Fällen bei „Bild“, das heißt, die Zeitung hätte belegen müssen, dass die Vorwürfe wahr sind. Doch das konnte sie nicht. Sönke Schulenburg, einer der beiden Autoren, räumte vor Gericht sogar ein, dass er vor der Veröffentlichung weder mit der Mitarbeiterin noch mit dem Beschuldigten gesprochen habe. Er habe versucht, den Mann telefonisch zu erreichen und sei zu seinem Wohnhaus gefahren, jedoch erfolglos. Allerdings war der Mann zu dieser Zeit im Urlaub, was Schulenburg, so das Gericht, auch wusste. Seine Bemühungen seien demnach „nicht ausreichend“ gewesen. Außerdem sei er „nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung“ des ersten Artikels zum Haus des Mannes gefahren, darum sei fraglich, ob diese Frist überhaupt ausgereicht hätte.

Bemerkenswert übrigens auch die Argumentation der Springer-Anwälte: Das Schweigen des Mannes sei ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Vorwürfe zutreffend seien.

In ihrem Urteil folgten die Richter jedoch größtenteils der Argumentation von Felix Damm, dem Anwalt des Mannes. Der spricht auf unsere Anfrage von einem „vernichtenden Feldzug“ der „Bild“-Medien:

An vier aufeinanderfolgenden Werktagen wurde unser Mandant in der Region, in der er lebt und arbeitet, ungeprüft und nicht im Ansatz verifiziert, durch Axel Springer als saufendes, pöbelndes Sex- und Nazi-Ekelpaket diffamiert und wie eine Sau durchs Dorf getrieben. Sein Name wurde genannt, sein Bildnis wurde gezeigt. Diese Rücksichtslosigkeit war schon erschreckend.

Der Verlag hat nun die Möglichkeit, Berufung einzulegen.

Bei Bild.de sind die vier Artikel nach wie vor online.

Pressemitteilungen (inklusive der Urteile) der Kanzlei Damm Ettig:

Den Schuss nicht gehört, den Rumms umso lauter

In Dänemark fand vorgestern die Parlamentswahl statt, oder wie Bild.de schreibt:

Rumss-Wahl in Dänemark

Auch vor der Europawahl neulich hatte Bild.de verkündet:

Das wird eine fürchterliche RUMMS-Wahl!

Und auch sonst macht es derzeit wahlenmäßig bei den “Bild”-Medien vor allem eines:

RUMMS! Diese Woche gibt es einen klaren Gewinner
Rumms-Umfrage schockt SPD
Bei diesen Parteien macht es richtig RUMMS
Heute macht es RUMMS in Bayern
So sieht Deutschland nach dem Rechts-RUMMS aus
Droht jetzt ein neuer Europa-Rumms?
Endlich mal RAUF statt RUMMS
Droht ein Rechts-Rumms bei der Europa-Wahl?
In Brandenburg droht ein Rechts-Rumms
Wo der Rechts-Rumm am schlimmsten wird
Rezo-Rumms für die CDU

Bei “Bild” rummst es aber nicht nur bei Wahlen, sondern … überall.

Wenn Prinz Philip einen Unfall hat:

Schlagzeile: Rumms!

Wenn Uli Hoeneß einen Spieler kritisiert:

Textauszug: RUMMS!

Wenn Franck Ribéry seine Kritiker beleidigt:

Textauszug: RUMMS!

Wenn Tony Marshall über Otto meckert:

Textauszug: RUMMS!

Wenn ein Paar beim Sex im Auto einen Unfall baut:

Schlagzeile: ER (70) und SIE (34) machten erst bums, dann rumms

Wenn eine Terrasse in eine Hofeinfahrt kracht:

Schlagzeile: RUMMS! Terrasse kracht in Hofeinfahrt

Wenn Henning Baum ein Auto schrammt:

Schlagzeile: Henning Baum - Mit nem Rummms zurück

Wenn eine “Tatort”-Kommissarin eine Ohrfeige austeilt:

Schlagzeile: RUMMS! Hier schlägt die neue Tatort-Kommissarin zu

Wenn der FC Bayern München nicht den gewünschten Trainer bekommt:

Textauszug: Rumms!

Wenn eine Hollywood-Schauspielerin einer Kollegin etwas Böses auf Instagram schreibt:

Textauszug: Rumms!

Wenn ein Hund einen Herd einschaltet:

Schlagzeile: Hund schaltet Herd ein - Explosion! - Rrrrumms!

Wenn was auch immer passiert, bei “Bild” macht es:

Schlagzeile: Rumms, da war das Auto FORD!
Schlagzeile: RUMMS! Neuer Griechen-Chef schockt Finanzwelt
Schlagzeile: Waschen, Schneiden, Rumms!
Schlagzeile: Hilfe, wir wohnen in der Rumms-Bumms-Straße
Schlagzeile: Rumms mit Pep!
Schlagzeile: Rumms-Raub im Goldstübchen
Schlagzeile: Das Rumms-Mobil der besoffenen Bulgaren
Schlagzeile: RUMMS! SEK stürmt falsche Wohnung
Schlagzeile: Ganz Berlin hat einen Rumms!
Schlagzeile: Video: hier macht es Rumms beim Rocker-Boss
Schlagzeile: Nach schwül kommt RUMMS!
Schlagzeile: Rumms, Bumms, KUNST!
Schlagzeile: Rummms! Der BILD-Party-Hammer
Schlagzeile: Herr Lehmann, wann macht es wieder RUMMS?
Schlagzeile: Wo ist die Beute der RUMMS-RÄUBER?
Schlagzeile: Fahrschüler rasselt mit RUMMS durch Prüfung!
Schlagzeile: Die bittere Wahrheit über diesen Rumms
Schlagzeile: Beim Rollator-Rumms hat es gefunkt
Schlagzeile: Monis Rumms-Bumms-Rache
Schlagzeile: Rumms! Rams-Rambo rammt sich zum Blitz-Touchdown

Welches Geräusch es macht, wenn der Kopf eines BILDbloggers bei einer solchen Recherche auf der Tischplatte landet? Richtig.

Der Klick heiligt die Mittel

Herzlich Willkommen zu unserer spannenden Entdeckungsreise durch die Rotlichtmilieus der deutschen Klick-Industrie! Wir gehen an die Orte, an denen für Klicks alles gemacht wird. Nach einigen Abstechern in den Westen verschlägt es uns heute mal in den Süden. Genauer: nach München.

Merkur.de, die Online-Seite des “Münchner Merkur”, ist eines der erfolgreichsten News-Portale des Landes. Gut 70 Millionen Visits verzeichnet die Seite pro Monat, damit gehört sie zu den Top 10 der besucherstärksten Nachrichtenportale, liegt oft sogar vor Seiten wie Süddeutsche.de, Stern.de, RTL.de oder FAZ.net:

Medium Visits im April 2019
1. Bild.de 427.691.776
2. Spiegel Online 251.339.088
3. Upday 190.994.183
4. Focus Online 184.522.143
5. n-tv.de 142.683.268
6. Welt 120.681.764
7. Funke Medien NRW 72.311.095
8. Zeit Online 68.332.153
9. Merkur.de 67.354.570
10. DuMont Newsnet 65.558.438
11. Stern.de 63.872.828
12. RTL.de 59.734.317
13. Süddeutsche.de 58.826.504
14. FAZ.net 57.227.517
15. tz 49.835.599

(Quelle: IVW via “Meedia”; in den Monaten davor sah es ähnlich aus.)

Wie Merkur.de das schafft, wollen wir an zwei Beispielen vom Wochenende zeigen. (Wir haben sie willkürlich rausgepickt, man könnte auch so gut wie jeden anderen Artikel nehmen.)

Am Samstag, genau drei Monate nach dem Verschwinden der 15-jährigen Rebecca aus Berlin, lockte Merkur.de mit einer “Sensation” auf die Seite:

Rebecca Reusch vermisst: Eltern veröffentlichen trauriges Statement - Was für eine Sensation

Im Artikel geht es um einen Brief der Eltern, den RTL.de veröffentlicht hatte. Merkur.de schreibt:

Seit genau drei Monaten fehlt von der 15-jährigen Rebecca aus Berlin jede Spur. Nun veröffentlichte ihre Familie einen bewegenden Brief über RTL. Darin beschreiben die Eltern ihren unvorstellbaren Schmerz. “Wir sind verloren in unserer Angst und jeden Tag schwindet die Hoffnung, dich jemals wiederzusehen. Wir sind erstarrt in unserer Trauer, alles verhärtet sich innerlich in uns und doch funktionieren wir jeden Tag”, zitiert der TV-Sender die Eltern des vermissten Mädchens. Obwohl Bernd und Brigitte Reusch von Anfang an die Öffentlichkeit nutzten, um die Suche nach ihrer Tochter am Leben zu erhalten, berichten sie nun von dramatische Erlebnissen mit Unbekannten.

“Wir stehen am Fenster starren hinaus und denken jetzt… jetzt musst du doch kommen, doch stattdessen fahren die Autos ganz langsam an unserem Haus vorbei und schauen zu uns rüber… rüber zu Eltern, die trauern. Was für eine Sensation!”

Die Eltern schreiben also, dass ihnen die Sensationalisierung ihrer Trauer zu viel wird. Und daraus — daraus — wird die Überschrift:

Eltern veröffentlichen trauriges Statement – “Was für eine Sensation”

Das ist auf so vielen Ebenen gemein, da hätte selbst “Bild” Mühe mitzuhalten.

Bemerkenswert ist auch die schiere Masse. Der Rebecca-Artikel ist nur einer von etlichen; seit Monaten führt Merkur.de zu dem Fall einen “Nachrichten”-Ticker, für den jeder Instagram-Post von Angehörigen, jedes Gerücht und jede Spekulation mit einem eigenen Beitrag gewürdigt wird. Kleiner Auszug der vergangenen Wochen:




















Fast täglich lockt Merkur.de so mit neuen Sensationsüberschriften auf seinen Rebecca-“News”-Ticker, und oft gehören die Artikel dann tagelang zu den meistgeklickten des Ressorts.

Zum Thema Clickbaiting sagte der Chefredakteur von Merkur.de vor einigen Monaten auf Nachfrage von “Übermedien”:

Ich finde ‘Clickbait’-Überschriften super. Journalisten, die es schaffen, mit guten Zeilen Leser in ihre Texte zu ziehen, beherrschen ihr Handwerk. Was aber nie passieren darf, ist eine Produktenttäuschung: Die Erwartung, die ich in Überschriften wecke, muss im Text auch erfüllt werden. Wird die Erwartungshaltung erfüllt, spricht nichts dagegen, dass Autoren einen Spannungsbogen aufbauen, der im Leser das Gefühl weckt, unbedingt diesen Text lesen zu müssen.

Okay, schauen wir uns einen anderen Artikel an, ebenfalls am Wochenende erschienen:

Wahnsinn in Hamburg - Drama bei illegalem Autorennen: Für Mercedes-Fahrer endet Raserei verheerend

Verheerend. Drama. Wahnsinn. Welche Erwartung wird da geweckt? Verletzte? Tote? Explosionen? Vielleicht werden wir aus dem Teaser schlauer:

Zwei Autofahrer halten an einer roten Ampel in Hamburg. Dann geben sie im Mercedes und Peugeot Gas. Das illegale Autorennen nimmt jedoch ein verheerendes Ende.  - Zwei Autofahrer lieferten sich im Mercedes und Peugeot ein illegales Rennen in Hamburg - Es kam zu wilden Szenen auf Hamburgs Straßen - Für einen der bedien Duellanten endete das illegale Rennen im Unglück

“Für einen” der beiden endete es also “im Unglück”. Also ein Toter? Schwerverletzter? Lesen wir weiter:

Zwei Autos halten an einer roten Ampel. Die beiden Fahrer blicken sich an, dann sind sie sich einig - und geben Vollgas. Für einen der beiden endet die Raserei im Unglück. Am Mittwoch (15. Mai) lieferten sich zwei Autofahrer in Hamburg-Ottensen nach Angaben der Polizei mutmaßlich ein illegales Autorennen zwischen einem Mercedes und einem Peugeot. Schon in der Behringstraße in Hamburg fuhren die beiden Autofahrer, ein 65-Jähriger und ein 28-jähriger Mann stadteinwärts nebeneinander her. Währenddessen müssen sie die Entscheidung getroffen haben, sich zu duellieren - bei höchster Geschwindigkeit. Als dann beide Autofahrer an einer roten Ampel an der Kreuzung Friedensallee in Hamburg halten mussten, bereiteten sich die Fahrer vom Mercedes und Peugeot auf ihr Duell vor. Das illegale Rennen startete bei Grün, beide Fahrer beschleunigten stark. Dem 28-jährigen Peugeot-Fahrer gelang es, sich an einer Fahrbahnverengung mit seinem Auto vor der Mercedes C-Klasse des 65-Jährigen einzufädeln, wie die Polizei Hamburg mitteilt. Der Mercedes-Fahrer versuchte dann den vor ihm fahrenden 28-Jährigen zu überholen - mit Erfolg. Nach mehreren Versuchen zog er am Peugeot vorbei. Dann der Schock! Beim Wiedereinscheren schnitt der 65-jährige Mann mit seinem Mercedes den Peugeot, es kam zur Berührung - mit verheerenden Folgen.

Uh, jetzt aber! Ach nee, zuerst noch ein Link zum Schwesterportal:

... es kam zur Berührung - mit verheerenden Folgen.  Auch ein Unfall auf der Autobahn A2 bei Braunschweig hatte schreckliche Folgen für einen Lkw-Fahrer, wie nordbuzz.de berichtet. [Zwischenüberschrift: Hamburg: Unfall bei illegalem Rennen - Mercedes kracht in Auto]  Durch die Kollision drehte sich der Mercedes auf der Straße in Hamburg und stieß gegen ein am Fahrbahnrand geparktes Auto. An allen beteiligten Fahrzeugen entstand nach Angaben der Polizei ein Sachschaden.  Durch den Unfall wurde immerhin niemand verletzt. Die beiden Unfallbeteiligten aus dem Mercedes und Peugeot konnten nach erfolgter Unfallaufnahme durch die Polizei Hamburg ihren Weg mit ihren Autos fortsetzen. Die weiteren Ermittlungen übernahm der Verkehrsermittlungsdienst West (VD 22) in Hamburg.  Vor Gericht muss sich derzeit ein Mann verantworten, der seiner Nachbarin in Hamburg die Kehle durchgeschnitten hat. Das berichtet nordbuzz.de.

Verheerend. Drama. Weil sich das Auto drehte und gegen ein anderes Auto stieß. Wahnsinn. Und am Ende einfach noch den Kehle-Durchschneider rein, ist ja eh alles egal.

Und damit beenden wir unsere kleine Reise in den klickgeilen Süden, schaut auch nächstes Mal wieder rein, wenn es heißt: Es sah aus wie Journalismus, aber was dann geschah, hat uns tief getroffen.

Die Bank, die einen füttert, beißt man nicht

Die Smartphone-Bank N26 gilt — mit einer Unternehmensbewertung von stolzen 2,3 Milliarden Euro — als eines der erfolgreichsten Start-ups der europäischen Finanzbranche. Doch seit ein paar Wochen steht das Berliner Unternehmen immer wieder in der Kritik.

Zuerst wurden einem Kunden 80.000 Euro von seinem Konto gestohlen; dann wurde bekannt, dass hunderte N26-Konten zur Geldwäsche genutzt worden sein sollen; zudem bekam die Bank Ärger mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten, wurde von Kunden für ihren schwer erreichbaren Kundenservice kritisiert und jüngst sogar von der Finanzaufsicht BaFin gerüffelt. Entsprechend häufig ist N26 derzeit in den Schlagzeilen:

Schlagzeilen verschiedener Medien: Bei N26 häufen sich die Probleme, Schwarze Listen: So bekam N26 Ärger mit Datenschützern, Gefäschte Online-Shops sollen über N26 Geld gewaschen haben, Pannen bei gefeierter Online-Bank, N26: Konto leergeräumt - Bank nicht erreichbar, N26-Konten sollen zur Geldwäsche missbraucht worden sein, N26-Kunde werden 80.000 Euro vom Konto geklaut - die bank reagiert ganz schwach, N26 gerät ins Visier der Finanzaufsicht, Finanzaufsicht drängt Onlinebank zu Nachbesserungen, Deutliche Warnung für die Smartphone-Bank N26

Das “Handelsblatt” berichtete, die “Süddeutsche Zeitung”, der “Spiegel”, die “Stuttgarter Zeitung”, “Focus Online”, n-tv.de, Stern.de und viele mehr. Selbst internationale Medien griffen die Geschichten auf.

Nur die “Bild”-Medien bleiben ungewöhnlich still. Bis heute ist weder in der gedruckten noch in der Online-Ausgabe auch nur ein Satz zu den Vorgängen rund um N26 erschienen.

Eine der wertvollsten Banken des Landes wird massiv kritisiert, es geht um Mängel, Betrügereien, Geldwäsche — eigentlich ein gutes Thema für “Bild”, doch das Blatt bleibt stumm. Auch die “Welt” druckte lediglich einen mickrigen Artikel zu den verschwundenen 80.000 Euro. Sonst nichts. Das wird doch wohl nicht etwa daran liegen, dass der Axel-Springer-Verlag an N26 beteiligt ist?

Mit Dank an Jörg G.!

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Zu Beginn der Grillsaison 2017 fragte Bild.de:

Schlagzeile Bild.de: Wie viel Fleisch muss ich pro Gast einplanen?

Die Antwort gab Fleischexperte Werner Braun: Zu beachten sei, …

welche Sorten Sie anbieten wollen: Stark marmoriertes Fleisch wie etwa ein Ribeye-Steak hat einen höheren Fettanteil und sättigt mehr als fettarme Teile wie beispielsweise ein Schweinefilet.

Empfehlung pro Person:

200 bis 220 Gramm

Zu Beginn der diesjährigen Grillsaison schreibt Bild.de:

Schlagzeile Bild.de: Faustformel verrät, wie viel Fleisch Sie einkaufen sollten

Zu Wort kommt Fleischexperte Werner Braun: Zu beachten sei, …

welche Sorten Sie anbieten wollen: Stark marmoriertes Fleisch wie etwa ein Rib-Eye-Steak hat einen höheren Fettanteil und sättigt mehr als fettarme Teile wie ein Schweinefilet.

Empfehlung pro Person:

300 bis 350 Gramm

Während er vor zwei Jahren also noch 200 bis 220 Gramm empfahl, sind es dieses Jahr schon 300 bis 350 Gramm. Das könnte natürlich damit zu tun haben, dass der “Experte” vom Fleischerverband Bayern kommt und hauptsächlich daran interessiert ist, viel Fleisch zu verkaufen. Aber vielleicht wollen Bild.de und der Fleischmann auch nur noch ein paar Reserven anhäufen, bevor uns die Ausländer auch noch unsere Würstchen wegnehmen:

Titelschlagzeile Bild vom 13. April: Chinesen kaufen unser Grill-Fleisch weg!

Mit Dank an Anton H.!

Bild  

“Bild”, Kai Diekmann und der Wunder-Krebstest

Vor zwei Monaten verkündete die “Bild”-Zeitung eine “Weltsensation”, die jedoch gar keine war — und die sich zu einem wissenschaftlichen und journalistischen Skandal entwickelte, zu dem inzwischen sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt. Beteiligte, unter anderem: die Uniklinik Heidelberg und ein chinesisches Pharmaunternehmen. Auch Ex-“Bild”-Chef Kai Diekmann spielt bei der Geschichte eine Rolle.

Eine Chronik.

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21. Februar 2019: Exklusiv bejubelt die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite eine “Weltsensation aus Deutschland”:

Es sei “ein echter Durchbruch”, heißt es da, eine “medizinische Sensation”:

Seit vielen Jahren wird daran geforscht, Krebs im Blut zu erkennen. Ärzte der Universitätsklinik Heidelberg erreichten jetzt revolutionäre Ergebnisse: Sie weisen mit einem Test Brustkrebs im Blut nach. Und zwar mit einer Treffsicherheit, die vergleichbar ist mit der einer Mammografie! Wie BILD exklusiv erfuhr, soll der Bluttest noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

Im Innenteil: ein großes Interview mit Christof Sohn, dem Geschäftsführenden Ärztlichen Direktor der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg.

Darin darf er den Bluttest ausführlich bewerben: viel sicherer als bisherige Tests, hohe Treffsicherheit, besonders gut für Risikopatientiennen, und so weiter und so fort.

Am selben Tag gibt die Uniklinik eine Pressemitteilung heraus, in der sie die “neue, revolutionäre Möglichkeit” des Bluttests noch einmal selbst feiert: “Dies ist ein Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik”, schreibt sie.

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21. bis 27. Februar 2019: Andere Medien greifen die Geschichte auf. Dabei melden einige schon Zweifel an, etwa “Spiegel Online” oder die “Zeit”. Viele aber, etwa “Focus Online” oder “DerWesten”, verlassen sich blind auf “Bild” und bezeichnen den Bluttest ihrerseits als “Sensation”, “Durchbruch” oder “Revolution”.


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27. Februar 2019: Sieben renommierte Verbände, von der Deutschen Krebsgesellschaft über die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bis zur Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, geben eine gemeinsame Stellungnahme heraus, in der sie die Berichterstattung kritisieren:

Eine Berichterstattung, die ohne Evidenzgrundlage Hoffnungen bei Betroffenen weckt, ist aus unserer Sicht kritisch zu bewerten und entspricht nicht den von uns vertretenen Grundsätzen medizin-ethischer Verantwortung.

Es sei einfach noch zu früh für Jubelstimmung, so die Experten: Die Studie sei “noch nicht abgeschlossen, die Ergebnisse sind nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert und der Test noch nicht zugelassen”. Daher “halten wir Schlussfolgerungen über die Validität und den klinischen Nutzen für verfrüht und raten ausdrücklich davon ab, diagnostische oder therapeutische Entscheidungen basierend auf Blutuntersuchungen zu treffen, die nicht von nationalen oder internationalen Leitlinien empfohlen werden.”

In den nächsten Tagen häuft sich die Kritik an der “Bild”-Berichterstattung, aber auch am Vorgehen der Heidelberger Forscher. So schreibt etwa Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:

Nach üblichen wissenschaftlichen Standards veröffentlichen Forscher zuerst eine Studie in einer Fachzeitschrift, die dort begutachtet wird, und gehen erst dann an die Presse. Beim Bluttest wurde dieser Standard nicht eingehalten. Die Heidelberger Forscher sind zuerst medienwirksam zur BILD-Zeitung gegangen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung liegt nicht vor.

***

8. März 2019: Der Journalist Jan-Martin Wiarda berichtet in seinem Blog und bei den “Riffreportern” ausführlich über den Fall und deckt weitere Merkwürdigkeiten auf. “Welche Rolle spielt das Joint Venture mit einem chinesischen Pharma-Unternehmen?”, fragt er unter anderem, denn: Partner der Uniklinik sei ein chinesisches Pharmaunternehmen, dessen Aktienkurs seit einigen Tagen, insbesondere seit der gehypten Berichterstattung über den Bluttest, einen steilen Anstieg zeige.

Erstmals äußert sich auch Christof Sohn, der Geschäftsführende Ärztliche Direktor der Universitäts-Frauenklinik, der von “Bild” groß interviewt wurde, zur Formulierung “Weltsensation”: Diese Schlagzeile sei nicht angebracht gewesen, er habe sie vor Veröffentlichung auch nicht gekannt, und er und seine Kollegen hätten sie “in dieser Form” nicht mitgetragen.

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20. März 2019: Die “Rhein-Neckar-Zeitung” (“RNZ”) steigt in die Berichterstattung ein und leistet in den darauffolgenden Wochen ausgezeichnete journalistische Arbeit; ihre zahlreichen Artikel sind unter rnz.de/heiscreen nachzulesen.

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22. März 2019: Der Aktienkurs des chinesischen Pharmaunternehmens erreicht den höchsten Stand seit acht Monaten. Seit dem 21. Februar, dem Erscheinungstag des “Bild”-Artikels und der Pressemitteilung der Uniklinik, ist der Kurs um fast 60 Prozent gestiegen:

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23. bis 29. März 2019: Die Kritik reißt nicht ab. Das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg erklärt in der “RNZ”, dass die “verfrühte Kommunikation nicht den hohen Ansprüchen an eine verantwortungsvolle Wissenschaftskommunikation entspreche”. Gerade im medizinischen Bereich, “der für die Betroffenen mit so viel Ängsten und großer Hoffnung verbunden ist, darf es keine Effekthascherei geben”. Auch die Heidelberger Universität teilt mit, dass sie “eine umfassende Klärung der Vorgänge für zwingend erforderlich” halte.

Die Uniklinik ist derweil um Schadensbegrenzung bemüht. Sie “bedauert, dass es zu Irritationen gekommen ist” und verkündet die Gründung einer internen Arbeitsgruppe und einer externen Expertenkommission, die die Vorgänge aufarbeiten sollen.

Außerdem distanziert sie sich von der PR-Strategie zum Bluttest: Die Medienbegleitung habe die Heiscreen GmbH verantwortet, sagt die Kliniksprecherin der dpa. (Die Heiscreen GmbH wurde 2017 gegründet und soll den Bluttest in Deutschland vermarkten. Hauptanteilseigner ist eine Tochterfirma der Uniklinik, weitere Anteile hält über eine Beteiligungsgesellschaft der schillernde Unternehmer Jürgen Harder. Auch der von “Bild” interviewte Christof Sohn und eine weitere Ärztin der Uniklinik sind an der Heiscreen GmbH beteiligt.)

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30. März 2019: Der “Spiegel” berichtet über “Das Märchen vom Wundertest aus Heidelberg” und bringt einen alten Bekannten ins Spiel:

Wie die angebliche Weltsensation am Ende genau in der “Bild”-Zeitung landete, ist zwar nur schwer nachzuvollziehen. Fest steht aber: Ohne Zustimmung vonseiten des Universitätsklinikums ist dies nicht geschehen. Auch ein weiterer Bekannter Harders war daran offenbar beteiligt: Ex-“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der sich dazu nicht äußern will. Aber was wäre der Mann für ein Journalist, wenn er sich nicht dafür einsetzen würde, dass ein Thema, das ihm am Herzen liegt, in seine alte Zeitung kommt?

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4. April 2019: Die Uniklinik erstattet Anzeige gegen Unbekannt — warum genau, wird allerdings nicht klar. In einer Pressemitteilung teilt sie lediglich mit, dass sie sich “aufgrund der Anzeichen eines unlauteren Vorgehens bei der Entwicklung und Ankündigung” des Bluttests zu diesem Schritt veranlasst sehe. Der Sprecher der Heidelberger Staatsanwaltschaft erklärt in der “RNZ”, in der eingegangenen Anzeige stünden “weder der vermutete Tatbestand, noch weitere Hintergründe zum Sachverhalt, noch Personen, gegen die sich die Strafanzeige richtet.” Das sei sehr ungewöhnlich. Sollte sich jedoch ein Anfangsverdacht ergeben, werde die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen.

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6. April 2019: Die “RNZ” berichtet, dass Vorstand und Pressestelle des Klinikums “sehr frühzeitig in die unseriöse PR-Kampagne eingeweiht” waren. So sei das “Bild”-Interview …

sowohl von der Pressestelle der Uniklinik als auch von zwei Vorständen gegengelesen worden. Achtete die Ärztliche Direktorin Annette Grüters-Kieslich auf inhaltliche Korrekturen, so freute sich der Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, über die wissenschaftliche Korrektheit: “Präziser, als ich es ‘Bild’ zugetraut hätte”.

Auch die Pressemitteilung der Klinik sei “in großer Runde abgesprochen” worden. Der Entwurf sei unter anderem an Kai Diekmann geschickt worden.

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11. April 2019: Die “RNZ” geht genauer auf die Rolle Diekmanns ein:

Kai Diekmann war von 2001 bis 2015 Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. 2018 startete er mit dem Investmentbanker Lenny Fischer den “Zukunftsfonds”. Die Markenstrategie für diesen Kapitalanlagefonds entwickelte die Digitalagentur “diesdas.digital” — die auch für die Heiscreen GmbH den Internetauftritt machte. Diekmann war “bei mehreren Treffen” in Sachen Brustkrebstest dabei, wie er der RNZ sagte, “aus Interesse”. Finanziell beteiligt sei er aber nicht. Jürgen Harder bezeichnet er gegenüber der RNZ als “persönlichen Freund”.

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11. April 2019: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen auf. Genauer: die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim. Die Anweisung dazu habe die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erteilt, schreibt die “RNZ”:

Hintergrund der Ermittlungen soll unter anderem der Verdacht auf Kursmanipulation und Insiderhandel mit Aktien sein. Die “Bild”-Schlagzeile “Weltsensation aus Heidelberg” könnte in diesem Szenario eine gewichtige Rolle spielen, weil sie womöglich den Kurs einer Aktie in China beflügelt hat. Zwar gibt man sich bei der Justiz bedeckt und verweist lediglich auf erste Erkenntnisse durch die Berichterstattung der RNZ — ermittelt wird schließlich “in allen rechtlichen Belangen”. Dennoch kam schnell der Verdacht auf, dass hinter dem “Bluttest-Skandal” im Grunde ein Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz stecken könnte.

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14. April 2019: In der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (“FAS”) kritisiert die Leitende Ärztliche Direktorin des Klinikums, Annette Grüters-Kieslich, die Wortwahl der “Bild”-Zeitung:

“Die Schlagzeile einer Boulevardzeitung, die von einer Weltsensation in diesem Zusammenhang sprach, hat mich betroffen gemacht. Als Ärztin und Wissenschaftlerin hätte ich niemals von einer Weltsensation gesprochen; ich habe eine solche Wertung stets als vollkommen irreführend angesehen.” Man sei damit befasst, die Verantwortlichkeiten zu klären und werde die Öffentlichkeit so schnell wie möglich informieren.

Zudem deckt die “FAS” neue Details auf. So sei für die PR-Kampagne unter anderem Christina Afting zuständig gewesen — die frühere Büroleiterin von Kai Diekmann bei “Bild”. Mit der “Bild”-Berichterstattung, so Afting, habe sie jedoch nichts zu tun gehabt. Laut “FAS” soll die PR-Kampagne etwa 80.000 Euro gekostet haben.

Neben den Staatsanwälten aus Mannheim würden sich demnächst auch Spezialermittler des Landeskriminalamtes mit dem Fall befassen, schreibt die “FAS”.

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Heute: Noch sind eine Menge Fragen offen. Fest steht aber: Viele Details wären ohne die hartnäckige Arbeit einiger Journalisten, vor allem von “Riffreporter” Jan-Martin Wiarda und den Journalisten der “Rhein-Neckar-Zeitung”, wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt. Und: Obwohl die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung, insbesondere die Bezeichnung als “Weltsensation”, von Experten als verantwortungslos und selbst von der Klinikleitung als “vollkommen irreführend” gewertet wird, steht sie auch heute noch unverändert online.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Nachtrag, 26. April: Wir haben die Überschrift und den ersten Absatz geändert, weil der Eindruck entstehen konnte, dass die Staatsanwaltschaft in der Sache gegen Kai Diekmann ermittelt. Dem ist nicht so.

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Nachtrag 2, 26. April: Inzwischen liegt der “RNZ” die Rechnung für die PR-Kampagne vor, die die Düsseldorfer Beratungsagentur Deekeling Arndt Advisors an die Heiscreen GmbH geschickt hat:

79.420,78 Euro rechnen die Berater ab. Sie übernahmen das gesamte Projektmanagement rund um die PR-Kampagne: das Kommunikationskonzept, die Pressemitteilung, die Pressekonferenz am 21. Februar auf einem Kongress in Düsseldorf sowie die Beantwortung und Koordination von Medienanfragen.

Besonders intensiv abgestimmt wurde die Kampagne offenbar in den zehn Tagen vor dem großen Aufschlag am 21. Februar. “Tägliche Telefonkonferenzen zwischen dem 12. und 22. Februar 2019”, listet die Agentur auf. In Rechnung gestellt werden “enge telefonische Abstimmungen und Rücksprachen” unter anderen mit dem früheren “Bild”-Chef Kai Diekmann, Heiscreen-Geschäftsführer Dirk Hessel, den Bluttest-Erfindern Sarah Schott und Christof Sohn, Harders Anwalt Thomas Dörmer sowie Doris Rübsam-Brodkorb, der Pressesprecherin des Universitätsklinikums.

Bemerkenswert ist die enge Abstimmung mit Kai Diekmann, dem Ex-Chefredakteur der “Bild”-Zeitung und persönlichen Freund von Jürgen Harder. Dazu passt: Die Rechnung hat Christina Afting geschickt. Sie ist “Managing Director” bei der Agentur — und leitete früher das Büro Diekmann bei der “Bild”.

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23.Mai: Das Blog “Medwatch” berichtet, dass der Test “anders als bislang kommuniziert nicht nur nicht marktreif ist — sondern eigentlich wertlos.” Das gehe aus Unterlagen hervor, die “Medwatch” von der Pressestelle der Uniklinik erhielt.

Demnach erhält fast jede zweite gesunde Frau einen falsch positiven Befund — was bislang öffentlich nicht thematisiert wurde. Bei Frauen, die älter als 50 Jahre sind, ist der Wert etwas besser: Bei diesen erhält gut jede vierte gesunde Frau einen falschen Krebsbefund, doch übersieht der Test bei zwei von fünf Brustkrebspatientinnen über 50 den Tumor.

Als besonders vielversprechend bezeichnete die Uniklinik den Test für Frauen bis 50, sowie für Hochrisikopatientinnen mit genetischen Mutationen. Dabei schlägt der Test bei der jüngeren Gruppe von Brustkrebspatientinnen zwar in 86 Prozent aller Fälle korrekt an, doch liegt hier die Spezifität bei nur 45 Prozent: Der Test liefert also bei 55 Prozent der gesunden Frauen einen falsch positiven Befund. Bei Hochrisikopatientinnen liegt die Sensitivität bei 90 Prozent, doch wiederum erhält mehr als jede zweite gesunde Frau einen falschen Krebsbefund. Dies hieße, dass ein Großteil aller Frauen, die über den Bluttest einen Krebs-Befund erhalten, in Wahrheit gesund sind.

“Medwatch” kritisiert auch die Berichterstattung verschiedener Medien, etwa die des “Focus”, der auch noch einen Monat nach Lautwerden der Zweifel titelte: “Die Sensation aus Heidelberg: Mit Bluttest Brustkrebs erkennen”.

Focus-Titselseite: Wie wir den Krebs besiegen - Mediziner können immer mehr Krebsarten erfolgreich behandeln - kleiner Schlagzeile auf der Titelseite: Die Sensation aus Heidelberg - Mit Bluttest Brustkrebs erkennen

Die “Bild”-Zeitung habe ihre Leser “bislang noch nicht über die weiteren Entwicklungen” informiert, schreibt “Medwatch”. Auf “mehrere Fragen zur Berichterstattung über den Bluttest” habe der Axel-Springer-Verlag geantwortet: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir redaktionelle Prozesse und Entscheidungen grundsätzlich nicht kommentieren.”

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16. August: Der Deutsche Rat für Public Relations hat die “Täuschung der Öffentlichkeit im Fall HeiScreen” gerügt:

Nach intensiver Überprüfung und Anhörung aller beteiligten Parteien hat der Deutsche Rat für Public Relations dem Vorstand des Universitätsklinikums Heidelberg und der HeiScreen GmbH eine Rüge wegen bewusster Falschbehauptung und Täuschung der Öffentlichkeit ausgesprochen. (…)

Der Rat hatte sich zur Prüfung des Falles entschieden und sieht es als erwiesen an, dass beide Parteien bei der Vorstellung des „neuen“ Verfahrens zur Diagnose von Brustkrebs eine öffentliche Produktvorstellung zugelassen und begleitet haben, die weder in Wortwahl, Zeitpunkt und Format angemessen, noch im Hinblick auf abgeschlossene Studien und die angekündigte Marktreife der Wahrheit entsprochen hat.

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29. August: Nach mehrfacher Beschwerde beim “Ombudsmann” hat “Bild” nun eine Anmerkung unter den Artikeln veröffentlicht (Links im Original):

Aktualisierung – August 2019
Die Uniklinik Heidelberg hat mittlerweile zurückgenommen, dass der oben beschriebene Bluttest zur Erkennung von Brustkrebs noch dieses Jahr auf den Markt kommen wird.

Eine unabhängige Prüfkommission hat als Zwischenergebnis unter anderem veröffentlicht, dass der Test zu früh der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, es „Führungsversagen“ und „Machtmissbrauch“ an der Universitätsklinik gab.

Inzwischen sind der Medizin-Dekan der Heidelberger Uniklinik sowie zwei Mitglieder des Vorstandes zurückgetreten. Außerdem wurde dem Direktor der Unifrauenklinik für drei Monate die Lehr- und Forschungserlaubnis entzogen.

BILD veröffentlichte am 21. Februar 2019 einen Artikel über den neuen Bluttest. Der Text basierte auf einer offiziellen Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg, in der der neue Test als „revolutionäre Möglichkeit“ und als „Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik“ bezeichnet wurde, sowie auf einem autorisierten Interview. Der Test wurde am 21.2. außerdem auf dem Gynäkologen-Kongress in Düsseldorf vorgestellt.

Wie geht es mit dem Test nun weiter? Das ist im Moment unklar. Abzuwarten bleibt, was die angekündigten größeren Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit des Tests ergeben. Dass diese noch ausstehen, hatte Bild direkt zu Anfang geschrieben (siehe hier). Die Ergebnisse lassen aber weiterhin auf sich warten.

BILD informiert, sobald es neue, fundierte Angaben zum Test gibt.

Sonst hat sich aber nichts geändert. Überschrift, weiterhin: “Warum dieser Test eine Weltsensation ist”.

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13. September: Nun wurde die Berichterstattung auch vom Deutschen Presserat gerügt:

Eine Rüge erhielt BILD.DE für die Veröffentlichung einer Exklusiv-Geschichte unter der Überschrift „Erster Blut-Test erkennt zuverlässig Brustkrebs“ über einen von Heidelberger Forschern entwickelten Brustkrebs-Test. Der Beschwerdeausschuss stellte Verstöße gegen die gebotene Sorgfalt in der Medizin-Berichterstattung (Ziffern 2 und 14 des Pressekodex) fest. Der Artikel über das als „medizinische Sensation“ beschriebene Testverfahren beruhte allein auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums und Aussagen der beteiligten Forscher und war geeignet, unberechtigte Hoffnungen bei Betroffenen zu wecken. Wie sich später herausstellte, hatten die Forscher den Stand des Testverfahrens positiver dargestellt, als es dem Forschungsstand entsprach. Die Redaktion hatte bei ihrer exklusiven Berichterstattung versäumt, die gemachten Angaben durch weitere Quellen zu überprüfen.

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Judenhass? Pfui! Moslemhass? Naja.

Im vergangenen Monat hat der Verfassungsschutz eine Broschüre zum Thema “Antisemitismus im Islamismus” herausgebracht. Darin wird unter anderem erläutert, dass im Jahr 2017 in Deutschland mehr als 100 antisemitische Vorfälle mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund registriert wurden.

Inzwischen hat auch “Bild” die Broschüre entdeckt — und ihr heute einen prominent platzierten Artikel auf Seite 2 gewidmet:

Großer Artikel auf Seite 2 der Bild-Zeitung - Überschrift: Verfassungsschutz warnt - Antisemitismus von radikalen Muslimen immer schlimmer!

Wenn es um Gewalt und Hetze gegen Juden geht, ist die Empörung — zurecht — gleich immer groß bei den “Bild”-Medien. Wenn es um Gewalt und Hetze gegen Muslime geht, hält sie sich dagegen in Grenzen. Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass 2017 in Deutschland mehr als 950 islamfeindliche Vorfälle registriert wurden, war das der “Bild”-Zeitung nur eine Randnotiz wert:

Kleine Meldung auf der Titelseite der Bild-Zeitung: Mindestens 950 Angriffe auf Muslime - Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland mindestens 950 Angriffe auf Muslime und muslimische Einrichtungen wie Moscheen. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion hervor, berichtet die NOZ
(Unten links, die Sechs-Zeilen-Meldung über den Lotto-Zahlen.)

Eine Relation mit Tradition: Über Judenhass regen sich die “Bild”-Leute auch sonst viel mehr auf als über Moslemhass. Und am meisten regen sie sich auf, wenn Juden die Opfer sind und Muslime die Täter. Erst gestern schrieb Michael Wolffsohn in einem “Bild”-Kommentar, in dem es eigentlich darum geht, dass ein Gemälde von Emil Nolde wegen dessen Vergangenheit im Nationalsozialismus aus dem Kanzerlamt entfernt wurde:

Streiten kann und muss man über die Frage, ob, wo – gar im Kanzleramt? – und wie in einer Demokratie „belastete Kunst“ gezeigt werden solle. Unbestreitbar wollte Frau Merkel auch (neudeutsch) ein „Zeichen“ gegen Antisemitismus setzen.

Gegen Zeichen dieser Art ist — Merkel-Lob — weniger als nichts einzuwenden.

Es wäre freilich überzeugender, wäre diese Entscheidung zu einem weniger politisch überkorrekten (um nicht zu sagen: opportunistisch) gewählten Zeitpunkt getroffen worden. Erst recht überzeugender würde die wirkliche First Lady Deutschlands handeln, wenn ihre Regierung es nicht bei wohlfeilen Lippenbekenntnissen und leeren Gesten beließe.

Sie sollte den in Deutschland dominanten islamischen Antisemitismus wort- und tatenreich bekämpfen. Stattdessen beteiligt sich Deutschland unter ihrer Regie, gemeinsam mit Außenminister Heiko Maas an maßlos antiisraelischen und teils antijüdischen UNO-Entschließungen. Auf diese Weise werden Legenden zu Völkerrecht umfunktioniert.

So schnell gelangt man bei “Bild” von der Vergangenheit eines deutschen Malers zum “in Deutschland dominanten islamischen Antisemitismus” von heute.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir finden es richtig, groß über Antisemitismus jeder Art zu berichten. Aber warum nicht ähnlich groß über Islamfeindlichkeit?

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