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Polizeilicher Datenskandal, Linksunten-Klagen, Strunz auf Viagra

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1b. Datenskandal bei der Polizei: Offenbar zehntausende Unschuldige gespeichert
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Es ist ein Datenskandal größeren Ausmaßes: Im Rahmen der Aufarbeitung der 32 nachträglich entzogenen G20-Akkreditierungen stellt sich nun heraus, dass offenbar zehntausende Unschuldige ungerechtfertigt in polizeilichen Datenbanken gespeichert werden. Die Tagesschau spricht gar von Millionen möglicherweise rechtswidriger Daten. Das allgemeine Entsetzen ist groß. Zunächst einmal bei Medien und Journalistenverbänden: Der Deutsche Journalisten-Verband fordert vom Bundeskriminalamt Aufklärung darüber, welche Daten von Journalistinnen und Journalisten aus welchen Gründen gespeichert sind. Und auch die „Reporter ohne Grenzen“ fordern eine Klärung und Beendigung der bisherigen Speicherpraxis: BKA-Datensammlung aufklären und abstellen
Doch es geht längst nicht nur um Journalisten. In den Datenbanken seien zehntausende von Menschen gespeichert, oft wegen Fehlern oder aus nichtigen Gründen. Einige Beispiele unter vielen: Allein unter „Gewalttäter Sport“ seien ca.11.000 Menschen erfasst, von denen viele niemals für eine Straftat verurteilt wurden. Und offenbar befänden sich zehntausende Gelegenheitskiffer ungerechtfertigt in den stigmatisierenden Datenbanken. „Netzpolitik“-Autor Reuter rät am Ende seines Beitrags, im Bedarfsfall eine Selbstauskunft beim BKA oder dem jeweiligen Wohnort-LKA einzuholen und verweist auf entsprechende Musterschreiben.

2. “Wir werden noch lange Zeitungen auf Papier lesen”
(horizont.net, Volker Schütz)
Die „FAZ“ hat ihre Webseite überarbeitet oder neudeutsch ausgedrückt: „relauncht“. „FAZ“-Digitalchef Mathias Müller von Blumencron spricht im Interview über die weitere Digitalstrategie des Frankfurter Verlagshauses: Man setze auf Personalisierung und wolle dem Leser vermehrt Nachrichten anzeigen, die seine Interessen treffen. Dazu analysiere man das Surfverhalten der sich hierfür angemeldeten Leser. (Richtigerweise fasst der Interviewer hier nach und spricht mögliche Bedenken an.) Und ab Herbst wolle man die Anzahl der kostenpflichtigen Geschichten erhöhen. Von Blumencron redet außerdem über die Erfahrungen der „FAZ“ mit Paid Content, das Verhältnis zwischen Print- und Online-Redaktion und gibt eine Einschätzung zum Thema „Roboterjournalismus“ ab.

3. Eine Dampfwalze hat Terry Pratchetts unveröffentlichte Werke zerstört
(wired.de)
Der letzte Wille des Schriftstellers Terry Pratchett, bekannt für seine „Scheibenwelten“-Romane, sah es so vor: Eine Dampfwalze überrollte die Festplatte des berühmten Fantasy-Autoren und zerstörte damit all die zehn Romane, an denen er bis zu seinem Tod gearbeitet haben soll. Randnotiz: Für Pratchetts Nachlassverwalter sei es erstaunlich schwer gewesen, einen Dampfwalzenfahrer zu finden, der zu der Aktion bereit war.

4. Klagen gegen „linksunten“-Verbot
(taz.de, Christian Rath)
Vor wenigen Tagen hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) das Verbot der Webseite „Indymedia linksunten“ verkündet. Dagegen und gegen die damit verbundenen Hausdurchsuchungen der angeblichen Betreiber, klagen nun mehrere Anwälte. Die Klagen haben jedoch keine aufschiebende Wirkung, das Verbot von „linksunten“ bleibt damit zunächst bestehen. Der rechtspolitische Korrespondent der „taz“ Christian Rath fasst zusammen, worum es bei der rechtlichen Auseinandersetzung zunächst geht.

Weiterer Lesetipp: Rechtsanwalt Heinrich Schmitz hat sich für seine Kolumne bei „Tagesspiegel“-Causa die Rechtmäßigkeit der Aktion angeschaut und befindet: Ein Vereinsverbot aus politischen Gründen

5. Die erfundenen Plünderer von Houston“
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Der Tropensturm Harvey hat in Texas nach tagelangem Regen zu einer Hochwasserkatastrophe geführt. Die mediale Aufmerksamkeit auf der Wetterkatastrophe rief einige Rassisten auf den Plan: Über Fake-Profile verbreiteten sie Nachrichten und Bilder, die Schwarze auf Diebestour in Houston zeigen sollen. Kristin Becker vom „Faktenfinder“ erklärt die infame Methode der Hetzer und Nachrichtenfälscher.

6. Voll auf Viagra
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Man kann von Claus Strunz zurückhaltend von einem meinungsstarken Journalisten sprechen, der nicht nur das „Sat1-Frühstücksfernsehen“ produziert, sondern dort auch regelmäßig als Kommentator aktueller Ereignisse zu sehen ist. Man kann ihn aber auch, wie Boris Rosenkranz dies auf „Übermedien“ tut, als „eine Mischung aus AfD, CSU und einem besserwissenden Mittelstufenschüler und Klassensprecher aller Populisten“ bezeichnen. Ein von Rosenkranz geschnittenes zweiminütiges Best-of-Video zeigt den TV-Populisten Strunz bei der Arbeit.

Hetzername, Fette Diätwerbung, Suizidklickmasche

1. Urteil: taz darf Hetzer weiter beim Namen nennen
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
In einem öffentlichen Facebook-Kommentar forderte ein Mann unter Angabe seines Klarnamens, man müsse „Genderlesben und Politikern jeweils 8×9 mm in das dumme Gehirn zu jagen.“ Die “taz” berichtete über den Vorgang und nannte dabei auch den Namen des Kommentierers. Dagegen setzte sich dieser zur Wehr und verklagte die Zeitung auf Unterlassung. Mit der Behauptung, jemand hätte sich Zugang zu seinem Facebook-Account verschafft und unter seinem Namen kommentiert. In zweiter Instanz entschied das Gericht nun, dass der Kläger tatsächlich der Urheber der Hassbotschaft sei und sich die Berichterstattung gefallen lassen müsse.

2. Bei Diät-Werbung macht sich der Bauer-Verlag einen schlanken Fuß
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer berichtet auf “Übermedien” über die freche Schleichwerbungsmasche von „Alles für die Frau“ aus dem Bauer-Verlag: “Jede Woche schwärmt die Redaktion darin im Wechsel für jeweils ein bestimmtes Diätprogramm, homöopathisches Schlankmittel und eine Fitnessstudiokette. Eine ernsthafte oder gar kritische Auseinandersetzung mit den Programmen und Produkten findet nicht statt. Über 130 solcher Artikel sind in den letzten zweieinhalb Jahren erschienen (so weit reicht unser Archiv zurück; insgesamt sind es wahrscheinlich noch viel mehr).”

3. “Kernmodell Journalismus” statt e-Commerce
(deutschlandfunk.de, Thomas Wagner)
Der “Deutschlandfunk” hat mit Eric Gujer, dem Chefredakteur der “NZZ”, über die Zukunft des traditionsreichen Schweizer Medienhauses gesprochen. Natürlich geht es um Fragen der Finanzierung, denn die “NZZ” leistet sich unter anderem eine kostspielige Auslandsberichterstattung. Die Konzepte der Konkurrenz will Gujer nicht übernehmen: “Das, was ja die meisten anderen unter multimedialer Strategie verstehen, heißt ja: Wir haben noch einen e-Commerce-Shop für Hundefutter. Und wir machen noch irgendeine Inserate-Plattform für Immobilienanzeigen im Internet und solche Dinge. Und das wollen wir dezidiert nicht. Wir glauben daran, dass das Kernmodell Journalismus, gute Inhalte, auch heutzutage noch lohnen kann.”

4. Langer Atem
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Der Musiker Herbert Grönemeyer hat sich in drei Verfahren vor dem Landgericht Köln erfolgreich gegen die Berichterstattung über eine Auseinandersetzung mit einem Fotografen und einem Kameramann auf dem Flughafen Köln-Bonn im Dezember 2014 gewehrt. Es ging um Behauptungen, Grönemeyer hätte zwei Fotoreporter geschlagen und verletzt. Angeblich von Videos belegt, die sich als “bewusst unvollständig”, also irreführend zusammengefügt herausgestellt hätten. Der Fall sei damit noch nicht abgeschlossen: Vermutlich werde die Staatsanwaltschaft Köln die Fotografen wegen Verdachts der Falschaussage anklagen.

5. Hoax? Medienhype mit Suizid im Netz
(ndr.de, Gudrun Kirfel)
Medien berichten reißerisch über ein WhatsApp-Spiel, das Jugendliche angeblich in den Tod treiben will: die angebliche “Blue Whale Challenge”. Doch gibt es das Spiel überhaupt? Das würden viele Journalisten selbst nicht wissen, aber trotzdem munter drauflos fabulieren. “Zapp” hat recherchiert, was an der Sache dran ist. Nicht viel: Außer einigen Trittbrettfahrern, die mit dem Hype um das angebliche Spiel Klicks machen, haben die Zapper nichts gefunden.

6. Alessio geht es nicht gut
(taz.de, Hengameh Yaghoobifarah)
Manchmal geraten Kinder von Promis ins Fadenkreuz von Social Media und werden zu Opfern von Hass und Spott, der eigentlich ihren Eltern gilt. So zum Beispiel beim Sohn des mittlerweile getrennten Promipaars Sarah und Pietro Lombardi, aber auch beim Sohn des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. “taz”-Autorin Hengameh Yaghoobifarah plädiert für mehr Zurückhaltung: “Das öffentliche Leben als Promi-Kind ist belastend genug. Der zusätzliche Hohn ist unnötig und geschmacklos.”

Freundliche Volksverhetzer, Millionäre-Check, Kommentare-Quiz

1. Keine Zeit für den Fascho-Check
(taz.de, Dinah Riese)
Eine verurteilte Volksverhetzerin postet bei Instagram ein Foto von sich mit einer Cola in der Hand und hinterlässt einen freundlichen Spruch. Das Social-Media-Team des Hamburger Brauseherstellers antwortet nett zurück, ohne zu wissen, um wen es sich auf dem Foto handelt — und bekommt dafür ordentlich Online-Haue. Dinah Riese fragt: Zu Recht? Zu Unrecht? “Gehört es zu den grundlegenden Kompetenzen von Social-Media-Redakteur*innen, Mitglieder der rechten Szene zu erkennen?”

2. Zahal, Dschihad und anderes
(juedische-allgemeine.de, Daniel Killy)
Die Vorwürfe, die Daniel Killy bei der “Jüdischen Allgemeinen” in Richtung “DRadio Wissen” schickt, haben es in sich: Der Sender habe einen Beitrag über zwei junge Jüdinnen verhindert, weil er nicht Israel-kritisch genug gewesen sei. “DRadio Wissen” hat inzwischen auf die Anschuldigungen geantwortet: Anders als die “Jüdische Allgemeine” suggeriere, “wurde der fragliche Beitrag nicht aus inhaltlichen, sondern aus handwerklichen Gründen von der Redaktion abgelehnt.”

3. Deutsche rechnen mit Fake News — und informieren sich vor allem im Fernsehen
(horizont.net, Marco Saal)
In einer “Exklusivumfrage zur Bundestagswahl” hat “Horizont” herausfinden lassen, auf welchem Wege sich die Deutschen zu politischen Themen informieren (Junge: Internet, Alte: Fernsehen). In die Überschrift hat es allerdings ein anderes Umfrage-Thema geschafft: “Fake News”. “Deutsche rechnen mit Fake News”, steht über dem Text von Marco Saal. Das stimmt schon, aber nicht die Mehrheit, sondern 44 Prozent. Der größere Teil der Befragten, 51 Prozent, glaubt hingegen, dass Falschmeldungen im Bundestagswahlkampf keine Rolle spielen werden (wobei man die Gleichsetzung von “Fake News” und “Falschmeldungen” durch “Horizont” sicher kritisch sehen kann).

4. Millionäre lieben Deutschland — und wandern nicht aus
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
“Tausende Millionäre verlassen Deutschland”, schreibt das “Manager Magazin”. “Business Insider” alarmt: “Massen-Auswanderung”. Und “Sputnik” fragt in freudiger Endzeitstimmung: “Sinkt das Schiff?” Thomas Knüwer hat sich die Zahlen, die eine südafrikanische Beratungsgesellschaft namens “New World Wealth” veröffentlicht hat, und aus denen einige Medien in Deutschland Artikel gebaut haben, genauer angeschaut. Er klingt selbst ein wenig überrascht, wie viele Zweifel er “mit nur einer Viertelstunde googlen” erzeugen konnte.

5. Wie die Medien zu Parteien wurden
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal beobachtet, dass Medienunternehmen “zu politisch-idealistischen Kampfgruppen” würden, “die die Richtung der Politik bestimmen wollen und können”: “So wurden die großen Medien, die ‘dem Internet’ vor Jahren noch erzählten, was guter und verantwortungsvoller Journalismus ist (nämlich professionelle Zurückhaltung), im Verlauf eines knappen Jahrzehnts zu Parteien, die für die gute Sache kämpfen — so wie politische Parteien, Internet-Konzerne oder NGOs seit jeher für sich in Anspruch nehmen, für die gute Sache zu kämpfen: To Make The World A Better Place.” Das sei “nicht die schlechteste Entwicklung”, findet Michal.

6. Haben Sie’s gelesen?
(sueddeutsche.de, Silke Bigalke)
Nun gibt es hier im BILDblog keine Kommentarfunktion. Aber wenn es sie gäbe, und Sie kommentieren wollten, dann müssten Sie erstmal eine Frage beantworten, die mit diesem Blogpost zu tun hätte. Zum Beispiel: Wie heißt die südafrikanische Beratungsfirma, deren Zahlen Thomas Knüwer hinterfragt? So macht es jedenfalls das norwegische Technik-Blog “NRKbeta”, das zum staatlichen Sender “NRK” gehört: Wer kommentieren will, muss vorher drei simple Fragen beantworten, die sich auf den Text beziehen, den man kommentieren möchte. Das soll Hitzköpfe ausschließen, die nur rumpöblen wollen. Und funktioniert in den ersten Testwochen recht gut.

Julian Reichelts Fehler zwischen Anspruch und Wirklichkeit

“Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben. Es ist aber nicht so, dass ich mich über Entschuldigungen freue, gar nicht. Ich glaube aber, dass sie ein wichtiger Teil der journalistischen Aufrichtigkeit und Ausdruck unserer proaktiven Kommunikation sind.”

Julian Reichelt hat am Donnerstag eine neue Imagekampagne gestartet, für sich, für “Bild”. In einem Interview mit dem “Tagesspiegel” sprach der Leiter von Bild.de, der seit Anfang Februar auch Vorsitzender aller “Bild”-Chefredaktionen ist, übers Fehlermachen und übers Entschuldigen. Das falle ihm eben “grundsätzlich leicht”, so wie im Januar, als “Bild” und Bild.de behaupteten, Sigmar Gabriel werde SPD-Kanzlerkandidat. Als dann rauskam, dass es Martin Schulz wird, entschuldigten sich die “Bild”-Medien und Julian Reichelt für ihren Fehler. Genauso vor vier Tagen, nachdem klar war, dass es den “Sex-Mob” mit lauter Flüchtlingen, der laut “Bild” an Silvester durch Frankfurt “tobte”, nie gab.

Ein möglicher Claim für Reichelts Imagekampagne steht ebenfalls im Interview mit dem “Tagesspiegel”:

“Ehrlichstes Medium: Das ist kein Versprechen, das ist der Anspruch an mich.”

Jeder, der daran zweifelt, dass die “Bild”-Redaktionen vorzügliche Arbeit abliefern, könne laut Reichelt seit 40 Jahren nicht mehr überprüft haben, ob das überhaupt stimmt:

Na ja, “Bild” galt und gilt jetzt nicht in allen Bereichen und bei allen Geschichten als das ehrlichste Medium Deutschlands.

Der überwiegende, der überragende Teil dieser Vorbehalte ist über 40 Jahre alt. Viele, die diese Vorbehalte vor sich hertragen und aktiv verbreiten, haben ihr Weltbild vor 40 Jahren das letzte Mal bei “Bild” überprüft und geschaut, mit welchem Aufwand wir unsere Inhalte recherchieren.

Hier beim BILDblog überprüfen wir unsere Vorbehalte jeden Tag aufs Neue. Und andauernd finden wir bei “Bild” und Bild.de Artikel, die faktisch falsch sind, in denen Persönlichkeits- oder Urheberrechte oder beides verletzt werden, in denen “Bild” auf die Menschenwürde pfeift, in denen das Blatt gegen einzelne Gruppen hetzt oder Material für Hetze liefert.

Uns geht es dabei nicht darum, dass irgendjemand um Entschuldigung bitten soll. Es würde schon längst genügen, wenn ein grundlegendes Interesse darin bestünde, Fehler transparent zu korrigieren — gern ohne großes Pardon.

Ob bei “Bild” und Bild.de dieses Interesse besteht? Ob das Reagieren auf Fehler so “grundsätzlich leicht” fällt, wie Julian Reichelt einen gern glauben machen möchte? Und vor allem auch dann, wenn es nicht die spektakulären Fehler sind wie ein falscher Kanzlerkandidat oder ein herbei fantasierter “Sex-Mob”? Da haben wir größere Zweifel.

Wir haben mal unser Archiv durchwühlt und geschaut, ob die “Bild”-Redaktionen im vergangenen Jahr reagiert haben, wenn wir auf Fehler in ihrer Berichterstattung hingewiesen haben. All die Fälle, in denen wir beispielsweise kritisiert haben, dass “Bild” Persönlichkeitsrechte verletzt, haben wir ausgeklammert. Es ging uns nur um klare Fehler.

Hier eine Auswahl, in chronologischer Reihenfolge:


Die Ruhrgebiet-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und Bild.de berichteten am 8. März 2016, dass dem “Wendler-Gitarristen” bei einem Unfall drei Finger abgerissen wurden. Noch am selben Tag schrieb der “Wendler-Gitarrist” auf seiner Facebook-Seite, dass das nicht stimmt.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Bild.de berichtete am 16. April 2016, dass ein “Schädlingsbekämpfer” aus London “Super-Ratten” gefangen habe, “rund 60 Zentimeter lang, etwa so groß wie Katzen.” Dazu seien sie möglicherweise noch Kannibalen. Das Foto, das der “Schädlingsbekämpfer” auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte, stammte allerdings gar nicht von ihm, sondern von “National Geographic”. Und es zeigte auch keine “Super-Ratten” aus London, sondern Nutrias aus den USA. Und das Foto war bereits drei Jahre alt, als die Bild.de-Redaktion ihre Geschichte veröffentlichte.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Bild.de berichtete am 26. Juli 2016 über eine Studie des “GfK Vereins”, bei der das Ergebnis unter anderem sein soll, dass die “Angst vor Zuwanderung” gewachsen sei. Das stimmt allerdings gar nicht: Schaut man sich die “GfK”-Umfrage mal genauer an, sieht man, dass nicht nach der “Angst” gefragt wurde, sondern neutral danach, was die “am dringendsten zu lösenden Aufgaben im Land” ist. Außerdem bringt Bild.de das Ergebnis auf falsche Weise mit damals aktuellen Terroranschlägen in Verbindung.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Ebenfalls am 26. Juli 2016 behaupteten “Bild” und Bild.de, dass das Regierungspräsidium Stuttgart “ein Navi-Verbot” für die Autobahn 8 bei Leonberg verhängt habe. Dabei handelte es sich lediglich um ein Hinweisschild, das die Autofahrer sensibilisieren sollte.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Am 24. August 2016 berichtete Bild.de über eine “Burkini-Razzia am Strand von Nizza” und zeigte dabei ein Foto mit mehreren Polizisten, die eine Frau auffordern, ihre Klamotten auszuziehen. Die Frau trug nach eigener Aussage aber gar keinen Burkini, sondern eine Leggins, eine Tunika und ein Kopftuch.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite, das Foto ist kommentarlos verschwunden.

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In einem Artikel vom 12. September behauptet Bild.de, dass die Asche des verstorbenen David Bowie bei einer Zeremonie beim Festival “Burning Man” verstreut worden sei. David Bowies Sohn, die offizielle David-Bowie-Facebookseite und ein Sprecher der Verwaltung des David-Bowie-Nachlasses sagten nach der internationalen Berichterstattung über die angebliche Ascheverstreuung, dass das alles Blödsinn sei.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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“Bild” und Bild.de verkündeten am 6. Oktober 2016, dass Frank-Walter Steinmeier nicht als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl aufgestellt werde. Steinmeier ist am vergangenem Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt worden. Außerdem steht in dem Artikel der “Bild”-Medien: “In der SPD heißt es zudem: Wenn Merkel ‘eine einigermaßen akzeptable Frau’ als überhaupt erste Anwärterin fürs Schloss Bellevue präsentiere, könnten zumindest die GenossINNEN kaum Nein sagen.” Dabei gab es mit Luc Jochimsen und Gesine Schwan, Dagmar Schipanski und Uta Ranke-Heinemann, Hildegard Hamm-Brücher und Luise Rinser sowie Annemarie Renger bereits zahlreiche Frauen, die bei der Wahl angetreten sind. Dazu kommt noch Marie-Elisabeth Lüders, die zwar nie offiziell angetreten war, bei der Bundespräsidentenwahl 1954 allerdings eine Stimme bekam.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Gabor Steingart veröffentlichte am 10. Oktober 2016 Passagen aus seinem neuen Buch in “Bild” und bei Bild.de. Er schimpft darin über das “Europa der Selbstbediener”, was man angeblich auch an einem Supermarkt sehen könne: “Den EU-Parlamentariern in Straßburg steht im Inneren des Parlamentskomplexes ein nur für sie und ihre Mitarbeiter zugänglicher Supermarkt zur Verfügung”. Bloß: Diesen Supermarkt gibt es nicht.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Am 26. Oktober 2016, als der “Horror-Clown”-Hype in vollem Gange war, berichtete Bild.de über einen aktuellen “Horror-Clown”-Auftritt in einer “McDonald’s”-Filiale in Bocholt: “Die Mitarbeiter verstecken sich hinter dem Tresen, etwa 15 Leute laufen in Panik aus dem Laden.” Das Video, auf dem der Artikel beruht, war schon damals zwei Jahre alt. Und weder zeigt es 15 Leute, die “in Panik aus dem Laden” laufen, noch sind Mitarbeiter zu sehen, die “sich hinter dem Tresen” verstecken. Stattdessen hört man ziemlich viel Gekicher und Gelächter.

Der Artikel ist ohne jeglichen Hinweis von der Seite verschwunden.

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Die “Bild”-Medien schrieben am 23. November 2016, dass die Botschaft der Volksrepublik China “chinesische Frauen vor dem Sex-Täter von Bochum” warne, und dass das chinesische Generalkonsulat in Düsseldorf eine “Reisewarnung” ausgesprochen habe. Hintergrund ist eine Vergewaltigung einer chinesischen Studentin nahe des Uni-Geländes in Bochum. Es stimmt zwar, dass es einen “konsularischen Hinweis” gegeben hat, dieser sei allerdings nicht mit einer Reisewarnung zu vergleichen, so eine Sprecherin der chinesischen Botschaft.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Das ungarische Model Barbara Palvin hat für ein Magazin die berühmte Bein-Überschlag-Szene von Sharon Stone im Film “Basic Instinct” nachgestellt. Und das, so Bild.de am 10. Dezember 2016, “stilecht ohne Höschen”. Auf ihrem Instagram-Account hat Palvin allerdings extra geschrieben: “FYI i am wearing underwear 😉”.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Weil an einer türkisch-deutschen Schule in Istanbul zeitweise ein “Weihnachtsverbot” galt, schaute “Bild” am 19. Dezember 2016, wo in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die Redaktion präsentierte sieben Beispiele. Sechs davon waren falsch.

Wir haben keine Korrektur dieser Fehler in “Bild” gefunden.

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Bild.de schrieb am 29. Januar 2017, dass der britische Leichtathlet Mo Farah in einem Facebook-Post Donald Trump angegriffen und dabei geschrieben habe, dass der US-Präsident ihn “zu einem Alien gemacht” habe. Tatsächlich reagierte Farah mit einem Beitrag in dem Sozialen Netzwerk auf Trumps Einreiseverbot für Muslime. Farah wurde in Somalia geboren (später stellte sich allerdings raus, dass das Einreiseverbot für ihn nicht galt). In seinem Facebook-Post schrieb er: “On 27th January, President Donald Trump seems to have made me an alien.” Dieses “alien” heißt im Englischen in der Regel so viel wie “Ausländer” oder “Fremder” oder “Fremdling”. Und nicht “Alien”.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

(Noch einmal: All diese Beispiele stammen nicht von 1977, sondern nur aus den vergangenen zwölf Monaten (wobei wir im Sommer eine zweimonatige Pause beim BILDblog eingelegt hatten). Daneben wird es in dieser Zeit noch zahlreiche weitere Fehler in “Bild” und bei Bild.de gegebene haben. Wir können hier allerdings nur über jene schreiben, die wir selber mitbekommen, oder auf die uns unsere Leser hinweisen.

Stefan Niggemeier hat drüben bei “Übermedien” weitere “Bild”-Beispiele “für grob irreführende Berichterstattung” aus den vergangenen Jahren gesammelt.)

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Ganz am Ende seines Interviews mit dem “Tagesspiegel” sagt Julian Reichelt noch:

Werden Sie Ihre Entschuldigungen auf eine pro Tag oder eine pro Monat deckeln? Es geht ja streng Richtung Ehrentitel “Chef-Entschuldiger des Axel-Springer-Verlags”.

Den Titel will ich ganz sicher nicht. Ich will nicht die Entschuldigungen deckeln, sondern die Fehler. Aber wo Entschuldigungen notwendig sind, werden wir sie aussprechen.

Das liest sich erstmal wie ein Versprechen für die Zukunft. Sollte es auch schon im vergangenen Jahr gegolten haben, hat Julian Reichelt sich nicht dran gehalten.

“Bild” füttert rechte Hetzer mit “Sex-Mob”-Gerücht

Aktuell verspricht ein Medium nach dem anderen, etwas gegen “Fake News” machen zu wollen, erst gestern kündigte das “ZDF” den Start eines “crossmedialen Faktencheck-Projekts” an. Und tatsächlich könnten Medien eine wichtige Rolle spielen beim Versuch, rumgereichte Falschmeldungen in den Griff zu bekommen. Sie können bei dem Thema aber auch eine schreckliche Rolle spielen, so wie “Bild” vor etwas mehr als einer Woche:

Der Artikel erschien auch bei Bild.de, als kostenpflichtiger “Bild plus”-Beitrag:

So viel schon mal an dieser Stelle: Diesen “Sex-Mob” dürfte es, so der aktuelle Kenntnisstand, nie gegeben haben. Er könnte die Erfindung einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe sein, gut möglich, dass sie damit Stimmung gegen Flüchtlinge machen wollte. Die “Bild”-Medien haben die Geschichte jedenfalls dankbar aufgegriffen, haben sie verbreitet, ohne sie ausreichend zu überprüfen, haben sie selber sogar noch zugespitzt und sie haben mit ihrer Reichweite aus ihr eine Story gemacht, die von Rechten und Nochrechteren in Sozialen Netzwerken rumgereicht wurde, die von anderen Medien aufgegriffen wurde, die es sogar bis nach Großbritannien und zu “Breitbart” schaffte.

Doch dazu später mehr. Fangen wir vorne an.

Am 6. Februar schreibt die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung riesengroß:

Eines der “OPFER”, das “IHR SCHWEIGEN” bricht, ist die 27-jährige Irina A. Sie erzählt “Bild”-Reporter Stefan Schlagenhaufer von ihren angeblichen Erlebnissen an Silvester:

Sie schwiegen einen Monat lang, wollten die Vorfälle vergessen — doch jetzt platzt es aus den Opfern heraus: In der Silvesternacht kam es in der Frankfurter Restaurant- und Delikatess-Meile “Freßgass'” zu massiven sexuellen Übergriffen.

“Ich kann froh sein, dass ich eine Strumpfhose anhatte”, erzählt Irina A. (27), die Silvester in der City feierte. “Sie fassten mir unter den Rock, zwischen die Beine, an meine Brüste, überall hin. Mir und meinen Freundinnen. Immer mehr dieser Typen kamen. Ihre Hände waren überall.”

“Diese Typen” seien Araber gewesen, so Jan Mai, ein bekannter Frankfurter Gastronom, der auch die Bar betreibt, in der Irina A. Silvester gefeiert haben soll, und der nach eigener Angabe gegen 1 Uhr in seinen Laden kam:

“First-In”-Chef Jan Mai (49): “Als ich rein kam, war der ganze Laden voll mit einer Gruppe von rund 50 Arabern. Sie sprachen kein Deutsch, tranken den Gästen die Getränke weg, tanzten sie an. Die Frauen baten mich um Hilfe, weil sie angegrabscht werden. Die Stimmung kippte komplett.”

Einen Absatz später wird “Bild” noch konkreter — Nordafrikaner seien es gewesen:

Mai holt Personal aus seinem Restaurant um die Ecke. Ein marokkanischer Angestellter versucht, mit den Nordafrikanern zu sprechen: “Die waren hochaggressiv, es gab Geschrei, Handgemenge.”

Um 3 Uhr sei es dann noch einmal richtig losgegangen, erzählt Jan Mai “Bild”-Reporter Schlagenhaufer. Und der erzählt es seinen Lesern weiter:

Um 3 Uhr der nächste Höhepunkt. Mai: “Zwischenzeitlich drangen die Männer ins ‘Garibaldi’ und andere Läden ein — mit Pyrotechnik. Ich war gerade im ‘Gibson’, als ich angerufen wurde: ‘Wir haben wieder Probleme mit Massen an Flüchtlingen’. Ich rannte mit drei Türstehern auf die Freßgass’.”

Inzwischen also schon “Massen an Flüchtlingen.”

Irgendwann war die Silvesternacht auch rum. Und es passierte einige Wochen erstmal nichts, weil keiner der Beteiligten sich zu den vermeintlichen Vorfällen äußerte. Dann meldeten sich aber Jan Mai und Irina A., die Hauptzeugen in Stefan Schlagenhaufers Text. Dazu kommen zwei Angestellte von Mai. Und es gebe laut “Bild” noch “Informationen”, die alles unterstützen:

Nach BILD-Informationen waren 900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge mit dem Zug aus Mittelhessen nach Frankfurt gekommen. Als sie nicht in die Sicherheitszone am Mainufer kamen, zogen sie weiter — in die Freßgass’.

“900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge”. Meldungen von “massiven sexuellen Übergriffen”. Fertig ist für “Bild” die “Sex-Mob”-Geschichte. Auf seiner Facebook-Seite hatte Mai recht früh nach Erscheinen der Schlagzeile geschrieben: “Ich habe selbst nie von einem Sex Mob auf der gesamten Fressgass berichtet, sondern von sexuellen Belästigungen, Schlägereien und Diebstahl in meinem Lokal gesprochen.”

Dann ging es allerdings erst richtig los. Andere Medien berichteten. Das “Sat.1 Frühstücksfernsehen” griff das Thema einen Tag später auf und besuchte Irina A. und Jan Mai in Frankfurt. Titel des Beitrags: “Wieder sexuelle Übergriffe an Silvester!”

Mai erzählt in dem Video, es seinen “massiv Syrer hier drin” gewesen, die “Mädels belästigt haben, angefasst haben, sich an die Tische gesetzt haben, einfach mitgetrunken haben, sind ohne Jacke reingekommen, mit Jacke rausgelaufen, Jacken dann draußen versteckt, wieder reingekommen, haben wieder Jacken mitgenommen.”

Irina A. sagt, sie könne aus Angst abends immer noch nicht nach Hause laufen.

Die rechte “Junge Freiheit” berichtete mit Bezug auf den “Bild”-Artikel:

Die “Epoch Times” machte aus dem “Sex-Mob” von “Bild” “Sex-Attacken und Randale”:

Selbst in Großbritannien brachten Redaktionen Artikel über die angeblichen Vorkommnisse in der Frankfurter “Freßgass'”. express.co.uk zum Beispiel:

Und die UK-Ausgabe von “Breitbart”:

In den Sozialen Netzwerken haben rechte Gruppierungen und Hetzer die “Bild”-Geschichte zigmal geteilt. Bei Facebook beispielsweise einzelne “AfD”-Verbände, die “Junge Alternative”, Bürgerprotest-Gruppen, “Einzelfall”-Sammler, das ganze Spektrum:







Und auch bei Twitter drehte der Artikel dank Rechtspopulisten und eines “Bild”-Redakteurs eine ordentliche Runde:



In der Zwischenzeit legte die Frankfurter “Bild”-Redaktion noch einmal mit einem Artikel nach: “ein Sex-Mob tobte Sil­ves­ter in der Freß­gass’. Opfer schilderten ex­klu­siv in BILD FRANK­FURT die trau­ma­ti­sie­ren­de Nacht.” Das Blatt lässt einige Lokalpolitiker Stellung beziehen:

Zum Beispiel Chris­toph Schmitt, den si­cher­heits­po­li­ti­schen Spre­cher der CDU:

“Es darf nicht sein, dass Frauen sich so was gefallen lassen müssen. Wenn Schattenseiten der Flüchtlingspolitik Männer-Massen sind, die die Stadt unsicher machen, dann brauchen wir mehr Polizei auf den Straßen, mobile Videoüberwachung.”

Oder den unabhängigen Oberbürgermeisterkandidaten, Volker Stein:

“Während man um den Eisernen Steg ein hohes Aufgebot von Polizei verzeichnen konnte, wurde der Rest der Innenstadt den randalierenden Halbstarken überlassen. Wer sich in seinem Gastland so verhält, wie es die Berichte belegen, hat keinen Anspruch auf unsere Gastfreundschaft und sein Asylrecht verwirkt!”

“Männer-Massen”, “die die Stadt unsicher machen”. “Randalierende Halbstarke”. “Asylrecht verwirkt”. Und das alles, als noch überhaupt nichts belegt oder geklärt war, und die Polizei noch ermittelte.

Erste Zweifel, ob sich die Silvesternacht in der “Freßgass'” tatsächlich so abgespielt hat, wie von Irina A. und Jan Mai geschildert, kamen bereits am 7. Februar auf. Sebastian Eder schrieb bei FAZ.net über den “Sex-Mob, den keiner gesehen hat”. Eder hatte bei der Polizei angerufen und gefragt, ob Anzeigen zu der Nacht vorliegen, doch da gab es keine. Er wunderte sich, dass keine Videos oder Fotos von den Vorfällen in den Sozialen Netzwerken zu finden waren. Und er fragte bei anderen Gastronomen nach, ob sie an Silvester ähnliches beobachtet haben, wie ihr Kollege Jan Mai in seinem “First In”. Hat aber keiner.

Außerdem hat sich Sebastian Eder mal das Facebook-Profil von Mai angeschaut:

Weil das Thema so brisant ist, muss man auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen der “Bild”-Zeitung hinterfragen. Auf seiner privaten Facebook-Seite zeigte der “First In”-Chef bereits Sympathien für die AfD und schrieb zu Bildern “Herrenrunde und die Deutschen in Überzahl”. Außerdem teilte er im Dezember ein Video unter der Überschrift: “Merkel muss weg”. In dem Film marschiert der “Nationale Widerstand” durch Berlin, ruft “Lügenpresse” und “Hurensöhne”. In den Kommentaren steht auch mal “Deutschland, Deutschland über alles”. Veröffentlicht hat den Film Ignaz Bearth, ein Schweizer Politiker, der mal Mitglied einer rechtsextremen Partei und Sprecher von Pegida-Schweiz war.

Auf Eders Anfrage, ob er Sympathien für Rechte habe, antwortete Mai, dass das Unsinn sei, “aber ich bin mit der Einwanderungspolitik von Merkel nicht einverstanden und hoffe, dass der Erfolg der AfD dazu führt, dass die CDU das merkt.”

Einen weiteren Zeugen, den Jan Mai ihm nannte, rief Eder ebenfalls an. Der Mann, genauso wie Mai Gastronom auf der “Freßgass'”, berichtete von einer Massenschlägerei, er selbst habe eine Flasche über den Kopf bekommen. “Die Polizei hat die Identität eines Verdächtigen mittlerweile ermittelt: Es ist ein Georgier. Der andere Verdächtige, gegen den wegen einer Gewalttat auf der Freßgass an Silvester ermittelt wird, ist laut Polizei ein Deutscher”, schreibt Sebastian Eder.

Und auch die “Frankfurter Neue Presse” war recht schnell misstrauisch. Boris Tomic kommentierte dort, auch bereits am 7. Februar:

Die Berichte eines stadtbekannten Restaurantbetreibers über marodierende Banden arabischer Herkunft auf der Freßgass’ entbehren der Glaubwürdigkeit.

Der Titel vom Tomic’ Kommentar: “Fake-News gibt es wohl nicht nur im Internet”.

In “Bild” oder bei Bild.de ist von all diesen Zweifel in den vergangenen Tagen nichts zu lesen.

Am vergangenen Donnerstag fragten wir beim Polizeipräsidium Frankfurt nach, ob inzwischen Anzeigen eingetroffen sind. Ein Sprecher sagte uns, dass nichts vorliege. “FAZ”-Redakteur Sebastian Eder fragte gestern auch noch mal nach — noch immer lag keine einzige Anzeige vor.

Gestern Abend dann die große Wende bei Bild.de:

Die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtet heute ebenfalls, allerdings bedeutend kleiner als noch bei der Ursprungsgeschichte:

Das Blatt fragt, ob Jan Mai “alle belogen” habe. Zeugen seien im Verhör zurückgerudert — “es habe sich um eine normale Schlägerei gehandelt und nicht um sexuelle Übergriffe.” Die Polizei ermittle nun “wegen Vortäuschung einer Straftat” gegen den “Promi-Wirt”, so die “Bild”-Medien. Lediglich in einem Absatz schreiben sie, dass Mai den ganzen Mist bei ihnen behauptet hat. Ihre eigene Rolle — das Übernehmen eines Gerüchts, die “Sex-Mob”-Zuspitzung, das Nachlegen mit den Politiker-Statements — erwähnen sie nicht.

Die “Frankfurter Neue Presse” schreibt auch über die neuesten Entwicklungen:

Nach Informationen, die unserer Zeitung am Montagabend per Mail zugespielt wurden, konnten die Behauptungen von Mai und seiner Kollegin “nicht mal im Ansatz” verifiziert werden. Irina A., die behauptete, man habe ihr unter den Rock, zwischen die Beine und an die Brüste gefasst, soll über Silvester nicht einmal in Frankfurt, sondern in Belgrad gewesen sein. Die Polizei habe ihre Flugtickets sichergestellt und suche seit Tagen nach ihr, um sie zu vernehmen, heißt es in der Mail an unsere Zeitung. Auch zu all diesen Ausführungen sagte der Polizeisprecher auf Nachfrage, dass er “nicht widersprechen” könne.

Vermutlich werden die Versuche, das wirkliche Geschehen in der “Freßgass'” nachzuzeichnen, nicht annähernd so viele Leute erreichen wie die hysterischen “Sex-Mob”-Schlagzeilen von “Bild” und Bild.de.

Hätten die “Bild”-Medien von Anfang an sauberer recherchiert, nicht direkt alles geglaubt und verbreitet, was ihnen erzählt wird, hätte das alles vermieden werden können. So, mit all der Folgeberichterstattung und den geteilten Artikeln und Kommentaren in den Sozialen Netzwerken, ist die falsche Nachricht vom “Sex-Mob” in der Frankfurter Silvesternacht kaum noch einzufangen.

Mit Dank an Stefan K., Andreas L., Andrea, @BKD_Schu und @zukunftsheld für die Hinweise!

Nachtrag, 14:13 Uhr: Bild.de entschuldigt sich auf der Startseite für die falsche Berichterstattung:

Das Portal schreibt:

Die BILD-Redaktion entschuldigt sich ausdrücklich für die nicht wahrheitsgemäße Berichterstattung und die erhobenen Anschuldigungen gegen die Betroffenen. Diese Berichterstattung entspricht in keiner Weise den journalistischen Standards von BILD.

BILD wird intern klären, wie es dazu kommen konnte.

Wenn die Redaktion es mit dieser Ankündigung ernst meint, sollte sie auch klären, wie die “Sex-Mob”-Überschrift entstand. Denn der inzwischen beschuldigte Gastronom Jan Mai bestritt sehr früh, je von einem “Sex-Mob” gesprochen zu haben. In der gerade veröffentlichten Entschuldigung von Bild.de steht allerdings:

Die Zeugen (u.a. eine Kellnerin, ein Frankfurter Gastronom und zwei seiner Angestellten) berichteten gegenüber BILD von massiven mobartigen Übergriffen durch angetrunkene Ausländer.

Mit Dank an Mind und Mario für die Hinweise!

Nachtrag, 16. Februar: Bereits gestern veröffentlichte auch die Frankfurt-Redaktion der “Bild”-Zeitung eine “Entschuldigung in eigener Sache”:

Der Text ist identisch mit der “Entschuldigung in eigener Sache”, die Bild.de am Dienstag veröffentlicht hat.

Kriminalität der Nationen, Hetze bei Facebook, Werbung auf Hetz-Seite

1. “Nationalität spielt bei Kriminalität keine Rolle”
(wdr.de, Dominik Reinle)
Die wichtigste Aussage diese Interviews steht schon in der Überschrift. Der Kriminologe Christian Pfeiffer stellt die aufgeregte Diskussion um vermeintlich überdurchschnittlich kriminelle Migranten vom Kopf auf die Füße. Nahezu jeder Satz eignet sich als Punchline für einen Tweet. Drei Vorschläge:
1. “Richtigerweise müsste gefragt werden: Wie sind die Merkmale von Männern, die Frauen vergewaltigen? Dann merken Sie, dass Nationalität bei Kriminalität keine Rolle spielt.”
2. “Die Kriminalität in Deutschland geht im Gewaltbereich um 15 Prozent nach unten, gleichzeitig haben wir ein starkes Anwachsen des Anteils der ‘Fremden’. Die Schnellschuss-Antwort, die Ausländer sind die Bösen und verantwortlich für die Kriminalität, ist einfach falsch.”
3. “Wenn Max von Moritz verprügelt wird, ist die Anzeigebereitschaft 19 Prozent, wird Max von Mehmet verprügelt, ist sie über 31 Prozent.”

2. “Die ganzen Verschwörungstheoretiker irren”
(br.de, Florian Schairer)
Hannes Grassegger und Mikael Krogerus haben etwas geschafft, das vor einer Woche undenkbar schien: Hunderttausende teilen einen Text über Big Data und Psychometrie — beides bislang nicht unbedingt als besonders populäre Themen bekannt. Sogar der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar schaltete sich ein und warnte vor “der Manipulation demokratischer Wahlverfahren durch Massendatenauswertung”. Auf die gewaltige Aufmerksamkeit folgte binnen weniger Tage eine mindestens genauso gewaltige Welle der Kritik, teilweise aggressiv und polemisch, nicht immer fair. Hannes Grassegger scheint aber ganz gut damit umgehen zu können: “Wir begrüßen wirklich jede Form des Weiterdenkens — und dazu gehört natürlich auch Kritik.” Außerdem sind gestern die wohl drei besten und differenziertesten Auseinandersetzungen mit dem Thema erschienen: von Daniel Mützel bei “Motherboard”, von Patrick Beuth bei “Zeit Online” und von Matthias Kolb bei süddeutsche.de, der den Text vor allem aus US-amerikanischer Perspektive beleuchtet und erklärt, welche politischen Faktoren zum Sieg von Donald Trump geführt haben.

3. Ein Thema, das keins sein sollte
(taz.de, Anne Fromm)
Halb Mediendeutschland streitet sich über eine Nachricht, die gar keine war — zumindest nicht in der “Tagesschau” am Samstag, was wiederum viele haupt- und nebenberufliche Medienkritiker für ein Problem halten. Oder, wie es Anne Fromm ausdrückt: “Freiburg ist das neue Köln.” Das mag eine recht steile These sein, der aktuellen Diskussion fügt ihr Text aber einen interessanten Aspekt hinzu: “Dass nun aber Politiker bewerten, wann, was und wie Journalisten über den Mord in Freiburg hätten berichten sollen, ist fatal. Es spielt denen in die Hände, die der Meinung sind, Journalisten seien von oben gelenkt.”

4. Wie Facebook bei Hetze gegen Künast mit Fake-Zitat zuschaut
(morgenpost.de, Lars Wienand)
Am Sonntag teilte der Schweizer Rechtspopulist Ignaz Bearth auf seiner Facebook-Seite ein erfundenes Zitat von Renate Künast, als Quelle gab er die “Süddeutsche Zeitung” an. Der Bild-Post ging viral, Facebook tat — nichts. Stefan Plöchinger, Chefredakteur von süddeutsche.de, schrieb wiederum auf seiner Facebook-Seite: “Ein paar Stunden lang nicht wissen, was man mit so einem demokratiezersetzenden Dreck machen soll — das kann man sich als Multimilliardenmedienkonzern schon mal erlauben, gell?”. Mittlerweile hat Facebook reagiert und das Posting gesperrt, das Grundproblem aber bleibt: Wie schnell muss das Unternehmen reagieren, wenn sich auf der Plattform strafbare Inhalte (ein erfundenes Zitat erfüllt den Straftatbestand der Verleumdung) verbreiten, die den Opfern (in diesem Fall Renate Künast) schaden können?

5. Empörung über deutsche Werbung auf rechter Hetz-Seite
(spiegel.de, Ann-Kathrin Nezik)
Ein bekanntes (wenn auch umstrittenes) Bonmot aus der Werbebranche lautet: “There is no such thing as bad publicity.” Insofern könnte es durchaus eine gute Idee sein, Anzeigen auf der rechten Nachrichtenseite “Breitbart” zu schalten. In den vergangenen Tagen taten das etliche bekannte deutsche Unternehmen, darunter die “Telekom”, “Vapiano”, “Lieferheld” oder der Elektronikmarkt “Conrad” — meist, ohne es überhaupt zu merken. Während etwa “Lieferheld” sagt, man sei “nicht von der Gesinnungspolizei”, wollen andere Firmen die fragwürdige Platzierung ihrer Werbung zumindest prüfen, “BMW” und “Braun” haben “Breitbart” sogar auf eine Blacklist gesetzt.

6. Wie wahr ist wahrscheinlich?
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Die Wahrscheinlichkeit, dass MH17 von pro-russischen Militärs abgeschossen wurde? Exakt 95,3 Prozent. Und wer hat das Giftgas in Syrien eingesetzt? Zu 92,4 Prozent waren es Rebellen, nicht Assad. Das behauptet jedenfalls das israelische Start-up “rootclaim”. Richard Gutjahr hat mit den beiden Gründern der Plattform gesprochen, die mit Hilfe von Algorithmen Fakten checken wollen.

CreateHetze, Roboterjournalismus, Faktenchecker

1. Amazon: Volksverhetzung on Demand?
(carta.info, Leonard Novy)
Ist Amazon mit seinem Angebot “CreateSpace” nur ein Druckdienstleister oder ein Verlag? Eine wichtige Frage, wenn es um die Einordnung von Inhalten geht. Auf jeden Fall verdient der Internet-Gigant an rassistischer Hetze und Nazipropaganda tüchtig mit, wie Leonard Novy anhand eines Beispiels deutlich macht. “Sex, da hält es Amazon mit Apple, geht gar nicht. Mit Rassismus, Hate Speech oder dem, was in Deutschland unter Paragraf 130 des Strafgesetzbuches als Volksverhetzung beschrieben wird, scheint das Unternehmen hingegen weniger Probleme zu haben.”

2. Roboterjournalisten setzen die Agenda
(faz.net)
“Roboterjournalismus” eignet sich besonders für Börsennachrichten und Sportberichterstattung. Nun haben die Algorithmen auch den amerikanischen Wahlkampf erreicht. Medien wie “New York Times”, “Washington Post” und “CNN” würden sich bereits der Technik bedienen. Viele Leser würden den Unterschied nicht erkennen, manche den Roboter für glaubwürdiger halten.

3. Rettet die Fakten!
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Adrian Lobe geht dem weltweiten Boom der sogenannten Faktencheck-Portale nach. Können Faktencheck-Seiten tatsächlich politisch neutral und unabhängig verifizieren? Und kann man Maschinen diese Aufgabe überlassen? “Der Irrtum der Entwickler ist, dass sich der Konsens über Fakten nicht automatisieren lässt, sondern nur in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu finden ist. Das Zeitalter der Fakten mag vorbei sein. Jenes der demokratischen Deliberation aber sicher nicht.”

4. Warten auf den Untergang
(taz.de, Markus Sehl)
Ende dieses Monats wird “Zaman” eingestellt, eine der einst auflagenstärksten türkischen Tageszeitungen in Deutschland. In der Türkei war die Mutterredaktion bereits vor einem halben Jahr gestürmt und unter staatliche Kontrolle gebracht worden. Das Blatt steht der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen nahe, der von der Türkei für den gescheiterten Putsch verantwortlich gemacht wird. “taz”-Autor Markus Sehl hat mit einem der letzten deutschen Redakteure gesprochen.

5. Ein liberales Blatt will mehr Resonanz, aber ohne Radau
(nzz.ch, Urs Hafner)
Urs Hafner hat die Macher des “Schweizer Monats” besucht. Die 1921 gegründete “Autorenzeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur” kann auf eine beeindruckende Vergangenheit mit vielen bekannten Namen zurückblicken. Profilbildend war und ist der politische Liberalismus, doch was bedeutet das für die neue Generation von Redakteuren? Hafner bezeichnet das Blatt als “unterschätzt” und prognostiziert: “Wenn der «Schweizer Monat» seinen Kurs weiterverfolgt und noch mehr gescheite Analysen bringt, die nicht vorhersehbar in die Litanei über die staatliche Gängelung des mittelständischen Individuums münden, wenn er zudem bedenkt, dass man sich die vielbeschworene Freiheit auch leisten können muss, wird er weiter an Resonanz gewinnen.”

6. Grob fahrlässig
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Im November 2014 veröffentlichte der “Rolling Stone” eine Reportage über eine angebliche Massenvergewaltigung an der Universität Virginia. Mit Folgen: Der Bericht löste in den USA eine nationale Debatte über sexuelle Übergriffe auf Studenten aus. Nun stellt sich heraus, dass sich die Geschichte nicht so zugetragen hat. Auf den “Rolling Stone” kommen beträchtliche Schadensersatzforderungen zu, und der Imageschaden ist gewaltig.

Wie “Bild” mit “Sex-Mob-Alarm” Vorlagen für rechte Hetzer liefert

Die Geschichte, um die es hier geht, ist zwar bereits zwei Wochen alt. Da sie aber einmal mehr zeigt, wie “Bild” und Bild.de mit unsauberen Recherchen Rechtspopulisten und Internethetzern Vorlagen liefern, wollen wir sie dennoch aufgreifen.

Am 3. beziehungsweise 4. Juli erschienen diese Artikel bei Bild.de (hinter einer Paywall) und “Bild”:


Die Düsseldorf-Ausgabe hatte die Geschichte sogar auf der Titelseite angeteasert:

Das “Geheimpapier” ist eine internes Dokument der Düsseldorfer Polizei. Darin geht es vor allem um Verhaltensregeln für Polizeibeamte, die bei künftigen Sexualdelikten die Beweisaufnahme verbessern und spätere Identifizierungen ermöglichen sollen: Telefonnummern der Beschuldigten sollen aufgenommen werden, genauso tatsächliche Aufenthaltsorte und die Beschreibung der getragenen Kleidung oder körperlicher Merkmale. Außerdem sollen, wenn möglich, Fotos von den Verdächtigen gemacht werden.

In dem Dokument stehen neben diesen Handlungsanweisungen für Polizisten aber auch einige Sätze zu Art und Anzahl von sexuellen Übergriffen. Und auf die stürzten sich die “Bild”-Medien:

Laut eines Geheimpapiers gibt es immer mehr sexuelle Übergriffe in Badeanstalten, bei denen gleich mehrere Täter ihr Opfer bedrängen, begrapschen und missbrauchen.

In einer internen Mail an ihre Kollegen schreiben die Beamten vom Kriminalkommissariat 12, zuständig für Sexualdelikte und Vermisstenfälle: “Das KK 12 stellte dar, dass die Sexualstraftaten einen enormen Anstieg verzeichnen. Insbesondere die Tatbestände Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern in den Badeanstalten schlagen hier ins Gewicht.” Die Täter seien “zum größten Teil Zuwanderer”.

Klar, über solche Missstände muss berichtet werden.

Wäre nur gut, wenn man auch konkrete Zahlen hätte, die den “enormen Anstieg” bestätigen. Und die liefern “Bild” und Bild.de vorerst nicht.

Dennoch sprangen andere Medien auf die “Bild”-Schlagzeile auf. Welt.de zum Beispiel:

Oder die “Huffington Post”:

Selbst in Großbritannien wurde berichtet, vom Knallblatt “Daily Mail”:

Besonders heftig hat der “Bayernkurier”, das Polterorgan der CSU, das Thema aufgegriffen:

Redakteur Wolfram Göll schreibt:

Ein Problem, von Medien, Verantwortlichen und manchen Behörden lange verharmlost und von linken Politikern mit einem Sprechverbot belegt: moslemische Zuwanderer, meist aus Afghanistan, Pakistan, Marokko, aber auch Syrien, dem Irak und anderen moslemischen Ländern, stellen in deutschen Schwimmbädern Jugendlichen nach, oft minderjährigen Mädchen, aber auch Buben, um sie sexuell zu missbrauchen.

In vielen Schwimmbädern wurden mittlerweile verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, aber manche sprechen immer noch von Einzelfällen. Wie viele “Einzelfälle” sexuellen Missbrauchs braucht es, damit die Politik reagiert?

Es gab allerdings auch Medien, die nicht blind der Geschichte von “Bild” und Bild.de gefolgt sind, sondern recherchiert haben, allen voran die “Rheinische Post”. Die Redaktionen haben bei der Polizei nachgefragt, bei der “Deutschen Gesellschaft für Badewesen”, bei örtlichen Schwimmbadbetreibern.

Die Ergebnisse für Düsseldorf in Bezug auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe:

2014: sieben Anzeigen
2015: 17 Anzeigen
2016: bis Anfang Juli acht Anzeigen

Das soll der “enorme Anstieg” sein, den “Bild” und Bild.de in die Welt gesetzt und aufgrund dessen sie den “Sex-Mob-Alarm” ausgerufen haben.

Wohlgemerkt: Hierbei geht es erstmal nur um Anzeigen, nicht um Verurteilungen. Und: Die Taten, die als Sexualdelikte angezeigt werden können, sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von penetrantem Beobachten und Fotografieren in der Umkleidekabine übers Grapschen bis zu Vergewaltigungen. Nichts davon ist zu verharmlosen und jeder Vorfall muss verfolgt werden, aber es besteht eben doch einen Unterschied in der Schwere der Tat. Und: Diese Zahlen sagen noch nichts darüber aus, ob sich die Anzeigen “zum größten Teil” gegen Zuwanderer richten. In ganz Nordrhein-Westfalen, auch das hat die “Rheinische Post” recherchiert, gab es im laufenden Jahr 103 Anzeigen wegen Sexualdelikten, davon 44, bei denen die Beschuldigten Zuwanderer waren.

Die “Berliner Zeitung” hat bei Polizeistellen in ganz Deutschland nachgefragt. Von “einem massiven Anstieg sexueller Übergriffe in Schwimmbädern” könne in keinem Bundesland die Rede sein. Selbst Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und Urheber der These “Mehr Verkehrstote durch Flüchtlingskrise”, versucht im Artikel zu deeskalieren: “‘Wir sprechen hier nicht von einem Massenphänomen.'”

Wie kommen “Bild” und Bild.de dann auf die Bedrohung des deutschen Badevergnügens?

Ein Sprecher der Düsseldorfer Polizei erklärte noch am Montag, dem Erscheinungstag der “Bild”-Geschichte zum “Geheimpapier”, gegenüber dem WDR:

“Die Übergriffe in der Silvesternacht haben die Statistik nach oben getrieben, denn das Papier bezog sich auf die Gesamtzahl von Sexualdelikten.”

Und eben nicht nur auf Vorfälle in Schwimmbädern. Die etwas unklare Formulierung in dem Polizeidokument hatte die “Bild”-Redaktion anscheinend falsch interpretiert.

Wir haben ebenfalls bei der Polizei Düsseldorf nachgefragt: Warum hat man nicht auch schon “Bild” die Fallzahlen mitgeteilt? Das hätte schließlich die alarmistische Überschrift verhindern können. Eine Sprecherin sagte uns, dass die “Bild”-Anfrage am Sonntag reingekommen sei. Da sei man nicht in der Lage, entsprechende Zahlen zu recherchieren. Am Montag sei das dann kein Problem gewesen. So lange wollten die “Bild”-Medien aber offenbar nicht warten.

Als die Zahlen dann am Montag bekannt wurden, veröffentlichten sie auch Bild.de und die Düsseldorf-Ausgabe von “Bild”:


Gut, dass “Bild” und Bild.de einen klärenden Artikel nachgeliefert haben.

Blöd, dass der “Sex-Mob”-Ursprungsartikel da schon fest im Gedankengut rechter Dumpfbacken verankert war:






Mit Dank an Martin und Boris R.!

Bild  

Hetzen ist nur bei “Bild” erlaubt

Vor knapp zwei Monaten schrieb “Bild”:

Deutschland ist entsetzt: Ganz offen und mit vollem Namen wird in sozialen Netzwerken zu Gewalt aufgerufen und gehetzt – gegen Ausländer, Politiker, Journalisten, Künstler…

Hemmungslos und ungestört, vor allem auf Facebook und Twitter. So viel offener Hass war nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten. Längst ist die Grenze überschritten von freier Meinungsäußerung oder Satire zum Aufruf zu schwersten Straftaten bis zum Mord.

BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!

BILD-Doppelseite: 'DER PRANGER DER SCHANDE'

(Unkenntlichmachung von uns.)

Knapp 40 Facebook-Kommentare (“Verpisst euch aus Deutschland”, “An die Wand,mit dem Dreckspack”) druckte “Bild” inklusive Fotos und Namen der Verfasser ab und verkündete wenig später stolz:

Erste Anzeigen! Jetzt MUSS der Staatsanwalt ermitteln

Auf ihrer eigenen Facebookseite sehen die Leute von “Bild” das mit dem Hass, der Hetze und den Aufrufen zu schwersten Straftaten aber nicht ganz so eng. Dort lassen sie die Leute säen, was immer sie wollen.

Hier zum Beispiel geht es um eine Schlägerei in einer Schule in Neukölln:
Mal wieder die üblichern Ausländer mit ihren geistig extrem beschränkten Mitteln! Ali, Suleyman, Umit, Mustafa und Fikret, ging es mal wieder um 'die EHRE'?? Ach was, die brauchen offenbar keinen Grund, sich täglich zu kloppen.Widerliche Leute!



Hier um eine Frau, die einer Seniorin viel Geld gestohlen haben soll:
Direkt an die Wand mit der....
War bestimmt eine auslanderin

(War sie nicht.)

Hier über einen Mann, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde:

Dieses dumme Schwein lebt auf Kosten deutschen Bürger weiter....ich könnt kotzen
sowat gehört eingemauert... und nich auf unsere Kosten durchefüttert
Ihn auch würgen, aber NICHT minutenlang, sondern STUNDENLANG
Rübe ab und fertig























Das ist eine kleine Auswahl allein von heute Abend, es geht auch munter weiter, gelöscht haben die Leute von “Bild” nichts. Scheint ihnen ja wirklich sehr am Herzen zu liegen, der Kampf gegen den Hass.

Mit Dank an Christoph H.

Nachtrag, 11. Dezember: Inzwischen wurden die meisten Kommentare gelöscht.

Maulkorbgesetz, Twittern aus dem Gerichtssaal, Deutschrap

1. Spanien: Maulkorbgesetz gegen kritische Medien
(ndr.de, Sandra Aïd und Daniel Schmidthäussler, Video, 6:15 Minuten)
30.000 Euro Strafe für ein Foto von Polizisten? Eine Karikatur über den König als Terrorismus-Delikt? Klingt nach autoritärem Regime, ist aber Spanien. Ein “neues, sogenanntes Bürgerschutzgesetz”, erlassen von der Regierung um Ministerpräsident Mariano Rajoy, macht’s möglich: “Das Gesetz schützt offenbar keineswegs die Bürger, sondern in erster Linie die Regierung vor ihrem Volk — und vor kritischen Medien.”

2. Lifta und Propaganda
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Das Fernsehmagazin “Rtv” erscheint jede Woche 8,2 Millionen Mal, als Beilage zahlreicher Tageszeitungen. In diesen vielen “Rtv”-Exemplaren werbe “seit vielen Jahren” auch “der rechtspopulistische Kopp Verlag”, unter anderem für seine Hetze gegen Muslime und Flüchtlinge. Anna Hunger hat bei den “Rtv”-Verantwortlichen nachgefragt, wie das sein kann.

3. Deutschrap, du hast ein ernsthaftes Problem
(welt.de, Dennis Sand)
Die “Welt” bescheinigt der deutschen Rapszene ein Gewaltproblem, weil es dort vollkommen normal sei, “Hausbesuche” bei verfeindeten Rappern zu machen oder gar “Stadtverbote” auszusprechen. Die nicht wenigen deutschen Rap-Medien kritisiert Welt-Autor Dennis Sand für ihre mangelnde Distanz, ihre Unreflektiertheit und die ständige Sorge, die Rapmusikszene vor der Veralberung zu schützen. Wie es sich inzwischen für einen anständigen Rap-Battle-Beef gehört, antwortet Hip-Hop-Journalist Falk Schacht auf Facebook.

4. Twittern aus dem Gerichtssaal
(taz.de, Christian Rath)
Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtssälen sind in Deutschland verboten. Journalisten dürfen sich Notizen machen, aber nicht live aus dem Gerichtssaal bloggen. Das galt auch für den Zschäpe-Prozess — ein explizites Twitter-Verbot galt aber nicht. Christian Rath beschreibt, wie sich die Live-Berichterstattung von Prozessen durch die sozialen Medien verändert und beschleunigt.

5. Zuckerberg und Antisemitismus
(saschalobo.com)
Jemanden des Antisemitismus zu bezichtigen, ist ein harter Vorwurf. Viele Menschen reagieren darauf entrüstet und weisen die Anschuldigung zurück. Dass es auch anders geht, zeigt Sascha Lobo: Nachdem Götz Aly aus einer von Lobos Kolumnen für “Spiegel Online” antisemitische Tendenzen herausgelesen haben will, setzt er sich in einem langen und reflektierten Text mit der Kritik auseinander — und gelangt dabei zur Erkenntnis, “dass ich im Kontext des Antisemitismus noch intensiver auf meine Wortwahl und meine Begriffswelten achten muss, es kann zum Fehler werden, sich nicht präzise abzugrenzen.”

6. Der Preis der Wahrheit — Whistleblowerinnen im Konflikt
(srf.ch, Vera Freitag, Video, 52:28 Minuten)
Ein Dokumentarfilm über Whistleblowerinnen aus der Schweiz und den USA, ihre Motivationen und den “Konflikt zwischen Loyalität und Gerechtigkeitssinn.” Kleiner Tipp: Bei den Schweizerdeutsch-Passagen hilft die Untertitelfunktion.

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