Suchergebnisse für ‘wie hetze ich gegen ein land auf’

Steilvorlage für Rechtsaußen, Spahns Privates, Männliche Regionalzeitungen

1. Die dpa liefert Steilvorlage für rechte Verschwörungshetzer – die “Welt” nimmt dankend an
(volksverpetzer.de, Tobias Wilke)
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg fragte beim Bundesinnenministerium nach dem Anteil der Asylerstantragstellenden, die bei der Antragstellung keine gültigen Identitätspapiere vorweisen konnten. Der Anteil habe bei mehr als der Hälfte gelegen, so das Ministerium. Über eine dpa-Meldung gelangte die Zahl zu allerlei rechten Postillen und der NPD, die sie in ihre Erzählung einpflegten. Aber auch die “Welt” stürzte sich auf die Meldung. Tobias Wilke erklärt, wie die Zahl zustande komme und warum der Skandal an ganz anderer Stelle liege. Lesenswert, weil es eine Falschargumentation dekonstruiert, auf die viele aus Unkenntnis hereinfallen.

2. Das Private ist politisch
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die Immobiliengeschäfte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn werfen Fragen auf. Fragen, mit denen sich Redaktionen beispielsweise ans Grundbuchamt gewandt haben. Spahn scheint dies sehr zu missfallen: Laut “Tagesspiegel” hätten seine Anwälte erfahren wollen, wer denn da von welchen Medien was genau wissen wollte. Steffen Grimberg kommentiert: “Alles Private ist immer noch politisch. Und was Spahn verbergen wollte, interessiert plötzlich alle Welt. Er sollte sich schleunigst bessere Be­ra­te­r*in­nen besorgen, sonst geht’s am Ende noch auf die Gesundheit.”

3. Tipp: So klappt es mit der Filmförderung
(fachjournalist.de, Ralf Falbe)
Was nicht alle wissen: Die Filmförderung springt nicht nur bei aufwändigen Kinoproduktionen, sondern auch bei Kurzfilmen, Dokus und Multimedia-Projekten ein. Ralf Falbe gibt Tipps für die Antragstellung und Kostenzusammenstellung. Nicht nur für Produzenten und Filmemacherinnen lesenswert, weil der Text einen ganz anderen Blick hinter die Kulissen liefert.

Bildblog unterstuetzen

4. Männerdomäne Regionalzeitungen: ProQuote Medien stellt neue Studie vor
(pro-quote.de)
Der Verein ProQuote hat eine “qualitative Studie zu Machtbeteiligung und Aufstiegschancen von Journalistinnen bei Lokal- und Regionalzeitungen” angestoßen (PDF). In der Untersuchung geht es auch um die Fragen, warum in deutschen Regional- und Lokalzeitungen so wenige Frauen in Führungspositionen kommen und wie man dem entgegenwirken kann: “Der Frauenmachtanteil in den Chefredaktionen liegt bei rund zehn Prozent – und damit niedriger als in jeder anderen Mediengattung.”

5. Lie­bes­grüße von der Medi­en­auf­sicht
(lto.de, Frederik Ferreau)
Unlängst verschickten Landesmedienanstalten “Hinweisschreiben” an verschiedene Onlineportale, in denen sie auf Ungenauigkeiten in der Berichterstattung aufmerksam machten. Medienrechtler Frederik Ferreau wirft einen juristischen Blick auf die neue Praxis und kommentiert: “Das ist in der Anfangsphase ein begrüßenswertes, weil grundrechtsschonenderes Vorgehen. Bedenklich werden solche Schreiben aber, sollten darin geringfügige Mängel der Online-Portale thematisiert werden, die gar nicht das Potential einer Tatbestandserfüllung besitzen: Dann überdehnte die Aufsicht ihre Befugnisse und könnte schlimmstenfalls ‘chilling effects’ in Form einer Einschüchterung der Anbieter hervorrufen. Im sensiblen Spannungsfeld zwischen Medien und Medienaufsicht gilt es, solche Effekte unbedingt zu vermeiden.”

6. ServusTVs Corona-Quartett gleicht einem Verschwörungskabinett
(kobuk.at, Lena Wechselberger)
Lena Wechselberger analysiert die Sendereihe “Corona-Quartett” des österreichischen Privatsenders ServusTV, die zum Stelldichein von “alternativen Experten” wurde. Ihr Fazit: “Diskussionen über COVID-19 und die Regierungsmaßnahmen dürfen natürlich durchaus kritisch und kontrovers sein, das ist keine Frage. Polarisierung zum Selbstzweck einer gesamten Sendreihe zu machen, ist jedoch höflich ausgedrückt: Mehr als fraglich. Das Ergebnis ist die Konstruktion einer Parallelrealität fernab jeglicher wissenschaftlichen Fakten. Das Corona-Quartett wurde so zur österreichischen Speerspitze verharmlosender (Falsch-)Information während einer weltweiten Pandemie.”

Beschwerderekord, Haftbefehl gegen Hildmann?, Behäbige Fernseh-Zeiten

1. 2020: Beschwerderekord beim Presserat
(presserat.de)
Der Deutsche Presserat stellt seinen Jahresbericht 2020 (PDF) vor, der eine traurige Rekordmarke bereithält: Noch nie habe es so viele Beschwerden wie im vergangenen Jahr gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich fast doppelt so viele Personen an die freiwillige Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien gewandt.

2. Attila Hildmann wird offenbar per Haftbefehl gesucht
(tagesspiegel.de, Alexander Fröhlich & Julius Geiler)
Kochbuchautor und Verschwörungsideologe Attila Hildmann ist für seine wüsten Tiraden und Hetzereien bekannt. Nachdem die großen Social-Media-Plattformen ihm den Zugang gesperrt haben, hat er sich auf den Messengerdienst Telegram zurückgezogen. Wo er sich jedoch gerade örtlich aufhält, sei nicht bekannt. Möglicherweise habe er sich ins Ausland abgesetzt, um einem drohenden Haftbefehl zu entgehen. Derweil seien die Berliner Ermittler mit einer wahren Sisyphos-Aufgabe beschäftigt: Sie würden mehr als 1000 Hildmann-Aussagen auf strafrechtliche Relevanz hin überprüfen.

3. Boulevard-Medien gehen unfair mit Frauen um
(jetzt.de, Nhi Le)
Manche Medien würden die immer gleichen toxischen und misogynen Bilder bedienen, wenn es um die Berichterstattung über prominente Frauen geht, so die Journalistin Nhi Le: “Rabenmutter, Heilige oder Hure, Zicke, Goldgräberin, Homewrecker. All diese und weitere Narrative beruhen auf sexistischen Vorwürfen und Ansprüchen, denen Frauen nie gerecht werden können und nie gerecht werden sollten. Denn sie sind rückschrittlich, heuchlerisch und teilweise einfach bösartig.”

Bildblog unterstuetzen

4. “Geschäftsmodell von Google und Facebook in den Blick nehmen”
(deutschlandfunk.de, Magdalena Neubig, Audio: 5:01 Minuten)
Der Softwarehersteller Microsoft will gemeinsam mit europäischen Presseverlagen ein Bezahlsystem für Verlagsinhalte im Internet entwickeln. Dahinter steckt der Wunsch der Verlage, die großen Tech-Firmen für die direkte und indirekte Nutzung ihrer Inhalte zur Kasse zu bitten. Alexander Fanta, Brüssel-Korrespondent von netzpolitik.org, erklärt im Interview mit dem Deutschlandfunk die verschiedenen Interessenlagen und überlegt, wie eine europäische Haltung aussehen könnte.

5. Bis unter die Dusche
(taz.de, Wilfried Urbe)
Bei den großen Streaming-Plattformen trenden seit einiger Zeit unterhaltsame Sport-Dokus. Die Filme bieten den Zuschauenden Spannung und Emotionalität und verschaffen den Protagonisten und Vereinen Aufmerksamkeit. Wilfried Urbe stellt einige Beispiele aus dem Portfolio von Amazon und Netflix vor, denen das Ganze teilweise viel wert ist. So soll der englische Fußballklub Manchester City laut Branchenexperten für den Blick hinter die Kulissen 10 Millionen Pfund erhalten haben.
Und passend zum Thema “Sport in den Medien”: Mehr als 6500 Gastarbeiter starben seit der WM-Vergabe nach Katar (spiegel.de).

6. Im Fernsehen der Vergangenheit
(sueddeutsche.de, Fabian Dombrowski)
Fabian Dombrowski hat sich auf einen Bummel durch das Retro-Angebot der ARD gemacht, geleitet von Neugier, Zufall und Algorithmus. Anscheinend kann der Ausflug in das Filmangebot der 50er- und 60er-Jahre therapeutisch wirken, wenn man sich denn darauf einlässt: “Sich durch die Video-Exponate zu klicken, wirkt nach einer Weile entschleunigend bis ermüdend, man ist diese Behäbigkeit in der Berichterstattung ja gar nicht mehr gewohnt. Teils vergeht mehr als eine halbe Minute, bis überhaupt mal jemand zu sprechen beginnt, und wenn es dann jemand tut, macht er Pausen zwischendrin, die irrwitzig lang wirken.”

Bild  

“Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt”

Günter Wallraff recherchierte einst investigativ und verdeckt als “Hans Esser” bei “Bild” und sorgte mit seinen Büchern “Der Aufmacher” (1977) und “Zeugen der Anklage” (1979) für viel Aufsehen. Jakob Buhre hat für BILDblog Wallraff am 12. Dezember in Köln getroffen und mit ihm einige Passagen der neuen Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” angeschaut.

Protokoll/Interview: Jakob Buhre

***

Heiko Maas nach einem “Bild-Live”-Interview in der “Bild”-Redaktion, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eines der größten Printmedien in Deutschland, sie vermittelt einem Zugang zu der breiten Masse der Öffentlichkeit, und Politiker sind darauf angewiesen, dass sie kommunizieren können, in die Öffentlichkeit, mit dem was sie tun, mit dem was sie für richtig halten. Und dafür ist die ‘Bild’ ein richtig gutes Instrument.”

Wallraff: Man kann es schon fast als Unterwerfung deuten, wie staatstragende Politiker hier bei “Bild” ihre Aufwartung machen und antichambrieren. Aber hat unser Außenminister so etwas wirklich nötig?

Peter Tschentscher, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eine konservative Zeitung, ich bin ein konservativer Mensch und die Sozialdemokraten in Hamburg sind sehr bodenständig. Insofern passt das gut zusammen.”

Wallraff: Da bekennt ein Sozialdemokrat vor dem Springer-Hochhaus: “ich bin konservativ”. Ehrlich gesagt hat mich das jetzt erstmal verunsichert, ob Tschentscher nicht am Ende CDU-Mitglied ist. Warum dieser Kotau? Was passt denn da so gut zu zusammen?

Karl Lauterbach, Folge 3: “Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.”

Wallraff: Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet. Für mich ist er ein Ausnahme-Politiker. Er hat kein sicheres Bundestagsmandat, redet keinem nach dem Mund und macht sich nicht gemein, sich denen anzubiedern. Er spricht hier davon, dass “Hetze betrieben wird”, das finde ich mutig. Und immerhin zeigen uns die Filmemacher das.


“Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.” (Foto: Christoph Michaelis)

Wie ist denn Ihr Eindruck insgesamt vom Filmischen her?

Wallraff: Da waren gerade sehr viele Zeitungen zu sehen. Können wir nochmal dahin spulen? – Hier, diese Stapel, das sind alles “Bild”-Exemplare. Entweder liegen in den Redaktionen auf den Schreibtischen wirklich keine anderen Zeitungen oder ist es eine plumpe Werbung?

Die Auswahl der Themen und Schauplätze wirkt auf mich sehr beliebig. Man erfährt nur wenig über den Durchschnitt der Artikel, die in der Zeitung erscheinen, welche Themen dort bevorzugt werden. Mir fehlen auch die “Bild”-Leserinnen und -Leser.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das alles sehr im gegenseitigen Einvernehmen von Amazon und “Bild” stattgefunden hat. Wären die Filmemacher unabhängig, hätten sie auch mit Opfern der “Bild”-Berichterstattung oder externen Medienkritikern gesprochen. So ist das die reinste “embedded”-Reportage.

Christian Lindner, von dem “Bild” einen Paparazzo-Abschuss druckte, äußert sich allerdings auch in der Doku.

Wallraff: Na, und. Aber wenn es um die namenlosen Opfer von “Bild” geht, das sehe ich hier nicht, dass die einmal zu Wort kommen. In Folge 7, von der Sie mir gerade Auszüge gezeigt haben, ist die Diskussion der Redaktion über Persönlichkeitsrechte zu sehen, immerhin. Allerdings vermute ich, dass die wenigsten Zuschauer sich diese ermüdende Serie bis zur letzten Folge antun werden.

Auch von Ihren Recherchen bei “Bild” gibt es Filmaufnahmen. Wie sind Sie damals mit Kameras in die “Bild”-Redaktion gekommen?

Wallraff: Das war gar nicht so einfach, es gab ja noch keine versteckten Kameras. Mir half damals ein Freund vom niederländischen Fernsehen, Jan Kuiper. Sein Sender hat vorgegeben, dass sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft-Reportage auch in Hannovers Redaktionen filmen wollten. Die erste Anfrage hatte mein Redaktionsleiter abgelehnt. Also hat ein Team zwei bis drei andere Drehs simuliert und so getan, als würden sie zum Beispiel bei der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” Filmaufnahmen machen. Das hat bei “Bild” die Eitelkeit geweckt, und sie sind drauf angesprungen. Meine Freunde kamen schließlich mit zwei Teams. Die einen haben den Chefredakteur in ein Dauer-Interview verwickelt, die anderen haben im Großraumbüro das zynische Treiben gefilmt.


Günter Wallraff 1977 als “Hans Esser” in der “Bild”-Redaktion Hannover. (Foto: Günter Zint)

Zurück zur Amazon-Doku: Wie beurteilen Sie die Aussagen der Blattmacherinnen und Blattmacher, die Sie hier sehen?

Wallraff: Es kommen hier welche zu Wort, wo ich sagen würde: Diesen Typus gab es zu meiner Zeit höchst selten. Durchaus reflektierte, vielleicht auch entsprechend ausgebildete Journalisten, die in anderen Blättern vermutlich einen seriösen Journalismus vertreten würden, ihn hier aber nur schwerlich durchsetzen können.

Zu meiner Zeit gab es viel mehr den Drücker-Typ, der den Opfern halb-betrügerisch ins Haus einfiel. Und dann vor allem Machos: Mein Redaktionsleiter hatte einen Schießstand in seiner Penthouse-Wohnung, es wurde Blitzschach gespielt, und man musste sich als trinkfest beweisen. Es war sehr männerbündlerisch. Hier sehe ich, zumindest zwischendurch, auch vereinzelt Frauen, und die kommen eher nachdenklich zu Wort.

Ein großer Unterschied ist auch: Zu meiner Zeit bei “Bild” wurde dem Chef so gut wie nie widersprochen. Der Redaktionsleiter duzte alle, musste aber gesiezt werden.

Wir hatten damals auch viele Kettenraucher, und Whiskey war in der Redaktion das Leitgetränk. Es scheint doch einiges harmloser geworden zu sein, jetzt kaut der Chefredakteur seine Gummibärchen.

Redaktionskonferenz, Folge 1, Redakteur aus dem Off: “Wir wollen die Rede [von Angela Merkel] vernichten?” – Julian Reichelt: “Nein, ich will sie nicht vernichten.”

Wallraff: “Abschießen, vernichten” waren zu meiner Zeit bei “Bild” Alltagsbegriffe. Es ging oft darum, Menschen “fertig zu machen”. “Bring die Sau zur Strecke!” Es gab auch keine Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung.

Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt. Dazu passt ja auch sein Feldbett im Büro. Man weiß von ihm, dass er sich als jemand sieht, der Politik macht – und nicht begleitet.

“Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Alexandra Würzbach in einer Redaktionskonferenz, Folge 4: “Wir haben gesagt ‘Refugees Welcome’ und haben es uns zwei, drei Jahre später anders überlegt.” […] – 
Julian Reichelt: “Wir haben uns ‘Refugess Welcome’ nicht anders überlegt, das ist falsch, das lasse ich so nicht stehen.” Es folgen Filmaufnahmen von Paul Ronzheimer im Flüchtlingslager Moria.

Wallraff: Das überrascht mich und entspricht tatsächlich nicht dem Klischee. Vielleicht liegt es auch daran, dass Reichelt noch unter Kai Diekmann selbst in Kriegsgebieten war, in Afghanistan, in Syrien und im Irak, und sogar Flüchtlingen geholfen haben soll, nach Deutschland zu kommen, wie einst der “Spiegel” berichtete. So etwas prägt. Wenn “Bild” Not und Elend im Flüchtlingslager zeigt, könnte man daraus die Forderung an die Politik ableiten, dass sie sich des Themas annimmt.

Filipp Piatov in Folge 3: “Ich bin bei ‘Bild’, weil mir gewisse Grundlinien des Hauses sehr zusagen: Transatlantische Partnerschaft, gutes Verhältnis zu Israel, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft, Ablehnung von linken und rechten extremen Ideologien.”

Wallraff: Naja, das sind so Gemeinplätze. Ein paar Gebetssäulen. Ich finde, das ist ein bisschen wenig.

Alexander von Schönburg in Folge 3: “Ich war früher bei der ‘FAZ’, bin jetzt bei der ‘Bild’ und empfinde das, was ich hier mache, als Aufstieg, auch als intellektuellen Aufstieg. […] Wer Wichtiges zu sagen hat, kann es in kurzen Sätzen sagen, dazu zwingt einen ‘Bild’. Darum habe ich persönlich profitiert, für mein eigenes Schreiben, dass man sich zwingt, kurz und präzise zu schreiben. Und nicht, wie das bei der ‘FAZ’ oder ‘SZ’ zum Teil ist: Du schreibst, um deine Kollegen zu beeindrucken.”

Wallraff: Ach, du Schande. Er tut mir richtig leid. Was muss der Mann erlitten haben, dass er sich hier so klein macht? Konnte er sich früher beim Schreiben nicht klar ausdrücken? Es gibt in der “FAZ” und der “SZ” doch genug Artikel, die eine deutliche und klare Sprache benutzen und trotzdem verständlich und differenziert sind.

Früher steckte in der “Bild”-Sprache sehr oft eine Aggression, Verächtlichmachung und Vernichtungswille bis hin zum Rufmord. Für mich benutzt “Bild” immer wieder eine in der Versimplung auch denunzierende Sprache.


“Das ist doch lächerlich und anmaßend.” (Foto: Christoph Michaelis)

Julian Reichelt in Folge 3: “Unser natürlicher Aggregatszustand ist zu hinterfragen. Und wie sehr wir hinterfragen, sieht man uns halt ein bisschen mehr an, weil unsere Überschriften größer sind und unsere Sprache klarer.”

Wallraff: Das ist doch lächerlich und anmaßend. Es klingt so, als würden andere Medien weniger hinterfragen, weil sie kleinere Buchstaben verwenden. Dabei sind es gerade sie, die differenzieren und auch zwischen Kommentar und Bericht zu trennen wissen.

Und zum “Hinterfragen”: Wenn sie Christian Drosten eine Stunde Zeit geben, um eine Anfrage zu seiner wissenschaftlichen Kompetenz abzuverlangen, nennen sie das “hinterfragen”? Ich fand, das war gegenüber Drosten eine Unverfrorenheit, eine Allmachtsallüre. Dass Drosten sich darauf nicht eingelassen hat, das ehrt ihn.

Die Causa Drosten wird in der Doku sehr ausführlich behandelt, mit vielen kritischen Stimmen von innerhalb und außerhalb der Redaktion.

Wallraff: Da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ich habe da jetzt Redakteure gesehen, die sich als Opfer gerieren, keinerlei Reue zeigen, sich auch nicht entschuldigen. Und wenn es Reue gab: Wurde sie in der “Bild” zum Ausdruck gebracht? Ich habe nichts davon gehört.

Bildblog unterstuetzen

Wenn Sie einmal “Bild” 1977 und “Bild” 2020 vergleichen …

Wallraff: Die “Bild” hat heute nicht mehr die zerstörerische Kraft und Macht, auch längst nicht mehr das kriminelle Potential wie damals. “Harmlos” wäre der falsche Begriff, aber sie hat nicht mehr die Relevanz. Damals war es ein beherrschendes, flächendeckendes Medium. Und was ich erlebt habe, war ein Hetzblatt, das auch Menschen mit Falschberichterstattung in den Suizid getrieben hat wie zum Beispiel den Schauspieler Raimund Harmstorf. Ich meine, dass ich mit dazu beitragen habe, dass diese Ära überwunden wurde.

Es gab damals die Rubrik “Bild hilft”, die vielen Menschen aber gar nicht geholfen, sondern hilfsbedürftige Personen bis ins Privateste hinein vorgeführt hat. Ein Junge mit Schulproblemen wurde als “Deutschlands faulster Schüler” und eine Frau, die sich wegen Problemen mit ihrer Fahrschule an “Bild hilft” gewandt hatte, fast kampagnenartig als “Deutschlands schlimmste Fahrschülerin” abgestempelt. Ich habe einen Rechtshilfe-Fonds finanziert, durch den “Bild”-Opfern zu Gegendarstellungen und Unterlassungen verholfen wurde bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld: Zum Beispiel für die hinterbliebenen minderjährigen Söhne eines Mannes, der sich nach einem Verleumdungsartikel umbrachte. In seinem Abschiedsbrief rief er zum “Bild”-Boykott auf: “Diese Schande kann ich nicht überwinden, ich wollte zuerst diesen Verbrecher, der K. [der “Bild”-Reporter] heißt, umbringen. Aber ihr solltet keinen Mörder als Vater haben. Durch meinen Tod aber ist er zum Mörder geworden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, der sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen!”

Es gibt heute natürlich auch eine andere Gegenöffentlichkeit: Es gibt die Rügen des Presserats, “Bild” liegt hier mit weitem Abstand vorne, lehnt es aber häufig ab, sie abzudrucken. Es gibt die Kollegen vom BILDblog, einige Prominente boykottieren “Bild”, und viele Gerichte betrachten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mehr als Kavaliersdelikt.

Mehmet Scholl, Folge 6: “Die ‘Bild’-Zeitung hat mich ein Jahr lang völlig zerlegt, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. […] Wenn die “Bild” im Sport alles schreiben würde, was sie wissen … Das tun sie aber nicht, weil sie schlau genug sind, zu wissen: Wir bekommen andere Informationen im Austausch dafür.”

Wallraff: Das sagt natürlich sehr viel aus. Da wird jemand zum Feindbild, weil er nicht mit “Bild” spricht. Und dass man bestimmte Geheimnisse nutzt, um an andere Informationen zu gelangen, das ist eigentlich eine Geheimdienst-Strategie: Wenn bestimmte Dienste Material über Verfehlungen von Politikern besitzen, können sie diese bei Bedarf “gefügig” machen.

Mehmet Scholl: “Ich habe mit der ‘Bild’ die Abmachung: keine privaten Storys. Wenn eine kommt, fragt mich – und dann haben wir es immer gemeinsam entschieden.”

Wallraff: Es gibt Prominente, die der “Bild” bis ins Intimleben hinein Dinge preisgeben, weil sie glauben, dass es ihnen nützt und dass sie geschont werden. Christian Wulff hat sich bis hin zur Home-Story zur Verfügung gestellt, aber es hat ihm nichts genützt. Er war für “Bild” irgendwann fällig, vermutlich aufgrund seiner Äußerung “Der Islam gehört zu Deutschland”. Da ging der Daumen nach unten, und es folgte eine der infamsten Rufmordkampagnen.

Was denken Sie heute über Journalisten, die für “Bild” arbeiten?

Wallraff: Ich differenziere. Wir haben jetzt einen gesehen, der von der “FAZ” zur “Bild” gegangen ist, die Mehrheit hat, glaube ich, eine Journalismus-Ausbildung. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen würde ich mich aber nicht auf ein Interview oder eine Home-Story einlassen. Und denjenigen, die es tun, würde ich einen Warnhinweis mitgeben: “Alles, was Sie fortan sagen oder auch nicht sagen, kann gegen Sie verwendet werden.”

Ich kenne auch Menschen, die, durch meine Aufdeckungen inspiriert, zur “Bild” gegangen sind, weil sie es selber wissen wollten. Sandra Maischberger zum Beispiel erzählte in einem “Tagesspiegel”-Interview [Ausgabe vom 10. Februar 2002], dass sie deswegen bei “Bild” ein Praktikum machte und dann ein bisschen enttäuscht gewesen sei, weil sie das “Über-Leichen-gehen” dort nicht erlebt habe. Sie wurde dann übrigens am Ende gefragt, wie oft sie in dem Interview gelogen habe, worauf sie antwortete: einmal. (lacht)

Sollten Politiker heute “Bild” boykottieren?

Wallraff: Das wagt doch kaum noch jemand, aber sie sollten der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zumindest Distanz wahren.


Günter Wallraff heute als Günter Wallraff. (Foto: Privat)

Hat man Sie eigentlich für die Amazon-Dokumentation angefragt?

Wallraff: Nein, ich hätte da auch abgesagt. Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.

Sie selbst sagen von sich, dass Sie Amazon boykottieren. Warum kann man dann Ihre Bücher dort kaufen?

Wallraff: Das kann ich leider nicht verhindern. Ich habe meinen Verlag schon vor langer Zeit angewiesen, meine Bücher nicht an Amazon auszuliefern. Mir wurde gesagt, ich würde dadurch zehn bis 15 Prozent Umsatz verlieren – damit kann ich leben. Amazon unterläuft meinen Boykott, indem sie meine Bücher jetzt über Zwischenhändler ordern. Das kann ich nicht verhindern, aber so muss Amazon sie etwas teurer einkaufen, als wenn mein Verlag sie direkt beliefert. Für mich ist Amazon eine globale Seuche, gegen die auch kein Impfstoff hilft.

Seuche ist ein starkes Wort, nicht nur angesichts der aktuellen Situation, wo Menschen froh sind, wenn sie Geschenke online kaufen können.

Wallraff: Das ist das Tragisch-Vertrackte, so ist Amazon auch noch der größte Corona-Krisengewinner, kann seine Umsätze verdoppeln und durch Steuervermeidungsstrategien Milliarden am Staat vorbei einstreichen. Ich verstehe jeden, der keine Möglichkeit hat, in ein Geschäft zu gehen, und deswegen online etwas bestellt. Ich selbst kann und möchte dieses Allmachtstreben von Jeff Bezos nicht unterstützen, der sein Unternehmen ursprünglich “Relentless”, “Gnadenlos” nennen wollte und Konkurrenten als Gazellen bezeichnet, die man jagen müsse. Die Innenstädte sterben aus, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind miserabel – es ist eine seelenlose, total überwachte Arbeitsorganisation. Ich kenne Menschen, die bei Amazon gearbeitet haben und von unheimlichem Druck erzählen. Wer nicht mindestens im Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter liegt, fällt heraus. Und nach dem Weihnachtsgeschäft wird aussortiert. Dafür nutzt Amazon den Begriff “ramp down”, der aus dem Vieh-Transport stammt und so viel bedeutet wie “die Rampe runter treiben”. Diejenigen, die entlassen werden, können sich ja dann später neu bewerben, man will so ihre Festanstellung verhindern.

Zum Schluss: Haben Sie mit “Team Wallraff” aktuell jemanden bei “Bild” eingeschleust?

Wallraff: Kein Kommentar.

Bildblog unterstuetzen

Russische Desinformation, “Bild”-Bollwerk, Klarnamenpflicht

1. Das Netzwerk gefälschter Auslandsmedien
(netzpolitik.org, Daniel Laufer & Alexej Hock)
netzpolitik.org hat in Kooperation mit der “Welt” eine spannende Recherche über vermeintliche Nachrichtenportale durchgeführt, die russische Propaganda verbreiten. Dabei kam ein ganzes Netzwerk von Desinformationsseiten und Fake-News-Schleudern zum Vorschein: “Die fingierten Auslandsmedien sollen die Glaubwürdigkeit der Nachrichten verstärken, wenn sie innerhalb Russlands zitiert werden. Etabliert hat sich noch eine zweite Methode: Die Drahtzieher missbrauchen sogar seriöse europäische Medien, um ihre Verschwörungsmythen zu streuen.”

2. Bollwerk “Bild”
(zeit.de, Daniel Bouhs)
Ab dem 18. Dezember gibt es auf Amazon Prime eine siebenteilige Dokuserie, in der angeblich der Redaktionsalltag bei “Bild” zu sehen ist. Daniel Bouhs hat sich das Werk schon jetzt angeschaut: “So wie Amazon auch sonst all die oft heroisiert, die dem Dienst exklusiv Zugang gewährten, wie etwa der Fußballverein Borussia Dortmund, so inszeniert auch diese Produktion Bild vor allem als Vorkämpfer. Grenzübertritte auf der Suche nach Geschichten und Bildern etwa von Toten wirken aus dem Alltag der Boulevardredaktion wie ausradiert.”

3. Facebook darf Nutzer mit falschem Namen sperren
(spiegel.de)
Das Oberlandesgericht München hat in einem Urteil zur Klarnamenpflicht entschieden, dass Facebook Pseudonyme verbieten darf. “Bei der Verwendung eines Pseudonyms liegt die Hemmschwelle nach allgemeiner Lebenserfahrung deutlich niedriger”, so das Gericht. Dies wird von Expertinnen und Aktivisten jedoch vielfach anders gesehen. Siehe dazu auch den weiteren Lesehinweis: In einem immer noch lesenswerten Gastbeitrag aus dem Jahr 2019 erklärt der Jurist und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte Ulf Buermeyer, was man statt einer Klarnamenpflicht tun könnte (tagespiegel.de).

Bildblog unterstuetzen

4. Homophobie und Rassismus: Die ARD ist Dieter Nuhrs perfekte Bühne
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Johannes Kram schrieb schon 2014 über Schwulenwitze in Dieter Nuhrs “Satire Gipfel”. Damals ging es um die Frage: Prangert Nuhr eine Geisteshaltung an, wenn er eine ganze Kaskade schwulenfeindlicher Klischees reproduziert, oder weidet er sich an den schalen Witzchen und trägt dazu bei, dass homophobe Vorurteile verstärkt werden? Kram vertrat die letztere Ansicht. Sechs Jahre später fragt sich Johannes Kram, wie es möglich ist, dass Dieter Nuhrs seiner Ansicht nach homophobe und rassistische Pointen in der ARD immer noch auf so wenig Gegenwehr stoßen: “Die ARD könnte sich darum bemühen zu erklären, dass das rechte Rauschen der letzten Jahre die Grenzen des in Deutschland Sagbaren in die Richtung verschoben hat, dass sich das Sagbare vergrößert und nicht verkleinert hat. Dass nicht die Diskriminierten durch ihre angeblichen Denk- und Lachverbote die Aggressoren sind, sondern diejenigen, die sie diskriminieren.”

5. Brauchen ARD und ZDF so viel Geld? Zehn Fragen und Antworten zum Rundfunkbeitrag
(rnd.de, Imre Grimm)
In den vergangenen Tagen wurde viel über die fehlende Zustimmung Sachsen-Anhalts zur geplanten Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent pro Monat geschrieben. Dabei standen oft die politischen Machtspiele im Vordergrund. Für das ganze Bild hat Imre Grimm zehn Fragen und Antworten zum Rundfunkbeitrag zusammengestellt. Anschließend bietet sich die Lektüre seines Kommentars an: Was viel wichtiger wäre als 86 Cent mehr.

6. Aktualisieren!
(sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Philipp Bovermann philosophiert in der “Süddeutschen” über ein journalistisches Nachrichtenformat, das uns dieses Jahr besonders oft begegnet ist – den Liveticker: “Liveticker halten, so könnte man sagen, der Welt den Atem an, um vom Neuen zu künden. Ihre roten Lämpchen leuchteten viel in diesem Jahr. Alles schien möglich, während die Gegenwart immer wieder ihre Synchronizität mit sich selbst verlor. So viel Dialektik! Halb fürchtet man sich, halb sehnt man sich danach, dass die neue Gegenwart, welche auch immer es sei, endlich beginnen möge.”

Volksverhetzer und “Volksverpetzer”, Erfolgsfaktor Gesicht, Beim Einkauf

1. Diese ganze negative Energie in etwas Positives verwandeln
(netzpolitik.org, Constanze Kurz)
Constanze Kurz hat sich für netzpolitik.org mit Thomas Laschyk vom “Volksverpetzer” unterhalten: Was treibt ihn an, regelmäßig gegen Verschwörungsmythen, AfD-Unsinn und Corona-Märchen anzuschreiben? Was hat es mit dem eigentümlichen Namen “Volksverpetzer” auf sich? Und was unterscheidet den “Volksverpetzer” von anderen Faktencheck-Seiten?

2. Gesichter laufen am besten
(deutschlandfunk.de)
Forschende aus den USA sind der Frage nachgegangen, warum manche Instagram-Profile von Politikerinnen oder Politikern beliebter sind als andere, und haben dazu mehr als 59.000 Instagram-Posts von etwa 160 Personen aus der Politik ausgewertet. Das Ergebnis: Die meiste Aufmerksamkeit hätten Bilder von Gesichtern erzielt. Außerdem bekämen Aufnahmen aus dem Privatleben mehr Likes als solche aus dem beruflichen Umfeld. Textgrafiken oder Bilder ohne Gesichter würden hinsichtlich der Likes und Kommentare am schlechtesten abschneiden.

3. Die Spur führt nach Peine
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Im heutigen Spätabendprogramm des Ersten versuchen Cordt Schnibben und Peter Dörfler, die Verbindungen des Dutschke-Attentäters Josef Bachmann in die rechtsextreme Szene nachzuzeichnen. Zur Verschärfung der gesellschaftlichen Stimmung hatte damals auch die Berichterstattung der Springer-Zeitungen beigetragen. Das Dokudrama soll ab 18 Uhr in der Mediathek der ARD verfügbar sein.

Bildblog unterstuetzen

4. Umfrage: Wir recherchieren zu sexuellem Missbrauch in der Medizin
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
“BuzzFeed News” recherchiert zu sexuellem Missbrauch in der Medizin und wendet sich mit einem Aufruf an die Leserinnen und Leser: “Haben Sie Sexismus, sexuelle Belästigung oder sexualisierte Gewalt im Medizinbetrieb erlebt? Dann erzählen Sie uns von Ihren Erlebnissen.” Selbstverständlich würden die zugesandten Hinweise vertraulich behandelt, allen Quellen werde Anonymität zugesichert.

5. “Genies werden müde, wenn irgendein Idiot alles abbürstet”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Jürgen von der Lippe spricht im “DWDL”-Interview über die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise auf seine Arbeit sowie über Fernsehproduktionen damals und heute: “Als ich anfing, gab es nur einen Unterhaltungschef, der alles absegnete – und über ihm war schon der Intendant. Das führte dazu, dass die Redakteure sehr viel mehr Freiheiten hatten. Irgendwann kam dann ein Fernsehdirektor dazu und noch einer und exponentiell zum Zuwachs übergeordneten Personals sank das Budget fürs Programm. Mehr Bestimmer machen leider kein besseres Programm. In der Kunst sind Geniestreiche meist Einzelleistungen. Aber Genies werden müde, wenn irgendein Idiot immer alles abbürstet.”

6. Schämt Ihr Euch eigentlich nicht?
(twitter.com, Bodo Ramelow)
Die Politikreporterin Franca Lehfeldt (RTL/n-tv) hat auf Twitter ein Smartphone-Video veröffentlicht, das Angela Merkel beim Wochenendeinkauf zeigt. Als Kritik wegen der übergriffigen Paparazzi-Methode aufkam, argumentierte Lehfeldt, es sei “journalistisch relevant”, wenn die Regierungschefin “sich beim Einkauf zeige”. Raunend fügte sie an: “Mutmaßlich beabsichtigte sie sogar die Botschaft, sich zuhause zu versorgen und nicht am Wochenende vor dem #Teillockdown rauszugehen.” Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow antwortet mit einem “Schämt Ihr Euch eigentlich nicht?” und hängt zur Erinnerung einen “Bild”-Artikel aus dem vergangenen Jahr an, der ihn ebenfalls beim privaten Einkauf zeigt.

7. Presseschau durch die Menschheitsgeschichte
(mdr.de, Lorenz Meyer)
Zusätzlicher Link, da aus der Feder des “6 vor 9”-Kurators: Ich hatte die Ehre, zum 20-jährigen Bestehen des medienkritischen “Altpapiers” ein “Geschenkpapier” beizusteuern: Eine Presserundschau durch die Menschheitsgeschichte! Wie hätten die Medien von heute auf Ereignisse von damals reagiert? Wie hätte die Medienkolumne darüber berichtet, und welche Quellen hätte sie herangezogen? Hier steht es geschrieben! Von den Pharaonen, Napoleon und Hitler bis zum Wendler.

Schröder vs. “Bild”, Feuersteins Nachruf auf sich, Pressefreiheit

1. Gerhard Schröder will juristisch gegen “Bild” vorgehen
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Die “Bild”-Zeitung hat ein Interview mit dem vergifteten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny veröffentlicht, in dem dieser schwere Vorwürfe gegen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder erhebt. Schröder sei “ein Laufbursche Putins” und habe verdeckte Zahlungen kassiert. Bei Linkedin kündigt der Alt-Kanzler nun juristische Schritte gegen “Bild” an: “Ich habe Verständnis für die schwierige persönliche Situation, in der sich Herr Nawalny befindet. Seine Interview-Aussagen in der #BILD-Zeitung und bei bild.de über angebliche ‘verdeckte Zahlungen’ sind jedoch falsch. Er selbst sagt, dass er für seine Unterstellungen keine Belege habe. Gleichwohl haben BILD-Zeitung und bild.de diese Aussagen, ohne mich um eine Stellungnahme zu bitten, verbreitet. Daher sehe ich mich gezwungen, gegen den Verlag, der meine #Persönlichkeitsrechte auf das Schwerste verletzt hat, juristisch vorzugehen.”

2. Beleidigungen, Bedrohungen, Hetze und Gewalt
(journalist.de, Michael Kraske)
Der Journalist und Autor Michael Kraske macht sich Sorgen um die Pressefreiheit in Deutschland. Angriffe auf der Straße und Hetze im Internet seien zu einer ernsthaften Gefahr für die freie Berichterstattung geworden. Bedrohungen seien mittlerweile im Arbeitsalltag kritischer und investigativer Journalistinnen und Journalisten allgegenwärtig. Zeit für ein schonungsloses Lagebild – und für ein Umdenken bei Polizei und Politik, wie Kraske findet.

3. Wir veröffentlichen den Entwurf für die deutsche Urheberrechtsreform
(netzpolitik.org, Arne Semsrott)
netzpolitik.org veröffentlicht den Entwurf für die deutsche Urheberrechtsreform, die zugunsten der Presseverlage ausfalle. Arne Semsrott kommentiert: “Die Urheberrechtsreform wird voraussichtlich auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren umstritten bleiben. Nach einem bald zu erwartenden Kabinettsbeschluss über den Gesetzentwurf dürfte der Bundestag erbittert über weitere Passagen der Reform ringen – darunter auch Ausnahmen vom Urheberrecht für Karikaturen und Parodien. Derzeit sieht der Gesetzentwurf für ‘Bagatellnutzungen’ Ausnahmen vor. Verlage und die Musikindustrie sprachen sich jedoch deutlich gegen solche Begrenzungen des Urheberrechts zum Schutz der Meinungsfreiheit aus.”

Bildblog unterstuetzen

4. »Die Zeit« gründet Literatur-Community
(buchreport.de)
Anlässlich der bevorstehenden Frankfurter Buchmesse kündigt die “Zeit” eine Literatur-Community an, in deren Zentrum ein wöchentlicher Newsletter mit Buchempfehlungen stehe: “Im neuen Literaturnewsletter der ZEIT sprechen Journalisten, Schauspielerinnen, Politiker und andere Leserinnen und Leser über die Bücher, die sie gerade begeistern. Dabei geht es nicht nur um Neuerscheinungen – alles, was Sie und uns bewegt, ist willkommen: Krimis, Romane, Kochbücher, Raritäten und Graphic Novels.”

5. «Wir wollen nicht den Journalismus retten. Wir wollen einen neuen Journalismus schaffen.»
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Es gab schon einige Versuche, im Netz einen “neuen Journalismus” zu etablieren. Den meisten Start-ups ging über längere Zeit die Luft aus. Nun unternimmt “tapwriter” einen nächsten Versuch. Nick Lüthi hat sich das Schweizer Projekt angeschaut, das über bessere Startbedingungen verfüge, da der finanzielle Druck von Investoren fehle. Lüthi ist bei aller Aufgeschlossenheit allerdings skeptisch, was die Erfolgsaussichten anbelangt: “Ohne Community, ohne Lesende und Schreibende, bleibt Tapwriter eine nette Gedankenspielerei, wie es schon so manche zuvor gab.”

6. Der Entertainer Herbert Feuerstein ist tot.
(wdr.de, Thomas Köster)
Der WDR erinnert an den Autor, Entertainer und Kabarettisten Herbert Feuerstein, den viele vornehmlich als den kongenialen Partner von Harald Schmidt kennen, der aber doch so viel mehr war: ob klassischer Musiker, Reisejournalist oder Chefredakteur der deutschen Ausgabe des US-Satiremagazins “MAD”.
Weiterer Lese- und Hörhinweis: Kurz vor seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit vor fünf Jahren beschloss Feuerstein vorsorglich, seinen eigenen Nachruf zu verfassen (wdr.de, Audio: knapp 2 Stunden).
Weiterer Lesehinweis: Jakob Buhre hat vor 15 Jahren im Auftrag des Magazins “Galore” ein Interview mit Herbert Feuerstein geführt, das jedoch nie erschienen ist. Nun hat Buhre es herausgesucht und auf seiner Interviewseite veröffentlicht. Feuerstein denkt dort schon über Dinge wie Endlichkeit und Vermächtnis nach: “Ich habe kein Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen, weil die Spuren letzten Endes auch vollkommen bedeutungslos wären. Das ganze Leben besteht ja nur aus einer Illusion der eigenen Wichtigkeit, wahrscheinlich könnte man sich selbst sonst auch gar nicht ertragen. Alle Leute gehen durch’s Leben und denken, sie müssten beachtet werden. Manche machen darum auch noch großen Wirbel, damit es ein bisschen mehr auffällt. Aber am Ende ist das alles so unglaublich bedeutungslos, weil die Welt einfach aus sozialem Lärm besteht. Wir sind alle unvollkommene Nichtse – und damit müssen wir uns abfinden.”

Kurz-Bilder, Bolsonaro-System, Sobessernicht-Interview mit Meuthen

1. Warum Sebastian Kurz beim EU-Gipfel auf den Fotos in Österreichs Medien so gut aussieht
(moment.at, Tom Schaffer)
Wenn der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Fotos eine gute Figur abgibt, liege dies oft an seinem Mitarbeiter, dem Fotografen Arno Melicharek, der seinen Chef und Auftraggeber geschickt in Szene setze. Und daran, dass Agenturen und Redaktionen die Bilder des Kanzleramts-Fotografen nur allzu gern übernähmen, weil es Geld und Aufwand spare: “Wohlgemerkt ist all das kein Fehler von Melicharek, sondern einer von weiten Teilen der österreichischen Medienlandschaft. Die hat nicht nur keine journalistischen FotografInnen mitgeschickt, keine vor Ort beauftragt und viel zu oft auch keine anderen Bilder von anderen Agenturen übernommen, sondern uns dann auch noch (einmal mehr) PR-Fotos als unabhängige Berichterstattung verkauft.”

2. “Bild”, “Welt” und “FAZ” brechen ein, “Zeit” mit Rekord
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Print-Auflagenentwicklung im zweiten Quartal dieses Jahres verlief einmal mehr unerfreulich für viele Verlage: Zum generellen Abwärtstrend sei bei manchen Titeln der coronabedingte Wegfall der “Bordexemplare” hinzugekommen, die kostenfrei auf Flügen verteilt werden. Beim “Focus” seien allein durch den “Bordexemplar”-Effekt über 65.000 Exemplare, nun ja, abhanden gekommen, was das gewaltige Auflagen-Minus von 30,5 Prozent zumindest teilweise erkläre. Auch die Auflagen von “Bild”, “Welt” und “FAZ” seien eingebrochen, während die “Zeit” einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt habe.

3. Mehr als aus der Zeit gefallen
(deutschlandfunkkultur.de, Timo Grampes, Audio: 6:51 Minuten)
Bei Deutschlandfunk Kultur geht es um den ersten Kinofilm des Komikers Otto Waalkes aus dem Jahr 1985. “Otto – Der Film” wirke “mehr als aus der Zeit gefallen” und enthalte Szenen, die von vielen als rassistisch empfunden würden. Der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins erklärt, warum das so sei: “Rassismus soll und muss thematisiert werden. Er darf gerne auch persifliert werden, denn er ist ja nicht nur tödlich und gewaltvoll, sondern auch extrem lächerlich.” Dies müsse jedoch passieren, ohne den Rassismus “einfach nur plump zu wiederholen”.

Bildblog unterstuetzen

4. Prozessauftakt gegen Stephan B. – Die Verantwortung der Medien
(mdr.de, Roland Jäger)
Gestern hat der Prozess gegen Stephan B. begonnen, der am ersten Prozesstag unter anderem den Anschlag auf eine Synagoge in Halle gestanden hat. Während andere Angeklagte die öffentliche Aufmerksamkeit eher scheuen, wolle der von rechtsextremen Gedanken getriebene B. mit vollem Namen genannt werden und dürfe gern unverpixelt gezeigt werden. Auf diese Selbstinszenierung und politische Vermarktung der Tat sollten sich die Medien nicht einlassen, findet Roland Jäger vom MDR: “Weil er diese Theorien und Einstellungen nach wie vor versucht weiterzutragen, dauert das Attentat an. Es liegt in der Verantwortung von uns Prozessberichterstattern, den Opfern und Betroffenen gerecht zu werden – und die Ansichten des Angeklagten nicht weiterzuverbreiten. Nur so kann das Attentat wirklich enden.”

5. RSF-Quartalsbericht: Hetze und Desinformation
(reporter-ohne-grenzen.de)
Dass Brasilien in der Rangliste der Pressefreiheit lediglich auf Platz 107 von 180 Staaten steht, hat laut Reporter ohne Grenzen mit dem sogenannten Bolsonaro-System zu tun: “Während Brasilien so schwer von der Corona-Krise getroffen ist wie kaum ein anderes Land der Welt, sehen sich Journalistinnen und Journalisten mit einer beispiellosen Welle des Hasses konfrontiert. Anfang des Jahres hetzte vor allem Präsident Jair Bolsonaro selbst gegen Medienschaffende, in den vergangenen drei Monaten taten sich vor allem seine Familie, seine engsten Regierungsmitglieder und seine treue Online-Anhängerschaft hervor.”

6. Sommerinterview mit Jörg Meuthen: So besser nicht
(ndr.de, Sebastian Friedrich)
“Das Sommerinterview mit Jörg Meuthen ist ein Lehrstück, wie man besser nicht mit einem AfD-Politiker spricht”, so Sebastian Friedrichs Urteil über das 25-minütige Gespräch der ARD mit dem Bundessprecher der AfD. Der Interviewer habe es Meuthen zu leicht gemacht, zu wenig nachgefasst und ihm altbekannte Zitate von Parteikollegen vorgelegt, die ihn zu wenig herausgefordert hätten.

Pflicht zum Pixeln, Polizeiliches Twittern, Scheuers Wahrheiten

1. Die Pflicht zum Pixeln liegt bei der Redaktion
(sueddeutsche.de, Wolfgang Janisch)
Das Bundesverfassungsgericht hat die Strafe gegen einen Fotografen wegen fehlender Verpixelung aufgehoben. Die Unkenntlichmachung liege nicht in seiner Verantwortung, sondern sei Aufgabe der Redaktion. Die Kammer habe klargestellt, “dass es Pressefotografen und Journalisten möglich sein muss, ohne Furcht vor Strafe unverpixeltes Bildmaterial an Redaktionen zu liefern. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch eine spätere Veröffentlichung besteht auch dann nicht, wenn die Zulieferer die Veröffentlichung aktiv anstreben.” Das sei jedoch kein Freibrief für Bildjournalisten, so der justizpolitische “SZ”-Korrespondent Wolfgang Janisch: “Fotografen müssen den Redaktionen sehr wohl die konkreten Umstände einer Aufnahme offenlegen, jedenfalls dann, wenn dies entscheidend für den Schutz der Betroffenen sein kann. Denn dass der Gang vor den Strafrichter für Fotografen völlig ausgeschlossen wäre – das hat das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt.”

2. Scheuers “taktisches Verhältnis zur Wahrheit”
(ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 4:30 Minuten)
Der “Spiegel”-Journalist Gerald Traufetter kommentiert das Verhalten des Bundesverkehrsministeriums im Umgang mit Medienanfragen. Traufetter wirft Verkehrsminister Andreas Scheuer ein “taktisches Verhältnis zur Wahrheit” vor. Dem NDR und WDR vorliegende E-Mails aus dem Ministerium würden zeigen, dass Scheuers Kommunikationsabteilung eine Anfrage des “Spiegel” “torpedieren” wollte. Anscheinend eine besondere Ausprägung des dort vorherrschenden “strategischen Medienmanagements”, zu dem offenbar auch gehört, Interviews zur PR-Arbeit zu verweigern.

3. Boykott-Organisatoren erkennen bei Facebook keinen Willen zur Veränderung
(spiegel.de)
Facebook wird immer wieder vorgeworfen, zu wenig gegen Hass und Hetze zu unternehmen – eine Kritik, die schließlich zu einem weltweiten Werbeboykott führte. Dem Sozialen Netzwerk liegt mittlerweile der Bericht einer zweijährigen externen Untersuchung vor, der angeblich zu Veränderungen führen soll. Die Organisatoren des Werbeboykotts zeigten sich jedoch nach Gesprächen mit der Facebook-Spitze pessimistisch, was den tatsächlichen Veränderungswillen des Konzerns anbelangt.
Weiterer Lesehinweis: Das Aufständchen gegen Facebook (spiegel.de, Patrick Beuth).

Bildblog unterstuetzen

4. Corona-Ausfallfonds für Filmproduktionen
(mmm.verdi.de)
Zur Absicherung von Filmproduktionen hat die Bundesregierung ein Corona-Hilfspaket aufgelegt, einen mit 50 Millionen Euro ausgestatteten Fonds. Nun zieht das Land Nordrhein-Westfalen nach und kündigt die Bereitstellung von 10 Millionen Euro an. Diese Gelder sollen vor allem kleineren und mittleren Produktionsunternehmen helfen, die wegen fehlender Ausfallversicherungen oft vor einer Rückkehr zum Normalbetrieb zurückschrecken würden.

5. Die zehn besten Tipps fürs Bloggen
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Vielleicht ist es nicht mehr der ganz große Hype, dennoch wird in Deutschland oft und gerne gebloggt. Blogger Christof Herrmann hat dem “Fachjournalist” seine zehn Tipps fürs Bloggen verraten. Dabei geht es um Themen wie Inhalte, Technik, Zielgruppe und Vernetzung, aber auch um den menschlichen Aspekt: “Worauf ich achte, wenn ich selbst einen Blog lese: Auf jeden Fall ist mir wichtig, dass eine persönliche Komponente dabei ist, eine wirkliche Person ihre Erfahrungen mit einbringt.”

6. Warum Polizeibehörden nicht beliebig twittern dürfen
(netzpolitik.org, Friedrich Schmitt)
Der Jurist Friedrich Schmitt kommentiert die gelegentlich etwas flapsige Kommunikation von Polizeibehörden beispielsweise auf Twitter. Polizeiliche Social-Media-Arbeit müsse nicht in erster Linie “locker” oder “lustig” sein, sondern vor allem rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen, die Grundrechte achten und mit der Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung vereinbar sein. “Die Öffentlichkeitsarbeit ist zwar das Recht und die Pflicht aller staatlichen Stellen. (…) Dabei darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass es sich bei der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit um die Ausübung hoheitlicher Gewalt handelt, die nur in den Grenzen des (Verfassungs-)Rechts zulässig ist und sich deshalb nicht ‘frei’ auf Twitter und Co. entfalten kann.”

Antworten auf Rezo, Aus für “Bento”, Tichy vs. Roth 0:2

1. Die Verhöhnung der Presse
(faz.net, Constantin van Lijnden, Video: 31:00 Minuten)
In seinem Video “Die Zerstörung der Presse” rechnet Youtuber Rezo mit verschiedenen Medien ab. Vor allem hat er es auf Boulevardredaktionen und Titel der Regenbogenpresse abgesehen, erhebt aber auch anderen Medien gegenüber schwere Vorwürfe. Ein Dreh- und Angelpunkt seines Videos ist eine Untersuchung, bei der er selbst der Untersuchungsgegenstand ist: Rezo hatte sich angeschaut, wie über ihn berichtet wurde. Die Berichterstattung der “FAZ” sei dabei seiner Ansicht nach besonders fehlerhaft gewesen. Dort hat man nun mit einem Antwortvideo reagiert, das gleichzeitig eine Art Gegenschlag ist. Rezo “verbrämt eine persönliche Abrechnung als aufklärerische Medienkritik – und bedient sich dabei genau der manipulativen Techniken, die er zu entlarven vorgibt.” (Wer lieber lesen statt schauen möchte: Hier gibt es die schriftliche Stellungnahme zum Vorwurf falscher Berichterstattung.)
Weiterer Lesehinweis: Nahezu zeitgleich erschien bei Welt.de eine Stellungnahme: Rezos “Zerstörung der Presse” im Faktencheck (welt.de, Curd Wunderlich).

2. “Bento” wird eingestellt
(taz.de, Volkan Agar)
Noch im vergangenen Jahr hatte der “Spiegel” seinem Ableger für junge Leute “Bento” einen Relaunch spendiert, doch nun ist es vorbei mit dem “Spiegel”-Jugendmedium: “Bento” werde zum Herbst eingestellt. Das Zielpublikum unter 30 Jahren werde von da an mit einem neuen Angebot bedient. Von der Auflösung seien 16 Redakteurinnen und Redakteure betroffen – das neue Angebot (Arbeitstitel: “Spiegel Start”) soll jedoch nur fünf Stellen umfassen. Ohne Namen zu nennen, zitiert die “taz” einen Betroffenen: “Wir haben jahrelang über prekäre Arbeit berichtet, jetzt erleben wir sie selbst. Was heute mit uns geht, wird morgen auch mit allen anderen Mitarbeitern des Verlags möglich sein.”

3. Medienmanager und Chefredakteure: Entscheiden Sie, wie viel “vor Corona” Sie wirklich zurückhaben wollen!
(kress.de, Christian Lindner)
Medienberater Christian Lindner wendet sich mit einem Aufruf an die Führungskräfte der Medienwelt, der gleichzeitig eine Abrechnung mit der bisherigen Unternehmenskultur ist: “Wir haben etwa die Arbeit im Homeoffice vor Corona eher ferngehalten als forciert. Wir schätzten es, jeden unserer Leute rufen lassen und fünf Minuten später in unserem Büro sprechen zu können. Wir haben es im doppelten Sinne gebraucht, durch unsere belebten Verlagsräume gehen zu können. Wir waren es gewohnt, dabei mit wachem Auge und siebtem Sinn das komplexe Räderwerk des Medienschaffens zu checken und bei Bedarf einzugreifen. Wir haben uns dabei aber auch als Führungskraft inszeniert. Jetzt müssen wir uns fragen, warum uns die Präsenz unserer Leute im Verlag eigentlich wichtiger war als ihr Output.”

Bildblog unterstuetzen

4. “Es gibt Menschen, die werde ich nie überzeugen können”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Mai Thi Nguyen-Kim ist promovierte Chemikerin, erfolgreiche Wissenschafts-Youtuberin, TV-Moderatorin und Wissensvermittlerin. Im Interview mit “DWDL” geht es um ihren Blick auf die Berichterstattung in den Medien und um den Umgang mit Kritik, Hassmails und Drohungen. Außerdem macht sie auf die ihrer Ansicht nach bestehenden Defizite bei der schulischen Wissensvermittlung aufmerksam: “Man muss sich mit Geschichte und Politik auskennen. Aber was jetzt die drei Hauptsätze der Thermodynamik sind, nein, das muss mein Kind doch nicht wissen – das wird oft als Freak-Wissen abgetan. Oder noch einfacher: Wer weiß heutzutage schon, was der Unterschied zwischen einem Virus und einem Bakterium ist? Da überrascht es nicht, dass einem ein Xavier Naidoo da interessante Möglichkeiten liefern kann.”

5. Roland Tichy scheitert mit erneuter Klage gegen Claudia Roth
(tagesspiegel.de)
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth hatte in einem Interview der “Augsburger Allgemeinen” in Zusammenhang mit der neurechten Plattform “Tichys Einblick” von einem “Geschäftsmodell” gesprochen, das “auf Hetze und Falschbehauptungen beruhe”. Dagegen war Plattformbetreiber Roland Tichy, zunächst erfolglos, juristisch vorgegangen und ist nun auch im zweiten Anlauf gescheitert.

6. Mensch, Christoph
(spiegel.de, Barbara Hans)
“Wir sind damit nicht einverstanden”, schreibt “Spiegel”-Chefredakteurin Barbara Hans zum Tod von Christoph Sydow, der seit 2012 als Nahost-Experte für das Nachrichtenmagazin gearbeitet hat und sich vor wenigen Tagen, im Alter von 35 Jahren, das Leben genommen hat: “Wir können nur ahnen, wie verzweifelt Christoph gewesen sein muss, diesen Schritt zu gehen. Dass er nicht mehr die Möglichkeiten des Lebens sah: die Verheißungen, die Chancen, den Genuss – sondern nur noch die Last. Wir blicken voller Zuneigung, Wertschätzung, Hochachtung auf den Menschen, der Christoph war. Wir blicken voller Trauer auf den Tod, den er gewählt hat. Wir sind mit seiner Entscheidung nicht einverstanden.”
Weiterer Lesehinweis: Beim Magazin “Zenith” trauert man um einen Freund und Kollegen und blickt auf die gemeinsame Zeit zurück. Ein Nachruf, der einem den Menschen Christoph Sydow noch einmal ganz nah werden lässt.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 und 116 123) erreichen kannst.)

Darknet des kleinen Mannes, Post für Porno-Portale, Gegenrede wirksam

1. Neue Studie zeigt Wirksamkeit von Gegenrede im Netz
(netzpolitik.org, Daniel Laufer)
Viele erinnern sich noch an die von Jan Böhmermann initiierte Aktion “Reconquista Internet” zur Abwehr der rechten Trollarmee “Reconquista Germanica”. Nun haben US-amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aktion untersucht und festgestellt, dass organisierte Gegenrede tatsächlich ein wirksames Mittel gegen Hass im Netz sein könnte. Böhmermann fasst zusammen: “Die Studie belegt erstmals empirisch, was wir mit ‘Reconquista Internet’ praktisch erfahren haben: Wer organisierten Hass, rassistische Hetze oder die cleveren Diskursverschiebungskampagnen rechtsextremistischer Netzwerke im Internet erfolgreich bekämpfen will, muss wissen, wie diese verdeckten Manipulationsnetzwerke arbeiten, sie analysieren und gegen sie aktiv werden”.

2. Wenn Peking die Bilder liefert
(sueddeutsche.de, Lea Deuber)
Am 15. Juni soll die SWR-Dokumentation “Inside Wuhan” im Format “Story im Ersten” laufen, doch es gibt bereits im Vorfeld Kritik an der Produktion. Der Titel klinge, als habe sich der SWR für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Spurensuche in Wuhan begeben. Es sei jedoch kein eigenes Team entsendet worden, stattdessen sei mit Material der chinesischen Propagandabehörden gearbeitet worden.

3. Die schlimmste App der Welt
(youtube.com, Walulis, Video: 10:36 Minuten)
Als “die schlimmste App der Welt” und das “Darknet des kleinen Mannes” bezeichnet Philipp Walulis den Messengerdienst Telegram. Die WhatsApp-Alternative habe sich mittlerweile zu einem Spielplatz für Verschwörungserzähler wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo entwickelt, die dort ungestört agieren könnten. Gegründet worden sei der Dienst von Pawel Durow, der zuvor bereits das in Russland meistgenutzte Soziale Netzwerk Vk.com gegründet habe, dann aber in Ungnade gefallen sei und heute seinen Geschäften von Dubai aus nachgehe.

Bildblog unterstuetzen

4. Das Milliardenspiel
(spiegel.de, Peter Ahrens & Jörn Meyn)
Derzeit liegen die Live-Rechte für die Fußball-Bundesliga vor allem beim Bezahlsender Sky, doch das könne sich bald ändern: Bis zum 19. Juni laufe die Ausschreibungsfrist für die TV-Rechte an den Spielzeiten 2021/2022 bis 2024/2025. Peter Ahrens und Jörn Meyn erklären, welche Rechtepakete zum Verkauf stehen, wer alles mitbietet, und welche Rolle Amazon dabei spielt. Außerdem geht es natürlich um die Frage, ob eine weitere Gewinnexplosion zu erwarten ist.

5. Bundesverfassungsgericht verrät vorab seine Urteile
(tagesspiegel.de, Jost-Müller Neuhof)
Es gibt Kritik an der Veröffentlichungspraxis des in Karlsruhe sitzenden Bundesverfassungsgerichts. Noch vor der offiziellen Verkündung der Urteile, teile das Gericht Informationen zu seinen Entscheidungen vor Ort einem kleinen Kreis ausgewählter Journalistinnen und Journalisten mit. In rund der Hälfte der Fälle würden diese Exklusiv-Infos an Vertreterinnen und Vertreter von ARD und ZDF gehen. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert das Vorgehen des Gerichts als “befremdlich und nicht mehr zeitgemäß”.

6. Youporn, Pornhub und MyDirtyHobby bekommen Post
(faz.net)
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) geht gegen drei reichweitenstarke Pornoportale vor, die in der gegenwärtigen Form nicht weiterbetrieben werden dürften. Die Websites würden gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verstoßen, indem sie Pornografie frei zugänglich machen würden, ohne sicherzustellen, dass Kinder keinen Zugang haben. Es dürfte ein zähes Ringen werden, denn das dahinterstehende Unternehmen hat seinen Sitz auf Zypern. Die KJM gibt sich jedoch kämpferisch und könne nötigenfalls auf das Mittel der Netzsperre zurückgreifen.

Blättern:  1 2 3 4 ... 27