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Julian Reichelt und der rechte Hetz-Account (diesmal aber ein anderer)

Eigentlich wollten wir es erstmal gut sein lassen — jetzt müssen wir aber doch noch mal über Julian Reichelt und sein Verhalten bei Twitter sprechen. Am Donnerstag hat der “Bild”-Chef einen Tweet verbreitet von einem Account namens “Onkel Jakob”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt, der den Account Onkel Jakob retweetet hat und dazu schreibt - Ist das zutreffend dass das wieder gelöscht wurde, lieber Tagesschau-Fakrenfinder Patrick Gensing - der Tweet von Onkel Jakob lautet - Linksextremist Patrick Gensing und die staatliche Lügenfabrik Tagesschau wollten uns erzählen, dass es keine Messerepidemie gibt, haben ihren peinlichen Tweet dann aber doch lieber wieder eingestampft

Nur kurz zum Hintergrund: Vergangene Woche verkündete die “Bild”-Zeitung auf ihrer Titelseite eine “Messer-Angst in Deutschland”. Die AfD hatte bereits eine Tage zuvor behauptet, dass eine “Messerepidemie” grassiere. Die ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing und Gabor Halasz haben sich die amtlichen Zahlen mal genauer angeguckt und geschrieben, dass es ihrer Ansicht nach keine “Messerepidemie” in Deutschland gebe:

Die AfD warnt vor einer “Messer-Epidemie”. Die “Bild” berichtet von einer Zunahme solcher Delikte von bis zu 300 Prozent. Doch vorliegende Zahlen zeigen ein differenziertes Bild.

Die “Faktenfinder” mussten ihren Text an einer Stelle korrigieren. Es wurden deswegen einzelne Tweets gelöscht. Alles etwas durcheinander. Dazu gab es mehrere Diskussionen bei Twitter, unter anderem zwischen Julian Reichelt und Gabor Halasz.

Und es gab eben diesen Tweet von “Onkel Jakob”, den Reichelt offenbar so interessant fand, dass er ihn — mit einer Nachfrage an Patrick Gensing versehen — an seine knapp 56.000 Follower verbreitete.

Wir hatten Anfang des Monats hier im BILDblog ja davon berichtet, dass Julian Reichelt einen Tweet des rechten Hetz-Accounts “Dora zwitschert” verbreitet hat. Während man nur anhand des Tweets, um den es damals ging, nicht direkt erkennen konnte, in welch bräunlichen Gewässern der Absender fischt und wie grässlich es sonst auf dem Kanal zugeht, sieht es im aktuellen Fall ganz anders aus: “Onkel Jakob” (vielleicht nur zufällig ein Anagramm des längst gesperrten Hetz-Accounts “Kolja Bonke”) bezeichnet Patrick Gensing als “Linksextremisten” und die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik”. Das ist schon bemerkenswert: Der Chefredakteur von Deutschlands größter Tageszeitung verbreitet auf Twitter das unsägliche “Lügenpresse”-Geschrei, das man sonst von “Pegida”-Märschen kennt.

Doch es passt zur großen Widersprüchlichkeit von Julian Reichelt: Ständig regt er sich auf, wenn ihm und seiner Redaktion eine “Lüge” vorgeworfen wird (und das oft zu Recht — denn zur Lüge gehört die Absicht zu lügen; bei “Bild” und Bild.de entsteht ein Großteil der Fehler allerdings aus reiner Schlampig- und Unfähigkeit). Bezeichnet aber ein sehr rechter Twitter-Account einfach mal die gesamte “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik”, hat Julian Reichelt damit offensichtlich kein Problem. Er widerspricht nicht. Er ordnet nicht ein. Er verbreitet es einfach weiter.

Was wäre wohl los, wenn Patrick Gensing den Tweet eines anonymen linken Hetz-Accounts verbreiten würde, in dem Reichelt als “Rechtsextremist” bezeichnet wird und “Bild” als “Lügenfabrik”?

Dass der “Bild”-Chef erst einen Tweet von “Dora zwitschert” retweetet und nur wenige Tage später einen von “Onkel Jakob” zeigt auch auf erschreckende Weise, in welcher Szene er sich (zumindest digital) zu bewegen scheint: in einer, in der Verleumdung und Fremdenhass und Hetze ganz normal ist. In der ohne Ende gezündelt wird. In der üble Kampagnen gegen Einzelpersonen gestartet werden. Und noch mal: Julian Reichelt verantwortet die Inhalte der größten Zeitung Deutschlands.

Der Account “Onkel Jakob” wurde von Twitter inzwischen übrigens komplett gesperrt.

Julian Reichelt und der rechte Hetz-Account (2)

Wir müssen noch mal über den Twitter-Account @DoraGezwitscher sprechen, den “Bild”-Chef Julian Reichelt vergangene Woche retweetet hat. Das Schlimme war gar nicht, dass Reichelt Inhalte eines Accounts verbreitet, der immer wieder lügt, hetzt, desinformiert und Stimmung gegen Ausländer macht. Das kann im Twittertempo mal passieren. Erschreckend war, wie Reichelt auf die Kritik daran reagierte: Am Ende forderte er Beweise, dass hinter @DoraGezwitscher ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” steckt — kleiner geht es bei ihm nicht, bevor er zugeben könnte, dass es sich um einen ganz üblen Twitteraccount handelt.

Ob die Person (oder die Gruppe) hinter @DoraGezwitscher rechtsextrem, rechtsradikal oder Teil eines organisierten Netzwerks ist, können wir auch nicht sagen. Wir wollen Julian Reichelt aber doch noch einmal zeigen, was für eklige Inhalte in diesem Kanal auftauchen. Alle Beispiel in diesem Beitrag stammen aus 2018.

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Der schreckliche Tod der 14-jährigen Keira in Berlin war auch bei @DoraGezwitscher Thema. Dort war zu lesen:

Screenshot eines Tweets von Dora Gezwitscher - Zitat: Anwohner hätten von einem lauten Streit und Türenschlagen berichtet. Zwei weitere Augenzeugen haben einen arabisch aussehenden Mann aus der Wohnung laufen sehen.

Auf Nachfrage, woher diese Behauptung stamme, antwortet @DoraGezwitscher mit einem Link zu einem “Bild plus”-Text. In diesem Artikel steht allerdings gar nichts von einem “arabisch aussehenden Mann”. Stattdessen:

Doch Keira hörte nicht auf ihn. Gegen 15 Uhr schick­te sie ihrem Kum­pel noch ein Sel­fie von sich und ihrem Date per Snap­chat. “Das muss auf ihrem Heim­weg ge­we­sen sein. Der Weg von der Stra­ßen­bahn zu ihrer Wohnung”, sagt er.

Bei Snap­chat wer­den Fotos nicht ge­spei­chert. “Wenn ich ge­wusst hätte, was pas­siert, hätte ich einen Screen­shot gemacht”, so der Be­kann­te. Er kann­te den Ju­gend­li­chen nicht. “Er trug einen blau­en Ka­pu­zen­pul­li mit Ni­ke-Auf­schrift, war einen Kopf grö­ßer als Keira, hatte kurze dun­kel­blon­de Haare und trug eine Bril­le ohne Rah­men”, er­in­nert er sich.

Inzwischen ist bekannt, dass der geständige Täter Deutscher ist.

Das Zitat, das @DoraGezwitscher veröffentlicht hat, gibt es aber tatsächlich. Es stammt nicht von Bild.de, sondern von “Anonymous News”, einer grässlichen Hetzer-Seite mit aktuellen Artikeln wie “Spiel und Spaß in Auschwitz: Fußball und Bordellbesuche — Das andere Leben der KZ-Häftlinge”, “Kulturelle Bereicherung: Wie Muslime durch traditionellen Inzest unsere Gesellschaft belasten” oder “BRD-Gesinnungsjustiz: Deutscher erhält 10 Jahre für Silvester-Böller — IS-Mörder 22 Monate Bewährung” (mit dem “Böller”-Deutschen sind die Mitglieder der rechtsterroristischen “Gruppe Freital” gemeint).

Sie sehen, Julian Reichelt: Bei @DoraGezwitscher handelt es sich um einen Account, der auf Hetz-Portale zurückgreift, der Lügen verbreitet und mit diesen Lügen Stimmung gegen Ausländer machen will.

@DoraGezwitscher hat den Tweet inzwischen gelöscht.

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Ein weiteres großes Feindbild von @DoraGezwitscher: der öffentlich-rechtliche Rundfunk, speziell “Tagesschau” und “Tagesthemen”. Der Account twitterte unter anderem diese vermeintliche Enthüllung (ein paar Tage später noch einmal in ganz ähnlicher Form):

Screenshot eines Tweets von Dora Gezwitscher - Alternative Fakten gab es in der Politik schon immer. Wer die Wahlerfolge von Trump oder der Afd so rechtfertigt, versteht den Souverän nicht. Dieser Tagesthemen Kommentar wird neuerdings in der ARD Mediathek zensiert. Warum?

In dem 49-Sekunden-Video ist ein etwas kruder Zusammenschnitt eines “Tagesthemen”-Kommentars von Alois Theisen vom 10. November 2016 zu sehen. Mit Hilfe von Einblendungen behauptet @DoraGezwitscher, dass es “Zensur in der ARD Mediathek” gäbe. Theisen sagt in diesem Zusammenschnitt:

Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.

Dann erscheint eine “Tagesthemen”-Tafel, Theisen ist kurz nicht mehr zu hören und spricht dann weiter:

… biger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.

Das soll laut Einblendung die “zensierte Version” gewesen sein. Direkt im Anschluss kommt laut @DoraGezwitscher Theisens “Originalkommentar”:

Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.

Die ARD soll also wohl den Teil “Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger” rausgeschnitten haben.

Die “Tagesthemen”-Ausgabe von damals ist bei tagesschau.de noch online abrufbar. Moderatorin Pinar Atalay kündigt den Kommentar (ab Minute 14:43) mit den Worten an: “Donald Trump und den Siegeszug des Populismus kommentiert jetzt Alois Theisen vom ‘Hessischen Rundfunk'”. Und Theisen sagt dann:

Leben wir tatsächlich im Zeitalter der Lüge, wie man den vornehmer klingenden Begriff der Ära des Postfaktischen übersetzen könnte? Ich denke, es ist nur der hilflose und untaugliche Versuch, die sich häufenden unerwarteten Wahlentscheidungen zu erklären. Warum sollten sich Wähler heute leichter belügen lassen als früher? Verfügen wir nicht über mehr Informationsquellen als je zuvor? Und noch nie wurden Aussagen von Politikern so häufig und von verschiedenen Seiten überprüft wie heute.

Nein, Lügen gab es in der Politik wie im Privaten zu allen Zeiten. Wer anderes behauptet, verklärt nur die angeblich gute alte Zeit. Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.

Die politischen Verhältnisse entwickeln sich vielleicht anders, als es manche Meinungsmacher gerne hätten. Aber womöglich leben sie selbst im Zeitalter des Postfaktischen, sehen und verstehen die entscheidenden Fakten nicht, unter denen die Wähler leben und arbeiten. Und auch nicht ihre Sorgen, Ängste und manchmal auch Panik vor dem rasanten Wandel in der Welt.

Mit Ängsten und Stimmungen wurde auch schon immer Politik gemacht, mit der vor der Atomenergie zum Beispiel. Was dort billig war, sollte auf der anderen Seite nicht falsch sein. Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.

Keinerlei Zensur, alles noch drin.

Der Tweet von @DoraGezwitscher ist das, was man völlig zurecht “Fake News” nennen kann: eine bewusste Lüge, um eine Agenda zu verfolgen.

Als Sie, Julian Reichelt, und Ihr Team vor Kurzem auf die “Titanic” reingefallen sind, schrieben Sie unter anderem:

Meine Meinung: Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.

Die Tweets von @DoraGezwitscher sind zwar keine Satire, aber die Person hinter dem Account “versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.”

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@DoraGezwitscher schießt mit unlauteren Mitteln nicht nur gegen Gruppen und TV-Sendungen, sondern auch gegen Einzelpersonen.

Der Account hat zum Beispiel diesen kurzen Videozusammenschnitt über die Rapperin Sookee veröffentlicht:

Screenshot eines Tweets von Dora Gezwitscher - Die ZDF Expertin gegen Hatespeech Sookee im Interview mit MC Bogy:

Schaut man sich das 14-sekündige Video an, sieht man, dass nicht Sookee sagt “Schieß auf AfD-Wähler mit Hohlmantelgeschossen”, sondern der von ihr interviewte MC Bogy, der damit einen seiner Texte zitiert.

Anderes Beispiel: Über Journalist Fiete Stegers schreibt @DoraGezwitscher:

Screenshot eines Tweets von Dora Gezwitscher - Der Faktenfinder Fiete Stegers retweetet einen Politiker der Linkspartei und wiederholt dessen Liebeserklärung: Danke, liebe Antifa!

Erstens: Stegers war früher beim ARD-“Faktenfinder”, wie man auch in dem Screenshot von @DoraGezwitscher lesen kann. Und zweitens: Das “Danke, liebe Antifa” ist keine Liebesbekundung an die “Antifa”, sondern das Zitat eines “Tagesspiegel”-Artikels, der exakt mit diesen Worten überschrieben ist.

Und noch ein Beispiel, das zeigt, wie verzweifelt @DoraGezwitscher nach Schmutz sucht, den man auf Mitarbeiter des ARD-“Faktenfinders” werfen kann:

Screenshot eines Tweets von Dora Gezwitscher - Der Faktenfinder Chef Patrick Gensing diskriminiert spastisch behinderte Menschen, indem er Spacko als Schimpfwort benutzt. Bitte nicht retweeten. Sonst kommen Niggi und das Team Gensing
Screenshot des Tweets von Patrick Gensing, den Dora Gezwitscher kommentiert - Sagt den Spacken uns geht es prima vielleicht sieht man sich mal wieder. Aber nicht in diesem Leben

Bei dem Text, den Patrick Gensing getwittert hat, handelt es sich um eine Passage aus einem Song der Band “Rantanplan”. Und noch viel wichtiger: “Spacken” hat nichts mit “spastisch behinderten Menschen” zu tun, wie @DoraGezwitscher behauptet. Es bedeutet “dumme Menschen”.

Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher verdreht, verbiegt, verschweigt Kontexte, desinformiert.

Den Tweet zu Patrick Gensing hat @DoraGezwitscher inzwischen gelöscht.

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@DoraGezwitscher bezeichnet Deniz Yücel als Rassisten:

Screenshot eines Tweets von Dora Gezwitscher - Der rassistische Satiriker #DenizYuecel wird vom #Bundestag gefeiert, der rassistische Satiriker Uwe Osterag wurde zu 22 Monaten Gefängnis verurteilt.

Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher beteiligt sich an der stramm rechten Stimmungsmache gegen Ihren Kollegen bei “Springer”.

“Schmutz-Kampagne bei der SPD”: “Bild” fällt auf “Titanic” rein

Es ist alles noch viel schlimmer und trauriger und lustiger.

Die vermeintlichen E-Mails von Kevin Kühnert, die die “Bild”-Redaktion vergangene Woche dazu veranlasst haben, eine große Titelgeschichte über eine “Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD” zu veröffentlichen, stammen gar nicht von einem Russen namens “Juri”. Sie stammen auch nicht — wie wir vermutet haben — von einem Jugendlichen, der dank dreieinhalb Minuten Microsoft-Outlook-Gefummel “Bild” mit einer plumpen Fälschung reingelegt hat. Die E-Mails stammen von der “Titanic”-Redaktion:

Screenshot Titanic-Website - miomiogate – Juri, Kühnert, Bild und TITANIC

Die “Bild”-Zeitung ist einem Fake der TITANIC aufgesessen. Am Freitag hatte “Bild” unter der Schlagzeile “Neue Schmutzkampagne bei der SPD” einen Mailverkehr veröffentlicht, der belegen soll, daß Juso-Chef Kevin Kühnert bei seiner NoGroKo-Initiative Hilfe eines russischen Internettrolls namens Juri in Erwägung gezogen hat. Dieser Schriftverkehr wurde aber u.a. von TITANIC-Internetredakteur Moritz Hürtgen an “Bild” lanciert: “Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‘Bild’ druckt alles, was ihnen in die Agenda paßt.”

Stimmt das denn nun? Oder handelt es sich nach Jan Böhmermanns “Varoufake” um den nächsten Fake-Fake? Wir waren auch erst skeptisch. Inzwischen glauben wir der “Titanic” aber voll und ganz. Vor allem aus zwei Gründen:

1) Auf der “Titanic”-Seite kann man sich den angeblichen Mail-Verkehr zwischen Kühnert und “Juri” runterladen. Diese Unterhaltung enthält deutlich mehr Mails als von “Bild” bisher veröffentlicht. Soll heißen: Hätte sich die “Titanic”-Redaktion zusätzliche Mails zwischen dem falschen Kühnert und “Juri” erfunden, wäre es für die “Bild”-Redaktion ein Leichtes, die “Titanic”-Version zu widerlegen. Das hat sie bisher nicht getan.

2) Bereits am Freitag haben wir aus “Bild”-Kreisen erfahren, dass der “anonyme Informant” die “Bild”-Redaktion besuchen wird, um seine Geschichte weiter zu verifizieren. In einem Telefonat hat uns “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff heute erzählt, dass Moritz Hürtgen als Informant bei “Bild” zu Gast war — ohne dass Wolff wusste, dass wir von dem Besuch bereits wissen. Es wäre ein sehr großer Zufall, wenn Tim Wolff sich diesen Besuch nur ausgedacht und damit exakt unsere Informationen bestätigt hat.

Und dann gibt es noch einen dritten Punkt. Diesen Rechtfertigungsversuch bei Twitter von “Bild”-Oberchef Julian Reichelt:

Das ist der Julian Reichelt, der von sich selbst gern behauptet, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.” Das ist der Julian Reichelt, der nach dem Flüchtlings-“Sex-Mob”-Reinfall in Aussicht gestellt hat, bei “Geschichten, die für ‘Fake News’ anfällig sind”, eine “Bild”-Spezialtruppe mit “noch mehr gestandenen Nachrichtenleuten” einzusetzen, damit es solche Reinfälle nicht wieder gibt. Das ist der Julian Reichelt, der in seinen Worten stets so groß ist und in seinen Taten stets so klein. Das ist der Julian Reichelt, dem man nichts glauben kann.

Was Reichelt offenbar nicht versteht: Die “Titanic”-Redaktion hat mit dieser Aktion nicht versucht, “journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren”. Sie hat es geschafft, das nicht-journalistische Arbeiten von “Bild” zu verdeutlichen. Denn es bleibt trotz der längeren Erklärung bei Bild.de, wie es “zu dieser Schlagzeile” kam, dabei: Die “Schmutz-Kampagne” wurde erst in dem Moment zur “Schmutz-Kampagne”, als die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands aus der ganzen Sache eine große Titelgeschichte gemacht hat. Die “Schmutz-Kampagne” ist bei “Bild” entstanden. Vorher war es lediglich ein Spinner (beziehungsweise “Titanic”-Redakteur Moritz Hürtgen) mit offensichtlich gefälschten E-Mails, für den sich niemand interessiert hätte. Es bleibt auch dabei, dass stets mehr gegen die Echtheit der Mails gesprochen hat als dafür. Warum greift “Bild” die Story überhaupt auf, wenn sie von Anfang an mindestens merkwürdig ist? Warum in dieser großen Aufmachung? Warum bringen “Bild” und Reichelt gerade diese Titelzeile, wenn sie doch die ganze Zeit so skeptisch waren? Warum “Schmutz-Kampagne bei der SPD” und nicht “Schmutz-Kampagne gegen die SPD”? Und natürlich bleibt bei dieser Schlagzeile, die “Bild” gewählt hat, bei vielen Leuten hängen: “Der Kühnert? Das war doch der, der mit den Russen gemeinsame Sache gemacht hat!” — auch wenn “Bild”-Autor Filipp Piatov ganz am Ende auflöst, dass es “für die Echtheit der E-Mails” “keinen Beweis” gebe. Das alles nun als die große Skepsis “von Beginn an” darzustellen, zeugt nur davon, was für ein schlechter Verlierer Julian Reichelt ist.

Und nur nebenbei: Dieser Tweet, den Piatov vorgestern noch gepostet hat, sieht nun nicht nach massivem Misstrauen aus:

Nein, es war anscheinend keine “plumpe Fälschung”, auf die Piatov und “Bild” reingefallen sind und die sie zur Titelgeschichte aufgeplustert haben, sondern eine filigrane Fälschung.

Die “Titanic”-Aktion zeigt, dass man bei Julian Reichelt, Filipp Piatov und der gesamten “Bild”-Redaktion sehr gute Chancen hat, mit Desinformationen ins Blatt zu gelangen, wenn man nur die richtigen Knöpfe drückt. Im aktuellen Fall hat die “Titanic”-Redaktion sehr geschickt eine Mischung aus SPD (bei “Bild” nicht sehr beliebt) und dem bösen Russen (bei “Bild” nicht sehr beliebt) gewählt.

Zum Schluss bleibt uns nur, uns vor Moritz Hürtgen, Dax Werner und der “Titanic”-Redaktion zu verneigen. Und alle BILDblog-Leser aufzufordern, sofort ein “Titanic”-Abo abzuschließen, um die Redaktion in ihrer wichtigen Aufklärungsarbeit zu Deutschlands größter Satire-Zeitung “Bild” und zu “Bild”-Oberwitz Julian Reichelt zu unterstützen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 8. September: “Bild” hat für die falsche SPD-“Schmutz-Kampagne” bereits im März eine Rüge vom Presserat kassiert. Das Gremium sehe “einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 des Pressekodex. Diese Irreführung der Leser beschädigt Ansehen und Glaubwürdigkeit der Presse”.

Heute ist die Redaktion ihrer Verpflichtung nachgekommen und hat die Rüge im Blatt versteckt veröffentlicht:

Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge

Nicht gefunden? Hier:

Erneuter Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge
Ausriss Bild-Zeitung - Rüge des Presserats - Der Deutsche Presserat hat Bild wegen der Berichterstattung Neue Schmutzkampagne bei der SPD vom 16. Februar 2018 eine Rüge erteilt. Beanstandet wird, dass die Redaktion den Artikel veröffentlicht hat, obwohl die SPD die angeblichen Mails ihres Juso-Chefs mit offensichtlichen Argumenten wie der falschen Endung der E-Mail-Adresse dementiert habe. Vor allem aber sei dem Leser suggeriert worden, dass es eine neue Schmutzkampagne bei der SPD gegeben habe, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Auf diese Ungereimtheiten hatte die Redaktion den Leser zwar ausdrücklich hingewiesen. Der Presserat sieht gleichwohl einen Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 Pressekodex.

Rechter Infokrieg, FB-Gegenrede, Bremens Social-Media-Schlapphüte

1. Steingarts Rechnung ging nicht auf
(ndr.de, Marvin Milatz & Lena Paul)
Was steckt hinter dem Ausscheiden von Gabor Steingart beim „Handelsblatt“? War es tatsächlich Steingarts blumig ausgeschmückte Mordfantasie, die “Handelsblatt”-Verleger Dieter von Holtzbrinck zum Handeln “gezwungen” hat? Nun, so einfach ist es wohl nicht. Marvin Milatz und Lena Paul haben sich für „Zapp“ die Geschäftszahlen des Unternehmens angeschaut: Unter Steingart blieben die Abozahlen stabil, aber die Druckauflage verlor stark. Und auch die von Steingart angeschobene englischsprachige Digital-Ausgabe „Global Edition“ soll den Verlag jährlich einen Millionenbetrag gekostet haben.

2. Infokrieg mit allen Mitteln
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Im Netz tobt teilweise ein erbitterter Infokrieg: Rechte Aktivisten der “Reconquista Germanica” greifen gezielt Politiker und Medien an. Mit militärischer Sprache und Präzision steuern sie Trollaktionen, manipulieren Bewertungen und attackieren Personen über Fake-Accounts. Die theoretische Grundlage der Angriffe ist das “Handbuch für Medienguerillas“, in dem die rechten Aktivisten detailliert ihre schmutzigen Vorgehensweisen beschreiben. Vor allem “junge Frauen, die direkt von der Uni kommen” seien “klassische Opfer“, heißt es dort beispielsweise.

3. Nach Like in den Fokus: Bremer Verfassungsschutz durchforstet Internet mit eigener Software
(netzpolitik.org, Matthias Monroy)
Wie mehrere regionale Zeitungen berichten, durchsucht der Bremer Verfassungsschutz das Internet nach bestimmten Schlüsselwörtern, um damit „Extremismus“ aufzuspüren. Ein Mitarbeiter des Dienstes habe einen linguistischen Algorithmus namens „LEA“ entwickelt, mit dem Facebook und Twitter analysiert werden. Im Fokus stünden „Terrorpropaganda von Islamisten, fremdenfeindliche Hetze, linksextreme Mobilisierungsvideos oder ‚Reichsbürger‘-Videos“. In den Blick würden aber auch Nutzer geraten, welche regelmäßig Hassbotschaften liken.

4. Facebook will von der Spaßbremse steigen
(derstandard.at)
Facebook will seinen Nutzern zukünftig weniger Medieninhalte einblenden, dafür aber mehr Persönliches aus dem Umfeld der Freunde anbieten. Der neue Newsfeed soll den Nutzern helfen “bedeutsamere soziale Beziehungen” zu knüpfen, anstatt “relevantere Inhalte” zu finden. Was in der Diskussion über die Umstellung oft zu kurz kommt: Dahinter könnten schlicht geschäftliche Gründe stecken, denn Seitenbetreiber können sich bei Facebook nach wie vor die Aufmerksamkeit ihrer Besucher erkaufen.

5. „Wir müssen aufpassen, sonst wird es finster“
(teleschau.de, Frank Rauscher)
Im Interview erklärt Hannes Ley, Gründer der Facebookgruppe „#ichbinhier“, wie er den Pöbeleien und der Verrohung in den Kommentarspalten mit organisierter Gegenrede begegnet. Er ist sich bewusst, dass er damit etwas erledigt, das eigentlich von den Medien besorgt werden müsste: „Ich würde mir schon wünschen, dass die großen Verlage, vor allem auch die privatrechtlichen Medienhäuser, noch viel mehr unternehmen, um Hatespeech aus ihren Kommentarspalten zu verbannen. Mit dem Verweis auf die Netiquette ist es nicht getan …“

6. So wird man Chefaufseher
(journalist-magazin.de, Kathi Preppner)
Wollen Sie sich auch in das Amt des Chefaufsehers einer Landesmedienanstalt hineinkungeln? Der „journalist“ zeigt Ihnen, in welchem Land Sie die besten Chancen haben.

Geschürter Medienhass, No-Billag, Milchbubis und aufgeregte Mädchen

1. Aufstachelung zum Medienhass
(rbb24.de, Torsten Mandalka)
Am Samstag demonstrierten rund 1.000 Teilnehmer in Cottbus gegen Flüchtlinge. Dabei machte sich auch rechte Hetze gegen Journalisten breit. Für die anwesenden Reporter des „rbb“ eine bedrohliche Situation. Die Wortführer auf der Bühne (u.a. der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende) stachelten die Menge auf, nannten einen Journalisten namentlich und erwähnten dessen Anwesenheit. Gleichzeitig gab man sich besorgt um die Sicherheit der Medienvertreter. Torsten Mandalka kommentiert: „Die Scheinheiligkeit ist das eine – die Aufstachelung zum Medienhass das andere. Journalisten – besonders die vom rbb – werden hier zum Freiwild gemacht für den militanten Arm der rechten Szene. Damit ist klar, was uns blühen soll, wenn diese Kräfte die Macht ergreifen: dasselbe wie den Flüchtlingen.“

2. Die 7 Gründe für ein NEIN zur No-Billag-Initiative
(infosperber.ch, Christian Müller)
In der Schweiz will eine Volksinitiative („No Billag“) die Radio- und Fernsehgebühren abschaffen. Die Betreiber der Initiative argumentieren unter anderem mit der Aussicht auf einen nach ihrer Ansicht faireren Wettbewerb und einer grösseren Medienvielfalt. Nur noch wenige Wochen und das Land stimmt darüber ab. Christian Müller erklärt in sieben Punkten, warum er die No-Billag-Initiative für einen „Angriff auf das Erfolgsmodell Schweiz“ hält.

3. „Krone“ verdoppelt Anteil der kriminellen Asylwerber
(kobuk.at, Katharina Grübl)
In einem Bericht der österreichischen „Krone“ wurde behauptet, dass beinahe jeder Zweite der kriminell gewordenen Ausländer ein Asylwerber sei. Die Zahl stamme aus dem aktuellen Sicherheitsbericht. „Kobuk“ erklärt, warum die Behauptung der „Krone“ Unsinn ist.

4. “Wir können abfeiern, was kommt”
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio, 7:48 Minuten)
Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit Marcus von Jordan unterhalten, dem Gründer von „Piqd“. In der „Programmzeitung fürs Netz“ geben Experten Linktipps zu ihren Lieblingsartikeln. Das Netz sei nach wie vor “voll von erstklassigen Inhalten, die man umsonst konsumieren kann”, so “Piqd“-Chef von Jordan. Selbst produziere man keine Inhalte, sondern helfe dabei, den Überblick zu wahren: “Wir können abfeiern, was kommt.“ Außerdem bezieht er Stellung zu Facebooks Ansatz, künftig seine User über die Glaubwürdigkeit von Inhalten entscheiden zu lassen.

5. “Ein Polizist, der Gewalt anwendet, macht sich nicht automatisch strafbar”
(spiegel.de, Ansgar Siemens)
Der „Spiegel“ hat mit dem Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich gesprochen, der die Ermittlungen zu den G20-Ausschreitungen leitet. Er äußert sich auch zum Fall der von der „Bild“ als „Krawall-Barbie“ stigmatisierten Minderjährigen. Man würde bei der Öffentlichkeitsfahndung darauf vertrauen, dass mit entsprechend hoher Verantwortung nur die Fahndung als solche betrieben werde, ohne einzelne Personen zusätzlich an den Pranger zu stellen. Darauf hätte man jedoch keinen Einfluss: „Wir können leider auch nicht verhindern, dass Redaktionen eigenständig Bilder ohne vorherigen Gerichtsbeschluss veröffentlichen. Sollte ein geordnetes Vorgehen nicht möglich sein, müssten wir künftig überlegen, Verfahren aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ohne Fahndungsaufruf einzustellen. Damit wäre der Strafverfolgung ein Bärendienst erwiesen.“

6. Warum werden junge Politiker verniedlicht?
(deutschlandfunkkultur.de, Christoph Sterz & Max Oppel)
Der Juso-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert (28) wird von manchen Medien wie ein kleiner Junge behandelt, die Juso-Vorsitzende Annika Klose (25) wird vom Chefredakteur der “Welt am Sonntag” auf Twitter als „aufgeregtes Mädchen“ bezeichnet. Warum dieser respektlose Umgang? Der Medienjournalist Christoph Sterz tippt zumindest bei Letzterem auf einen Fall von Ignoranz: “Es ist schon so, dass nicht mal verstanden wird, dass es da eine Herabwürdigung gibt.“

Die AfD-Gärtner der “Bild”-Zeitung wundern sich über die Frucht-Ernte

Liest man heute den Kommentar von Tanit Koch zur Bundestagswahl und den 12,6 Prozent, die die AfD bekommen hat, könnte man fast meinen, dass die “Bild”-Chefredakteurin in den vergangenen Monaten durchgehend im Urlaub war und nichts davon mitbekommen hat, was in ihrem Blatt so passiert ist.

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Koch-Kommentars - Die Früchte der Angst

Koch schreibt:

Für Anstand steht das A in AfD nicht. Dennoch wurde sie gewählt — weil die regierenden Parteien, weil die Kanzlerin Vertrauen verspielt haben. (…)

Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen.

Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet.

Es mag stimmen, dass ein Grund für die AfD-Stärke die Schwäche der “regierenden Parteien” ist. Es mag stimmen, dass Angela Merkel Sorgen nicht schmälern konnte. Was aber auch stimmt, und was Tanit Koch nicht mit einer Silbe erwähnt: Die “Bild”-Zeitung hat “die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung” stetig bedient. Um im Bilde zu bleiben: Die fauligen Bäume und dornigen Sträucher, von denen die AfD “die Früchte der Angst” ernten konnte, haben unter anderem Tanit Koch und ihr Team ausgesät, sie haben sie immer wieder gegossen und gepflegt.

Da war zum Beispiel das “Bild”-Wahlprogramm:

Ausriss Bild-Titelseite - Das große BILD-Wahlprogramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Am 17. Juli, also gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, veröffentlichte die Redaktion fast auf einer kompletten Doppelseite eine Sammlung aus 25 “ES KANN DOCH NICHT SEIN”-Punkten:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Nur ein Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Forderung der Bild zu Asyl/Integration - Es kann doch nicht sein, dass Asylsuchende und Zuwanderer sich nicht nach unseren Regeln richten. Darum gilt in Deutschland ein Burka-Verbot. Frauen und deren Ehemänner, die sich dem Widersetzen, werden mit Bußgeld belegt. Handelt es sich um Touristen, müssen sie umgehend ausreisen. Ein umfassendes Ausweisungsgesetz regelt zudem, welche Straftaten zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Fortgesetzter Sozialbetrug führt zur Beendigung eines Asylverfahrens.

Schon die Entscheidung für diesen Wahlkampfpunkt hat nichts mit Aufklärung zu tun, nichts mit dem Nehmen von Sorgen, sondern ist das reine Bedienen von Sorgen durch ein Scheinproblem. Abgesehen von dem Detail, dass es in der Regel nicht um Burkas, sondern um Niqabs geht, betrifft dies wohl wie viele Menschen in Deutschland? Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln sicher ein paar mehr. In der Fußgängerzone in Görlitz vermutlich deutlich weniger. Sind es insgesamt im ganzen Land überhaupt mehr als 1000 Niqab-Trägerinnen? Dank “Bild” sieht es für mehrere Millionen Menschen wenige Wochen vor der Wahl so aus, als gehöre das Thema Burka/Niqab zu den 25 dringendsten der Bundesrepublik.

Dass ein Teil dieser Leute dann an den Laternen AfD-Plakate hängen sieht, auf denen steht “‘Burkas?’ Wir steh’n auf Bikinis.”, und sich denkt “Och, joar, könnte man vielleicht wählen” — völlig abwegig ist das nicht.

Diese Burka-Forderung, dieses ganze “Bild”-Wahlprogramm voller AfD-Positionen war komplett unnötig. Ja, man kann das machen, wenn man ganz rechten Positionen eine Plattform geben, Ressentiment schüren und ein bisschen zündeln will. Aber man muss es nicht. Und vor allem muss man sich dann nicht einen Tag nach der Wahl verblüfft zeigen über 12,6 Prozent. Bei der AfD waren sie im Juli jedenfalls hellauf begeistert von der kostenlosen Wahlwerbung in der immer noch auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm
Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht
Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Das “Bild”-Wahlprogramm war nur ein kleiner Baustein der Berichterstattung, die Uwe Junge, Alexander Gauland, Alice Weidel und all den anderen in die Hände gespielt hat. Seit Jahren — auch schon lange vor Gründung der AfD — trägt die Redaktion dazu bei, dass Positionen wie die der rechtesten Partei im kommenden Bundestag millionenfach an Kiosken liegen. Und häufig basieren die empörten und empörenden Schlagzeilen auch noch auf falschen Fakten. Da war beispielsweise der von einem AfD-Sympathisanten erfundene falsche Flüchtlings-“Sex-Mob”, den “Bild” willfährig aufgriff. Die sechsfach falsche Meldung, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die falsche Geschichte, dass Politiker forderten, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen. Die falsche Information, dass Flüchtlinge in Hamburg problemlos schwarzfahren dürften. Oder das falsche Gerücht, dass Sanitäter des Roten Kreuzes wegen Asylbewerbern nun Schutzwesten anhätten. “Bild” schreibt gegen Muslime, gegen Roma, gegen Griechen, gegen Ausländer, noch mal gegen Muslime, ein weiteres Mal gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Muslime. Es sei auch noch mal an den hasserfüllten Kommentar von Nicolaus Fest erinnert, der einst Kulturchef bei “Bild” und bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur beim Schwesternblatt “Bild am Sonntag” war und der gestern als Direktkandidat der AfD im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nicht den Einzug in den Bundestag schaffte.

Am 17. Juli dann also das “Bild”-Wahlprogramm. Und auch danach ging es weiter mit der AfD-Förderung durch das Boulevardblatt. Mats Schönauer hat sich bei “Übermedien” durch die vergangenen zwei “Bild”-Monate gewühlt. So sahen die Titelseiten und Überschriften aus:

Collage mit Bild-Schlagzeilen - Mitten in Deutschland Burka-Frau verprügelt Dessous-Verkäuferin - Krankenkassen machen Minus Flüchtlinge kosten 20 Millionen im Monat - Asylbetrug So leicht ist es in Deutschland abzukassieren - Die große Abschiebe-Lüge - 387 Abschiebungen in letzter Minute gestoppt - Das hat der Islam mit Terror zu tun - So viele Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss - Und wieder ein Frauenmörder der längst abgeschoben sein müsste - Joggerin vergewaltigt Warum wurde der Täter nicht abgeschoben? - Die Strafakte der abgeschobenen Afghanen - So spaltet die Flüchtlingskrise unser Land

Ich glaube nicht, dass die “Bild”-Redaktion ein Haufen von AfD-Wählern ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Julian Reichelt und Tanit Koch und die meisten anderen “Bild”-Mitarbeiter in ihren Kommentaren öffentlich gegen diese Partei anschreiben und in der Wahlkabine heimlich Kreuze bei ihr machen. Und trotzdem ist die “Bild”-Zeitung ein AfD-Blatt. Mit ihren gewählten Schwerpunkten, mit den Zuspitzungen auf den Titelseiten, mit den verwendeten Begriffen in Überschriften haben Reichelt und Koch und viele ihrer Kollegen die Gesprächsthemen in Büromittagspausen, in Bauwägen und an analogen wie digitalen Stammtischen geprägt. Über die “Burka-Frau” wurde dort diskutiert. Man regte sich über die Bedrohung der Rot-Kreuz-Sanitäter auf. War wütend über schwarzfahrende Flüchtlinge. “Bild” hat nicht direkt für die AfD geworben. “Bild” hat aber den öffentlichen Diskurs im Sinne der AfD vorgegeben.

Tanit Koch und ihre Redaktion titeln heute:

Titelseite der Bild-Zeitung - Der Rechts-Rumms

“Bild” hat kräftig mitgerummst.

Als “Bild” Putins Flüchtlings-Sex-Mobs auf die Bundestagswahl losließ

Jetzt also doch!

Screenshot von der Bild.de-Startseite - Jetzt gerade! Während Deutschland wählt! Riesiger Russen-Angriff auf unsere Wahl - Roboter verbreiten AfD-Gerüchte über Wahl-Fälschungen

“Bild”-Redakteur Julian Röpcke hat sich das Hashtag #Wahlbetrug mal genauer angeschaut, unter dem seit Samstag bei Twitter AfD-Inhalte verbreitet werden und das von vielen Bots “gepusht” werde:

BILD analysierte den Hashtag “Wahlbetrug”. Im Netz wird er am engsten im Zusammenhang mit den Begriffen “AfD”, “Islamisierung”, “Wahlbeobachter” und “btw17” verwendet. Außerhalb Deutschlands wird er vor allem von drei Ländern gepusht. Den USA auf Platz 1, Großbritannien auf Platz 2 und Russland auf Platz 3.

Röpcke und Bild.de hätten also genauso gut (und eigentlich noch besser) titeln können: “Ausgewachsener Ami-Angriff auf unsere Wahl”. Doch stattdessen:

Screenshot Bild.de - Während Deutschland wählt - Russen-Accounts pushen AfD-Kampagne

Für Röpcke und seine Kollegen steht schon seit vielen Monaten fest, dass die heutige Bundestagswahl von russischen Kräften, genauer: von Wladimir Putin und dem Kreml, massiv beeinflusst werde. Allerdings hatten sie ganz andere Kaliber vorausgesagt als nur einige Bots aus Russland, die nun kontinuierlich AfD-Hashtags retweeten. Zusammen mit seiner Kollegin Karina Mößbauer veröffentlichte Röpcke im Dezember vergangenen Jahres dieses Dossier zu Putins buntem Propaganda-Blumenstrauß:

Screenshot Bild.de - Kreml-Chef will Merkel loswerden und Extremisten stärken - Putins Geheim-Krieg gegen unsere Wahl - Was Sie wissen müssen, damit Sie nicht aus Versehen Putin wählen - Artikel 2: Propaganda-Feldzug mit Sexmobs - Artikel 3: Bewusst gestreute Fake-News - Artikel 4: Cyber-, Web- und Social-Media-Manipulation

Das Autoren-Duo schreibt:

Attacke auf unsere Bundestagswahl! Es ist ein hybrider Großangriff auf die Wahrnehmung der Deutschen. Und er hat mehrere konkrete Ziele.

Experten sind sich einig: Mit seinen Kampagnen will Russen-Präsident Wladimir Putin (64) das Vertrauen der Bevölkerung in den deutschen Staat, die Behörden und insbesondere Angela Merkel (62, CDU) erschüttern und die Menschen in die Hände von linken und rechten Extremisten treiben.

Manche Punkte dieses “Geheim-Krieg”-Dossiers sind ein bisschen lustig, zum Beispiel jener mit den “bewusst gestreuten Fake-News”. Die einzige uns bekannte richtige “Fake News”, die es in diesem Jahr in ein großes deutsches Medium geschafft hat, wurde von der “Bild”-Zeitung verbreitet und betraf einen vermeintlichen Flüchtlings-“Sex-Mob”, der an Silvester durch Frankfurt am Main “getobt” sein soll. Die Frankfurter “Bild”-Redaktion war dabei auf eine Lüge eines AfD-Sympathisanten reingefallen.

Gar nicht lustig, sondern ziemlich irre ist die Ankündigung eines “Propaganda-Feldzugs mit Sexmobs”:

Screenshot Bild.de - Putins hybrider Großangriff zur Bundestagswahl 2017 - Propaganda-Feldzug sogar mit Sexmobs

Der Artikel von Mößbauer und Röpcke hat wirklich alle Zutaten, die auch ein Neuntklässler wählen würde, wenn er in einer Hausaufgabe eine kreative Verschwörungstheorie erfinden soll: Putin, Flüchtlinge, syrischer Geheimdienst, irakischer Geheimdienst, Mafia, Tote, Sex-Mob. Denn “jenseits von Desinformation”, so Mößbauer und Röpcke, “könnte es noch schlimmer kommen!”

In Sicherheitskreisen wird bereits diskutiert, wie Russland versuchen könnte, mit Störaktionen ein radikales Umdenken in der Bevölkerung zu erzwingen — womöglich sogar mit tödlicher Gewalt. (…)

Eine bislang unbekannte Komponente ergebe sich aus der engen Zusammenarbeit von russischen, syrischen und anderen Geheimdiensten sowie russischer Mafia, sagt Russland-Experte Gustav Gressel (European Council on Foreign Relations).

“Ein Teil der Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, wenn auch nur ein sehr kleiner Teil, hatte Verbindungen zu Assads oder Saddam Husseins Geheimdiensten.”

Diese Menschen könnten gezielt von Geheimdienstagenten oder aus Mafiakreisen angesprochen und für Störaktionen instrumentalisiert werden, warnt Gressel.

“Was würde zum Beispiel passieren, wenn sich auf einem Sommerfestival vor der Wahl etwas ähnliches wiederholt wie in Köln zur Silvesternacht? Wie würde Merkel dann da stehen? Was wäre die Konsequenz für die Bundestagswahl? Natürlich ist das ein extremes Beispiel, aber es ist im Bereich des Möglichen”, sagt Gressel weiter.

Wir haben nun bis kurz vor Ende der Bundestagswahl gewartet. Nirgends trat ein Putin-Assad-Saddam-Mafia-Flüchtlings-Sex-Mob auf. Auf keinem “Sommerfestival” und auch sonst nirgendwo in Deutschland. Schon bei der Veröffentlichung im Dezember 2016 klangen die Aussagen von Gustav Gressel abwegig genug, um sie für höchst fragwürdig zu halten. Doch statt sie zu hinterfragen, adoptieren Röpcke, Mößbauer und “Bild” die Verschwörungstheorie ihres Experten bereits in der Überschrift.

Julian Röpcke schreibt heute zu den retweetenden Twitter-Accounts aus Russland:

Unklar ist, ob es sich bei der Kampagne um mehr als bloße Propaganda handelt.

Das fragen wir uns manchmal auch.

Beim Untergang des Abendlandes geht es um die Wurst

Die “Springer”-Medien, allen voran “Bild”, erzählen gern die Geschichte von der Islamisierung Deutschlands, die man im Kleinen beobachten könne. Auf dem Adventsmarkt zum Beispiel, der inzwischen gar nicht mehr Adventsmarkt heiße, sondern Wintermarkt. Oder bei der Forderung von Politikern, dass Christen zu Weihnachten auch mal ein muslimischen Lied in der Kirche singen sollten.

Nach ein wenig Recherche stellt sich dann meistens raus: Der Wintermarkt hieß schon immer Wintermarkt, weil er jedes Jahr zwar im Winter, aber nicht im Advent stattfindet. Und die Idee mit den muslimischen Liedern stammt gar nicht von Politikern, sondern von “Bild”-Reportern, die sie den Politikern in den Mund gelegt haben.

Dank Mathias Döpfner und Welt.de ist nun ein weiteres Kapitel in der “Springer”-Geschichtensammlung mit falschen Informationen zur angeblichen Islamisierung Deutschlands hinzugekommen: die Erzählung von der Neusser Bockwurst.

Döpfner ist nicht nur Vorstandsvorsitzender bei “Axel Springer”, sondern seit 2016 auch Präsident des “Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger” (“BDZV”). In dieser Rolle hat er gestern beim “BDZV”-Treffen in Stuttgart eine Rede gehalten. Die Mitarbeiter von Welt.de haben diesen Auftritt ihres Chefs dokumentiert:

Screenshot Welt.de - Meinung - Mathias Döpfner - Die Taschenlampe des mündigen Bürgers

Journalismus solle, so Mathias Döpfner in seiner Rede, “Scheinwerfer der Aufklärung” sein oder zumindest “die Taschenlampe des mündigen Bürgers”. Er könne “Licht an Dinge bringen, die im Dunklen bleiben sollten.”

Aufklärerischer Journalismus — klingt gut. Nur leider ist das, was Döpfner in Stuttgart präsentiert hat, das exakte Gegenteil. Zu Beginn seines Vortrags machte der “Springer”-Vorsitzende einen großen Bedrohungsrundumschlag: Terror, Morde, Bombenexplosionen, das meiste davon durch Muslime verursacht. Döpfner sagte, Samuel Huntingtons “Clash of Civilizations” sei Realität, Michel Houellebecqs “Unterwerfung” könnte es bald sein. Thilo Sarrazins “Deutschland schafft sich ab” erwähnte der “BDZV”-Präsident nicht, es war aber allgegenwärtig, auch bei Döpfners Erzählung von der Neusser Bockwurst:

Erst vor ein paar Wochen berichtete der “Nordkurier” aus Neuss, die traditionelle Bockwurst im Freibad sei abgeschafft worden. Grund: Schweinefleisch. Halal sind längst nicht mehr nur türkische oder arabische Restaurants. Mir würde keine einzige Ergänzung einer Speisekarte Sorgen machen. Mögen die Leute Insekten, Vegetarisches, Veganes, Schnecken, Innereien, halal oder koscher essen. Sorgen macht mir das Gegenteil: das Ende der Vielfalt. Am schlimmsten ist die Streichung aus Angst. Der Beginn der Unterwerfung.

Nicht nur beim Essen laufen wir Gefahr, Rechtsstaat und Kultur den Vorstellungen einer kleinen, radikalen Minderheit zu opfern.

Erstmal: Vermutlich war es nicht ein Bericht des “Nordkuriers”, auf den sich Mathias Döpfner bezieht. Der “Nordkurier” erscheint schließlich in Mecklenburg-Vorpommern und berichtet nur selten über Bockwürste im nordrhein-westfälischen Neuss. Eher könnte Döpfner den “Stadt-Kurier” gemeint haben, ein Anzeigenblatt aus Neuss. Außerdem ist es nicht “ein paar Wochen” her, dass der “Stadt-Kurier” über “die traditionelle Bockwurst im Freibad” berichtet hat, sondern 44 Wochen. Am 9. November 2016 titelte die Redaktion:

Screenshot Stadt-Kurier - Es geht um die Bockwurst - Ein paar Muslime haben durchgesetzt, dass es im Nordbad nur noch Hühnchen gibt

Und das ist — der wichtigste Punkt bei dieser Angelegenheit — grober Unfug. Mathias Döpfner hat mit seiner Rede gestern in Stuttgart dazu beigetragen, dass dieser Unfug am Leben bleibt.

Tatsächlich gibt es auf der Neusser Freibad-Wiese keine Bockwurst aus Schweinefleisch mehr. Der Grund dafür ist aber nicht, dass randalierende Muslime vor der Bude standen und die Abschaffung der Schweinewurst forderten. Im Gegenteil: Niemand hat sich mehr für die Bockwürste interessiert, keine schweinefleischablehnenden Muslime und auch keine schweinefleischessenden Kunden. Deswegen schwammen die Bockwürste Ewigkeiten im Warmhaltewasser vor sich hin, bis die Besitzerin der Bude sie wegschmeißen musste. Und weil das nicht nur einmal vorkam, sondern immer wieder, hat sie die Bockwurst aus ihrem Angebot genommen — eine nachvollziehbare Überlegung und höchstens eine betriebswirtschaftliche Unterwerfung.

Mathias Döpfner hätte das wissen können. Am 10. November 2016, also bereits einen Tag nach dem Beitrag im “Stadt-Kurier”, veröffentlichte “Der Westen” einen Artikel zur Neusser Freibad-Bockwurst:

Das Ende der Kult-Bockwurst im Neusser Nordbad ist gekommen. Wirtin Monika Rötzsch reagiert damit auf die geringe Nachfrage.

“Früher kamen täglich bis zu 3000 Leute ins Freibad — heute sind es bei einem guten Sommertag maximal 300“, klagt die Wirtin. Heute praktiziere jeder vierte Besucher den muslimischen Glauben. (…)

Da ihr die Wurst kaum jemand abkauft, vergammelten die Nahrungsmittel ständig. Schließlich muss eine Bockwurst im Wasser warmgehalten werden. (…)

Auch das Restaurant direkt neben dem Schwimmbad betreibt Monika Rötzsch. “Bei Moni” ist die Bockwurst übrigens weiter im Programm. Denn hier haben die Gäste weiterhin Lust auf Schweinefleisch.

In seiner Rede zur aufklärerischen Kraft des Journalismus macht Mathias Döpfner mit beim islamfeindlichen Verwirrspiel.

Es gibt übrigens auch Kritik an Döpfners Auftritt in Stuttgart, weil er an einer anderen Stelle den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den Begriffen “Staatsfernsehen” und “gebührenfinanzierte Staatspresse” in Verbindung brachte. Solche Vokabeln begegnen einem normalerweise bei AfD-Veranstaltungen und “Pegida”-Märschen. Genau dorthin passt auch das Neusser Bockwurst-Märchen.

Mit Dank an Lennart C. für den Hinweis!

“Bild” liefert wieder Futter für rechte Hetzer

Acht Afghanen wurden am Dienstagabend von Düsseldorf aus nach Kabul abgeschoben. Es war die erste Sammelabschiebung nach Afghanistan seit vier Monaten. Die acht Männer waren in Deutschland alle straffällig geworden, einige von ihnen mit abscheulichen Taten wie Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch.

Die Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung titelte gestern groß:

Ausriss Titelseite Bild-Düsseldorf - Gestern, 19:36 Uhr, startete die Boeing 737 von Düsseldorf nach Kabul - Abschiebe-Flieger voller Sex-Täter!

Und auch Bild.de schrieb von einem “FLIEGER VOLLER SEX-TÄTER”:

Screenshot Bild.de - Flieger voller Sex-Täter! Verbrecher nach Afghanistan abgeschoben

Das ist natürlich maßlos übertrieben und vermittelt ein ziemlich falsches Bild. Eine Boeing 737, mit der die Abschiebung durchgeführt wurde, bietet — je nach Ausführung — Plätze für bis zu 230 Menschen. Acht davon waren durch abgeschobene Personen besetzt. In Düsseldorf startete am Dienstagabend kein “FLIEGER VOLLER SEX-TÄTER!”

Angesprochen auf die Diskrepanz zwischen der reißerischen Überschrift und den Fakten, reagierte “Bild”-Oberchef Julian Reichelt bei Twitter:

Tatsächlich lautet die “Zeile” bei Bild.de nun anders:

Screenshot Bild.de - Kriminelle aus Deutschland abgeschoben - Hier kommen die Verbrecher in Afghanistan an

In der Düsseldorfer Print-Ausgabe ließ sich der Unsinn vom “ABSCHIEBE-FLIEGER VOLLER SEX-TÄTER” hingegen nicht mehr anpassen. Und auch nicht auf den rechten und ganz rechten Facebook-Seiten, die die “Bild”-Schlagzeile liebend gern verbreiteten:

Screenshot Facebook-Seite Deutsches Volk bewaffne dich mit Wissen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Ich will mein Land zurück mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Büdingen wehrt sich Asylflut stoppen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Deutschland zuerst Gruppe Nordrhein-Westfalen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Deutsch sein ist kein Verbrechen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland Gemeinschaft mit Bild.de-Post

In den Kommentaren unter diesen Postings wird die Sprache der “Bild”-Schlagzeile aufgegriffen und weitergehetzt. So richtig rund ging es aber vor allem auf der “Bild”-eigenen Facebookseite. Der dortige Post wurde inzwischen (Stand: 14. September, 22:48 Uhr) über 26.000 Mal geliked, mehr als 1800 Mal geteilt, über 2800 Mal wurde kommentiert:

Screenshot Facebook-Seite von Bild.de mit Abschiebe-Flieger-Posting

Im Vergleich zu anderen “Bild”-Beiträgen in dem Sozialen Netzwerk ist dieser irre erfolgreich.

Von Julian Reichelts Ankündigung bei Twitter, die “Zeile” des Artikels anzupassen, ist bei Facebook leider nichts zu sehen. Dafür hätte die Redaktion den Selbstläufer auch löschen müssen. Mit ihm wären immerhin Kommentare wie diese verschwunden:

Es gibt ein Land da wird das Körperteil abgehackt welches die Straftat begangen hat … das wäre doch mal was…aber dafür haben wir zu wenig Pfleger…

Alles Sex Täter?? Naja dann lasst die Maschine abstürzen

Viel zu wenig abgeschoben .Das ganze Dreckspack gehört ohne wenn und aber in die schlimmsten Regionen der Erde gebracht und abgeschlachtet. Das sind keine Menschen aber au h kein Vieh, das ist Abschaum

Dazu auch:

Legale Köpfung, Völkisch radikalisiert, Affen-Selfie-Vergleich

1. Von der Faulheit der Staatsanwaltschaft
(sueddeutsche.de, Heribert Prantl)
Handelt es sich bei dem Satz “Man sollte dich köpfen” um eine “zulässige Meinungsäußerung”? Wenn man nach der Staatsanwaltschaft Berlin geht: Ja! Im konkreten Fall ging es darum, dass ein Facebook-Nutzer die Grünen-Politikerin Renate Künast mit diesem Satz angegangen war, worauf diese den Nutzer angezeigt hatte. Heribert Prantl, in früheren Jahren selbst als Staatsanwalt tätig, ist gleichermaßen entsetzt und empört: “Eine Staatsanwaltschaft, die solche Tiraden zulässt, stellt nicht nur die Beleidiger straflos, sondern auch die Politiker rechtlos. Politiker sind nicht die Hausschweine der Demokratie, denen man jeden Dreck in den Kübel schütten kann.”

2. Immer auf die Kleinen
(taz.de, Jörg Wimalasena)
Die zweiteilige ARD-Reportage „Wahl 2017: Die kleinen Parteien“ wollte Kleinparteien vorstellen. Nach Ansicht von “taz”-Autor Jörg Wimalasena geschah dies jedoch auf eine herabsetzende Art: “Man muss kein Anhänger dieser Parteien sein, um ihre Anliegen respektvoll zu würdigen. Den ARD-Reportern scheint es aber vor allem darum zu gehen, die Aktivisten kleiner Parteien kamerawirksam durch den Kakao zu ziehen und deren Anliegen der Lächerlichkeit preiszugegeben.”

3. „Völkisch radikalisiert“
(correctiv.org, Sarina Balkhausen & Carla Reveland)
Der Sozialwissenschaftler Andreas Kemper befasst sich intensiv mit der AfD, teilweise mit spektakulären Ergebnissen. So will er herausgefunden haben, dass der Thüringer AfD-Frontmann Björn Höcke unter dem Namen Landolf Ladig in Publikationen der rechtsextremen NPD publiziert. Im Gespräch mit “correctiv” geht es um rechtes Gedankengut, verräterische Sprache und die Debatte um eine E-Mail Alice Weidels.

4. “Man muss Menschen beibringen, dass so was nicht geht”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz)
Die Initiative gegen Hass im Netz “#ichbinhier” hat viel mediale Aufmerksamkeit erfahren und wurde mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnet. In letzter Zeit sei es jedoch immer schwerer geworden, gegen den Hass anzuarbeiten, so der Gründer Hannes Ley: “Seit einigen Wochen nehmen wir einen deutlichen Zuwachs von Hassrede auf Facebook und in den sozialen Medien insgesamt wahr. Die Vorurteile und Beleidigungen sowie die zum Teil offene Fremdenfeindlichkeit und Hetze haben eine neue Intensität erreicht und die direkten Angriffe gegen unsere Gruppe und ihre Mitglieder sind besonders aggressiv und besorgniserregend.”

5. Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl
(reporter-ohne-grenzen.de)
Kurz vor der Bundestagswahl am 24. September hat “Reporter ohne Grenzen” den Parteien sogenannte Wahlprüfsteine vorgelegt. Darin geht es unter anderem um den Schutz von Journalisten vor digitaler Überwachung, die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes und den Umgang mit repressiven Regierungen. Mit Ausnahme der AfD haben alle angefragten Parteien geantwortet. Im Artikel findet man eine Zusammenfassung der verschiedenen Positionen. Die vollständigen Antworten der Parteien gibt es hier.

6. Streit um Affen-Selfie beendet
(zeit.de, Friedhelm Greis)
Ein bizarrer Rechtsstreit zwischen einem britischen Fotografen und der Tierrechtsorganisation “Peta” wurde mit einem Vergleich beigelegt. “Peta” ließ die Berufungsklage gegen den Fotografen fallen, der die Rechte an einem Affen-Selfie für sich reklamiert hatte. Im Gegenzug habe sich der Fotograf verpflichtet, 25 Prozent der künftigen Einnahmen aus einem Buch mit den Affenfotos für den Erhalt der Makaken-Lebensräume in Indonesien zu spenden.

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